Berliner Wirtschaft März 2024

Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 03 /2024 ihk.de/berlin CSR Unternehmen Engagieren sich Benefiz-Operngala für traumatisierte Kinder in der Ukraine Seite 66 Indien Wie Berliner Unternehmen ihre Chancen auf dem Subkontinent nutzen Seite 28 Industrie 4.0 Digitale Zwillinge helfen als virtuelle Werkzeuge Ressourcen sparen Seite 56 Visionen für den Verkehr Die Zukunft der urbanen Mobilität liegt für Jörg Astalosch von der Ingenieurgesellschaft IAV im Verbund. Digital, innovativ und klimafreundlich Seite 16, Interview Seite 24

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Sebastian Stietzel ist Präsident der IHK Berlin und Geschäftsführer der Marktflagge GmbH, Management & Investments In den letzten Wochen habe ich mich – wieder einmal – gefragt: Muss Politik in einer Großstadt eigentlich grundsätzlich aufgeregt sein? Oder gehört die Lust auf Kampagne unter großzügiger Vernachlässigung etwaiger Sachargumente zur DNA Berlins? Ein solches Beispiel ist die Berliner Verkehrspolitik. Der guten Nachricht, dass die Berliner Luft besser geworden ist und daher das temporär eingeführte Tempolimit auf einigen Hauptstraßen wieder aufgehoben werden kann, folgte unmittelbar die große Sorge, dass nun gleich die gesamte Mobilitätswende gefährdet ist. Einen unmittelbaren Zusammenhang gibt es da aber eigentlich nicht. Selbstverständlich brauchen wir die Mobilitätswende, das ist unstrittig. Aber dafür braucht es einen ganzheitlichen, langfristig tragfähigen und vor allem rechtssicheren Plan für unsere Millionenmetropole. Dazu gehören leistungsfähige Haupttrassen für alle Verkehrsträger, welche eine Verkehrsberuhigung in den Nebenstraßen erst möglich machen, genauso wie Konzepte für die Nebenstraßen, die Kieze und den Radverkehr, die den notwendigen Lieferverkehr mitdenken. Was Berlin dringend braucht, ist der sachliche Austausch darüber, wie der Straßenraum funktionsfähig, aber auch innovativ und zukunftssicher gestaltet und aufgeteilt werden kann. Impulse dazu finden Sie in dieser Ausgabe Ihrer Berliner Wirtschaft (S. 16). Ich wünsche eine inspirierende Lektüre. Ihr Kooperation Bei der Vermietung von Flächen im Ludwig Erhard Haus arbeiten die Wista Management GmbH und die IHK Berlin zusammen. Vor allem für Start-ups stehen hier Co-Working-Spaces zur Verfügung. Ziel ist es, Kooperationen zwischen Unternehmen und Startups sowie Innovationen voranzubringen. Seite 12 Die „Berliner Wirtschaft“ gibt es auch online: ihk.de/berlin/berliner-­ wirtschaft Berlin braucht ­ eine Verkehrspolitik nach Plan ZEICHNUNG: ANDRÉ GOTTSCHALK; TITEL: AMIN AKHTAR Berliner Wirtschaft 03 | 2024 Editorial | 03

Bauen und Flächen Sebastian Stietzel (Foto) erörterte mit Senator Christian Gaebler und Unternehmern aktuelle Herausforderungen 13 16 Visionen für den Verkehr Damit Berlin mobil bleibt und dabei klimafreundlicher wird, sind Ideen gefragt, etwa eine Magnetschwebebahn BRANCHEN 28 Neue Märkte Vor Ort offenbaren sich Indiens wirtschaftliche Potenziale 31 Porträt IT-Unternehmer Surja Bose baut veraltete Barrieren ab 35 Start-up Nezar Shakerchi, Mitgründer von We4All, im Kurzinterview 36 Kaufhäuser Hinter den alten Fassaden tun sich neue Welten auf 38 Auszeichnung Von 32 „Kreativpiloten“ kommen 13 aus Berlin 39 Gründerstory Polina Sergeeva über ihr Unternehmen Menstruflow 40 Partnerschaft Start-ups entwickeln HardTech für Praktiker 42 Gewerbeflächen Trotz der Krise am Bau werden Projekte vorangetrieben 45 Historie Simse und Portale: Bühl & Reuter war Experte für Stein AGENDA 10 Konjunktur Zum Jahresbeginn zeigt sich ganz leichte Zuversicht 12 Kooperation IHK und Wista Management bieten Co-Working-Areale im Ludwig Erhard Haus an 13 Diskussion Bausenator Christian Gaebler zu Gast beim Stadtgespräch Mittelstand der IHK Berlin 14 Position Gemeinsame Erklärung der Wirtschaft gegen Rassismus 15 Kolumne Volksbank-Vorstand Carsten Jung über Werkswohnungen als Standortfaktor FOKUS 16 Visionen für den Verkehr Nahverkehr, Infrastruktur oder Transport: Damit Berlin in Bewegung bleibt, muss sich vieles bewegen 20 Unternehmenspraxis IVU Traffic Technologies, Vay und NEX Aero stellen ihre innovativen Lösungen vor 24 Interview Für Jörg Astalosch sind KI, autonomes Fahren und nachhaltige Antriebe aktuell die wichtigsten Themen Jörg Astalosch CEO der Ingenieurgesellschaft IAV Im Bereich der Mobilität brauchen wir nicht nur Evolutionen, sondern Revolutionen. Berliner Wirtschaft 03 | 2024 Inhalt | 04

FACHKRÄFTE 46 Ausbildung Wasserbetriebe, Gasag und Bahn investieren kräftig 48 Praktikum Ein Schnuppertag für Jugendliche birgt Potenzial zur Fachkräftegewinnung 49 Bildung Lust auf MINT-Themen: Stiftung Kinder forschen legt Fortbildungsprogramm vor 50 Fachkräfte Ältere Beschäftigte rücken verstärkt in den Fokus 52 Verbundberatung Seilerei Carl Stahl kooperiert mit ZAL Berlin-Brandenburg SERVICE 56 Digitalisierung „Digital meets Mittelstand“: der Digitale Zwilling und sein Potenzial für die Wirtschaft 58 Nachhaltigkeit E-Learnings sind ideal zur Schulung von Mitarbeitenden 59 Sachverständige IHK Berlin sucht Experten für Mietangelegenheiten 60 Gründerszene Fünf Tipps, wie Gründerinnen und Gründer ihr Start-up fit für den Exit machen 62 Beratung Relevante Vorgaben im Einwegkunststofffondsgesetz 03 Editorial | 06 Entdeckt | 34 Impressum | 53 Seminare 65 Gestern & Heute | 66 Zu guter Letzt Schreiben Sie uns Worüber möchten Sie in der „Berliner Wirtschaft“ informiert werden? Senden Sie Ihre Anregungen per Mail an: bw-redaktion@berlin.ihk.de Ausbildung Mit großen Investitionen sorgen Gasag, Wasserbetriebe (Foto) und Deutsche Bahn für die Fachkräfte von morgen 46 ILLUSTRATION: GRAFT GMBH; FOTOS: AMIN AKHTAR, MALTE JÄGER das uns! Überlassen Sie Professionelle Entsorgungslösungen für: Gewerbeabfälle Bedarfsgerechte Konzepte zur Erfassung Ihrer gemischten Gewerbeabfälle – entsprechend der Gewerbeabfallverordnung Altpapier Beste Preise für Industrie, Handel, Gewerbe, Wohnungswirtschaft und Privathaushalte Gewerbefolien Kostengünstige und umweltgerechte Wertstoffentsorgung Andere Abfälle Zuverlässige Erfassung aller anderen Abfälle zur Verwertung (Glas, Holz, Schrott, E-Schrott) Bartscherer & Co. Recycling GmbH Montanstraße 17-21 13407 Berlin Tel: (030) 408893-0 Fax: (030) 408893-33 www.bartscherer-recycling.de Bestellungen direkt im Onlineshop. Günstige Pauschalpreise für Umleerbehälter von 240 l bis 5,5 cbm.

