Berliner Wirtschaft April 2023

IHK-Ehrenamt Das Video zum Prüfersong Teamwork beim Dreh: Die Hymne auf die Prüfer geht ins Netz Seite 50 Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 04/2023 ihk.de/berlin Imagepflege So können Unternehmen ihre digitale Reputation verbessern Seite 56 Fachkräfte Die „Praktikumswoche“ ermöglicht gegenseitiges Beschnuppern Seite 44 Basis fürs Business Unternehmen profitieren, wenn Daten von Verwaltungen maschinenlesbar und frei verfügbar sind. Für die Tegel Projekt GmbH, sagt Gudrun Sack, ist Open Data ein Standortfaktor Seite 16, Interview Seite 26

Die IHK geht unter die Goldgräber. Im Jahr 2023 braucht man dafür keine Waschpfannen und Schaufeln. Denn Daten sind bekanntermaßen das neue Gold. Und das wollen wir als Kammer für Sie nutzbar machen. Im ersten Schritt werden wir Gewerbedaten auf dem Open-Data-Portal Berlins einspeisen. Doch das ist nur der Anfang. Unser großes Projekt für dieses Jahr heißt „OpenData4Business“ (S. 16). Ziel ist es, auf einer Plattform Gewerbedaten mit anderen offenen Verwaltungsdaten zu kombinieren. Was die Unternehmen davon haben? Zum Beispiel kann ein Unternehmen auf Flächensuche auf einen Blick erkennen, ob es am potenziellen Standort schnelles Internet gibt oder wie es um Verkehrsanbindung und Energieversorgung steht. Ich bin sicher, Berlins innovative Digitalszene wird daraus kluge Anwendungen machen. Beweise für diese Innovationskraft etwa im Mobilitätssektor stellen wir Ihnen in diesem Heft vor (S. 22). Aber – wie fast immer in Berlin – ohne mahnende Worte Richtung Politik und Verwaltung geht es auch beim Thema Open Data nicht. Zwar hat sich in den letzten zehn Jahren einiges bewegt, wie etwa die kürzlich im Steuerungskreis Industriepolitik mit dem Senat verabredete Etablierung eines Digitalen Zwillings für die Flächensicherung. Von einer Vorreiterrolle ist das Land leider noch weit entfernt. Dabei wäre das eine Rolle, die Berlin als Start- up-Epizentrum Deutschlands eigentlich auf den Leib geschneidert ist. Ihr Wirtschaftsverkehr In einem bisher einmaligen Pilotprojekt für gerechte Straßenraum-Planung hat die IHK die Lieferbedarfe der in Berliner Straße/Grunewaldstraße ansässigen Unternehmen untersucht. Die Ergebnisse sollen den Bezirken als Bausteine für die Detailplanung dienen. Seite 32 Die „Berliner Wirtschaft“ gibt es auch online: ihk.de/berlin/berliner-­ wirtschaft.de Berliner Wirtschaft 04 | 2023 Wir machen Daten für Sie nutzbar ZEICHNUNG: ANDRÉ GOTTSCHALK; TITEL: ULRICH SCHUSTER Sebastian Stietzel ist Präsident der IHK Berlin und Geschäftsführer der Marktflagge GmbH, Management & Investments Editorial | 03

BRANCHEN 32 Wirtschaftsverkehr Ergebnisse des IHK-Projekts für Straßenraum-Planung 33 Sozialökonomie IHK bringt alle Akteure in großer Runde zusammen 34 Plattformen Startup Insider vernetzt Investoren und Start-ups 36 Einzelhandel Aktuelle Umfrage zeigt: Berliner City West ist attraktiv 37 Start-up Monica Sarbu, Gründerin von Xata.io, im Kurzinterview 38 Lebensmittelhandel Auf der Suche nach Wegen, abgelaufene Ware zu retten 40 Ehrenamt „Nachtschicht“: Beratung für soziale Einrichtungen 41 Auszeichnung Berliner Unternehmenspreis würdigt soziales Engagement 42 Gründerstory Personalfix bietet Lösungen im Gastgewerbe an 43 Historie Kreiert 1916 in Berlin: das Markenkondom Fromms AGENDA 10 Bildungspolitik Bildungsforscher Dr. Dieter Dohmen über den Ausbildungsmonitor 2023 12 Position Wirtschaft gibt Erklärung zur Fachkräftesicherung ab 13 Ausbildungskampagne Azubis werben bundesweit für betriebliche Ausbildung 14 IHK-Gremien Ehrenamtlich für Berlin: der Ausschuss „Funktionierende Stadtverwaltung“ 15 Kolumne Kathrin Klär-Arlt plädiert für Pragmatismus, Vertrauen und Kooperationsbereitschaft FOKUS 16 Open Data Frei verfügbare Daten sind ein wichtiger Standortfaktor. Deshalb treibt die IHK Berlin Open-Data-Projekte voran 21 Kooperation Studierende entwickeln im Projekt von IHK und HWR aus Open Data Business-Ideen 22 Good Practice Die Berliner Unternehmen Bolt, FixMyCity und Merantix punkten mit datenbasierten Geschäftsmodellen 26 Interview Gudrun Sack und Stefan Höffken, Tegel Projekt GmbH, über Open Data als zentrales Element des neuen Quartiers Gudrun Sack Geschäftsführerin Tegel Projekt GmbH Sobald eine kritische Masse an Daten vorhanden ist, werden ganz neue Geschäftsmodelle möglich. Bildungspolitik Dieter Dohmen, Chef des Forschungsinstituts FiBS, präsentiert aktuelle Ausbildungszahlen 10 16 Open Data Daten können Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Bürger vernetzen. Sie sind ein wichtiger Standortfaktor ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/MIAKIEVY; FOTOS: FIBS FORSCHUNGSINSTITUT, RBB RUNDFUNK BERLIN-BRANDENBURG Inhalt | 04

03 Editorial | 06 Entdeckt | 08 Kompakt | 53 Seminare 63 Impressum | 66 Was wurde aus … SERVICE 56 Digitalisierung In der Serie „Digital meets Mittelstand“ geht es um die digitale Reputation 59 Beratung IHK informiert über die rechtlichen Pflichten bei der Arbeitszeiterfassung 60 Gründerszene Kredite können sich für Gründer und Gründerinnen trotz höherer Zinsen lohnen Prüfersong Prüfer Dagobert Weiß hat den Song komponiert, aus dem zusammen mit dem RBB ein Video wurde 50 FACHKRÄFTE 44 Ausbildung Die „Praktikumswoche“ ist für beide Seiten ein Gewinn 47 Ausbildungsmarketing Azubis werben in Schulen als Botschafter für Ausbildung 48 Recruitment Das Format Meet your Azubi bietet Speeddating für Ausbilder und Jugendliche 49 Good Practice BarteltGlasBerlin setzt in der Ausbildung auf Kooperation mit Schulen 50 Prüfersong Musikalische Werbung für engagierte Prüfer, aus der auch noch ein Video wurde 52 Verbundberatung Azubis lernen in der Kita und im Eventrestaurant Vorwerck Berliner Wirtschaft 04 | 2023 das uns! Überlassen Sie Professionelle Entsorgungslösungen für: Gewerbeabfälle Bedarfsgerechte Konzepte zur Erfassung Ihrer gemischten Gewerbeabfälle – entsprechend der Gewerbeabfallverordnung Altpapier Beste Preise für Industrie, Handel, Gewerbe, Wohnungswirtschaft und Privathaushalte Gewerbefolien Kostengünstige und umweltgerechte Wertstoffentsorgung Andere Abfälle Zuverlässige Erfassung aller anderen Abfälle zur Verwertung (Glas, Holz, Schrott, E-Schrott) Bartscherer & Co. Recycling GmbH Montanstraße 17-21 13407 Berlin Tel: (030) 408893-0 Fax: (030) 408893-33 www.bartscherer-recycling.de Bestellungen direkt im Onlineshop. Günstige Pauschalpreise für Umleerbehälter von 240 l bis 5,5 cbm.

