Berliner Wirtschaft Dezember 2023

IHK Berlin Tag des Ehrenamtes Danke allen engagierten Unternehmerinnen und Unternehmern! Seite 3 Fachkräfte IHK-Präsident Sebastian Stietzel wirbt in Brüssel für europäische Strategie Seite 14 Service Diese Rechtsänderungen sollten Unternehmen 2024 im Blick behalten Seite 58 Schluss mit den Faxen Weniger Papierkram und Behörden-Pingpong, mehr Digitalisierung und Effizienz: Unternehmerin Anett Hüssen über die Bedeutung einer modernen Verwaltung für den Standort Berlin Seite 16, Interview Seite 24 Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 12/2023 ihk.de/berlin

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Sebastian Stietzel ist Präsident der IHK Berlin und Geschäftsführer der Marktflagge GmbH, Management & Investments Bei all den schlechten Nachrichten zur weltpolitischen Lage, deren Schockwellen bis Berlin reichen, ist eine Nachricht fast untergangen: Berlin droht an Strahlkraft im internationalen Wettbewerb der Metropolen zu verlieren. Nach dem Global Cities Report der internationalen Unternehmensberatung Kearney hat Berlin aus- gerechnet bei der gesondert ausgewerteten Zukunftsfähigkeit neun Plätze im Vergleich zum Vorjahr verloren und liegt deutlich etwa hinter Kopenhagen, Helsinki oder auch München auf Platz 21. Wesentliche Kriterien für die Zukunfts- fähigkeit einer Metropole sind – wenig überraschend – Digitalisierung und eine effiziente Verwaltung. Ich habe nicht gezählt, in wie vielen Gesprächen mit der Politik die IHK Berlin in beiden Disziplinen signifikante Verbesserungen gefordert hat. Unsere aktuelle Bestandsaufnahme (S. 16) zeigt: Trotz vielversprechender Ansätze zur Verwaltungsreform und wichtigen Digitalisierungsmaßnahmen hat Berlin immer noch üppig Luft nach oben. Unser Anspruch sollte doch aber sein, bei solchen Rankings die #1 aus Deutschland zu sein und unter den TOP 3 Europas sowie den TOP 10 der Welt zu liegen – als Fundament dafür braucht es nun endlich den Umsetzungssprint bei der Verwaltungsmodernisierung. Ihr Booster für Berlins Verwaltung! IHK sagt Danke! Vollversammlungs- und Ausschussmitglieder, Prüfer, Sachverständige oder Schlichter – ohne die ehrenamtlich Tätigen könnte die IHK ihre Aufgaben zum Wohle der Berliner Wirtschaft nicht erfüllen. Dieses freiwillige Engagement von mehr als 3.000 Frauen und Männern ist auch ein wichtiger Baustein für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Die IHK weiß das zu würdigen, nicht nur am Tag des Ehrenamtes. Haben Sie Interesse mitzumachen? Dann schauen Sie hier: ZEICHNUNG: ANDRÉ GOTTSCHALK; TITEL: AMIN AKHTAR Berliner Wirtschaft 12 | 2023 Editorial | 03

Solidaritätsveranstaltung Mitorganisatorin Viktoria Kanar ist Deutsch-Israelin. Die Unternehmerin lebt seit 2021 wieder in Berlin 10 16 Moderne Verwaltung Strukturen und Verfahren in der Verwaltung müssen effizienter werden. Wie das gelingen kann BRANCHEN 28 Unterhaltungseletronik Berliner Holoplot GmbH hat das Sphere in Las Vegas mit Lautsprechern ausgestattet 32 Start-up Nina Heine, Shit2Power GmbH, im Kurzinterview 34 Nachhaltigkeit Berlin ist Hotspot der Start-ups mit Impact 36 Gründerstory Nordstern UG hilft in Sachen nachhaltige Strategien 38 Standort Behrens-Ufer wird zum innovativen Industriezentrum 40 Migrantische Wirtschaft Blick auf polnische Unternehmen in Berlin 42 After-Work-Event Türkische Unternehmerinnen und Unternehmer im Austausch mit Start-ups 43 Historie Siegfried Hirschmann war ein Industriepionier, der durch die Nazis alles verlor AGENDA 10 Position Berliner Wirtschaft bekräftigt Solidarität mit Israel 12 Standort IHK Berlin diskutiert mit Politikern über Defizite beim Wachstumschancengesetz 13 Ressourcenmanagement Water Innovation Challenge entwickelt Lösungen zur besseren Wassernutzung 14 Standortpolitik IHK-Präsident Sebastian Stietzel setzt sich in Brüssel für Berliner Wirtschaft ein 15 Kolumne IHK-Vizepräsident Stefan Spieker bezieht Position FOKUS 16 Moderne Verwaltung Berlins Behörden müssen dringend effizienter werden. Die Wirtschaft setzt dafür auf partnerschaftliche Projekte 20 Unternehmenspraxis Global Protect, Werner Pletz GmbH und Heinlein Support geben Tipps zur Optimierung 24 Interview Von papierlosen Abläufen, so die Erfahrung von Anett Hüssen, sind die Bezirke noch sehr weit entfernt Anett Hüssen Hauskrankenpflege Dietmar Depner Privat vereinbaren wir Termine über Portale. Aber im Büro muss ständig etwas ausgedruckt oder eingescannt werden. Berliner Wirtschaft 12 | 2023 Inhalt | 04

Unterhaltungselektronik Guter Ton: Die Lautsprecher in der neuen Arena The Sphere in Las Vegas kommen aus Berlin 28 FACHKRÄFTE 44 Human Resources KI hilft Unternehmen bei der Fachkräftegewinnung 46 Good Praxis Friedrichstadt-Palast setzt in der Ausbildung auf den Dialog zwischen den Generationen 47 Bildung Netzwerk „Kinder forschen“ präsentiert das Programm fürs kommende Jahr 50 Ausbildungsmarketing Azubis berichten an Schulen aus ihrem Alltag – mit Erfolg SERVICE 54 Digitalisierung Mit bestimmten Metriken soll KI für mehr Fairness sorgen 57 Nachhaltigkeit Onlineplattform nawi.berlin unterstützt Unternehmen auf dem Weg zum Klimaschutz 58 Rechtsänderungen Überblick über neue Gesetze und Verordnungen in 2024 62 Beratung Was zum Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen zu beachten ist 63 Außenwirtschaft In zwei Veranstaltungen informiert die IHK über neue Regeln zu Einfuhr und Export 03 Editorial | 06 Entdeckt | 51 Seminare | 65 Gestern & Heute 66 Impressum | 66 Was wurde aus … Schreiben Sie uns Worüber möchten Sie in der „Berliner Wirtschaft“ informiert werden? Senden Sie Ihre Anregungen per Mail an: bw-redaktion@berlin.ihk.de ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/FSTOP/RALF HIEMISCH; FOTOS: BOAZ ARAD, HOLOPLOT GMBH das uns! Überlassen Sie Professionelle Entsorgungslösungen für: Gewerbeabfälle Bedarfsgerechte Konzepte zur Erfassung Ihrer gemischten Gewerbeabfälle – entsprechend der Gewerbeabfallverordnung Altpapier Beste Preise für Industrie, Handel, Gewerbe, Wohnungswirtschaft und Privathaushalte Gewerbefolien Kostengünstige und umweltgerechte Wertstoffentsorgung Andere Abfälle Zuverlässige Erfassung aller anderen Abfälle zur Verwertung (Glas, Holz, Schrott, E-Schrott) Bartscherer & Co. Recycling GmbH Montanstraße 17-21 13407 Berlin Tel: (030) 408893-0 Fax: (030) 408893-33 www.bartscherer-recycling.de Bestellungen direkt im Onlineshop. Günstige Pauschalpreise für Umleerbehälter von 240 l bis 5,5 cbm.