Eine eigene gesundheitliche Erfahrung brachte Cenk Ikiz vor rund acht Jahren auf die Idee der Herstellung von Naturkosmetik. Zusammen mit seiner Frau Serap, einer Designerin, wechselte der Unternehmensberater für seine Gründung von New York nach Berlin. Der Spirit der Stadt und ein Käuferbewusstsein für nachhaltige Produkte schienen den beiden ideal für den Start ihrer Brewing Beauty Company. „Hyperlokale Kosmetikmanufaktur“ beschreiben die Quereinsteiger ihr Konzept: Vor den Augen der Kundschaft werden im Geschäft Pflegeprodukte hergestellt, die auf die zuvor analysierten Hauttypen abge- stimmt sind. Natürliche Zutaten und Kleinserienfertigung sind für Cenk Ikiz Grundlagen eines verantwortungsvollen Umgangs mit Ressourcen. Ohne Corona, sind die Gründer überzeugt, wäre ihr Unternehmen längst über Berlin hinausgewachsen. Die Expansion in andere deutsche und europäische Städte aber ist nur verschoben. Schön natürlich Brewing Beauty Co. Ende 2020 eröffneten Cenk und Serap Ikiz ihre Manufaktur für Naturkosmetik in der Mulackstraße in Berlin-Mitte. FOTO: ULRICH SCHUSTER Entdeckt | 06

Berliner Wirtschaft 03 | 2024

kopf oder zahl Ines Hübsch Claudia Rathfux ist zum 1. Januar in die Geschäftsführung der DRK Kliniken Berlin berufen worden. Die bisherige Bereichsleiterin Finanzen und Controlling wird gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung Dr. Christian Friese sowie Cornelius Held den gemeinnützigen Klinikverbund führen. Ines Hübsch wird sich auf den Finanzbereich konzentrieren. ist zum Jahreswechsel von der Stromnetz Berlin GmbH in die Gasag-Gruppe zur NBB Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg mbH & Co. KG gewechselt. Dort tritt die Betriebswirtin die Nachfolge des kaufmännischen Geschäftsführers Frank Behrend an, der Ende Februar nach 43 Berufsjahren in der Gasag-Gruppe das Unternehmen verlassen hat. 100 Mio. Euro an zusätzlicher Wirtschaftsleistung bringt die Berlinale in diesem Jahr der Hauptstadt. Davon entfallen 90 Mio. Euro auf Konsumimpulse durch die 74. Ausgabe des Filmfestivals, wie die Investitionsbank Berlin errechnet hat. „Erfolg in der Sache ist das einzige Ergebnis, das am Ende des überfälligen Reformprozesses stehen darf, wenn Berlin seinen Platz am Tisch der Weltmetropolen nicht riskieren will. Behördenpingpong mag amüsant klingen, ist aber de facto ein handfester Standortnachteil. Klar definierte Zuständigkeiten, handlungsfähige Bezirke sowie die gesamtstädtische Steuerung durch den Senat, dieser Dreiklang muss die Reform deshalb leiten.“ Die IHK wertet das parteiübergreifende Spitzen- treffen zur Verwaltungsreform als gutes Zeichen Standortnachteil Behördenpingpong gesagt Sebastian Stietzel, Präsident IHK Berlin FOTOS: NBB, DRK KLINIKEN BERLIN, CHRISTIAN KIELMANN, GETTY IMAGES/EUGENE MYMRIN Berliner Wirtschaft 03 | 2024 Kompakt | 08

11,3 % mehr Passanten wurden im vergangenen Jahr in der Neuen Schönhauser Straße gezählt. Simone Blömer, IHK-Expertin für Handel Tel.: 030 / 315 10-432 simone.bloemer@berlin.ihk.de Tauentzienstraße hält Vorsprung Die Rosenthaler Straße in Mitte liegt bei der Passantenfrequenz in den Berliner Einkaufsstraßen auf dem zweiten Platz berliner wirtschaft in zahlen Bei manchen Manövern auf Berlins Straßen drängt sich die Frage auf: „Führerschein im Lotto gewonnen?“ Tatsächlich ist der Weg zur Fahrerlaubnis zwar kein Lotteriespiel, aber eine Gedulds- probe. Nach Corona haben sich 20.000 Prüfungen aufgestaut. Zusätzliche Termine und Gastprüfer, unter anderem von der Bundeswehr, sollen Abhilfe schaffen. Ein robustes Mandat kann im Hauptstadtverkehr vermutlich nicht schaden. bw Was finden Sie typisch? Schreiben Sie uns: bw-redaktion@berlin.ihk.de Scheinlösung typisch berlin Tauentzienstraße +10,04 +9,15 -0,48 +4,24 -3,96 +11,28 Veränderung in Prozent 16,6 15,1 Mio. Passanten 2023 2022 9,6 10,5 8,3 8,2 6,7 7,0 4,2 4,1 2,6 2,9 Rosenthaler Straße Schloßstraße Kurfürstendamm (südlich) Kurfürstendamm (nördlich) Neue Schönhauser Straße Grafiken: BW Quelle: Hystreet.com PREISGÜNSTIGE BÜRO-NEUBAUFLÄCHEN AM ZUKUNFTSSTANDORT ADLERSHOF WWW.MIETEN-IN-ADLERSHOF.DE MIETANFRAGE@MIETEN-IN-ADLERSHOF.DE +49 30 8891 3322 Eine Projektentwicklung der MIETEINHEITEN/GEBÄUDE VON 250 BIS 5.500 M2 ZUFRIEDENE MIETER KÖNNEN NICHT IRREN 75 BTB-FERNWÄRME MIT 57% ANTEIL ERNEUERBARE ENERGIEN

Kann sich die Wirtschaft in der Hauptstadtregion dem negativen Abwärtstrend der bundesweiten Konjunktur entziehen? Natürlich kann man immer hoffen, aber auch die jetzt erhobenen Indikatoren geben dieser Hoffnung zumindest einen gewissen Auftrieb. Mitte Februar stellten die Hauptgeschäftsführer der IHKs Potsdam, Ostbrandenburg und Cottbus sowie der Geschäftsführer Wirtschaft & Politik der IHK Berlin, Henrik Vagt, den Konjunkturbericht in Berlin vor. Der Konjunkturklimaindex, den die vier Industrie- und Handelskammern zu Jahresbeginn erheben, steigt seit dem letzten Herbst um acht auf heute 104 Punkte. Das konjunkturelle Klima der Metropolregion hellt sich moderat auf, da die Erwartungen an die Wirtschaftsentwicklung der kommenden Monate weniger pessimistisch sind als vor vier Monaten. In Berlin schätzen die Unternehmen auch die laufenden Geschäfte besser ein als noch zuletzt. Insgesamt nimmt die Leichte Aufhellung: Insgesamt zeigt sich die Wirtschaft in Berlin und Brandenburg wieder etwas optimistischer, allerdings nicht in allen Branchen von Patrick Schulze Konjunktureller Silberstreif Beim Pressetermin: André Fritsche, IHK Cottbus, Henrik Vagt, IHK Berlin, und Gundolf Schülke, IHK Ostbrandenburg (v. r.) agenda