Konkret dabei Nachhaltigkeit ist der Dreiklang aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten. Die IHK hilft Unternehmen, dies umzusetzen. IHK-Initiative Alle Informationen zur Nachhaltigkeitsinitiative der IHK Berlin unter: ihk.de/berlin/ nachhaltige-wirtschaft Berliner Wirtschaft 04 | 2023 Entdeckt | 06

FOTO: ULRICH SCHUSTER Von der Produktidee bis zur Marktreife kann es ein langer Weg sein. Den hat auch der Induktions-Tauchsieder Heatle hinter sich. Erste Vorläufer stammen aus dem Jahr 1997, die (Klein-) Serienproduktion aber ist 2022 voll angelaufen. Hinter der energiesparenden Innovation steht die BrandBrandNew GmbH der Gründer und Geschäftsführer David Riding und Wachtang Budagaschwili. Der gebürtige Brite Riding ist der Tüftler in dem Unternehmen, das bereits an neuen Entwicklungen arbeitet. Anders als viele andere in der Hauptstadt erdachte Produkte wird der nachhaltige Kocher auch hier gefertigt. Die Hälfte der 15 Mitarbeiter, die das betont schlicht designte Gerät montieren und für den Kundenversand verpacken, stammt aus der Ukraine. Europas aktuelle Lebensrealität im Berliner Start-up-Biotop. Cooler Kocher BrandBrandNew In den Räumen des Unternehmens an der Treptower Bouchéstraße wird getüftelt, geprüft und produziert.

Kompakt | 08 120 Millionen Euro will IBB Ventures bis 2029 mit seiner fünften Fondsgeneration in Start-ups investieren. Erstmals sind explizit Mittel für Firmen vorgesehen, die gesellschaftlichen oder ökologischen Mehrwert schaffen wollen. FOTOS: TOBIAS VORWERK, BERLIN RECYCLING, GETTY IMAGES/JAVIER ZAYAS PHOTOGRAPHY, CHRISTIAN KIELMANN „Berlin braucht jetzt Pragmatismus und Tempo. Großbaustellen wie Verwaltungsreform, Wohnungsbau oder Bildung dulden keinen weiteren Aufschub. Umso wichtiger ist es, dass sich der künftige Senat auf die Themen fokussiert, die für die Zukunftsfähigkeit der gesamten Stadt von überragender Bedeutung sind.“ Nach der Neuwahl muss der neue Senat sich mit Hochdruck auf die großen Herausforderungen dieser Stadt fokussieren, fordert die IHK Berlin Kein Aufschub gesagt Sebastian Stietzel, Präsident IHK Berlin kopf oder zahl Sascha Förster Frank Wolters ist seit dem 1. März Sprecher der Geschäftsführung der BSR-Tochter Berlin Recycling GmbH. Förster kommt von der Jakob-BeckerGruppe, wo er zuletzt als Geschäftsführer der Becker Elektrorecycling Chemnitz GmbH tätig war. Zusätzlich wurde Bianka Rieder zum 15. März in die Geschäftsführung von Berlin Recycling berufen. führt fortan an der Seite von Gudrun Sack als kaufmännischer Geschäftsführer die Tegel Projekt GmbH. Seine Schwerpunkte werden unter anderem in den Bereichen Marketing, Immobilien, Digitalisierung und Finanzen liegen. Zuvor war Wolters sechs Jahre lang Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Paderborn (siehe auch Seite 26).

Tourismus erholt sich Die Zahl der Übernachtungen in Berliner Beherbergungsbetrieben ist 2022 gegenüber dem Vorjahr deutlich gestiegen berliner wirtschaft in zahlen Simone Blömer, IHK-Expertin für Tourismus Tel.: 030 / 315 10-432 simone.bloemer@berlin.ihk.de Millionen Übernachtungen zählte Berlins Beherbergungsgewerbe 2022. Das sind 90 Prozent mehr als im Jahr 2021. 26,5 An dem mit vier Oscars ausgezeichneten Film „ImWesten nichts Neues“ sind auch Berliner beteiligt gewesen. Der Film des in Berlin lebenden Regisseurs Edward Berger war für neun Oscars nominiert worden. In vier Kategorien erhielt die Netflix-Produktion auf der Verleihung in Los Angeles Auszeichnungen. Nominiert, aber nicht ausgezeichnet wurde der Film in der Kategorie „Beste visuelle Effekte“. Damit entging die Trophäe Markus Frank von der Charlottenburger Firma Cine Chromatix, die für die Post Production des Anti-Kriegs-Dramas zuständig war. Ebenfalls nominiert war die Berliner Maskenbildnerin Heike Merker. bw Berliner Effekte oscar-verleihung Grafiken: BW Quelle: Statistik Berlin Brandenburg 0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 Jan. 2019 Jul. Jan. '20 Jul. Jul. Jul. Jan. '21 Jan. '22 Dez. 0,16 2,11 3,40 2,97 0,87 Open Source Intelligence – im Schlapp- hüte-Jargon kurz OSINT – zu nutzen, ist journalistisches Handwerkszeug. Die Quellen heißen etwa Wikileaks oder Panama Papers. Behörden in Berlin wollen da nicht nachstehen und holen sich vermeintlich brisante Informationen aus den Funke Papers. Ein Bericht der „Berliner Morgenpost“ über ein virtuelles Kraftwerk des Unternehmensnetzwerks Motzener Straße schürte im Hauptzollamt den Verdacht auf Steuerhinterziehung. Netzwerk-Sprecher Ulrich Misgeld nahm es mit Humor und klärte auf: kein neues steuerpflichtiges Kraftwerk, stattdessen die digitale Erfassung diverser dezentraler Kleinanlagen. Senatsgefördert – und eine saubere Sache. Verdächtig typisch berlin Auch ohne Wiederholungswahl und neue Regierung: Die Bundespolitik ist gerade alles andere als langweilig. Die Ampel- koalition hat große Themen, die Harmonie stimmt nicht immer. Ob Christian Dürr, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, beimWirtschaftspolitischen Frühstück der IHK Berlin am 29. März aus dem Nähkästchen geplaudert hat, erfahren Sie in der Mai-Ausgabe der „Berliner Wirtschaft“. Vorab können Sie einen kurzen Bericht online lesen (QR-Code). Dürr spricht über die Antworten der Liberalen zur Fachkräfteproblematik und zu den Herausforderungen des neuen Lieferkettengesetzes. hart ihk-gast Talk mit Christian Dürr Millionen Übernachtungen FOTO: PA/PHOTOTHEK/THOMAS TRUTSCHEL Berliner Wirtschaft 04 | 2023

Der Ausbildungsmonitor 2023 zeigt, dass in Berlin manches anders ist als im Bund. Im Interview erläutert Bildungsforscher Dr. Dieter Dohmen die Ergebnisse von Yvonne Meyer Mit Abi in die Ausbildung agenda