Wegwerfen ist out, Wiederverwenden das Gebot der Stunde. Refurbishing reduziert bei Informations- und Kommunikationstechnik die Menge an Elektroschrott und spart Ressourcen für die Herstellung von Neugeräten. Bei der Interzero Product Cycle GmbH werden im großen Maßstab Computer, Notebooks, Tablets und Handys angekauft und aufbereitet. In Berlin sind damit rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, noch einmal 25 sind es im niedersächsischen Melle. Hohe Priorität hat die Löschung aller Daten in einem zertifizierten Prozess. 150.000 Altgeräte wurden in dem Kreislaufverfahren einer weiteren Nutzung zugeführt, etwa durch den Verkauf im eigenen Online-Shop. Allein bei Treibhausgasen sorgt das nach Unternehmensangaben für eine Einsparung von 20.000 Tonnen. Löschroutine Interzero Product Cycle GmbH In Berlin-Bohnsdorf nahe Schönefeld bereitet das Unternehmen gebrauchte Technik auf. Entdeckt | 06

Konkret dabei Nachhaltigkeit ist der Dreiklang aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten. Die IHK hilft Unternehmen, dies umzusetzen. IHK-Initiative Alle Informationen zur Nachhaltigkeitsinitiative der IHK Berlin unter: ihk.de/berlin/ nachhaltige-wirtschaft FOTO: ULRICH SCHUSTER Berliner Wirtschaft 12 | 2023

kopf oder zahl Markus Hussler Uwe Timm ist neuer General Manager im Hilton Berlin. Neben dieser Funktion im 623-Zimmer-Haus am Gendarmenmarkt wird er als Area General Manager Germany North & East tätig sein. Hussler ist bereits seit fast 28 Jahren bei Hilton. Zuletzt war er General Manager des Hilton Munich Airport und davor im Hilton Vienna Danube Waterfront. ist zum Vorstandsvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft City (AG City) gewählt worden. Er folgt auf Klaus- Jürgen Meier, der seit 2007 dem Vorstand vorsaß und nicht erneut kandidierte. Timm ist zudem geschäftsführender Gesellschafter der Timm Retail Services GmbH und Mitglied im International Council of Shopping Centers. 229.680 öffentliche Parkplätze gibt es in Berlin innerhalb des S-Bahn-Rings. Das ergab eine Zählung, die der Senat im Rahmen eines Forschungsprojekts in Auftrag gegeben hatte. Rund die Hälfte davon wird bewirtschaftet. Das Laden von E-Autos ist auf 689 Plätzen möglich. „Berlin muss sich nicht nur zutrauen, Gastgeber für internationale Großereignisse zu sein, sondern sich auch aktiv darum bemühen. Denn Olympische Spiele bieten Entwicklungschancen für die gesamte Metropolregion. Bedauerlich ist dagegen, dass aus Sicht des Senats mit dem Ja zu Olympia das Nein zur Expo verknüpft ist.“ Berlin will sich an einer nationalen Bewerbung für Olympische Sommerspiele in Deutschland beteiligen Entwicklungschance für die ganze Region gesagt Sebastian Stietzel, Präsident IHK Berlin FOTOS: AG CITY, HILTON, CHRISTIAN KIELMANN, IMAGO/ANDREAS GORA Berliner Wirtschaft 12 | 2023 Kompakt | 08

14,8 % Verkehrsflächen wies Berlin im Verhältnis zu den gesamten Bodenflächen zum 31. Dezember 2022 aus. Christian Nestler, IHK-Experte für Statistik Tel.: 030 / 315 10-286 christian.nestler@berlin.ihk.de Berlins Verkehrsraum Treptow-Köpenick weist die größten Flächen für Straßen-, Bahn- und Schiffsverkehr sowie für Wege und Plätze auf berliner wirtschaft in zahlen Friedrichshain-Kreuzberg dient oft als urbanes Labor. Nicht alle Bewohner und Gewerbetreibenden sind begeistert, etwa von der Bergmannstraße im Look eines Verkehrsübungsplatzes. Von markierten Dealer-Stehplätzen im Görlitzer Park. Oder von der Idee einer Bundesstraße als Fahrrad- und Flaniermeile. Immerhin: Dass der „Lärmomat“, ein Technikturm mit roter Warnleuchte, Partymeilen nicht ruhigstellt, das weiß man jetzt schon mal. bw Was finden Sie typisch? Schreiben Sie uns: bw-redaktion@berlin.ihk.de Im Labor typisch berlin 1623 1384 1364 1322 1255 1106 1011 992 952 882 757 536 Marzahn-Hellersdorf Pankow Steglitz-Zehlendorf Charlottenb.-Wilmersdorf Reinickendorf Tempelhof-Schöneberg Lichtenberg Mitte Spandau Neukölln Friedrichshain-Kreuzberg Treptow-Köpenick In Hektar Grafiken: BW Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg PREISGÜNSTIGE BÜRO-NEUBAUFLÄCHEN AM ZUKUNFTSSTANDORT ADLERSHOF WWW.MIETEN-IN-ADLERSHOF.DE MIETANFRAGE@MIETEN-IN-ADLERSHOF.DE +49 30 8891 3322 Eine Projektentwicklung der MIETEINHEITEN/GEBÄUDE VON 250 BIS 5.500 M2 ZUFRIEDENE MIETER KÖNNEN NICHT IRREN 75 BTB-FERNWÄRME MIT 57% ANTEIL ERNEUERBARE ENERGIEN

Zeichen setzen: In einer gemeinsamen Veranstaltung von IHK und Deutsch-Israelischer Gesellschaft bekräftigte die Wirtschaft ihre Solidarität mit Israel von Alexandra Sulzmaier Klares Nein zu Antisemitismus Viktoria Kanar (2. v. r.) berichtete vom Schweigen in der Berliner Gründerszene; neben ihr IHK-Vizepräsidentin Sonja Jost Berliner Wirtschaft 12 | 2023 agenda