Konjunktur in Berlin etwas mehr Fahrt auf als in Brandenburg. Den dafür kräftigsten Impuls liefert das Berliner Dienstleistungsgewerbe. Doch das Bild in den unterschiedlichen Branchen ist sehr unterschiedlich. Leichten Rückenwind erwarten die Berliner Industriebetriebe. In Brandenburg legen die Dienstleistungs- und Industriesektoren ebenfalls zu; jedoch auf niedrigerem Niveau als in Berlin. Die Bauindustrie beider Länder startet mit einer, verglichen zum Herbst, kaum veränderten getrübten Konjunktur ins Jahr. Weiter abgekühlt ist das Klima im Gastgewerbe beider Länder. Die Konjunktur der Metropolregion formt sich also zu einem sehr vielschichtigen Bild. Mehr Zuversicht in Berlin Die Wirtschaft der Metropolregion blickt weiterhin überwiegend skeptisch auf die kommenden Monate. Der Erwartungssaldo, der sich aus optimistischen und pessimistischen Prognosen ergibt, beläuft sich auf minus sieben Punkte. Zwar steigt er damit gegenüber dem Herbst, diese Erholung auf niedrigem Niveau ist jedoch in erster Linie der gestiegenen Zuversicht unter Berliner Unternehmen geschuldet. Die Erwartungshaltung in Brandenburg ist weiterhin von ausgesprochenem Pessimismus geprägt. Die Pläne für die Beschäftigungsentwicklung bleiben entsprechend schwach. Trotz einer leichten Erholung des Indikators landet der Wert auf dem Nullpunkt und zeigt damit wenig Dynamik auf dem Beschäftigungsmarkt an. Die Unternehmen sind weiterhin vergleichsweise zurückhaltend, was ihre Investitionsabsichten angeht. Im Anschluss an den coronabedingten Konjunktureinbruch hatten sich die Investitionsplanungen vorerst erholt. Seit dem Herbst 2021 befinden sie sich aber auf einem deutlich absteigenden Pfad. Im Ergebnis fällt die aktuelle Investitionsdynamik wesentlich verhaltener aus als noch vor 2020. Diese Investitionsschwäche bremst nicht nur die aktuelle Konjunktur, auch langfristig wird das Wachstumspotenzial in der Metropolregion durch einen schrumpfenden gesamtwirtschaftlichen Kapitalstock verringert. Positiv fällt auf, dass der seit dem Frühsommer 2023 zu beobachtende Rückgang der Konjunkturindikatoren in den meisten Branchen einer Bodenbildung, teils auch einer moderaten Aufhellung gewichen ist. Im Frühsommer wird sich zeigen, ob wir die Kehrtwende erreicht haben oder die Konjunktur auf dem niedrigen Niveau verharrt. ■ Patrick Schulze, IHK-Public-AffairsManager Konjunktur Tel.: 030 / 315 10-226 patrick.schulze@berlin. ihk.de Konjunkturklimaindikator Seit Herbst vergangenen Jahres hat sich die Stimmung leicht verbessert, allerdings auf niedrigem Niveau Indikatoren für das Konjunkturklima Am günstigsten entwickelt haben sich seit dem Herbst die Geschäftserwartungen (alle Angaben in Prozent) Grafiken: BW Quelle: IHK Berlin 104 Punkte beträgt der Konjunkturklimaindex zu Jahresbeginn, das sind acht Punkte mehr als im Herbst. 21 % der Unternehmen erwarten, dass sich die Geschäfte besser entwickeln, im Herbst waren es 16 Prozent. 22 % der Betriebe gehen von steigenden Investitionen aus, ein nahezu unveränderter Wert (23 Prozent). 150 Konjunkturklimaindikator 59 139 78 50 75 100 125 2014 '15 '16 '17 '18 '19 '20 '21 '22 '23 '24 jeweils zum Jahresbeginn, im Frühsommer und im Herbst 104 47 34 19 46 35 19 Geschäftslage Herbst 2023 JB 2024 48 16 36 51 21 28 Herbst 2023 JB 2024 25 9 23 43 29 22 40 9 Herbst 2023 JB 2024 55 21 24 57 22 21 Herbst 2023 JB 2024 gut befriedigend schlecht Geschäftserwartungen Investitionspläne Beschäftigungspläne gleichbleibend günstiger ungünstiger steigend gleichbleibend fallend steigend gleichbleibend fallend keine FOTO: AMIN AKHTAR Konjunktur | 11 Berliner Wirtschaft 03 | 2024

Wista Management GmbH ist bei der Vermarktung von Flächen im Ludwig Erhard Haus Partner der IHK Ein neues Zuhause für Start-ups Die IHK Berlin möchte im Ludwig Erhard Haus (LEH) in Charlottenburg Start-ups ein Zuhause geben. Als Partner für die Vermarktung der Flächen konnte die Wista Management GmbH gewonnen werden. Eine entsprechende Kooperationsvereinbarung haben IHK-Präsident Sebastian Stietzel und Wista-CEO Roland Sillmann unterzeichnet. Anliegen ist es, insbesondere Firmengründern, aber auch kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Co-Working-Spaces zum Arbeiten und Netzwerken anzubieten. Dazu werden in den nächsten Monaten rund 1.400 Quadratmeter Fläche umgestaltet. Die neuen Arbeitsräume sollen im Sommer 2024 eröffnet werden. Ziel ist es vor allem, den Wissenstransfer, Innovationen und Kooperationen zwischen Berliner Unternehmen und Startups voranzubringen und auszubauen. Dazu plant die Wista, eine adäquate Atmosphäre zu schaffen. Beide Seiten gehen davon aus, dass es eine große Mietnachfrage geben wird. Die zentrale Lage des Ludwig Erhard Hauses in der unmittelbaren Nähe zur TU Berlin, dem Centre for Entrepreneurship – CFE und der Universität der Künste Berlin spielen eine wesentliche Rolle. Es sind aber auch bereits im LEH tätige Institutionen wie die Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH oder der Business Immigration Service, die Arbeiten an dieser Stelle attraktiv machen. Es sei folgerichtig, als Haus der Berliner Wirtschaft die Wirtschaft auch ins Haus zu holen, betonte IHK-Präsident Sebastian Stietzel. „Ich freue mich, dass wir gemeinsam mit der Wista ein Angebot vor allem für kleinere – und junge – Unternehmen schaffen. Die bewusst kleinteilige Vermietung bietet die notwendige Flexibilität, gleichzeitig haben die künftigen Mieter alle Unterstützungs-Angebote der IHK buchstäblich in Laufweite.“ Darüber hinaus vermietet die IHK im Ludwig Erhard Haus Flächen und Räumlichkeiten für Seminare, Messen, Belegschaftsversammlungen oder Kundenevents. Weitere Infomationen siehe rechts. lun Funpreneur Gewinner der 35. Ausgabe des Wettbewerbs ist Districtee Beim 35. Funpreneur-Wettbewerb der Freien Universität Berlin hat das studentische Team Districtee den ersten Preis und damit ein Preisgeld von 1.200 Euro gewonnen. Das Team hatte die Idee, Kiezkultur, Kunst und Mode mit hochwertig bedruckten T-Shirts zu verbinden. Die Kiezmotiv-Prints auf den T-Shirts werden von lokalen Künstlerinnen und Künstlern gestaltet, die damit ihr Einkommen aufbessern können. Produziert werden die T-Shirts in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. Der Funpreneur-Wettbewerb ist ein Seminar in Unternehmensgründung für Bachelor-Studierende aller Berliner Universitäten und Fachrichtungen. Unter dem Motto „Spaß haben, kreativ sein, unternehmerisch denken“ bot der Wettbewerb Studierenden die Chance, ihre unternehmerischen Fähigkeiten zu erproben und weiterzuentwickeln. Mit einem symbolischen Startkapital von jeweils fünf Euro und Unterstützung von den Wirtschaftsjunioren meisterten die Teams innerhalb weniger Wochen alle Stufen der Produktentwicklung, von der Idee über Marktrecherchen bis hin zu Preisgestaltung und Produkterstellung. Zu den Unterstützern des Wettbewerbs zählte auch die IHK Berlin, die Abschlussveranstaltung fand im Ludwig Erhard Haus statt. lun IHK-Präsident Sebastian Stietzel (r.) und Roland Sillmann, CEO der Wista, besiegeln die Kooperation Vermietung LEH Weitere Informationen zu den Nutzungsmöglichkeiten von Flächen im Ludwig Erhard Haus unter: ihk.de/berlin/leh Funpreneur Weitere Informationen, auch zu den anderen Teilnehmern der 35. Ausgabe des Wettbewerbs, unter dem QR-Code: FOTO: KONSTANTIN GASTMANN AGENDA | Kompakt | 12 Berliner Wirtschaft 03 | 2024