» Der Ausbildungsmonitor 2023 untersucht die Entwicklung der Zahl der Ausbildungsverträge und zieht Schlüsse für die Bildungschancen in Deutschland. Dabei geht es auch um die Frage, wie die duale Ausbildung attraktiver werden kann und wie sich die Weichen dafür in der Schule stellen lassen. Die von Dr. Dieter Dohmen, Direktor des FiBS Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie, und seinemTeamvorgelegten Ergebnisse für Deutschland und Berlin zeigen, dass die Zahl der Ausbildungsverträge in den letzten zehn Jahren zurückgegangen ist (Bund: -12,5 Prozent, Berlin minus sechs Prozent). Wie die Auswertung der IHK Berlin ergeben hat, ist die Corona-Delle jedoch überwunden, und die Vertragszahlen der betrieblichen Ausbildung steigen seit 2021 wieder an. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) verzeichnet bei den gemeldeten betrieblichen Stellen in Berlin einen Anstieg von 10.012 im Jahr 2009 zu 15.917 im Jahr 2019 (Ausnahme ist das Jahr 2017mit -1,6 Prozent). Die schulische Ausbildung konnte dagegen ein Plus von 17 Prozent verzeichnen (Bund: plus ein Prozent). Auffällig ist die steigende Zahl von Abiturienten in der dualen Berufsausbildung. Gut die Hälfte eines Abiturjahrgangs (55 Prozent) strebt eine berufliche Ausbildung an (Bund: 47 Prozent). Anders sieht es bei den Schulabgängern mit Hauptschulabschluss (in Berlin: Berufsbildungsreife) aus: Hier sind die Übergangsquoten (ÜGO) in die duale wie in die schulische Ausbildung gesunken. 2021 betrugen sie jeweils 45 Prozent und 36 Prozent in Berlin (Bund: 68 und 20 Prozent). Bei Schulabgängern mit MSA betrugen die ÜGO in die duale Berufsausbildung 2021 in Berlin 40 Prozent und in die schulische 62 Prozent (Bund: 48 Prozent und 34 Prozent). Bei den Schulabgängern ohne Abschluss lagen die ÜGO 2021 bei 27,3 Prozent und im Bund bei 30 Prozent. Über die Ergebnisse des Ausbildungsmonitors haben wir mit Dr. Dieter Dohmen gesprochen. Er ist auch Mitglied im Ausschuss „Bildungsstarke Stadt“ der IHK Berlin. Berliner Wirtschaft: Herr Dr. Dohmen, welche wesentlichen Unterschiede zwischen Berlin und Bund haben Sie festgestellt? Dr. dieter dohmen: Die Gesamtzahl der beruflichen, also der dualen und schulischen Ausbildungsverträge in Berlin, ist über die letzten knapp 15 Jahre um rund zehn Prozent gesunken, bundesweit waren es fast 20 Prozent. Konkret: Von 32.000 Verträgen 2007 ging es runter auf 30.000. In der Ausbildungsmonitor Die Ergebnisse basieren auf einem vom FiBS entwickelten Tool, dessen Langzeitdaten alle formalen Bildungsbereiche umfassen sowie auf statistischen Daten von BA, Bundesinstitut für Berufsbildung, Statistischem Bundesamt und Eurostat aufbauen. Yvonne Meyer, IHK-Public Affairs Managerin Wirtschaft & Politik Tel.: 030 / 315 10-547 yvonne.meyer@berlin. ihk.de Zeit der Pandemie wurden noch mehr als 28.000 Verträge unterschrieben. Während die Zahl der Ausbildungsverträge imdualen Systemvon 22.000 auf unter 14.000 sank, zeigt sich in der schulischen ein Anstieg von 10.000 auf fast 15.000 – auch dies ist ein Unterschied. Das schulische Ausbildungssystem ist in Berlin somit mittlerweile größer als das duale! Dies führt zu einer starken Konkurrenz zwischen beiden Teilbereichen, vor allembei Jugendlichen mit MSA. Und gerade hier hat das schulische System die Nase vorn. Welche Rolle spielte die Pandemie bei der Entwicklung der Vertragszahlen? In Berlin lagen sie zuletzt zumindest in einigen Branchen wieder annähernd auf dem Vor-Corona-Niveau. Während der Pandemie ist in Berlin die Zahl der neuen Ausbildungsverträge im dualen System um fast 2.000 auf unter 14.000 abgesunken und im schulischen Bereich weiter angestiegen. Auch wenn es vereinzelt positive Entwicklungen beziehungsweise ein Aufholen gab, bleiben die langfristigen Trends bestehen – und hier hat das duale System keine derzeit allzu guten Karten. Das dürfte aber auch an der Wirtschaftsstruktur liegen, die weniger auf berufliche Ausbildung als auf Akademikerinnen und Akademiker setzt. Ist möglicherweise auch einHauptschulabschluss im süddeutschen Raummehr wert? Die Schul- und Ausbildungsstrukturen in den Ländern sind schwer vergleichbar, was für Bayern gilt, gilt in Baden-Württemberg noch lange nicht. Und eine Metropole wie Berlin ist mit dem sehr ländlich geprägten Bayern nicht vergleichbar, schon der Anteil an Migrantinnen und Migranten ist in Berlin deutlich höher. Baden-Württemberg hat gerade einen Absturz beim IQB-Bildungstrend hinter sich. Bayern hat ein Ausbildungssystem, in dem Jugendliche mit Hauptschulabschluss sehr gute Chancen haben, Absolventenmit Abitur aber weniger vertreten sind. In Berlin ist es umgekehrt: Hier liegt der Anteil an Abiturientinnen und Abiturienten, die eine berufliche Ausbildung beginnen, bei etwa 55 Prozent, das heißt, rechnerisch geht mehr als die Hälfte des Abiturientenjahrgangs in berufliche Ausbildung. In Baden-Württemberg sind es zehn Prozentpunkte, in Bayern gar 20 Punkte weniger. Mussman also nicht eigentlich die Schulen besser machen, vor allem in Berlin? Ganz grundsätzlich: Natürlich haben zu viele Jugendliche am Ende der Schulzeit unzurei55% eines Abiturjahrgangs streben in Berlin eine berufliche Ausbildung an, im Bund sind es 47 Prozent. 40% der Schulabgänger mit MSA fingen 2021 in Berlin eine duale Ausbildung an, 62 Prozent eine schulische. 45% der Hauptschulabsolventen in Berlin begannen 2021 eine duale, 36 Prozent eine schulische Ausbildung. ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/FSTOP/MALTE MÜLLER Bildungspolitik | 11 Berliner Wirtschaft 04 | 2023