S eit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel hat auch in Berlin der Antisemitismus spürbar zugenommen. Schmierereien auf dem Schaufenster, gezielt in die Timeline der Social-Media-Kanäle gespülte Hasspropaganda, Angst, die Kinder in die Schule zu schicken: Das sind einige der Erfahrungen aus den vergangenen Wochen, die jüdische Unternehmerinnen und Unternehmer auf der Veranstaltung „Wirtschaft gegen Antisemitismus“ schilderten, zu der die IHK Berlin gemeinsam mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg Anfang November eingeladen hatte. Er wisse, dass die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner Antisemitismus verurteile, so ein Unternehmer. „Aber eine Mehrheit, die schweigt, überlässt der lautstarken Minderheit zu viel Raum“, setzte er hinzu. Auch deshalb wollte die IHK mit der Veranstaltung ein sichtbares Zeichen setzen. „Die IHK Berlin steht für mehr als 300.000 Mitgliedsunternehmen, und wir werden alles dafür tun, jüdische Unternehmen, ihre Beschäftigten und Familien gegen jede Form von Diskriminierung, Hass und Gewalt zu schützen“, erklärte IHK-Vizepräsidentin Sonja Jost zu Beginn der Veranstaltung. „In Berlin ist kein Platz für Hass. Wir sind die Stadt der Vielfalt, und wir appellieren an jeden Einzelnen in dieser Stadt, Gesicht zu zeigen: gegen Antisemitismus, Hass und Gewalt.“ AHK Israel zeigt sich zuversichtlich Ziel der Veranstaltung war neben dem Erfahrungsaustausch, jüdischen und israelischen Unternehmen ein Forum zu bieten, um sich über die wirtschaftliche Lage sowohl hier in Berlin als auch in Israel auszutauschen. Denn der 7. Oktober war auch eine tiefe Zäsur zum Beispiel für das zuvor boomende Start-up-Ökosystem in Tel Aviv. So berichteten Unternehmensvertreter von einem Einbruch beim Venture Capital für israelische Start-ups, aber auch davon, dass Beschäftigte als Reservisten eingezogen wurden, und von den Herausforderungen durch die steigende Inflation. Charme Rykower, die stellvertretende Geschäftsführerin der AHK Israel und ebenfalls Gast der IHK-Veranstaltung, zeigte sich jedoch überzeugt, dass der aktuelle wirtschaftliche Einbruch vorübergehend sei. „Das bedeutet nicht das Ende der israelischen Wirtschaft, die sich in der Vergangenheit mehrfach als krisenresistent und widerstandsfähig erwiesen hat.“ Eine der Mitorganisatorinnen des Abends war Viktoria Kanar, Co-Founder und CEO von Re- Fresh Global, einem Start-up für das Upcycling von Textilien. Nach dem Studium in Deutschland war sie nach Israel gegangen, erst seit 2021 lebt sie wieder in Berlin und fühlte sich – anders als während der 2000er-Jahre – erstmals als Jüdin akzeptiert. „Aufgrund der Internationalisierung Berlins schien es auf einmal auch möglich, Deutsch-Israelin zu sein, Jüdin, die so leben kann, wie sie es möchte. Vor allem in der Start-up-Szene haben wir diese Akzeptanz schnell gefühlt“, so die positiven Erfahrungen der Unternehmerin. Doch der 7. Oktober habe alles verändert „oder vielleicht auch nur offengelegt, was nie anders war. Das Schweigen in der Berliner – doch so liberalen – VC- und Gründerszene tut jedenfalls weh. Ich bin sehr enttäuscht und frage mich, wie sich das weiterentwickelt“. Ihre Hoffnung ist nun, dass sich aus diesem Abend mehr entwickelt, ein solidarisches Netzwerk, das konkrete Unterstützung bieten kann, ist für sie das Ziel. Veranstaltung zur richtigen Zeit Ähnlich sieht es auch Ester Elias, die Gesandte für Wirtschaft und Handel der Botschaft des Staates Israel. Sie fasst ihre Eindrücke des Abends so zusammen: „Die Veranstaltung war für mich in verschiedener Hinsicht etwas Besonderes: Einen Monat nach den Gräueltaten hatten wir das Gefühl, dass es der richtige Zeitpunkt ist, die Stimme der Wirtschaft hier in Berlin zu erheben.“ Die IHK Berlin hat nach dem Terroranschlag vom 7. Oktober mit mehr als 20 weiteren Verbänden, Kammern und Institutionen in einer gemeinsame Erklärung jede Form von Antisemitismus auf das Schärfste verurteilt (s. oben rechts). ■ Erklärung Wir verurteilen Antisemitismus in jeglicher Form auf das Schärfste. Die antisemitischen Kundgebungen und Vorfälle bestürzen uns zutiefst, und die Tatsache, dass sich ausgerechnet in Deutschland Menschen jüdischen Glaubens nicht sicher fühlen, ist schwer erträglich. Berlin und seine Wirtschaft sind weltoffen, Heimat für Menschen, Institutionen und Unternehmen aller Nationen und jeden Glaubens. Gerade als internationaler Wirtschaftsstandort ist Vielfalt Teil unserer DNA. Wir alle sind nun gefordert, Gesicht zu zeigen. Mit einer Schweige- minute gedachten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Opfer des Hamas-Terrors FOTOS: BOAZ ARAD Position | 11

6 Mrd. Euro Entlastung jährlich könnte das Wachstumschancengesetz für die gesamte Wirtschaft mit sich bringen. Verena Linz, IHK-Geschäftsfeld Wirtschaft & Politik Tel.: 030 / 315 10-785 verena.linz@berlin.ihk.de IHK Berlin diskutierte im Ludwig Erhard Haus mit Politikern über das Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, das noch Luft nach oben hat von Verena Linz Impulse für Investitionen Die aktuellen Zahlen zu den Direktinvestitionen machen deutlich, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland dringend verbessert werden müssen. Im Jahr 2022 überstiegen die aus Deutschland abfließenden Direktinvestitionen die hier getätigten Investitionen. Genauso zeigt die aktuelle Konjunkturumfrage der IHK Berlin, dass weniger Berliner Unternehmen investieren und dass sich das Investitionsvolumen zuletzt schwächer entwickelt hat. Dabei benötigt die Wirtschaft erhebliche Investitionen, um die Transformation voranzutreiben und den hohen Energiekosten entgegenzuwirken. In diesem Kontext tritt das Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness, kurz: Wachstumschancengesetz, auf den Plan. Die Bundesregierung verspricht sich von dem Gesetz, das am 17. November vom Bundestag verabschiedet wurde und jetzt in der weiteren Abstimmung ist, Impulse für mehr Investitionen, eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und eine Entlastung der Wirtschaft. Es wird erwartet, dass das Gesetz die gesamte Wirtschaft mit jährlich 6,3 Milliarden Euro entlastet. Kritik aus der Unternehmerschaft Vor diesem Hintergrund lud die IHK Berlin gemeinsam mit dem Verband der Chemischen Industrie Nordost Dr. Florian Toncar, Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Andreas Audretsch, Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, sowie Dr. Ottilie Klein, Bundestagsabgeordnete und Generalsekretärin der CDU Berlin, zu einem Round Table über den aktuellen Gesetzesentwurf sowie die daraus folgenden Implikationen für den Berliner Wirtschaftsstandort ein. Die größten Kritikpunkte aus der Unternehmerschaft wurden dabei in der Diskussion deutlich. Unter anderem wurde kritisiert, dass sich die Investitionsprämie nur auf direkte Erstinvestitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz bezieht, die Verlustverrechnung nur begrenzt möglich ist oder die kurze Frist zur Einführung der E-Rechnung für die Breite der Wirtschaft nicht realisierbar ist. Inwieweit sich diese Bedenken und Wünsche dann letztlich im Gesetz wiederfinden werden, wird sich Ende Dezember zeigen, wenn das Gesetz nach Zustimmung des Bundesrats voraussichtlich verkündet wird. ■ Bundestagsabgeordnete zum Gespräch in der IHK Berlin: Andreas Audretsch, Dr. Ottilie Klein und Dr. Florian Toncar (v. l.) FOTO: AMIN AKHTAR AGENDA | Standort | 12