Enrico Roth Geschäftsführender Gesellschafter Bau-GmbH Roth Derzeit sind mehr als 3.300 Gesetze, Normen und Vorschriften beim Bau von Einfamilienhäusern zu befolgen. Politik trifft Wirtschaft: Beim „Stadtgespräch Mittelstand“ mit Bausenator Christian Gaebler ging es um Verfahrensbeschleunigung und Gewerbeflächen von Peter Rau und Stefan Borchardt Bauprozesse verschlanken Z um Jahresauftakt hatte die IHK Berlin Bausenator Christian Gaebler und fünf Berliner Unternehmer aus der Bau- und Immobilienbranche zum „Stadtgespräch Mittelstand – Auf ein Wort mit dem IHK-Präsidenten“ eingeladen. Themen der Diskussion waren Verfahrensbeschleunigung und Gewerbeflächen. Moderiert wurde die Runde vom Präsidenten der IHK Berlin, Sebastian Stietzel, und von Vizepräsident Robert Rückel. Der gesteigerte Bedarf an Wohnraum verursacht einen Anstieg der Kosten auf dem Bau- und Rohstoffmarkt, Materialengpässe und wegbrechende Lieferketten. Zusätzlich belasten eine hohe Inflationsrate, steigende Zinsen, der Fachkräftemangel sowie komplexe Verfahren die Situation. Demgegenüber steht der ehrgeizige Plan des Senats, jährlich 20.000 neue Wohneinheiten zu errichten. Die formalen Bedingungen beschrieb Bauunternehmer Enrico Roth so: „Derzeit sind mehr als 3.300 (!) Gesetze, Normen und Vorschriften beim Bau von Einfamilienhäusern zu befolgen.“ Seine Forderung: „Das geht auch einfacher. Der Vorschriftendschungel beim Bauen muss dringend gelichtet werden.“ Mit dem Schneller-Bauen-Gesetz will der Senat Planungsverfahren beschleunigen und vereinfachen. Senator Gaebler betonte die Bedeutung des Vorhabens zur Überwindung der Hindernisse. Die Teilnehmenden sahen eine effizientere Zusammenarbeit zwischen den Bezirken und der Senatsverwaltung als entscheidend an, um Planungsprozesse zu beschleunigen. Es wurde betont, dass ein Mentalitätswandel sowie ein positiver Blick auf das Bauen unerlässlich seien. Ein weiteres Problemfeld sind die Gewerbeflächen: Die Preise steigen, Flächenkonkurrenzen nehmen zu, insbesondere in den zentrumsnahen und gut angebundenen Lagen. Daneben werden Betriebe zunehmend aus zentralen Lagen verdrängt und sehen sich gezwungen, die Stadt zu verlassen. Problematisch zudem: Auch ein näher an die Gewerbe- oder Industriestandorte heranrückender Wohnungsbau kann zu Konflikten führen. Im Hinblick auf die Sicherung von Gewerbeflächen wurden Strategien zur Vermeidung von Nutzungskonkurrenzen und die Bewältigung der Flächenknappheit erörtert. Das Stadtgespräch mit Bausenator Christian Gaebler unterstreicht den dringenden Bedarf zur Zusammenarbeit wie auch zur Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung der Berliner Wirtschaft. ■ Senator Christian Gaebler (kl. Foto und Foto o., 4. v. l.) diskutierte mit Leonhard Lischka, Enrico Roth, Robert Rückel, Sebastian Stietzel, Sina Fiedler, Andreas Nitze und Thomas Groth (v. l.) FOTOS: AMIN AKHTAR Stadtgespräch Mittelstand | 13

In einer gemeinsamen Erklärung betonen die Kammern und Wirtschaftsverbände in Berlin den Wert von Vielfalt, Demokratie und Internationalität. Und stellen sich klar gegen Rechtsextremismus Plädoyer für Weltoffenheit Die Wirtschaftsverbände und Kammern in Berlin erteilen rassistischen Planspielen rechtsextremer Gruppierungen zur systematischen Ausweisung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte eine klare Absage. Kaum eine andere Stadt in Deutschland sei so stark von Weltoffenheit und Vielfalt geprägt wie Berlin, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von mehr als 20 Institutionen und Verbänden. Umso schwerer würden menschenfeindliche Überlegungen für die Stadt und den Wirtschaftsstandort wiegen, wie es in der Erklärung weiter heißt. Alle seien aufgefordert, rassistischer Hetze entgegenzutreten. In dem Positionspapier wird ausdrücklich betont, dass Internationalität Teil der DNA der Berliner Unternehmen und ihrer Belegschaften sei. In der Hauptstadt leben und arbeiten Menschen aus insgesamt 170 Nationen, fast 40 Prozent der Berlinerinnen und Berliner haben einen Migrationshintergrund. Diese Menschen tragen dazu bei, dass jeden Tag in Berlin Waren produziert werden, Dienstleistungen verfügbar sind und Innovationen entstehen können. Damit es unserer Stadt gut geht, sind wir zwingend auf ausländische Fach– und Arbeitskräfte angewiesen. Innerhalb der vergangenen fünf Jahre ist die Beschäftigung von ausländischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern in Berlin um rund 60 Prozent gestiegen. Das Beschäftigungswachstum bei Menschen mit deutschem Pass lag bei nur sechs Prozent, Deutsche mit Migrationshintergrund eingerechnet. Wir haben rund 90.000 unbesetzte Stellen in Berlin – und diese Situation wird sich mit dem demografischen Wandel weiter zuspitzen. Gefahr für Zukunftsfähigkeit Faire Wahlen, eine freie Meinungsäußerung und die Kontrolle der Exekutive durch Legislative und Judikative sichern langfristig den Wohlstand. Viele empirische Studien belegen die positive Wechselwirkung von Demokratie und Wirtschaftswachstum. Rechtsextremismus ist deshalb eine Gefahr für unsere wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit, für die Innovationsfähigkeit sowie für die damit verbundenen Arbeitsplätze. Und Berlin ist nach wie vor attraktiv für viele Menschen, auch aus dem Ausland, die mit der Hoffnung auf eine berufliche Karriere hierherkommen. Schlagzeilen in internationalen Zeitungen, im Internet oder auf Social Media über die jetzt bekannt gewordenen rechtsextremen Gedankenspiele werfen ihre Schatten auf Berlin, auf Deutschland insgesamt. Wir alle sind jetzt gefragt, Rassismus, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit die Rote Karte zu zeigen: Ja zu einem weltoffenen, vielfältigen Berlin. Nein zu menschenfeindlicher Hetze! bw 60 % Zuwachs bei der Beschäftigung ausländischer Staats- bürgerinnen und Staatsbürger gibt es in Berlin in den vergangenen fünf Jahren. Mehr als 20 Institutionen und Verbände in Berlin haben sich für die gemeinsame Erklärung zusammengeschlossen DIE BERLINER WIRTSCHAFT SAGT ZU RASSISMUS AGENDA | Position | 14 Berliner Wirtschaft 03 | 2024