chende Kompetenzen in Lesen, Schreiben, Rechnen. Wir haben unser Schulsystem verkommen lassen, und nun kriegen wir – nicht nur in Berlin – die Quittung dafür. Das wirft natürlich die Frage auf, was in Kita und Schule anders werden muss, damit sich das nachhaltig verändern kann. Mögliche Lösungsansätze lassen sich aber nicht in drei Sätzen formulieren. Aber ein wichtiger Punkt ist dabei, dass die Schulenmehr Freiheiten bekommen, den Unterricht so zu gestalten, dass ihre Schülerinnen und Schüler die wichtigsten Dinge auch lernen können. Mit Frontalunterricht im Stundentakt ist das nicht zu schaffen. Und: Alle Kinder müssen in die Kita! Unternehmen suchen händeringend Auszubildende und hören oft, dass sie auch schwächeren Bewerbern eine Chance geben sollen – für die aber in vielen Fällen die Berufsschule ein Pro- blem ist. Muss die Politik eine Reformdes Berufsschulsystems vorantreiben? Und gleichzeitig hätten viele Jugendliche gerne einen Ausbildungsplatz, finden aber keinen! Die beidenWelten der Unternehmen und der Jugendlichen liegen zunehmend weiter auseinander. Das Reden über „Mismatch“ oder Passungsprobleme verdeckt die tiefer liegenden Herausforderungen – hier braucht es eine fundierte, differenzierte und ehrliche Analyse und keine weiteren Oberflächenanalysen. Und ja, wir brauchen auch in den Berufsschulen Veränderungen, wo sich die veralteten Lehr- und Lernformen der allgemeinbildenden Schulen ebenso fortsetzenwie der Lehrermangel. Und wie in den anderen Schulenmüssenwir auch hier der zunehmenden Heterogenität gerecht werden. ■ Fachkräfte-Erklärung Die Forderungen der Berliner Wirtschaft: ihk.de/ berlin/fachkraefteluecke Der Fachkräftemangel hemmt die Wirtschaft in Berlin in zunehmendemMaße. Schon heute fehlen 90.000 Fachkräfte. Bis zum Jahr 2035 könnten 414.000 Stellen in Berlin unbesetzt bleiben. In einer gemeinsamen Erklärung fordern 19 Kammern und Verbände die Politik deshalb auf, Antworten auf den Berliner Fachkräftemangel in den Fokus politischen Handelns zu rücken und das Thema zentral zu steuern. Der Standort Berlin riskiert mit unbesetzten Stellen nicht nur Stilllegungen und Wegzüge von Betrieben, sondern auch, dass die kritische Infrastruktur und Versorgung der Bürgerinnen und Bürger nicht sichergestellt sind. Weichen, die daher heute beim Thema Fachkräfte nicht gestellt werden, ziehen morgen gravierende Folgen nach sich. Die Unternehmen gehen voran – unter anderemmit mehr Ausbildungsplätzen, Jobmessen für Geflüchtete, inklusiven Arbeitsplätzen und Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Weitere Potenziale lassen sich heben, wenn die politischen Entscheider gemeinsammit der Wirtschaft an Lösungen arbeiten und sie umsetzen. Gerade in den laufenden Koalitionsverhandlungenmüssen politische Hebel in Bewegung gesetzt werden – von Erleichterungen bei der Fachkräftezuwanderung über verbesserte Schulqualität und Berufsorientierung bis zu Anreizen für die Beschäftigung von Älteren. Und ja, auch das politische Megathema Neubau darf nicht unerwähnt bleiben – mehr neue Fachkräfte erfordern mehr neue Wohnungen! Zur Illustration: Zwei Drittel des Aufbaus der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gehen seit 2019 auf Menschen ohne deutschen Pass zurück (81.906 von zusätzlichen 125.999 Beschäftigten). Migration ist schon heute zentral und sollte künftig noch stärker als Chance begriffen werden. Auf Bundesebene wird das entsprechende Gesetz aktuell novelliert (siehe Meldung auf S. 46). hart In einer gemeinsamen Erklärung fordern 19 Kammern und Verbände die Politik auf, endlich zu handeln Fachkräfte sichern! Dr. Dieter Dohmen hat vor 30 Jahren das FiBS Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie gegründet. Auch sonst engagiert er sich für das Thema, etwa im IHK-Ausschuss „Bildungsstarke Stadt“ 17% Zuwachs verbuchte die schulische Ausbildung in der Hauptstadt von 2009–2019 (Bund: plus ein Prozent). 10% Rückgang gab es bei den Ausbildungsverträgen in Berlin in den letzten 15 Jahren (Bund: 20 Prozent). FOTO: FIBS FORSCHUNGSINSTITUT AGENDA | Bildungspolitik | 12 Berliner Wirtschaft 04 | 2023

Bei der ersten großen bundesweiten Initiative der IHKs für Ausbildung werben echte Azubis für ihren Weg der beruflichen Qualifikation von Claudia Engfeld und Gregor Wendler Positiv und auf Augenhöhe F achkräftemangel, demografischerWandel, unbesetzte Ausbildungsplätze – vor diesem Hintergrund setzen die IHKs alles daran, junge Menschen für die duale Ausbildung zu begeistern. Mit diesemZiel ist imMärz die erste bundesweite Ausbildungskampagne der Indus- trie- und Handelskammern gestartet, an der sich auch die IHK Berlin beteiligt. „Jetzt #könnenlernen“ ist eine Einladung an alle Schüler, Studien- abbrecher oder Umsteiger, das Prinzip Ausbildung zu entdecken, dessen Image trotz unzähliger Karrierechancen – vor allem im Vergleich zum Studium – ausbaufähig ist. So sind aktuell auf der Online-Plattform „ausbildung.berlin“ rund 12.000 freie Ausbildungsplätze für dieses Jahr gemeldet. „Die Kampagne erzählt aus dem Leben, von der Freude am Tun und stellt das Beherrschen von Fertigkeiten in den Mittelpunkt. Damit geht sie neue Wege, und das ist wichtig, denn über herkömmliche Botschaften erreichenwir nicht mehr alle Jugendlichen“, erläutert Stefan Spieker, Vize- präsident der IHK Berlin, der außerdem betont, dass „wir als Berliner Wirtschaft alles in Bewegung setzen, damit wir Menschen in Ausbildung bringen und ihnen damit eine gute berufliche Zukunft ermöglichen können“. Die Kampagne begegnet den Jugendlichen mit einer positiven Botschaft auf Augenhöhe: „Ausbildung macht mehr aus uns“. Echte Azubis füllen einen neu gestarteten Social-Media-Kanal das ganze Jahr über mit Leben. Sie berichten über Erfahrungen bei der Ausbildungssuche, teilen Tipps und Tricks für den Berufseinstieg und erzählen aus ihrem Leben neben der Ausbildung. Daneben planen die IHKs zahlreiche regionale Aktionen zum Ausbildungsstart – dazu gehören Beratungsangebote, Azubi-Messen, aber auch klassische Außenwerbung. Für Ausbildungsunternehmen wurden zudem Werbemittelpakete entworfen, um sie beim Recruiting zu unterstützen. Das Ziel: Im ganzen Land soll ein neues Bewusstsein für das Thema Ausbildung geschaffen werden und dabei helfen, Betriebe und den Fachkräftenachwuchs zusammenzubringen. Über die Möglichkeiten mitzumachen, informiert die Website der IHK Berlin.  ■ Stefan Spieker Vizepräsident IHK Berlin Wir als Berliner Wirtschaft setzen alles in Bewegung, damit wir Menschen in Ausbildung bringen. Gregor Wendler, IHK-Ausbildungs- marketing Tel.: 030 / 315 10-334 gregor.wendler@ berlin.ihk.de Weitere Informationen: ausbildung-machtmehr-aus-uns.de Echte Werbeträger für Ausbildung: Diese Azubis tragen die bundesweite Kampagne der IHKs FOTO: IHK Ausbildungskampagne | 13