Informationen Wenn Sie mehr zur Water Innovation Challenge wissen möchten, wenden Sie sich gern an Larissa Scheu (larissa.scheu@berlin. ihk.de) oder Christian Nestler (christian. nestler@berlin.ihk.de). Kick-off in der Aula der HWR: Das Projekt mit Start-ups, Innovationsteams und Unternehmen hat die Optimierung der Wassernutzung zum Ziel Sandra Thumm und Falko Carl betreuen das Projekt für den Startup Incubator Berlin der HWR Bei der Water Innovation Challenge Berlin, initiiert von IHK und HWR, entwickeln Innovationsteams und Start-ups Lösungen für Unternehmen. Jetzt startete die Challenge von Christian Nestler Wasser besser nutzen Wasser ist nicht alles, aber ohne Wasser ist alles nichts. Die Bevölkerung und Wirtschaft der Metropolregion Berlin-Brandenburg wachsen, und die Ressource Wasser wird zumindest temporär knapper werden, als uns lieb ist. Wasser effizienter zu nutzen, ist daher dringend geboten. Von dieser bescheidenen Prämisse ausgehend, fanden das Gründungszentrum der HWR (Startup Incubator Berlin) und die IHK Berlin zu Beginn des Jahres zusammen und beschlossen, etablierte Unternehmen mit Innovationsteams und Startups zum Thema Wassernutzung in der Wirtschaft zu vernetzen. Dabei fungieren die Unternehmen als Challenge-Geber – das heißt, sie formulieren Probleme und Pläne, für deren Bewältigung beziehungsweise Umsetzung es noch keine Marktlösungen gibt. Start-ups und Innovationsteams fungieren als Lösungsgeber. Nach intensiven Gesprächen mit Unternehmen und Innovationsteams über den Sommer hinweg fanden sich vielversprechende Kombinationen. Das Projekt gewann zudem neue Partner hinzu: Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH, das Hochschulnetzwerk „Zukunft findet Stadt“ und das Kompetenzzentrum Wasser Berlin. Am 11. Oktober startete die Challenge schließlich mit einem Kick-off-Format in der HWR. Weitere Unternehmen und Forschungsteams tauschten sich in Workshops aus und suchten nach Kooperationsmöglichkeiten. Wieder zeigte sich: Kollaborative Forschung und Entwicklung sind ebenso fruchtbare wie anspruchsvolle Vorhaben. Die eingegangenen Challenge-Projekte werden nun weiter vom Startup Incubator Berlin betreut. Ziel ist es, Prototypen und Start-up-Gründungen auf den Weg zu bringen und Innovation-Challenges als Innovationsinstrument weiter in der Wirtschaft der Region zu verbreiten. ■ FOTOS: HWR BERLIN Ressourcenmanagement | 13 Berliner Wirtschaft 12 | 2023

IHK-Präsident Sebastian Stietzel setzte sich vor EU-Kommission und -Parlament für Harmonisierung der Fachkräfte- und Einwanderungsstrategie ein von Eike Paulun Berliner Themen in Brüssel Am 14. November kamen beim „Europäischen Parlament der Unternehmen“ (EPdU) in Brüssel rund 700 Unternehmerinnen und Unternehmer aus ganz Europa zu Wort: Für einen Tag nahmen sie in einer simulierten Parlamentssitzung die Plätze der Europa-Abgeordneten ein, um Botschaften und Erwartungen rund um wirtschaftspolitische Themen direkt an die Vertreterinnen und Vertreter der EU-Institutionen zu richten. Die IHK Berlin hatte die Möglichkeit, drei Unternehmerinnen und Unternehmer aus ihren Reihen zu berufen, die die Berliner Wirtschaft mit ihrer Stimme in Brüssel vertreten sollten. Die Berliner Delegation bestand aus IHK-Präsident Sebastian Stietzel sowie DanLahiri Agboli, Vorsitzender des Ausschusses „Starke IHK Berlin“, und Dragana Nikolic, Stellvertretende Vorsitzende des IHK-Ausschusses „Fachkräfte und Arbeitsmarkt“. Bereits am Vortag des EPdU reiste die dreiköpfige Delegation nach Brüssel, um in einen intensiveren Austausch mit Berliner Stakeholdern zu kommen. Auf der Agenda standen Gespräche mit den Berliner Europaabgeordneten Gaby Bischoff und Hildegard Bentele sowie mit Dr. Volker Löwe, Leiter der Berliner Landesvertretung in Brüssel. Als sich am Tag drauf das Plenum zum „Europäischen Parlament der Unternehmen“ zusammengefunden hatte, ging es in der ersten Sitzung um die Fachkräftesicherung im Binnenmarkt. Angesichts des demografischen Wandels könnte die Zahl der Erwerbstätigen in der Europäischen Union in den nächsten 30 Jahren um 50 Millionen zurückgehen. Um besser auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes reagieren zu können, müssen Instrumente wie Mobilitätsprogramme und die lebenslange berufliche Aus- und Weiterbildung verbessert werden. Hindernisse beispielsweise bei der Anerkennung von Qualifikationen beeinträchtigen nach wie vor das Funktionieren des Binnenmarktes und die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt. IHK-Präsident Sebastian Stietzel unterstrich diese Forderung in einem Redebeitrag im Plenum und ergänzte, dass es in Europa eine rasche Harmonisierung der Fachkräfte- und Einwanderungsstrategie geben müsse. Nur so könne dem Fachkräftebedarf in Europa wirksam entgegengetreten werden. Die weiteren Themenblöcke des EPdU behandelten die nicht weniger wichtigen Themen der europäischen Energiepolitik und der EU-Handelspolitik. ■ Parlament der Wirtschaft: Rund 700 Unternehmerinnen und Unternehmen aus ganz Europa nahmen die Plätze der EU-Abgeordneten ein Plädoyer für verbesserte Arbeitsmarktpolitik: IHK-Präsident Sebastian Stietzel im Plenum Eike Paulun, Politikkontaktemanager der IHK Berlin Tel.: 030 / 315 10-873 eike.paulun@berlin.ihk.de FOTOS: IHK BERLIN/EIKE PAULUN, DIHK/IRIS HAIDAU Berliner Wirtschaft 12 | 2023 AGENDA | Standortpolitik | 14