Standortfaktor Werkswohnungen Länder und Städte konkurrieren wie nie zuvor um Talente – auch deswegen braucht Berlin dringend Lösungen für die Schaffung von Wohnraum Unsere dynamische und kreative Metropole zieht nicht nur Touristen und Kulturliebhaber an, sondern auch qualifizierte Fachkräfte aus Deutschland und aller Welt. Berlin will sich dabei bewusst als Hauptstadt von Wissenschaft und Forschung, als Brain City, etablieren. Und tatsächlich: Auch dank des Einsatzes von Berlin Partner, unserer Standortförderung, gelingt diese Positionierung vielfach mit ansehnlichem Erfolg. Allerdings muss Berlin dabei auch gegenüber zukünftigen Arbeitnehmern halten, was es verspricht. Und bei den „vier Wänden“ fängt es an. Wohnen muss schließlich jede und jeder. Hier sehe ich einen Schatten über der Stadt: die zunehmend kritische Situation auf dem Wohnungsmarkt. Mein Punkt lautet, dass wir die Bedeutung von Wohnimmobilien als entscheidenden Standortfaktor für die Anziehung und Bindung qualifizierter Arbeitnehmer nicht unterschätzen dürfen. Mehr noch: Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum stellt nicht nur eine für viele spürbare Belastung für das Portemonnaie dar, sondern gefährdet in Teilen schon heute die Attraktivität der Stadt für hoch qualifizierte Arbeitnehmer. In einer globalisierten Welt, in der Länder und Städte wie nie zuvor um Talente konkurrieren, wird die Verfügbarkeit von attraktivem wie bezahlbarem Wohnraum zu einem zen- tralen Entscheidungskriterium für Fachkräfte, die ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin verlagern möchten. Dabei ist gerade Berlin auch aufgrund seiner Wachstumsentwicklung in besonderem Maße auf Fachkräfte angewiesen – nicht nur in hoch spezialisierten Wissensbereichen, aber eben auch da. Doch welche Handlungsoptionen bestehen? Ich nenne einige: zunächst der konsequente Neu- und Ausbau von weiterem Wohnraum in der Stadt und in gut angebundener Stadtnähe, Maßnahmen zur Erhöhung von Transparenz auf dem Mietmarkt, die gezielte Förderung von Wohneigentum in der Metropolregion und Zusammenarbeit mit der Berliner Wirtschaft. So könnte beispielsweise eine Renaissance des jahrzehntealten Modells der Werkswohnung besonders hilfreich sein und auch für Unternehmen attraktiv: Denn durch das unmittelbare Angebot wird dringend gesuchten Fachkräften der Zuzug erleichtert, weil die zeitaufwendige Wohnungssuche entfällt und umgehend eine weitere besondere Bindung zum Arbeitgeber entsteht. Werkswohnungen dürften im gegenwärtigen Umfeld somit einen klar positiven Effekt auf die Arbeitgeber- attraktivität haben. Auch deswegen denken wir als Berliner Volksbank und Arbeitgeber für rund 1.900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darüber nach. Haben Sie bereits Erfahrungswerte gesammelt? Dann schreiben Sie mir. ■ Meinung In der Kolumne „Auf den Punkt“ positionieren sich im monatlichen Wechsel Mitglieder des Präsidiums zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht. präsidiumsmitglieder beziehen stellung Carsten Jung ist Vorstandsvorsitzender der Berliner Volksbank eG und Mitglied im Präsidium der IHK Berlin FOTO: AMIN AKHTAR Auf den Punkt | 15

ALLES FLIESST Damit Berlin in Bewegung bleibt, muss sich vieles bewegen. Der Ausbau des Nahverkehrs gehört ebenso dazu wie eine intakte Infrastruktur und innovative Transportlösungen von Jens Bartels ILLUSTRATION: GRAFT GMBH fokus

INHALT 20 Smart in Bus und Bahn IVU Traffic Technologies digitalisiert den ÖPNV 22 Autonom, aber anders Bei Vay steuern Telefahrer das Auto zum Kunden 23 Abflug am Südkreuz NEX Aeros Senkrechtstarter fliegt mit Wasserstoff 24 „Software ist für uns der Schlüssel zum Erfolg“ IAV-CEO Jörg Astalosch im Interview Eine Magnetschwebebahn könnte Berlin neue Wege zur klimafreundlichen Stadt eröffnen Visionen für den Verkehr | 17 Berliner Wirtschaft 03 | 2024

B erlin ist und bleibt in Bewegung. Aber wie lässt sich in Zukunft eine klimafreundlichere Mobilität in der Hauptstadtregion im Einklang mit den ambitionierten Zielen des Senats erreichen? Mit entscheidend ist ein verändertes Mobilitätsverhalten. Der Fokus liegt auf dem multimodalen Verkehr, der Nutzung verschiedener Verkehrsmittel für unterschiedliche Wege. Das schont die Umwelt und schafft mehr Kapazität für den Wirtschaftsverkehr. Dafür braucht es sichere Rad- und Gehwege sowie ein aktives Parkraummanagement, aber auch neue Mobilitätsangebote und den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Für eine attraktive Weiterentwicklung des ÖPNV zieht der Senat ein System von Magnetschwebebahnen in Betracht. Den Streckenverlauf oder einen Termin für den Baubeginn gibt es bislang nicht. „Die Magnetschwebebahn kann viel mehr, als ,nur‘ öffentliches Nahverkehrsmittel sein“, ist Ute Bonde überzeugt. „Mit der Magnetschwebebahn haben wir die Möglichkeit, nicht nur ein innovatives, die anderen Verkehrsmittel sinnvoll ergänzendes Nahverkehrsmittel nach Berlin zu bringen, sondern insbesondere auch, mit ihm die Stadt der Zukunft hin zu einer Schwammstadt gestalten zu können“, fügt die Geschäftsführerin des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) hinzu. Solarpaneele auf dem Bauwerk dienten der Energiegewinnung, der Bewuchs entlang der Fahrspuren und an den Stützen der Begrünung und Kühlung der Stadt. Darüber hinaus lieferten Entsiegelungsmöglichkeiten unterhalb der Trasse ein vielfältiges Potenzial für eine lebenswerte Stadt mit hoher Aufenthaltsqualität. Im Vergleich zu anderen öffentlichen Verkehrsträgern gebe es weitere Vorzüge: „Die Bahnen können ohne Fahrpersonal unterwegs sein, was angesichts der andauernden Personalknappheit ein wichtiger Faktor ist, sie sind sehr leise und stehen weder im Stau, noch verursachen sie einen“, ergänzt Ute Bonde. „Zudem könnten sie auch Güter transportieren und damit zur Entlastung des Innenstadtverkehrs beitragen.“ Kurzum: Nach Überzeugung der VBB-Geschäftsführerin ist die Magnetschwebebahn ein wesentlicher Baustein eines „Mobilitätskonzepts 2035“. Es ist nicht das einzige Projekt, das für den dringend benötigten Ausbau der Kapazitäten des ÖPNV sorgen könnte. Zu den zentralen Elementen für mehr klimafreundlichen Nahverkehr zählt schon länger das von Berlin, Brandenburg und der DB begleitete Infrastrukturprojekt mit dem Namen „i2030“. Dahinter steht eine Vielzahl von Ausbauprojekten in der Hauptstadtregion. Einige gehen laut VBB jetzt von der Planung in die Phase der baulichen Umsetzung über. So finanziert das Land Berlin etwa erste vorgezogene Baumaßnahmen bei der geschichtsträchtigen Siemensbahn. Nach heutigem Planungsstand könnte die von Jungfernheide über knapp viereinhalb Kilometer nach Gartenfeld verlaufende Bahn Ende 2029 in Betrieb gehen. Auch bei der Heidekrautbahn geht es gut voran: In diesem Jahr beginnen die Bauarbeiten an der Station Wilhelmsruh. Künftig wird die Strecke Berlin-Gesundbrunnen mit den Landkreisen Barnim und Oberhavel verbinden. Tram-Ausbau und Vision BVG 2050+ Wie eine erfolgreiche Mobilitätswende aussehen könnte, beschäftigt auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Sie setzt unter anderem auf den Ausbau der Tram. Aktuell sind gleich acht Straßenbahn-Neubaustrecken in unterschiedlichen Projektphasen in Bearbeitung. Wenn alles planmäßig verläuft, können Fahrgäste am Ende dieses JahrIHK-Vizepräsident Robert Rückel fordert, beim Ausbau des Nahverkehrs so groß und ehrgeizig zu denken, wie es bei Klimazielen geschehe. Berlin brauche dringend einen Masterplan, der über eine Legislaturperiode hinausweist FOTOS: IHK BERLIN/AMIN AKHTAR, DIE HOFFOTOGRAFEN GMBH