I nmeinemunternehmerischen Alltag schreitet die Digitalisierung zügig voran. Die städtische Verwaltung darf da nicht zurückbleiben. Die Kommunikation per Fax und Brief ist einfach nicht mehr zeitgemäß! Dafür möchte ich mich als Ausschussvorsitzende einsetzen.“ Anett Hüssen ist Vorsitzende des IHK-Ausschusses „Funktionierende Stadtverwaltung“, und mit diesen Worten bringt die Geschäftsführerin Hauskrankenpflege Dietmar Depner GmbH auf den Punkt, worum es dem Ausschuss geht. Er berät die IHK-Vollversammlung und das Präsidium auf demThemenfeld der Verwaltungsmodernisierung und -digitalisierung. Er unterstützt bei der politischen Positionsfindung sowie dem Vorantreiben wichtiger Projekte gegenüber dem Senat, erarbeitet Empfehlungen für Verwaltungsreformen, Bürokratieabbau und ein wirtschaftsfreundliches Handeln in Politik und Verwaltung. Die Arbeit im Ausschuss ist ein Dreiklang: Information, Vernetzung, Beteiligung. Informiert wird durch das IHK-Hauptamt, externe Experten und die Mitglieder untereinander zu fachlichen oder politischen Aspekten beim Verwaltungsthema. Dazu zählten beispielsweise die vom Senat beschlossenen Reformeckpunkte oder die Optimierung der öffentlichen Vergabe. Die zweite Komponente – Vernetzung – stellt den direkten Austausch mit relevanten Stakeholdern in den Mittelpunkt, etwa den verwaltungspolitischen Sprechern der Fraktionen im Abgeordnetenhaus oder der zuständigen Senatorin oder Staatssekretärin. Darüber hinaus steht die unternehmerische Beteiligung imZentrumder Gremienarbeit. So bilden Ausschussmitglieder den Kern regelmäßiger Umfragen, zumBeispiel zumThema Digitale Verwaltung. Sie identifizieren auch Best- undWorstPractice-Beispiele sowie erfolgreiche Lösungen anderer Kommunen. Damit gehen sie aktiv auf entsprechende Stellen des Landes zu und erarbeiten in Kooperation konkrete Umsetzungsideen. Beispiel Vergabepraxis: Dazu hat das IHK-Ehrenamt Vorschläge formuliert, und die Senatswirtschaftsverwaltung hat ihre Bereitschaft zur Umsetzung gemeinsamer Ideen signalisiert. Da alle Forderungen an die Verwaltung mit dem Hinweis auf zu knappes Personal gekontert werden, arbeitet der Ausschuss „Funktionierende Stadtverwaltung“ auch am Thema „Berlin als attraktiver Arbeitgeber“. Beim Wirtschaftspolitischen Frühstück der IHK hat der derzeitige Finanzsenator Daniel Wesener die Probleme des Arbeitgebers öffentlicher Dienst offen angesprochen. SeinemNachfolger oder seiner Nachfolgerin sei daher empfohlen, imDialog mit der Wirtschaft nach innovativen Lösungen zu suchen, etwa mit dem IHK-Ausschuss „Funktionierende Stadt- verwaltung“. ■ Der IHK-Ausschuss „Funktionierende Stadtverwaltung“ mit der Vorsitzenden Anett Hüssen (vorne, 3. v. l.), rechts daneben ihr Stellvertreter Joachim Spitzley, Bito Aktiengesellschaft Themen-Ausschüsse der IHK Berlin Bildungsstarke Stadt; Kontakt: Sandra Theede, Tel.: 030 / 315 10-829 Fachkräfte und Arbeitsmarkt; Kontakt: Julian Algner, Tel.: 030 / 315 10-373 Funktionierende Stadtverwaltung; Kontakt: Markus Krause, Tel.: 030 / 315 10-154 Innovative und wissensgetriebene Stadt; Kontakt: Henrik Holst, Tel.: 030 / 315 10-623 International agierende Stadt; Kontakt: Dr. Valentina Knezevic, Tel.: 030 / 315 10-243 Mobile Stadt; Kontakt: Dr. Lutz Kaden, Tel.: 030 / 315 10-415 Nachhaltige Metropole; Kontakt: Verena Linz, Tel.: 030 / 315 10-785 Starke IHK Berlin; Kontakt: Eva Gartmann, Tel.: 030 / 315 10-462 Vernetzte und ökologische Stadt; Kontakt: Andreas Kubala, Tel.: 030 / 315 10-758 Wachsende und lebendige Stadt; Kontakt: Christof Deitmar, Tel.: 030 / 315 10-411 Weitere Informationen: ihk.de/berlin/ ausschuesse IHK-Ausschüsse im Blickpunkt: Was das Ehrenamt auf dem Themenfeld „Funktionierende Stadtverwaltung“ für Berlin und die Wirtschaft leistet von Dr. Mateusz Hartwich Schluss mit Fax und Brief FOTO: IHK BERLIN AGENDA | Ehrenamt | 14

Das geht nur gemeinsam Während der Pandemie hat Berlin gezeigt, wozu es fähig ist. Auch wenn nicht alles perfekt war, regierten Pragmatismus und Kooperationsbereitschaft. Daran müssen wir anknüpfen B erlin hat viele Herausforderungen zu meistern, doch wie schaffen wir es? Ich habe einen Vorschlag, der schon einmal gut funktioniert hat. Die Bewältigung der Corona-Pandemie – eine Herkulesaufgabe – hat uns als Gesellschaft gezeigt, wozuwir in der Lage sind, wennwir mit einem gemeinsamen Ziel, mit Offenheit, Pragmatismus und gegenseitigemVertrauen kooperieren und Kompetenzen bündeln. Lassen Sie uns das Erlebte aufarbeiten, das Positive aus dieser Zeit weiterführen und Unbrauchbares wieder verlernen. Partner auf allen Ebenen der Gesellschaft wie Politik, Zivilgesellschaft, Verbände und Privatwirtschaft haben sich zusammengeschlossen, um ihre Fähigkeiten zu bündeln – und das an vielen Stellen ohne Vorbehalte, ohne Ideologie und ohne überbordende Bürokratie. Nehmen Sie den Aufbau der Impfzentren oder der Test-Infrastruktur als Beispiele: Sicher lief nicht alles perfekt, doch wir haben es in Rekordzeit geschafft, in einer für uns alle unbekannten Situation Lösungen für die immensen Herausforderungen zu entwickeln. Jeder hat während der Pandemiezeit seine Erfahrungen gemacht – negative wie positive. Ich möchte heute den Fokus sehr bewusst auf all das Positive richten, auf die angenehmen Überraschungen, die wir erlebt haben. Die Schnelligkeit der Berliner Verwaltung bei Genehmigungsprozessen, der Pragmatismus bei Entscheidungen, die Kooperationsbereitschaft – jeder, der einen Beitrag leisten konnte, war aufgerufen und willkommen. Jetzt ist es an uns allen, diesen Dialog und das entstandene Vertrauen fortzuführen. Sie sind die beste Voraussetzung, um den Herausforderungen der Zukunft gemeinsam zu begegnen. Wir alle müssen das Ziel haben, die gesellschaftliche Transformation zu gestalten. Gestalten in einer Art, die die Funktionsfähigkeit des Staates, den Wohlstand der Gesellschaft und die Wirtschaftskraft der Industrie erhält, die Antworten gibt auf den Fachkräftemangel, die Energiewende, die Inflation und die demografisch bedingten Herausforderungen. Die einzelnen Aufgaben sind weder durch die Politik noch durch zivilgesellschaftliches Engagement oder von der Industrie allein zu lösen. Lassen Sie uns daher das Positive gemeinsam, ergebnisoffen und lösungsorientiert weiterentwickeln. ■ Meinung In der Kolumne „Auf den Punkt“ positionieren sich immonatlichen Wechsel Mitglieder des Präsidiums zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht. präsidiumsmitglieder beziehen stellung Kathrin Klär-Arlt ist Prokuristin der Pfizer Pharma GmbH und gehört dem Präsidium der IHK Berlin an FOTO: ANDREA KATHEDER/PFIZER Auf den Punkt | 15 Berliner Wirtschaft 04 | 2023

INHALT 21 Gute Karten für Services Kooperationsprojekt von IHK Berlin und HWR 22 Steuern mit Daten Mobilitätsdienstleister Bolt analysiert Standorte 24 Geodaten weisen den Weg FixMyCity: Digital zu mehr Sicherheit im Verkehr 25 Prognose statt Leerfahrt Ressourcen schonen mit smarten Taxi-Tools 26 „Daten sind eine elementare Ressource“ Gudrun Sack und Stefan Höffken, Tegel Projekt GmbH, im Interview ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/MIAKIEVY fokus

WER TEILT, GEWINNT Sind Daten für Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Bürger verfügbar, profitieren alle – ein wichtiger Standortfaktor. Deswegen treibt die IHK Berlin Open-Data-Projekte voran von Eli Hamacher Berliner Wirtschaft 04 | 2023 Open Data | 17

