Berliner Wirtschaft Dezember 2023

An Erkenntnisgewinn mangelt es nicht: „Unsere Stadt braucht eine zukunftsweisende und lernende Verwaltung, die agil handelt und resilient aufgestellt ist. Deshalb ist es notwendig, die grundlegende Reform der Berliner Verwaltung zügig voranzutreiben – für eine auf allen Ebenen funktionierende, zukunfts- und handlungsfähige Stadt. Dabei denken wir Verwaltung konsequent aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft.“ Welch hohen Stellenwert eine funktionierende Verwaltung für den neuen Senat hat, zeigt – zumindest in der Theorie - der Ende April 2023 unterzeichnete Koalitionsvertrag. Gleich nach der Präambel widmen sich die Autoren diesem Thema. Doch um „Für Berlin das Beste“ zu erreichen, drängt die Zeit. Für IHK-Präsident Sebastian Stietzel wird mit Blick auf die Berliner Verwaltung zunehmend die Frage laut, ob Berlin überhaupt in der Lage ist, seine Governance-Probleme zu lösen. „Die bis zum Jahr 2020 erfolgten hoffnungslosen Ansätze dazu werden mittlerweile in Jahrzehnten gezählt. Hier laufen wir einer tiefen Vertrauenskrise in die Funktionsfähigkeit der Stadt und einer Politikverdrossenheit der Stadtgesellschaft entgegen, was unbedingt verhindert werden muss.“ Die Problemfelder seien längst bekannt: „Die unklare Zuordnung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten zwischen der Landes- und Bezirks- ebene bewahren eine dysfunktionale Entscheidungs- und Umsetzungsstruktur.“ Die angespannte Personalsituation von aktuell 7.000 unbesetzten Stellen werde durch 40.000 altersbedingte Abgänge bis 2031 sowie jährlich rund 1.000 persönlich motivierte Kündigungen verschärft. „Hier spielt auch die schleppende Digitalisierung eine Rolle, denn mehr digitale Prozesse benötigen weniger Personal, steigern die Effizienz der Abläufe sowie die Arbeitgeberattraktivität der Verwaltung – viel Potenzial, was an dieser Stelle fahrlässig verschenkt wird.“ Das Dilemma wird aus Stietzels Sicht durch eine althergebrachte Beschaffungs- und Vergabepraxis abgerundet, die sich nicht offen für Unternehmen zeigt, die innovative Entwicklungen und praxiserprobte Lösungen für die Berliner Verwaltung und die Stadt bereithalten. Teil der Lösung will die Berliner Wirtschaft sein. So berät und begleitet der nach der Wahl des neuen IHK-Präsidiums im Jahr 2022 gegründete Ausschuss „Funktionierende Stadtverwaltung“ Vollversammlung und Präsidium der IHK Berlin bei der Verwaltungsmodernisierung und -digitalisierung. Er unterstützt bei der politischen Positionsfindung und dem Vorantreiben wichtiger Projekte gegenüber dem Senat. Der Ausschuss identifiziert Best- und Worst-Practice-Beispiele von Unternehmen sowie erfolgreiche Lösungen anderer Kommunen im In- und Ausland. Gemeinsam mit einem Expertenteam aus Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft, Wissenschaft und Fachöffentlichkeit erarbeitete die IHK Berlin einen Businessplan mit dem Titel „Funktionierende Stadt“, in dem ein Expertenteam diverse Bedarfsfelder identifizierte, um eine leistungsstarke, moderne und digitale Berliner Verwaltung zu formen. Bedarfsfelder sind: → Politische Strukturoptimierung → Automatisierung/Digitalisierung, Service-Optimierung → Innovative Vergabe/Datennutzung → Personalgewinnung, -entwicklung und -führung Der Businessplan beschreibt für jedes Bedarfsfeld diverse Produkte, etwa die Gründung eines Serviceteams Innovative Beschaffung, nennt Key Performance Indicators (KPIs), mit denen der Erfolg des Produkts gemessen werden kann, definiert zudem Ansätze, wie das Thema operativ umgesetzt werden kann und welche Stakeholder und Partner eingebunden werden können. Und: Der Businessplan benennt die benötigten Ressourcen, etwa bei Personal und Finanzen. Wie die gesamte Wirtschaft kämpft auch die Berliner Verwaltung mit Fachkräftemangel. Und der wird gravierender. In Zahlen: Mehr als ein Drittel der Berliner Verwaltungskräfte geht bis 2029 in den Ruhestand. „Bei der Zusammenarbeit mit Verwaltungsmitarbeitenden beobachte ich immer wieder eine sehr hohe Motivation, für das Gemeinwohl tätig zu sein. Gleichzeitig stelle ich eine Art Verwaltungsscham fest, ein Gefühl, sich dafür entschuldigen zu müssen, dass man technisch, prozessual und methodisch völlig unzureichend ausgestattet ist“, sagt Daniela Hensel, Partnerin bei der Berliner Why do birds GmbH, die sich mit 30 Beschäftigten auf Service-Design, Audio Branding und Motion Branding spezialisiert hat. Zu ihren Kunden zählen auch öffentliche Auftraggeber wie Deutsche Bahn und die BVG. Service-Design: Vorbild Großbritannien Die Erfahrungen aus der Wirtschaft, unter anderem mit Projekten rund um Service-Design, bringt die Managerin auch in ihre Professur an der HTW Berlin ein. „Beim Service-Design geht es darum, Dienstleistungen und Prozesse so zu gestalten, dass sie sich an den Bedürfnissen und FOTO: IHK BERLIN/AMIN AKHTAR 7.000 Stellen in der Berliner Verwaltung sind unbesetzt. Dazu kommen 40.000 altersbedingte Abgänge bis 2031 und jährlich 1.000 persönlich motivierte Kündigungen. Daniela Hensel Partnerin Why do birds Ich beobachte eine sehr hohe Motivation und stelle gleichzeitig eine Art Verwaltungs- scham fest. Heike Schöning, IHK-Public- Affairs-Managerin Innovationspolitik Tel.: 030 / 315 10-331 heike.schoening@ berlin.ihk.de IHK-Ausschuss Weitere Informationen zum IHK-Ausschuss „Funktionierende Stadtverwaltung“ unter: bit.ly/ausschuss-funkt-stadtverwaltung Businessplan Der Businessplan „Funktionierende Stadt“ online: bit.ly/business- plan-funkt-stadt FOKUS | Moderne Verwaltung | 18 Berliner Wirtschaft 12 | 2023

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