zehnts zum Beispiel vom Alexanderplatz über den Potsdamer Platz bis zum Kulturforum oder auch von Jungfernheide über die Urban Tech Republic bis zum U-Bahnhof Kurt-Schumacher-Platz mit der Tram fahren. Im vergangenen Jahr hat die BVG ihre Vision für den Nahverkehr in Berlin vorgestellt. Die Vision „BVG 2050+“ umfasst massive Verlängerungen der vorhandenen U-Bahn-Strecken, um schnelle Direktverbindungen für bis zu einer Million Menschen außerhalb der Innenstadt anbieten zu können. Gleichzeitig sollen zwei neue Linienäste in den Nordosten aktuell noch fehlende Schnellverbindungen schaffen. Nicht zuletzt beinhaltet die BVG-Vision eine komplett neue U-Bahn-Ringlinie, mit deren Hilfe leistungsstarke und direkte Querverbindungen zwischen den wichtigen Zentren der äußeren Stadt entstehen könnten. „Wer bei Klimazielen groß und ehrgeizig denkt, muss das auch beim Ausbau des Nahverkehrs tun. Die jetzt beschlossene Verlängerung der U3 ist deshalb ein wichtiges Signal“, betont Robert Rückel. Notwendig seien aber darüber hinaus Taktverdichtungen sowie die Sanierung und Ertüchtigung der bestehenden Strecken. „Um in Zukunft bei viel weniger Individualverkehr genauso mobil zu sein, braucht die Hauptstadtregion attraktive Alternativen“, so der Vizepräsident der IHK Berlin weiter. „Während wir darüber diskutieren, ob die Vision eines U-Bahn-Ringes zu groß ist, wird dieser in Paris schon längst gebaut.“ Nach Überzeugung Rückels benötigt Berlin dringend einen Masterplan für den Nahverkehr der Zukunft, der weit über eine Legislaturperiode hinausweist. „BVG 2050+ ist also genau der richtige Ansatz!“ Ein konkretes Beispiel für die Expressmetropole Berlin liefert die U7. „Die Verlängerung der U7 bis zum BER ist ein entscheidendes Infrastrukturprojekt, um das boomende Flughafenumfeld eng mit den Wohn- und Gewerbestandorten in Berlin zu verknüpfen“, sagt der IHK-Vizepräsident. „Ein Umstieg auf die U-Bahn ist für Pendler in beide Richtungen attraktiv, reduziert den Autoverkehr und schont das Klima.“ Für einen reibungslos fließenden Wirtschaftsverkehr muss aber noch mehr getan werden. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei die Erneuerung der Infrastruktur. Zu den Hauptschlagadern des Berliner Wirtschaftsverkehrs gehört die A100. Die Stadtautobahn ist stark baufällig. „Deswegen planen und realisieren wir entlang der A100 drei Großprojekte: den Umbau des Autobahndreiecks Funkturm, den Ersatzneubau der Rudolf-Wissell-Brücke mit Umbau des Autobahndreiecks Charlottenburg sowie den Ersatzneubau der West- endbrücke“, sagt Andreas Irngartinger, der für die Berliner Projekte zuständige Bereichsleiter der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES). Alle drei Projekte befinden sich derzeit in der Genehmigungsphase. Je nach weiterem Verlauf der Genehmigungsverfahren können die für die Verkehrsteilnehmenden spürbaren Arbeiten ab 2025 beginnen. Stadtautobahn wird noch lange gebraucht Dabei wird sichergestellt, dass der Verkehr auch während der Bauphase weiter über die Stadtautobahn fließen kann. „Aber es stimmt natürlich: Vermeiden lassen sich baubedingte Verkehrseinschränkungen nicht“, weiß der Bereichsleiter der DEGES. „Wir sagen das ganz offen: Den Berliner Verkehrsteilnehmenden steht eine Zeit voller Herausforderungen bevor, aber eine sinnvolle Alternative gibt es nicht“, fügt Andreas Irngartinger hinzu. „Wir tun alles, um die Beeinträchtigungen so gering wie möglich zu halten, zum Beispiel indem wir hier weitgehend die gleiche Anzahl an Fahrspuren anbieten wollen wie heute.“ Nach Überzeugung Irngartingers wird die Stadtautobahn genauso wie die ebenfalls baufällige A111 oder die Avus übrigens auch noch in vielen Jahren gebraucht, denn leistungsfähige und verkehrssichere Bundesfernstraßen sind auch die Voraussetzung für Innovationen wie das autonome Fahren. Für den funktionierenden Wirtschaftsverkehr der Zukunft werden neben der Umsetzung guter Ideen für die Erneuerung der Infrastruktur auch innovative Lösungsansätze für eine effiziente Organisation der Paketlogistik in den Berliner Kiezen gesucht. „Der Versand an Paketstationen beziehungsweise Spätis sollte wesentlich günstiger sein als die Lieferung an die Haustür. Das würde die Menschen dazu bringen, ein paar Schritte zu gehen, frische Luft zu schnappen und mehr soziale Begegnungen im Quartier zu haben“, meint Simon Wöhr. „Auch kollektive Auslieferfahrzeuge für alle Anbieter wären natürlich sinnvoll, um täglich nicht zehn Zulieferfahrzeuge in einer einzigen Straße zu haben“, so der Experte der Denkfabrik „paper planes“. „Besonders spannend und bisher für stark unterschätzt halten wir eine Wiederbelebung der Berliner Wasserstraßen für klimafreundliche Logistikschiffe – idealerweise in Kombination mit E-Logistik-Lastenrädern für die letzten Kilometer.“ Auch diese inzwischen von DHL pilotierte visionäre Idee zeigt: Berlin ist und bleibt in Bewegung. ■ Ute Bonde Geschäftsführerin Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg Mit der Magnetschwebebahn haben wir die Möglichkeit, ein innovatives, ergänzendes Nahverkehrs- mittel nach Berlin zu bringen. 8Neubaustrecken in unterschiedlichen Projektphasen gibt es derzeit bei Berlins Straßenbahnen. Dr. Lutz Kaden, IHK-Experte für Verkehr Tel.: 030 / 315 10-415 lutz.kaden@ berlin.ihk.de Visionen für den Verkehr | 19 Berliner Wirtschaft 03 | 2024