Als ihr erstes Open-Data-Angebot hat die IHK Berlin im vergangenen Monat auf dem Open-Data- Portal Berlins Gewerbedaten veröffentlicht. Geoinformationen zu rund 350.000 Gewerbetreibenden geben darüber Auskunft, wo in der Hauptstadt Unternehmen welcher Größe und aus welchen Wirtschaftszweigen ansässig sind. „Die Daten auf dem Portal werden von uns monatlich aktualisiert. Gleichzeitig wird mit den Daten sukzessive ein frei zugängliches Archiv aufgebaut, sodass später auch Zeitreihen abgeleitet und Entwicklungen der Berliner Wirtschaftsstruktur abgelesen werden können“, sagt Florian Koch, Head of Data Management bei der IHK Berlin. Man könnte dann zum Beispiel analysieren, welche Auswirkungen ein Großereignis wie eine Pandemie auf die Standorte der Unternehmen oder Branchen hat. Einen Schritt weiter will die IHK Berlin mit ihrer neuen Plattform „OpenData4Business“ gehen, die gleichfalls noch im laufenden Jahr starten soll. Projektpartner ist die Open Data Informationsstelle Berlin (ODIS), die von der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe gegründet wurde und von der Technologiestiftung Berlin betriebenwird. „Ziel ist es, die als Open Data zur Verfügung gestellten Gewerbedaten mit anderen offenen Verwaltungsdaten zu kombinieren“, sagt Henrik Holst, Public Affairs Manager bei der IHK Berlin. Dafür will die IHK Berlin ein Karten-Tool entwickeln. Ein Unternehmen kann dann zum Beispiel ohne großen Rechercheaufwand auf einen Blick erkennen, ob es etwa an einem Standort eine gute Internetversorgung hat, wie die Verkehrsanbindung oder die Energieversorgung ist oder auch welche potenziellen Lieferanten und Kunden sich in der Nähe befinden. Mittelfristig vorstellbar wäre zudem, dass man durch die Kombination dieser Daten untersuchen kann, wie sich Standortfaktoren in einem zeitlichen Verlauf auf die Ansiedlung von Unternehmen und Entwicklung von Branchen in einem Kiez auswirken. Für Sebastian Stietzel, Präsident der IHK Berlin, steht fest: „Open Data entwickelt sich immer mehr zu einem wichtigen Standortfaktor und sollte als Motor für Innovation begriffen werden. Je mehr und je hochwertigere Datensätze vorliegen – das heißt maschinenlesbar und verknüpfbar –, desto spannender sind auch die Anwendungsmöglichkeiten von Open Data. Davon profitieren wir alle: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.“ Die Verwaltung sollte daher ihre eigenen Datensätze aufbereiten und nach demPrinzip „open by default“ verfügbar machen, so Stietzel weiter. „Damit werden nicht nur Datensilos innerhalb der Verwaltung überwunden, sondern auch die Grundlage für besseres, evidenzbasiertes Verwaltungshandeln geschaffen. Auch die Wirtschaft ist gefragt – sowohl bei der Datennutzung als auch deren Bereitstellung.“ Vorteile für die Wirtschaft sind aus Sicht des IHK-Präsidenten: Daten helfen Unternehmen dabei, die eigenen Prozesse zu optimieren oder neue, innovative Lösungen und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Gerade kleinere Unternehmen und Start-ups, die ansonsten vielleicht nicht über Zugang zu großen Datenmengen verfügen, könnenmithilfe vonOpen Data ihre eigenen Ideen vorantreiben. Beispielsweise können durch Verknüpfung und Weiterverarbeitung von offenen Verwaltungsdaten in den Bereichen E-Government und Smart City spannende Innovationen entstehen. Den rechtlichen Rahmen für Open Data liefert das E-Government-Gesetz. Danach sind alle Behörden, Senats- und Bezirksverwaltungen einschließlich der Sonderbehörden des Landes Berlin verpflichtet, die Daten, die bei Ausüben der gesetzlichen Aufgaben anfallen, der Allgemeinheit als offene Daten zur Verfügung zu stellen, vorausgesetzt, der Datenschutz wird nicht verletzt. Anfang des Jahres 2023 finalisierte die Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport eine neue Open-Data-Strategie. Diese will sie voraussichtlich im Juli 2023 veröffentlichen. „Ziel ist es, eine Data Governance für die Berliner Verwaltung zu entwickeln, die Datenbereitstellung qualitativ zu verbessern, die Datenkompetenz der Verwaltungsbeschäftigten zu stärken, ein internes Datenmanagement zu etablieren und die intelligente Datennutzung voranzutreiben“, erklärt Betül Özdemir, die zentrale Verantwortliche für Open Data im Land Berlin von der Senatsinnenverwaltung. Schon seit dem Jahr 2011 betreibt Berlin ein Open-Data-Portal. Dort finden die Datennutzenden die Daten, die die Senats- und Bezirksverwaltungen als auch die nachgelagerten Behörden inmaschinenlesbaren Formaten wie Excel oder CSVmit jeweiligenMetadaten hinterlegt haben. Die Daten stehen kostenfrei jedem zum Download zur Verfügung. Die BesonBerlin Open Data Auf dem Landesportal finden sich bislang rund 3.200 Datensätze: daten.berlin.de 31% der Unternehmen in Berlin wünschten sich in einer IHK-Umfrage mehr Open Data. Auf Bundesebene waren es nur 24 Prozent. Sebastian Stietzel Präsident IHK Berlin Unser Anspruch sollte sein, Berlin zu einem Vorreiter bei Open Data zu machen. Julia Knack, IHK-Fachreferentin Digitalisierung & Nachhaltigkeit Tel.: 030 / 315 10-846 julia.knack@berlin. ihk.de Henrik Holst, IHK-Geschäftsfeld Wirtschaft & Politik Tel.: 030 / 315 10-623 henrik.holst@berlin. ihk.de PLUS Punkte 1 Open-Data- Angebot der IHK zu 350.000 Gewerbetreibenden verfügbar 2 IHK-Plattform OpenData4Business startet 2023 3 E-Government-Gesetz verpflichtet Behörden, erhobene Daten offen bereitzustellen » FOKUS | Open Data | 18 Berliner Wirtschaft 04 | 2023

Kostenfreie Hilfe im Falle eines Cyberangriffs Das leistet die Cyberhotline für Unternehmen ◼ eine zentrale Rufnummer für alle Berliner Unternehmen ◼ im Notfall schnelle Hilfe durch speziell ausgebildete Ersthelfer*innen ◼ Zugri auf ein Netzwerk von privaten IT-Sicherheitsunternehmen, falls eine detailliertere Unterstützung erforderlich ist ◼ IT-Sicherheits-Webinare ergänzen das Angebot Ob Ransomware, Trojaner oder andere kritische Angri e auf die IT-Systeme: Insbesondere kleine und miˆlere Unternehmen sind Ziel der Angri e, die nicht selten existenzbedrohend sind. Mit der zentralen Cyberhotline bekommen die Berliner Unternehmen die Möglichkeit, im Notfall umgehend erste Hilfe bei Angri en auf ihre IT-Infrastruktur zu erhalten. digitalagentur.berlin/cyberhotline IN ZUSAMMENARBEIT MIT Die Digitalagentur Berlin ist ein Instrument der Wirtscha’sförderung des Berliner Senats und wird vollständig aus Miˆeln des Landes Berlin finanziert. Cyberhotline für Berliner Unternehmen