Überzeugen statt sanktionieren Mit der ständigen Drohung einer Ausbildungsumlage liegt der Senat nicht nur völlig falsch, er sendet auch ein problematisches Signal aus E ines vorweg: Das Bündnis für Ausbildung ist wichtig und sinnvoll. Die Berliner Wirtschaft steht hinter dem Ziel, alle Ausbildungsplatzsuchenden zu versorgen und für die Ausbildungsbetriebe den Fachkräftenachwuchs sicherzustellen. Die IHK Berlin arbeitet mit großem Engagement daran, die Ausbildung in Berlin zu stärken und weiterzuentwickeln. Allein für die Ausbildungsoffensive hat unsere Vollversammlung fast drei Millionen Euro bereitgestellt. Damit konnte bereits eine Reihe erfolgreicher Projekte umgesetzt werden, sei es die Praktikumswoche zur beruflichen Orientierung oder die flächendeckende Ansprache potenzieller Ausbildungsunternehmen. Die Berliner Wirtschaft leistet also bereits einen proaktiven Beitrag im Bündnis für Ausbildung. Leider erleben wir aktuell, dass andere Bündnispartner zwar schon vor dem offiziellen Bündnis-Start der Wirtschaft mit Sanktionen drohen, falls das vereinbarte Ziel verfehlt wird, selbst aber bislang keine neuen Leistungen eingebracht haben. Insbesondere seitens der Senatsverwaltung für Arbeit werden unsere Mitglieder mit der mantraartig vorgetragenen Drohung einer Ausbildungsumlage konfrontiert. Dies halten wir und die überwiegende Zahl der Ausbildungsbetriebe aus guten Gründen für ein ungeeignetes Instrument. Wenn man genau hinschaut, gibt es nämlich bereits genügend Ausbildungsplätze am Markt. Für das Ausbildungsjahr 2023 wurden mehr als 16.000 Ausbildungsstellen bei den Agenturen für Arbeit gemeldet – so viele wie seit 2019 nicht mehr. Gleichzeitig gab es bei Ausbildungsstart 6.000 noch unbesetzte Ausbildungsplätze. Wie passt das mit den Aussagen des Senats zusammen? Tatsache ist: Die Probleme auf dem Ausbildungsmarkt beruhen nicht auf einem Mangel an Ausbildungsplätzen, sondern dem mangelhaften Matching zwischen suchenden Jugendlichen und angebotenen Plätzen, der Berufsorientierung und der Qualität der schulischen Bildung. Ich persönlich finde es für das Image der Ausbildung im Übrigen hochgradig problematisch, mit Sanktionen bei Nichterfüllung zu drohen. Ausbildung darf doch nicht als Strafe oder notwendiges Übel empfunden werden. Wir arbeiten daran, möglichst viele Unternehmen davon zu überzeugen, die Ausbildung von Jugendlichen auch als echten Wettbewerbsvorteil angesichts des Fachkräftemangels zu begreifen. Und ich bin optimistisch, dass uns das gelingen wird. Hilfreich wäre an dieser Stelle übrigens der Abbau von bürokratischen Hürden – auch und gerade in der Ausbildung. Wäre das nicht seitens der öffentlichen Hand ein besseres Signal als die Drohung mit der Umlage? ■ Meinung In der Kolumne „Auf den Punkt“ positionieren sich im monatlichen Wechsel Mitglieder des Präsidiums zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht. präsidiumsmitglieder beziehen stellung Stefan Spieker ist Geschäftsführer der Fröbel International GmbH und Vizepräsident der IHK Berlin FOTO: AMIN AKHTAR Auf den Punkt | 15

INHALT 20 Nach Branchen bündeln Global Protect Sicherheits- dienste fordert entschlackte öffentliche Vergaben 22 Street View statt vor Ort Lange und umständliche Verfahren bremsen Tiefbauer Werner Pletz GmbH 23 Termin beim Amt per Video Heinlein Support digitalisiert Verwaltungsstrukturen 24 „Regulierungswut ist für uns die größte Herausforderung“ Anett Hüssen, Hauskranken- pflege Dietmar Depner, im Interview Berliner Wirtschaft 12 | 2023 fokus

TEAM SERVICE Berlins Verwaltung soll moderner, digitaler und leistungsstärker werden. Um überfällige Entwicklungen voranzutreiben, setzen IHK und Berliner Wirtschaft auf partnerschaftliche Projekte von Eli Hamacher Gemeinsam, digital, lösungsorientiert: Die Verwaltung braucht neue Strukturen und nötige Ressourcen ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/FSTOP/RALF HIEMISCH Moderne Verwaltung | 17

An Erkenntnisgewinn mangelt es nicht: „Unsere Stadt braucht eine zukunftsweisende und lernende Verwaltung, die agil handelt und resilient aufgestellt ist. Deshalb ist es notwendig, die grundlegende Reform der Berliner Verwaltung zügig voranzutreiben – für eine auf allen Ebenen funktionierende, zukunfts- und handlungsfähige Stadt. Dabei denken wir Verwaltung konsequent aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft.“ Welch hohen Stellenwert eine funktionierende Verwaltung für den neuen Senat hat, zeigt – zumindest in der Theorie - der Ende April 2023 unterzeichnete Koalitionsvertrag. Gleich nach der Präambel widmen sich die Autoren diesem Thema. Doch um „Für Berlin das Beste“ zu erreichen, drängt die Zeit. Für IHK-Präsident Sebastian Stietzel wird mit Blick auf die Berliner Verwaltung zunehmend die Frage laut, ob Berlin überhaupt in der Lage ist, seine Governance-Probleme zu lösen. „Die bis zum Jahr 2020 erfolgten hoffnungslosen Ansätze dazu werden mittlerweile in Jahrzehnten gezählt. Hier laufen wir einer tiefen Vertrauenskrise in die Funktionsfähigkeit der Stadt und einer Politikverdrossenheit der Stadtgesellschaft entgegen, was unbedingt verhindert werden muss.“ Die Problemfelder seien längst bekannt: „Die unklare Zuordnung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten zwischen der Landes- und Bezirks- ebene bewahren eine dysfunktionale Entscheidungs- und Umsetzungsstruktur.“ Die angespannte Personalsituation von aktuell 7.000 unbesetzten Stellen werde durch 40.000 altersbedingte Abgänge bis 2031 sowie jährlich rund 1.000 persönlich motivierte Kündigungen verschärft. „Hier spielt auch die schleppende Digitalisierung eine Rolle, denn mehr digitale Prozesse benötigen weniger Personal, steigern die Effizienz der Abläufe sowie die Arbeitgeberattraktivität der Verwaltung – viel Potenzial, was an dieser Stelle fahrlässig verschenkt wird.“ Das Dilemma wird aus Stietzels Sicht durch eine althergebrachte Beschaffungs- und Vergabepraxis abgerundet, die sich nicht offen für Unternehmen zeigt, die innovative Entwicklungen und praxiserprobte Lösungen für die Berliner Verwaltung und die Stadt bereithalten. Teil der Lösung will die Berliner Wirtschaft sein. So berät und begleitet der nach der Wahl des neuen IHK-Präsidiums im Jahr 2022 gegründete Ausschuss „Funktionierende Stadtverwaltung“ Vollversammlung und Präsidium der IHK Berlin bei der Verwaltungsmodernisierung und -digitalisierung. Er unterstützt bei der politischen Positionsfindung und dem Vorantreiben wichtiger Projekte gegenüber dem Senat. Der Ausschuss identifiziert Best- und Worst-Practice-Beispiele von Unternehmen sowie erfolgreiche Lösungen anderer Kommunen im In- und Ausland. Gemeinsam mit einem Expertenteam aus Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft, Wissenschaft und Fachöffentlichkeit erarbeitete die IHK Berlin einen Businessplan mit dem Titel „Funktionierende Stadt“, in dem ein Expertenteam diverse Bedarfsfelder identifizierte, um eine leistungsstarke, moderne und digitale Berliner Verwaltung zu formen. Bedarfsfelder sind: → Politische Strukturoptimierung → Automatisierung/Digitalisierung, Service-Optimierung → Innovative Vergabe/Datennutzung → Personalgewinnung, -entwicklung und -führung Der Businessplan beschreibt für jedes Bedarfsfeld diverse Produkte, etwa die Gründung eines Serviceteams Innovative Beschaffung, nennt Key Performance Indicators (KPIs), mit denen der Erfolg des Produkts gemessen werden kann, definiert zudem Ansätze, wie das Thema operativ umgesetzt werden kann und welche Stakeholder und Partner eingebunden werden können. Und: Der Businessplan benennt die benötigten Ressourcen, etwa bei Personal und Finanzen. Wie die gesamte Wirtschaft kämpft auch die Berliner Verwaltung mit Fachkräftemangel. Und der wird gravierender. In Zahlen: Mehr als ein Drittel der Berliner Verwaltungskräfte geht bis 2029 in den Ruhestand. „Bei der Zusammenarbeit mit Verwaltungsmitarbeitenden beobachte ich immer wieder eine sehr hohe Motivation, für das Gemeinwohl tätig zu sein. Gleichzeitig stelle ich eine Art Verwaltungsscham fest, ein Gefühl, sich dafür entschuldigen zu müssen, dass man technisch, prozessual und methodisch völlig unzureichend ausgestattet ist“, sagt Daniela Hensel, Partnerin bei der Berliner Why do birds GmbH, die sich mit 30 Beschäftigten auf Service-Design, Audio Branding und Motion Branding spezialisiert hat. Zu ihren Kunden zählen auch öffentliche Auftraggeber wie Deutsche Bahn und die BVG. Service-Design: Vorbild Großbritannien Die Erfahrungen aus der Wirtschaft, unter anderem mit Projekten rund um Service-Design, bringt die Managerin auch in ihre Professur an der HTW Berlin ein. „Beim Service-Design geht es darum, Dienstleistungen und Prozesse so zu gestalten, dass sie sich an den Bedürfnissen und FOTO: IHK BERLIN/AMIN AKHTAR 7.000 Stellen in der Berliner Verwaltung sind unbesetzt. Dazu kommen 40.000 altersbedingte Abgänge bis 2031 und jährlich 1.000 persönlich motivierte Kündigungen. Daniela Hensel Partnerin Why do birds Ich beobachte eine sehr hohe Motivation und stelle gleichzeitig eine Art Verwaltungs- scham fest. Heike Schöning, IHK-Public- Affairs-Managerin Innovationspolitik Tel.: 030 / 315 10-331 heike.schoening@ berlin.ihk.de IHK-Ausschuss Weitere Informationen zum IHK-Ausschuss „Funktionierende Stadtverwaltung“ unter: bit.ly/ausschuss-funkt-stadtverwaltung Businessplan Der Businessplan „Funktionierende Stadt“ online: bit.ly/business- plan-funkt-stadt FOKUS | Moderne Verwaltung | 18 Berliner Wirtschaft 12 | 2023