Die angespannte Verkehrssituation in Berlin hat sich in den vergangenen Jahren aus Sicht vieler Verkehrsteilnehmer wenig verändert. So gehören nach wie vor Autofahrer zur unzufriedensten Gruppe. Dies ist eines der Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des ADAC unter Autofahrern, Kunden des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), Fahrradfahrern und Fußgängern. Zu den großen Herausforderungen der Hauptstadt zählt, dass Bevölkerung und Verkehrsaufkommen wachsen, ohne dass neue Verkehrsflächen dazukommen. Allerdings hält die Umfrage auch gute Nachrichten bereit. Zu Fuß sowie in Bus und Bahn sind die Menschen in Berlin am zufriedensten. Im Bereich ÖPNV erreicht Berlin mit dem vierten Platz im deutschen Städteranking gar sein bestes Vergleichsergebnis. Das liegt ganz sicher auch an den innovativen Lösungen der IVU Traffic Technologies AG. Die Aktiengesellschaft hat sich auf die Entwicklung von Software zur Steuerung und Optimierung logistischer Prozesse spezialisiert und gehört mit einem angepeilten Jahresumsatz von rund 120 Mio. Euro im Jahr 2023 zu den Treibern der Digitalisierung im Verkehrssektor. „Als Berliner Unternehmen freut es uns besonders, dass wir den öffentlichen Personennahverkehr in unserer Stadt mitgestalten können“, betont der Vorstandsvorsitzende Martin Müller-Elschner. „Unsere Software, mit der wir alle Arbeitsabläufe eines Verkehrsbetriebes organisieren können, wird seit vielen Jahren von der BVG genutzt“, fügt er hinzu. „Mit unseren Lösungen werden alle Dienst- und Einsatzpläne erstellt – für jeden Bus, jede U-Bahn und jede Straßenbahn sowie alle Fahrerinnen und Fahrer.“ Das Unternehmen begleitet die BVG seit Jahren auf dem Weg in die Digitalisierung und unterstützt sie dabei, ihr Personal und ihre Fahrzeuge bestmöglich und flexibel einsetzen zu können. Davon profitieren dann auch die Fahrgäste in der Hauptstadt. Wie Digitalisierung und klimafreundliche Mobilität im Nahverkehr Hand in Hand gehen können, zeigen auch die smarten Lösungen des Berliner Unternehmens im Bereich der Elektromobilität. „Mit unserer Software kann vorab berechnet werden, wie weit die Batterie eines Elektrobusses reicht“, erklärt Müller-Elschner. „Dabei werden verschiedene Faktoren berücksichtigt, zum Beispiel Außentemperatur, Verkehrslage und Alter der Batterie“, so der Unternehmenslenker. „Darüber hinaus können wir prognostizieren, wann der Bus wieder geladen werden darf – denn alle Busse gleichzeitig an die Steckdose zu hängen, würde die Infrastruktur überfordern.“ Verlässliche Daten als Grundlage In Zukunft werden nicht nur digitale Lösungen, sondern auch die künstliche Intelligenz (KI) eine immer größere Rolle in der Mobilität spielen. Verlässliche Daten und eine genaue Analyse sind dafür die Grundlage. „Für Verkehrsunternehmen wird es künftig möglich sein, mittels KI-Prognosen den Einsatz der Fahrzeuge noch besser zu planen“, weiß Martin Müller-Elschner. Abhängig von Tageszeit, Wetterverhältnissen, Urlaubzeit und weiteren Faktoren könne damit sehr genau vorhergesagt werden, wie voll ein Fahrzeug sein wird und ob eventuell ein weiteres oder größeres eingesetzt werden muss. Bei möglichen Störungen könnten alternative Routen in kürzester Zeit ermittelt und Fahrgäste direkt darüber informiert werden. Auch in diesem neuen Feld arbeitet die IVU Traffic Technologies AG bereits an verschiedenen Ideen. „Vorstellbar sind für uns Ankunfts- und Abfahrtszeitprognosen, die an den Anzeige-Displays und in den Apps für Fahrgäste angezeigt werden“, sagt der Vorstandschef. „Weitere Prognosen der Busse und Bahnen könnten zum Beispiel die Steuerung von Ampelanlagen verbessern und Fahrzeuge gleichmäßig auslasten.“ So werden Fahrgäste direkt erkennen, an welcher Tür oder in welchem Wagen sie am besten einsteigen. Auf neue Lösungen im Rahmen der Mobilitätswende können sich die Nutzer von Bussen und Bahnen in Berlin also schon jetzt freuen. ■ Die IVU Traffic Technologies AG bringt Berlins Nahverkehr digital voran. Davon profitieren Anbieter und Fahrgäste gleichermaßen Smart in Bus und Bahn Gut vernetzt Der QR-Code führt zum Unternehmen auf LinkedIn: Martin Müller-Elschner Für Verkehrs- unternehmen wird es künftig möglich sein, mittels KIPrognosen den Einsatz der Fahrzeuge noch besser zu planen. Der Vorstands- vorsitzende der IVU Traffic Technologies AG, Martin Müller- Elschner 120 Mio. Euro Umsatz peilt das auf Software zur Steuerung logistischer Prozesse spezialisierte Unternehmen für 2023 an. FOTO: CHRISTIAN KIELMANN FOKUS | Visionen für den Verkehr | 20 Berliner Wirtschaft 03 | 2024

Autonomes Fahren im öffentlichen Raum rückt näher. Dafür sorgt das Berliner Start-up Vay. Das Unternehmen startet gerade in der US-Metropole Las Vegas sein erstes kommerzielles fahrerloses Mobilitätsangebot mit ferngesteuerten Autos. „Mit unserem Telefahr-Mobilitätsservice erhalten Kundinnen und Kunden Zugang zu einem bequemen, günstigen und nachhaltigen Tür-zu-Tür-Mobilitätsdienst“, freut sich Thomas von der Ohe, CEO von Vay. Die Idee: Auf Knopfdruck in der App von Vay kommt das Auto „fahrerlos“ an, der Kunde steigt ein und fährt selbst zum Ziel. Dort übergibt er das Auto an einen Telefahrer, der das Fahrzeug übernimmt und aus der Ferne zum nächsten Kunden oder zu einem Parkplatz steuert. Zeitaufwendiges Parken entfällt, abgerechnet wird im Minutentakt. Im Hintergrund sitzen an einer Telefahrstation professionell ausgebildete Telefahrer mit Lenkrad, Pedalen und allen notwendigen Bedienelementen. Die visuelle Wahrnehmung wird über Kamerasensoren aufgenommen und auf Bildschirme in der Station übertragen. Gleichzeitig geben eingebaute Mikrofone Geräusche des Straßenverkehrs wie das Martinshorn an die Kopfhörer der Telefahrer weiter. „Wir wollen eine günstige Alternative zu Carsharing und bestehenden Tür-zu-Tür-Lösungen anbieten und langfristig eine Alternative zum privaten Autobesitz“, betont von der Ohe. „Unser Ziel ist es, die Anzahl privater Autos in Städten zu reduzieren“, so der Gründer weiter. „Im Durchschnitt sind Autos in Innenstädten zu 95 Prozent der Zeit geparkt.“ Ein weiterer Pluspunkt: Der Fuhrpark des Unternehmens ist vollständig elektrisch und trägt somit zur Verringerung der CO2-Emissionen sowie der Luft- und Lärmbelastung bei. Parallel zum Launch in den USA läuft der Genehmigungsprozess in Deutschland weiter. „Wir sind im Herbst 2021 eine Mobilitätspartnerschaft mit der Stadt Hamburg eingegangen mit dem Ziel, dort den ersten telegefahrenen Mobilitätsdienst in Deutschland einzuführen“, sagt Thomas von der Ohe. „Im Februar 2023 waren wir dort auch das erste Unternehmen in Europa, das ohne Person im Auto auf öffentlichen Straßen gefahren ist.“ Gemeinsam mit den Behörden geht Vay nun Schritt für Schritt voran, um die nächsten Genehmigungen zu erhalten. „Diese Genehmigungsverfahren kennen keine Vorbilder“, weiß der CEO. „Wir sind die Ersten, die so etwas machen, und dadurch ist es natürlich komplex, aber auch echte Pionierarbeit.“ ■ Thomas von der Ohe, CEO von Vay: Zurzeit begleitet er den Start des Mobiltätsangebots in Las Vegas 95 % Standzeit hat ein privater Pkw im Durchschnitt in Innenstädten. Vay will mit smarter Mobilität Alternativen bieten. Gut vernetzt Der Unternehmer auf LinkedIn unter dem QR-Code: Das Start-up Vay lässt E-Autos per Telefahrer aus der Ferne gesteuert holen und bringen. In den USA hat der reale Betrieb jetzt begonnen Autonom, aber anders FOTOS: VAY, CHRISTIAN KIELMANN Berliner Wirtschaft 03 | 2024