derheit bei der Veröffentlichung auf dem Open- Data-Portal im Gegensatz zur Veröffentlichung auf anderen Webseiten sei es, so Özdemir, dass die Datenveröffentlichenden auch die Lizenzen beziehungsweise Nutzungsbedingungen für die veröffentlichten Daten angeben müssen. Einen Schritt weiter gehen will der Senat mit dem geplanten Berliner Data Hub. „Bei dem Berliner Data Hub handelt es sich um eine zentrale gesamtstädtische Datenmanagement-Plattform. Der Fokus liegt zunächst auf der Einbindung der Daten aus der Berliner Verwaltung. Perspektivisch sollen Applikationen bereitgestellt und auch Daten von Dritten eingebunden werden“, erläutert die Open-Data-Verantwortliche. Dieser Hub solle als übergreifende Datenmanagementplattform eine Vielzahl von bestehenden Plattformen sowie Systemen über Schnittstellen verknüpfen, unter anderemdas Open-Data-Portal des Landes Berlin. Den Datennutzenden, darunter Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Bürger, soll der Berliner Data Hub das Teilen, Abrufen, Speichern und Bearbeiten von städtischen Daten ermöglichen. Hierdurch eröffnen sich laut Özdemir vielfältige Möglichkeiten und Potenziale, beispielsweise in Hinblick auf neue Anwendungen und Geschäftsmodelle, die aus den Daten entstehen können. Die Blaupause für den Berliner Data Hub soll der FUTR HUB liefern. In der Urban Tech Republic der Tegel Projekt GmbH entsteht aktuell mit diesem Kompetenzzentrum für urbane Daten eine Open-Data-Infrastruktur, an der sich alle Unternehmen auf dem früheren TXL-Flughafengelände beteiligen (siehe Interview auf Seite 26). Ein solcher Anwendungsfall für den Berliner Data Hub könnte auch die geplante Plattform „OpenDat a4Bus iness“ der IHK Berlin werden, sagt Public Affairs Manager Holst. Erste Gespräche zwischen der Kammer und Projektpartnern laufen. Laut IHK-Präsident Stietzel hat sich in den gut zehn Jahren seit demersten Open-Data-Strategiepapier des Berliner Senats auf diesemGebiet zwar einiges bewegt. „Wenn wir allerdings schauen, wie Open Data in anderen Ländern wie Großbritannien oder in kleinerem Maß auch in Hamburg schon heute vorgelebt wird, sollte uns das als internationale Metropole hinsichtlich unseres eigenen Vorgehens zu denken geben. Unser Anspruch sollte sein, mit der angekündigten Aktualisierung der Open-Data-Strategie und demAusbau der städtischen Dateninfrastruktur die Lücke zu schließen und Berlin zu einem Vorreiter bei Open Data zu machen.“ Startschuss fürs Dateninstitut Auch die Bundesregierung treibt – wie imKoalitionsvertrag festgeschrieben – das Thema Open Data voran. Im Oktober 2022 fiel der Startschuss für ein neues Dateninstitut. Es soll das Teilen von Daten und deren Nutzung fördern sowie die Standardisierung vorantreiben. Der Gründungskommission gehört als Vertreterin der Wirtschaft die Berliner Unternehmerin Nicole Büttner-Thiel an. Als erste Anwendungsfälle schlug die Kommission drei Fälle vor: eine Plattform für Mobilitätsdaten für Kommunen, eine Verwaltungsdatenplattform zur Verbesserung von Politikentscheidungen am Beispiel der Gaspreisbremse sowie eine Forschungsförderung zumThema Long Covid. Dabei sollen Open Data im Mittelpunkt stehen. In einer Stellungnahme der Deutschen Indus- trie- und Handelskammer (DIHK), für die auch die IHKs konsultiert wurden, heißt es: „Das Dateninstitut sollte als übergeordnetes Ziel die effektive Datenverfugbarkeit für Wirtschaft und Wissenschaft erhöhen. In Bezug auf Daten aus der öffentlichenHand bedeutet dies vor allem, die bereits zur Verfügung stehenden Daten auch tatsächlich nutzbar zu machen und Behörden auf dem Weg zur Bereitstellung zu unterstützen.“Wie viel Potenzial in den Datenschätzen steckt, das wird zwar Politik und Wirtschaft immer stärker bewusst. Doch noch stoßen viele Unternehmen beim Austausch von Daten auf Hurden. Dazu gehören auch unzureichende Rahmenbedingungen, die die Digitalisierung ausbremsen. In ihrer jährlichen Digitalisierungsumfrage, für die die IHK Berlin zwischen November und Dezember vergangenen Jahres 300 Berliner Betriebe befragte, gaben 31 Prozent an, dass sie sich mehr Open Data wünschten. Bundesweit waren es nur 24 Prozent. ■ IHK-Präsident Sebastian Stietzel sieht Open Data als Innovationsmotor und will Berlin zu einem Vorreiter in dem Feld machen IHK-Service Open Data und Digitalisierung Beratungsangebote, Informationen und Positionen zu digitalen Schlüsselthemen unter: ihk.de/berlin/ digitalisierung ihk.de/berlin/opendata FOTO: AMIN AKHTAR FOKUS | Open Data | 20

Wirtschaft trifft Wissenschaft Die IHK Berlin kooperiert mit mehreren Berliner Hochschulen. Regelmäßig bietet sie mit dem Institut für angewandte Forschung kostenlose Veranstaltungen dazu an. Mehr Informationen: ihk.de/berlin/­ forschungskooperation Studierende eines dualen Masterprogramms ziehen in einem Kooperationsprojekt von IHK Berlin und HWR aus offenen Daten Nutzen für Unternehmen Gute Karten für Services Die IHK Berlin lässt sich im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) wortwörtlich in die Karten schauen. Seit 2023 veröffentlicht die Kammer frei zugänglich monatlich aktuelle Geo- und Strukturdaten der Berliner Wirtschaft. Neben Unternehmensmerkmalen von rund 320.000 Unternehmen umfasst das Datenset auch Standort- und Geoinformationen, die sich auf die sogenannten LOR (Lebensweltlich orientierte Räume) in Berlin beziehen. Über diese räumliche Zuordnung lassen sich die Gewerbedaten auch mit anderen offenen Geo- und Strukturdaten in Berlin verknüpfen. Im Rahmen dieses Open Data-Ansatzes können neue Informationen, Services und Angebote für Unternehmen entstehen. Studierende des dualen Masterprogramms Digitale Transformation der Berlin Professional School (BPS) an der HWR Berlin unter Leitung von Dr. Sebastian Fischer, Professor für Wirtschaftsinformatik, sollen nun in einem Projekt dazu Ideen entwickeln. Welche praxisrelevanten Services lassen sich aus unterschiedlichen Daten und Datenquellen entwickeln? Welchen Mehrwert haben die Verknüpfung und Visualisierung dieser Informationen für Unternehmen? Spätestens mit der Ergebnispräsentation des Projekts am 17. Juli 2023 in der IHK werden diese und weitere Fragen beantwortet werden. Im Rahmen des Masterstudiengangs lernten die Studierenden, wissenschaftliche Ansätze und praktische Anwendung in und für Unternehmen zu kombinieren, so Fischer: „Es ist das erste Modul ,Data Science‘ unter meiner Leitung. Ich bin selbst sehr gespannt, welche Ideen die Projektgruppen entwickeln werden.“ Sicher sei, dass die dualen Studierenden aus den Unternehmen die Praxis in den Mittelpunkt stellen werden. hart Dr. Sebastian Fischer Ich bin gespannt, welche Ideen die Projekt- gruppen entwickeln werden. Dr. Sebastian Fischer, Professor für Wirtschafts- informatik an der HWR Berlin und in Harvard und Stanford zum Data Scientist ausgebildet, beschäftigt sich mit Datenbanken und Business Intelligence FOTOS: GETTY IMAGES/TEERA KONAKAN, HWR Berliner Wirtschaft 04 | 2023