Erwartungen der Nutzer ausrichten, um die Nutzererlebnisse zu verbessern.“ Das Ausland sei in dieser Hinsicht schon viel weiter, etwa Großbritannien, wo es zum Beispiel gelungen sei, Rentenbescheide zu entwickeln, die den Bürgern einen echten Informationswert bieten und nicht nur ein Zahlenwirrwarr. Um Verwaltung neu zu denken, will ein neuer Studiengang an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Methoden unter anderem auf dem Gebiet des Service-Design vermitteln. Auch die Verwaltungsakademie könnte entsprechende Methoden lehren und als Multiplikator dienen, so Hensel. Der Einsatz solcher Methoden könne aber nur gelingen, wenn sich das Mindset in der Verwaltung wandele und man bereit sei, Prozesse umzustellen. Es mangele an Führungskräften, die motivieren und den Raum für persönliche Weiterentwicklung schaffen. Hensels Fazit: „Wenn es in Zeiten des harten Wettbewerbs um die besten Kräfte nicht gelingt, eine Atmosphäre zu schaffen, in denen sich High-Performerinnen und High-Performer geschätzt und motiviert fühlen, sehe ich nicht, wie der Turnaround gelingen soll.“ Nur dann könne man auch Quereinsteiger für die Verwaltung begeistern. Wirtschaft erwartet Umsetzungstempo Für IHK-Präsident Sebastian Stietzel gilt es keine Zeit mehr zu verschwenden. „Die Berliner Wirtschaft erwartet nun Umsetzungstempo von der Politik. Der Senatsbeschluss vom Februar 2023 bietet dafür längst eine hervorragende Grundlage.“ Konkret fordert Stietzel: → Eindeutige Zuordnung der Verwaltungsaufgaben heißt, gesamtstädtische Steuerung und Politikfelder mit berlinweiter Relevanz gehören auf die Landesebene und starke Umsetzungskompetenz auf die Bezirksebene. → Notwendige verfassungsändernde Maßnahmen wie die Einführung der Fachaufsicht sowie der Richtlinienkompetenz für die Bezirksoberhäupter dürfen nicht mit Tabus belegt sein. → Die Verwaltung muss sich zu einem begehrten Arbeitgeber für junge Nachwuchskräfte und Quereinsteiger entwickeln – auch durch die zügige Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltungsprozesse. → Die Digitalisierung wird nur funktionieren, wenn das IT-Dienstleistungszentrum (IDTZ) als zentraler Dienstleister des Landes für Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) mit einer eindeutigen Aufgabenstellung und dem erforderlichen Budget ausgestattet wird. → Deutlich mehr Mut und Entschlossenheit braucht es auch in der öffentlichen Auftragsvergabe. Hier muss ein Ruck durch die Reihen von Politik und Verwaltung gehen, indem sich die Hausspitzen und Führungskräfte deutlich zu mehr innovativen Lösungen aus der Wirtschaft für Stadt und Verwaltung bekennen und ihren Mitarbeitern dafür den Rücken stärken. Darauf aufbauend und mit den erforderlichen fachlichen Kompetenzen und mehr zeitlichen Ressourcen für Beschaffungsprozesse ausgestattet, kann die Stadt ihre Chance wahrnehmen, ihre Leistungs- und Servicefähigkeit auf ein wettbewerbsfähiges Niveau heben. ■ Damit es in Berlins Verwaltung besser läuft, ist für IHK- Präsident Sebastian Stietzel ein ganzes Maßnahmenbündel nötig – von der klaren Kompetenzverteilung über Digitalisierung bis hin zu einer innovativen Vergabe öffentlicher Aufträge

Wie öffentliche Auftragsvergaben laufen, weiß Andreas Dzierzanowski aus jahrelanger Erfahrung. Seine Global Protect Sicherheitsdienste GmbH ist spezialisiert auf Asyl-, Flüchtlings- und Obdachlosenbetreuung, Krankenhäuser, Seniorenresidenzen sowie Bezirksämter, die alle einen höheren Standard beim Sicherheitspersonal fordern. Das 2018 gegründete Unternehmen erzielt mit knapp 200 Mitarbeitenden in Berlin und Brandenburg 80 Prozent seines Umsatzes mit öffentlichen Auftraggebern.“ Unattraktive Kleinstaufträge Dzierzanowski beschreibt seine aktuelle Auftragslage zwar als gut, schränkt aber ein: „Das Geschäft wird schwieriger, weil die Vergaben sinnloser und manchmal richtiggehend weltfremd werden. Außerdem wird viel verlangt und wenig bezahlt.“ Als Beispiel nennt der Geschäftsführer das Bezirksamt Lichtenberg, das gerade eine Sicherheitskraft sucht. Nicht etwa in Vollzeit, sondern nur für montags und mittwochs je fünfeinhalb Stunden, inklusive einer Stunde Dienstunterbrechung. „Für solch einen unattraktiven Kleinstauftrag wird eine umfangreiche Ausschreibung gestartet.“ In der Verwaltung herrsche viel Unwissenheit bei den Mitarbeitenden, oftmals würden alte VorAndreas Dzierzanowski wünscht sich als Chef der Global Protect Sicherheitsdienste GmbH entschlackte Vergabeverfahren der öffentlichen Hand Nach Branchen bündeln Gut vernetzt Der QR-Code führt zum Unternehmer auf Xing: Der Geschäftsführer der Global Protect Sicherheitsdienste GmbH, Andreas Dzierzanowski FOTO: CHRISTIAN KIELMANN Berliner Wirtschaft 12 | 2023