Die Co-Founder des Start-ups NEX Aero GmbH, Mohamed Attia (l.) und Johannes Garbino-Anton Wer sich die Frage stellt, wie in Zukunft ein umweltfreundlicheres Zusammenspiel von Verkehr, Mobilität und Logistik gelingen kann, muss seinen Blick auch auf die Wahl der passenden Fortbewegungsmittel richten. Eine größere Rolle könnten bei diesem Zusammenspiel so genannte eVTOLs (electric Vertical Take-Off and Landing aircrafts) spielen, also vertikal startende und landende Fluggeräte. „Wie ein Hubschrauber startet und landet ein eVTOL auf sehr begrenzter Fläche, ist dabei aber viel leiser und braucht deutlich weniger Energie“, erklärt Johannes Garbino-Anton, CTO und einer der Gründer der NEX Aero GmbH. „Gleichzeitig kann es mithilfe der Flügel schneller und weiter fliegen, verbraucht keine fossilen Kraftstoffe, und auch die Betriebskosten sind deutlich geringer“, ergänzt der ehemalige Testpilot des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Die Kombination dieser Effekte ergibt komplett neue Anwendungsfelder im Frachttransport und später auch beim Transport von Passagieren.“ Neben anderen Unternehmen hat sich auch die NEX Aero GmbH auf den Weg gemacht, ein eVTOL zu entwickeln. Die Besonderheit der Berliner: Ihr Fokus liegt auf einem nahezu emissionsfreien Antrieb durch Wasserstoff-Brennstoffzellen sowie dessen effizienter Integration in das Luftfahrzeug. „Mein Mitgründer Mohamed Attia hat mich 2020 mit der Idee kontaktiert, ein eVTOL mit großer Reichweite durch den Einsatz von Wasserstoff zu entwickeln“, erzählt Garbino-Anton. „Nach vielen Rechnungen auf dem sprichwörtlichen Bierdeckel fragten wir uns, warum das noch keiner macht, denn die in der Entwicklung befindlichen elektrischen Senkrechtstart-Flugzeuge kämpfen alle mit zu geringer Reichweite durch die limitierende Batteriemasse.“ Mittlerweile arbeitet das Unternehmen bereits daran, einen ersten Prototyp in Originalgröße noch vor Jahresende zumindest zum Schwebeflug zu bekommen. „Erste Kunden werden Ende 2025 unser Cargo-eVTOL mit 1.200 Kilogramm Abflugmasse in Betrieb nehmen und damit 180 Kilogramm über 450 Kilometer transportieren können“, prognostiziert Attia, der CEO des Startups. Dabei sind die größten Motivatoren für den Umstieg die deutlich reduzierten Betriebs- und Wartungskosten des Brennstoffzellenantriebs. Die Technologiereife und Zulassung der Passagierversion strebt die NEX Aero GmbH für 2029 an. Johannes Garbino-Anton hat auch schon Ideen für mögliche Startplätze in der Hauptstadt: „Langfristig ist der Passagiertransport etwa vom Südkreuz und ähnlichen Drehkreuzen aus denkbar.“ ■ Johannes Garbino-Anton Elektrische Senkrecht- start- Flugzeuge kämpfen mit zu geringer Reichweite. Gut vernetzt Der QR-Code führt zu Johannes Garbino- Anton auf LinkedIn: Die NEX Aero GmbH baut einen Senkrechtstarter. Der Clou des Luftfahrzeugs: Wasserstoff-Brennstoffzellen sollen es antreiben Abflug am Südkreuz Visionen für den Verkehr | 23

Jörg Astalosch CEO Nach seiner Berufsausbildung zum Elektroniker und dem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens startete Jörg Astalosch seine Karriere 1988 im Volkswagen-Konzern, wo er in mehreren Funktionen und Töchtern tätig war. Bevor er zu IAV kam, begleitete er M&A-Projekte bei der Audi AG. Jörg Astalosch im Bürogebäude der IAV in der Charlottenburger Carnotstraße Die IAV GmbH Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr wurde vor 40 Jahren in Berlin gegründet. Dem global tätigen Unternehmen ist die Transformation zum Engineering Service Provider mit Software-Kompetenz gelungen. Der seit Oktober amtierende CEO Jörg Astalosch sieht nun aber neue Herausforderungen für seine Firma. Berliner Wirtschaft: Als Sie im vergangenen Jahr Ihren Job in Berlin antraten, erklärte Ihr Aufsichtsrat, „mit Jörg Astalosch stellen wir bei IAV die Weichen für die Mobilität der Zukunft“. Haben Sie ein spezielles Faible für Zukunft? Jörg Astalosch: Ich glaube, Zukunft interessiert uns alle, und in einer weltweit tätigen Ingenieurgesellschaft gilt das umso mehr. Ich habe viel Freude daran, Entwicklungen zu treiben, zumal wir im Bereich der Mobilität nicht nur Evolutionen, sondern Revolutionen brauchen – gerade auch in Deutschland. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass wir im vernetzten Verkehr oder auch im Zugverkehr viel Potenzial haben. In anderen Ländern läuft das pünktlicher und strukturierter ab. Das sind Basisverbesserungen, und dann brauchen wir auch Sprung- innovationen, zum Beispiel das autonome Fahren. Haben Sie eine Vision für den Berliner Verkehr? Also, zunächst muss ich sagen, dass Berlin einfach eine richtig tolle und eine ganz besondere Stadt ist, für mich die einzige echte Metropole in Deutschland. Ich finde die Verkehrsinfrastruktur hier eigentlich ganz gut. In den inneren Bezirken kommt man auch gut ohne ein eigenes Auto aus. Es gibt viele Sharing- angebote – vom Scooter über das Fahrrad bis zum Auto. Und das ÖPNV-Angebot finde ich auch gut. Aber die Verkehrsformen müssen besser und einfacher vernetzt werden. Das muss für jeden verständlich und intuitiv nutzbar sein. Dafür brauchen wir noch bessere Plattformlösungen. Was sollen die können? Für den Geschäftsmann ohne Gepäck, der bestens mit seinem Smartphone und seinen Apps umzugehen weiß, funktioniert das auch heute schon ganz gut. Aber was ist mit der Mutter, die ein Kind in der linken und den Kinderwagen in der rechten Hand hält? Und was ist mit dem älteren Ehepaar jenseits der 80 Jahre? Springen die nach Anweisungen ihres Handys auch ganz entspannt aus der Bahn in den Bus und dann auf das Leihfahrrad? Da kann man vieles noch besser machen, durch Software-Lösungen, aber auch durch Angebote, die wir uns noch ausdenken müssen. Und das Auto … … wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Auf der einen Seite finde ich, dass Berlin so schöne alte Straßen hat, die man begehbar machen sollte. Eine Stadt darf nicht nur nach den Bedürfnissen der Autofahrer geplant werden. Aber das muss nicht heißen, „Software ist für uns der Schlüssel zum Erfolg“ Jörg Astalosch ist CEO der Ingenieurgesellschaft IAV, die für die Autoindustrie tätig ist. Nachhaltige Antriebe, autonomes Fahren und KI sind für ihn aktuell die wichtigsten Themen von Michael Gneuss » Eine Stadt darf nicht nur nach den Bedürfnissen der Auto- fahrer geplant werden. Jörg Astalosch FOTO: AMIN AKHTAR FOKUS | Interview | 24 Berliner Wirtschaft 03 | 2024

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