B evor die Geschäftsführung des Mobilitätsdienstleisters Bolt grünes Licht für einen neuen Standort gibt, analysieren die IT-Experten riesige Mengen an Daten. „Wir wollen vorab genau wissen, wie stark die Nachfrage für unser Angebot ist“, sagt DustinWilliams, Head of Public Policy für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei der Bolt Technology. Antworten suchen die Analysten auf Fragen wie: Zu welchen Uhrzeiten und an welchen Tagen sind wie viele Pendler unterwegs? Wie stark sind Busse und Bahnen ausgelastet? Wie gut wird der ÖPNV in Ferienzeiten genutzt, zum Beispiel auch von Touristen? „So können wir unseren operativen Betrieb auf der Buchungsplattform optimal planen“, so Williams. Dafür nutzt das Unternehmen in Eigenregie generierte Daten, aber auch Open Data, also frei zugängliche Regierungs- und Verwaltungsdaten. „Da der Staat plant, baut und täglich riesige Mengen an Menschen befördert, sammelt er zahlreiche Daten, die, egal welcher Branche, helfen können, ihr Geschäftsmodell zu optimieren oder etwa Abläufe zu beschleunigen.“ Am Anfang stand die Taxifahrt Bolt wurde 2013 in Estland gegründet und bot anfangs ausschließlich Taxifahrten an. Nach und nach erweiterte das baltische Mobilitätsunternehmen sein Portfolio um Mietfahrzeuge, E-Scooter- und E-Bike-Verleih, Carsharing und Lieferdienstleistungen und bietet diese Services über eine App an. Heute bringt Bolt seine Kunden in 45 Ländern in rund 250 Städten ans Ziel. Das Unternehmen besitzt keine eigenen Wagen, sondern vermittelt lediglich Fahrzeuge. Dazu arbeitet Bolt zum Beispiel in Berlin mit Taxi-Unternehmen zusammen, bei denen die Fahrer angestellt sind. Die Fahrer können sich auf der Bolt-Plattform registrieren und sich damit einen weiteren Vertriebsweg erschließen. Der vom Land festgelegte Taxi-Tarif gilt auch für über Bolt bestellte Wagen. Bei den lizensierten Mietwagen hingegen können die Preise abhängig von Angebot und Nachfrage schwanken, werden aber schon vor Abschluss der Buchung in der App angezeigt. Sein Deutschlandgeschäft steuert Bolt von Berlin aus mit inzwischen 120 Mitarbeitern. In Deutschland arbeiten rund 500 Beschäftigte, weltweit sind es 4.500. In Berlin haben die Esten jüngst zudem einen Engineering Hub aufgebaut, in dem Produktentwickler auch für andere Märkte arbeiten. Welche Vorteile Open Data für Bolt haben könnten, erklärt Williams am Beispiel von temporären Bushaltestellen, die bei Schienenersatzverkehr eingerichtet werden. „Wenn wir diese Geodaten zum Beispiel über eine Schnittstelle vom Senat bekämen, könnten wir für unsere E-Scooter und E-Bikes an den temporären Haltestellen Parkverbotszonen einrichten und diese Informationen in unserer App hinterlegen. Unsere Kundenwissen dann, dass sie in diesen Zonen die Miete nicht beenden können.“ Die BVG hatte sich immer wieder beim Senat beschwert, dass unerlaubt geparkte Scooter an Haltestellen den Fahrgästen den Weg versperren würden. Neben der Qualität der Daten sei jedoch auch entscheidend, wie diese zur Verfügung gestellt würden. „Es hilft uns nichts, wenn uns große Datenmengen in Form von Excel-Tabellen oder PDF-Dateien gesendet werden, die noch dazu oft unpräzise sind. Am einfachsten ist es, wenn wir die Daten in Form von Geodaten bekommen, die wir dann in unser System importieren können.“ Darüber hinaus könne Bolt an den temporären Bushaltestellen zusätzliche E-Scooter und E-Bikes zur Verfügung stellen, falls U-Bahn-Fahrer dann lieber auf solche Angebote umsteigen wollen, statt den Bus zu nutzen. Aber auch die Geodaten über die regulären Haltestellen würden Bolts Planung erheblich vereinfachen. Denn 30 bis 40 Prozent aller Fahrten etwa mit demE-Scooter beginnen oder enden in unmittelbarer Nähe einer ÖPNV-Station, also einer Bushaltestelle, U- oder S-Bahn-Station.  ■ Mobilitätsdienstleister Bolt kennt auf Basis datengestützter Analyse-Tools die Nachfrage für seine Angebote, bevor das erste Fahrzeug am Standort rollt Steuern mit Daten 120 Mitarbeiter hat das aus Estland stammende Unternehmen Bolt in Berlin, deutschlandweit sind es 500. Dustin Williams ist Head of Public Policy für die DACH-Region bei Bolt Technology Dustin Williams Am einfachsten ist es, wenn wir Geodaten bekommen, die wir in unser System importieren können. Gut vernetzt Der QR-Code führt zu Dustin Williams bei LinkedIn: FOTO: CHRISTIAN KIELMANN FOKUS | Open Data | 22 Berliner Wirtschaft 04 | 2023

Das Projekt, an dem 104 Daten-, Software- und Kommunikationsexperten in der Thinkfarm Berlin tüfteln, ist ehrgeizig: „Wir wollen, dass Berlin und andere Städte schneller zu Fahrradstädten werden“, sagt Heiko Rintelen, Mitglied der Geschäftsführung und Gesellschafter der FixMyCity GmbH. Digitale Werkzeuge sollen es der Verwaltung ermöglichen, die Verkehrswende und insbesondere die Radverkehrsplanungen effizient und gemeinsam mit den Bürgern umzusetzen. „So beschleunigen wir die Entwicklung von Radnetzen, können Fortschritte besser kommunizieren und die Bürger an den richtigen Stellen konstruktiv einbeziehen“, sagt Rintelen, dessen Unternehmen für seine IT-Dienstleistungen offene Verwaltungsdaten ebenso wie die frei verfügbaren Geodaten der OpenStreetMaps (OSM) aus demOpen-Data-Portal des Landes Berlin nutzt. Das Straßen- und Grünflächenamt Friedrichshain-Kreuzberg etwa beauftragte das 2021 gegründete Start-up, Daten zur Sicherheit der Schulwege im Bezirk zu erheben. Die in Karten visualisierten Daten zeigen unter anderem, wie viele Schüler täglich welche Wege zur Schule zurücklegen, wo es zu Unfällen mit Fußgängern kommt, welche Höchstgeschwindigkeiten an den Schulstandorten zugelassen sind. Für Friedrichshain-Kreuzberg erfasste FixMyCity zudem den Parkraum, weil weder Zahl noch Lage der Parkplätze bekannt waren. In das neue interaktive Tool könne der Bezirk jetzt laufend Änderungen eintragen und die Informationen auf dem neuesten Stand halten, so Rintelen. Auch außerhalb der Hauptstadt ist die Expertise der Berliner Digitalisierungsexperten gefragt. Die brandenburgischen Gemeinden Zeuthen, Eichwalde und Schulzendorf arbeiten unterstützt von FixMyCity an datengestützten Analyse- und Planungsmethoden, um ein interkommunales Radverkehrskonzept zu erproben und weiterzuentwickeln. Dafür werten die Berliner die frei nutzbaren Geodaten der OpenStreetMaps aus. Ob ein Unternehmen die vorhandenen Datenschätze erfolgreich heben kann, hängt für Rintelen von vielerlei Faktoren ab. „Bei Open Data kommt es weniger auf die Quantität an als vielmehr auf die Qualität. Die Datensätze müssen fehlerfrei sein, gute Standards und maschinenlesbare Programmierschnittstellen haben.“ In Berlin gebe es zwar den Willen, möglichst viele Daten zu veröffentlichen. „Einige Bezirksverwaltungen nutzen aber die bestehendenMöglichkeiten gar nicht, weil Zugänge, Know-how oder Ressourcen fehlen.“ ■ 104 Experten tüfteln bei FixMyCity am Umbau von Kommunen zu Fahrradstädten. Ob Radrouten oder sicherere Schulwege: FixMyCity hebt Datenschätze aus Verwaltungen und OpenStreetMaps für effiziente Verkehrskonzepte Geodaten weisen den Weg Heiko Rintelen, Mitglied der Geschäftsführung und Gesellschafter bei FixMyCity Gut vernetzt Sie finden Heiko Rintelen auf LinkedIn über den QR-Code: FOTOS: CHRISTIAN KIELMANN Berliner Wirtschaft 04 | 2023

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