Andreas Dzierzanowski Vergaben sind manchmal sinnlos und richtiggehend weltfremd. 80 % seiner Aufträge erhält Andreas Dzierzanowskis Unternehmen von der öffentlichen Hand. lagen kopiert, Excel-Tabellen mit Formelfehlern verschickt und sogar vergabewidrige öffentliche Aufträge ausgeschrieben. Dabei würden Anforderungen an die Unternehmen gestellt, die schlicht nicht erfüllbar seien, wie etwa eine Mindestgröße der Belegschaft, über die nur große Multi-Dienstleister verfügen. Das verletzt jedoch das Gleichstellungsgebot. „Gehen Unternehmen vor die Vergabekammer, liegt die Ausschreibung erst einmal auf Eis“, so Dzierzanowski. Um gegenzusteuern, müssten in der Verwaltung Fachteams gebildet werden, die sich jeweils auf einige wenige Branchen konzentrieren und immer für ganz Berlin und nicht einzelne Bezirke zuständig sind, fordert der Sicherheitsunternehmer. „Der ganze Vergabeprozess könnte zudem deutlich entschlackt werden, wenn die Auftragnehmer, die im Amtlichen Unternehmer- und Lieferantenverzeichnis eingetragen sind, nicht immer wieder dieselben Dokumente einreichen müssten.“ In dem Verzeichnis, abgekürzt ULV, werden Anbieter geführt, die die entsprechenden Unterlagen und Nachweise etwa zu Anforderungen an Unternehmen und Eignung eingereicht haben. Das würde auch den erheblichen zeitlichen Aufwand reduzieren, der für jede öffentliche Ausschreibung investiert werden muss. Wenn Dzierzanowski die Papiere ausfüllt, hofft er jedes Mal, nicht gestört zu werden, um sich voll konzentrieren zu können. Einen halben Tag rechnet er mindestens ein, obwohl er mit den Anforderungen bestens vertraut ist. Kosten senken durch Technikeinsatz Was den Unternehmer, der auch dem IHK-Ausschuss „Funktionierende Stadtverwaltung“ angehört, jedoch noch viel stärker umtreibt: „Alle reden von Digitalisierung und beklagen den Fachkräftemangel, aber es wird nichts probiert.“ Man müsste viel häufiger Nebenangebote machen, die innovative Technik beinhalten, um Kosten zu senken. Beispiel: In einem Asylheim haben dessen Bewohner mehrfach die Zäune niedergetreten, statt den Haupteingang zu nutzen. Dzierzanowskis Vorschlag, ein Videomeldesystem zu installieren, um rechtzeitig einschreiten zu können, wurde abgelehnt. Stattdessen wurden zwei Sicherheitskräfte in Vollzeit angestellt, was deutlich teurer war und in Zeiten von Personalmangel nicht eben zielführend. Dabei verfügt die Hauptstadt laut IHK Berlin über ein signifikantes Potenzial, um über qualitätsgetriebene Nachfragen in die Wirtschaft die eigene Funktions- und Leistungsfähigkeit auf ein wettbewerbsfähiges Niveau zu heben. Bei drei bis fünf Milliarden Euro liegt das jährliche Investitionsvolumen. ■ Moderne Verwaltung | 21 © JenaKultur, Foto: André Gräf Kennen Sie ena? Jena Convention Bureau

S eit fast 40 Jahren bietet die Werner Pletz GmbH Tief- und Rohrleitungsbau in Berlin an. Zu ihren Kunden gehören aktuell die Berliner Wasserbetriebe und die Stromnetz Berlin, für die sich der Mittelständler mit seinen 150 Beschäftigten unter anderem auf das Verlegen der Hausanschlüsse spezialisiert hat. Der Umsatz- anteil der öffentlichen Auftraggeber liegt bei rund 90 Prozent. Die multiplen Krisen wie Corona-Pandemie oder Angriffskrieg auf die Ukraine haben das Geschäft nicht beeinträchtigt. „Da Berlin bei den Wasserbetrieben und dem Stromnetz solch einen hohen Wartungsstau hat, haben wir Arbeit ohne Ende“, sagt Bauleiter Manfred Uhlig. Selbst Fachkräftemangel bereitet dem Tiefbauspezialisten kein Kopfzerbrechen. „Wir sind schon sehr digital aufgestellt und werben gezielt auf Ebay-Kleinanzeigen und Instagram, was uns als Arbeitgeber attraktiv macht.“ So weit, so positiv. Wenn Manfred Uhlig allerdings über seine Erfahrungen mit der Berliner Verwaltung berichtet, verdüstert sich seine Stimmung deutlich. Kein Wunder. „Ich bin extrem abhängig von den Behörden, weil wir Zugang zu den Straßen brauchen, in denen die Kanäle der Wasserbetriebe laufen.“ Dafür benötige das Unternehmen eine sogenannte verkehrsrechtliche Anforderung. Bezirke wie Treptow-Köpenick oder Reinickendorf geben die Genehmigung für eine Vollsperrung binnen maximal zwei Wochen. Andere wie Charlottenburg-Wilmersdorf lassen sich 16 Wochen Zeit, verbunden mit zig Nachfragen und nicht nachvollziehbaren Vorgaben. Jüngst wurde Uhlig vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf zu einem Ortstermin einbestellt und vor Ort von sechs Mitarbeitenden des Amtes empfangen. Letztlich ging es um Lappalien wie die Bitte, den Bautermin rechtzeitig anzusagen und pünktlich zu beginnen. Die Lage vor Ort könne man zudem genauso gut und deutlich zeitsparender via Google Street View einschätzen, so Uhlig. Die Folgen sind erheblich: Die gut ausgelasteten Tiefbaufirmen meiden Bezirke, die ihnen den Alltag erschweren, sodass es dort zum Stau kommt. Um die Straße aufgraben zu dürfen, braucht die Werner Pletz GmbH zudem eine Sondernutzung, die Voraussetzung für die verkehrsrechtliche Anordnung und bei vielen Bezirksämtern auch mit langen Wartezeiten verbunden ist. Man könnte zum Beispiel eine jährliche Sondernutzung erteilen, um die Prozesse zu beschleunigen, so Uhlig. Die vielen Sonderwünsche einzelner Tiefbauämter führten schließlich dazu, dass Großbaustellen viel länger als nötig stehen blieben. ■ Bauleiter Manfred Uhlig vom Tief- und Rohrleitungsbauer Werner Pletz GmbH auf einer Baustelle 16 Wochen wartet das Bauunternehmen in manchen Berliner Bezirken auf eine sogenannte verkehrsrechtliche Anordnung. Andere benötigen dafür nur zwei Wochen. Warten auf Genehmigungen verzögert bei der Werner Pletz GmbH Projekte im Tief- und Rohrleitungsbau. Zudem gibt es oft Ortstermine, obwohl sich alles digital klären ließe Street View statt vor Ort FOTOS: CHRISTIAN KIELMANN Berliner Wirtschaft 12 | 2023

Peer Heinlein ist Geschäftsführer der Heinlein Support GmbH und Experte für sichere Kommunikationsstrukturen Mit der Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen kennt sich Peer Heinlein aus. Neben seiner 2004 gegründeten Heinlein Support GmbH ist er mit mailbox.org für sichere E-Mails und der Videokonferenzlösung OpenTalk Spezialist für sichere Kommunikation in Unternehmen, aber zunehmend auch in Behörden. Im Auftrag der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie etwa stattete er Berlins Lehrkräfte mit E-Mail-Postfächern aus. Für den Freistaat Thüringen entwickelt Heinlein eine Videokonferenzplattform. Über Arbeitsmangel können der Geschäftsführer und seine 75 Beschäftigten, davon 50 in Berlin, nicht klagen. „Die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung stark vorangebracht und gleichzeitig das Arbeiten im Homeoffice etabliert. Während die Wirtschaft dafür zügig Voraussetzungen geschaffen hat, besteht in der Verwaltung aber noch erheblicher Nachholbedarf“, sagt Heinlein. Dabei trügen moderne und innovative Arbeitsplätze auch dazu bei, den Fachkräftemangel in der Verwaltung zu entschärfen. Außerden könnten Arbeitszeiten flexibilisiert werden, wovon Beschäftigte und Bürger gleichermaßen profitieren würden. „Der Terminmangel in den Berliner Ämtern ist seit Jahren bekannt und eklatant“, so der Unternehmer. „Digitale Dienstleistungen können die Abläufe effizienter – schneller und kostengünstiger – gestalten.“ Gesprächstermine im Bürgeramt könnten entfallen und online erledigt werden. Begehungen der Fachaufsicht, etwa im Gesundheitswesen, könnten per Videokonferenz stattfinden, um die wenigen Kontrolleure effektiver einzusetzen. Länder wie Litauen machten vor, wie dank digitaler Strukturen Prozesse für Unternehmen, etwa eine Gründung oder Genehmigungen, erheblich vereinfacht werden. Auch open-Sourceorientierte Bundesländer wie Schleswig-Holstein seien deutlich innovativer und nachhaltiger. Aus Sicht von Heinlein muss es einen digital-souveränen Behördenarbeitsplatz wie openDesk geben, der frei im Browser benutzt werden kann, sodass Mitarbeitende auch im Homeoffice erreichbar sind. Ein einheitliches Arbeitsumfeld und ein einheitlicher Dokumentenaustausch nach offenen Standards wären Voraussetzung, um die Verwaltungen untereinander besser zu vernetzen und effizienter sowie mobiler auszustatten. „Die Verwaltung muss auch dem Bürger auf digitalem Wege etwa via Videokonferenz antworten können und nicht nur postalisch, was Zeit, Porto und Papier kostet.“ Elektronische Kommunikation wie überall sonst müsse auch in der Verwaltung selbstverständlich sein. Für Signatur und Nachweis der sicheren Herkunft gebe es längst Lösungen. ■ Peer Heinlein Digitale Dienstleistungen können Abläufe effizienter gestalten. Gut vernetzt Der Unternehmer auf LinkedIn unter dem QR-Code: Wenn die Angebote von Verwaltungen digitalisiert werden, nützt das Bürgern und Beschäftigten. Die Heinlein Support GmbH arbeitet an sicheren Lösungen dafür Termin beim Amt per Video Moderne Verwaltung | 23

„Regulierungswut ist für uns die größte Herausforderung“ Anett Hüssen will Prozesse innerhalb ihres Pflegedienstes weitestgehend digitalisieren. Vieles scheitert an der Bürokratie. Die Bezirke sind von papierlosen Abläufen weit entfernt von Michael Gneuss FOKUS | Interview | 24

Die Hauskrankenpflege Dietmar Depner GmbH versorgt in 17 Wohngemeinschaften pflegebedürftige und demente ältere Menschen. Geschäftsführerin Anett Hüssen setzt als Vorreiterin ihrer Branche auf Digitalisierung, um die Leistungen mit den Kassen und öffentlichen Stellen effizient abrechnen zu können. Bislang stößt sie bei ihren Gegenübern aber auf wenig Verständnis, wenn sie zeitgemäße Prozesse absprechen will. Berliner Wirtschaft: Sie kämpfen für mehr Digitalisierung in der Pflege. Woher kommt die Affinität Ihrer Branche zu digitalen Abläufen? Anett Hüssen: Die Pflegebranche wird beim Thema Digitalisierung von Prozessen mit Schnittstellen nicht gehört. Digitalisierung ist ein spezielles Anliegen von mir. Ich werde oft gefragt, woher die Leidenschaft kommt. Es liegt wohl an meiner beruflichen Vergangenheit in einer Bank. Dort habe ich erlebt, wie Prozesse konsequent digitalisiert werden und somit viel effizienter und sicherer ablaufen. Ich glaube, dass gerade in stark regulierten Branchen die Digitalisierung große Effekte haben kann und damit sehr wichtig ist. Als ich 2016 mit meinem Mann die Hauskrankenpflege Dietmar Depner gekauft habe, haben wir die Firma vom Kopf auf die Füße gestellt ... … und vermutlich entsprechend digitalisiert. Jedenfalls soweit das möglich ist. Für mich gehört es zu einem professionellen Anspruch dazu, zeitgemäße Abläufe einzurichten. Wir sind mit 250 Mitarbeitern so groß, dass wir eine Stabsstelle für Digitalisierung einrichten konnten. Ich selbst kann nicht professionell pflegen. Ich kümmere mich um die kaufmännische und strategische Seite. In kleinen Pflegediensten kommt die Leitung in der Regel aus der Pflege und muss immer wieder einspringen, wenn Fachkräfte fehlen. Ich kann mich mit meiner Geschäftsführungskollegin voll auf das Management des Unternehmens konzentrieren. Bei der Digitalisierung sind uns leider aber Grenzen gesetzt. Warum? Schon bei der Abrechnung unserer Leistungen ist es sehr kompliziert. Wir schicken Rechnungen an die Pflegekassen, die Krankenkassen, die Bezirksverwaltungen und mitunter auch an die Pflegebedürftigen selbst. Und noch immer sind diese Rechnungen papierbasiert. Selbst bei Abrechnungen über Schnittstellen senden wir zusätzlich einen Umschlag mit Dokumenten. Warum gehen einige Ihrer Ausgangsrechnungen denn an die Bezirksverwaltungen? Die springen ein, wenn die Pflegebedürftigen die hohen Kosten allein und aus dem Anspruch an die Kassen nicht tragen können. Das ist die sogenannte Hilfe zur Pflege. Womit wird das Verlangen nach einer Papierrechnung begründet? Das sind ganz unterschiedliche Gründe. Mit den Krankenkassen gibt es immerhin schon einen sogenannten Datenträgeraustausch. Aber sie wollen am Ende trotzdem noch mehrere Blätter Papier von uns haben, weil die gepflegten Personen oder deren Betreuer am Ende noch unterschreiben müssen, dass wir wirklich die einzelnen Pflegeleistungen erbracht haben. Die Unterschrift darf aber nicht auf einem Tablet geleistet werden. Es geht mir aber längst nicht nur um die Rechnungsstellung. Wir erleben auch an vielen anderen Stellen unnötige Bürokratie, die den Verwaltungsaufwand enorm in die Höhe treibt. Wo denn? Beispielsweise hat das Bezirksamt, wenn es Hilfe zur Pflege zahlt, den Anspruch, Pflegeberichte zu sehen. Wir erstellen diese Pflegeberichte aber längst digital. Ich könnte also sehr schnell und jederzeit einen » Anett Hüssen Geschäftsführerin Neben ihrem Beruf als Chefin der Dietmar Depner Hauskrankenpflege GmbH engagiert sich Anett Hüssen in der IHK Berlin als Vorsitzende des Ausschusses „Funktionierende Stadtverwaltung“. Im Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste. ist sie im Vorstand der Landesgruppe Berlin. Papier will Anett Hüssen in ihrem Büro nur in Form von Fachbüchern haben. Dokumente speichert sie elektronisch FOTOS: AMIN AKHTAR Berliner Wirtschaft 12 | 2023

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