Berliner Wirtschaft April 2023

„Fromms“ – wer kennt die nicht? Die Geschichte des Erfolgsprodukts begann 1916. Dahinter stand ein jüdischer Berliner Unternehmer, den die Nazis zu Verkauf und Flucht zwangen von Björn Berghausen (BBWA) Vor 140 Jahren, am 4. März 1883, kam der Erfinder des ersten Markenkondoms als Israel Fromm im jüdischen Viertel des polnischen Städtchens Konin zur Welt. Mit seinen Eltern zog er 1893 nach Berlin ins ärmliche Scheunenviertel. Sein späteres Abendstudium der Chemie finanzierte er mit demZigarettenverkauf, experimentierte ab 1912mit Naturkautschuk und eröffnete 1914 das „Fabrikations- und Verkaufsgeschäft für Parfümerie und Gummiwaren Israel Fromm“. Das Ergebnis seiner Versuche, bei denen er Glaskolben in verflüssigten Kautschuk tauchte, waren transparente, dünnwandige Präservative – ohne Naht! Diese Innovation war den herkömmlichen Kondomen weit überlegen, insbesondere den Kautschukpräservativen aus dem Hause Goodyear, denen man anmerkte, dass mit diesem Namen eher die Erfindung des Gummireifens verbunden war. 1916 kamen die „Fromms Act“ als erstes MarkenkondomderWelt auf denMarkt – und gleich in Millionen Soldatentornister. Der reißende Absatz korrespondiertemit der Qualität der „Frommser“, die vor Verkauf geprüft wurden und eben nicht rissen. Während die Konkurrenz sich aus Sorge vor Haftung bei Produktversagen hinter Fantasienamen („Ramses“, „Mikado“, „Viola“ oder „Uncle Sam“) versteckte, haftete Julius Fromm, wie er sich inzwischen nannte, mit seinem Nachnamen für ein Produkt, das bei Fehlfunktion erhebliche Folgen haben konnte. 1926 verkaufte Fromm 24 Mio. Präservative, der Umsatz brach auchwährend der Wirtschaftskrise nicht ein, denn in Krisenzeiten gilt nicht nur: Gestorbenwird immer. 1929/30 entstand in Köpenick eine Vorzeigefabrik, entworfen von Arthur Korn und Siegfried Weitzmann und in der Welt der Architektur hochgelobt. 1933 geriet Fromm ins Visier der Nazis, die von Anfang an alle Juden aus dem Wirtschaftsleben verdrängten. Die Hakenkreuzfahnen in der Fabrik oder der anlässlich der Olympischen Spiele 1936 als Werbegeschenk verteilte „Nahverkehrsplan“ schützten Frommnicht, zumal sich 1938 Hermann Göring selbst einschaltete: Er regelte den Verkauf an seine Patentante, die dem Reichsjägermeister imGegenzug zwei Burgen schenkte. Julius Fromm und ein Großteil seiner Familie emigrierten nach London. Fromm starb vier Tage nach Kriegsende am 12. Mai 1945 im Londoner Exil. Nach dem Krieg kam die zweite Enteignung, die anschaulich in demBuch „Fromms“ von Götz Aly und Michael Sontheimer dargestellt wird: In der Sowjetischen Zone wurden der Familie die Fabriken unter anderem mit der Begründung entzogen, Julius Fromm sei „Kriegstreiber“ und „Naziaktivist“ gewesen. Die Markenrechte wiederum waren nach Österreich gekommen, von wo der Erbe von Görings Patentante in einem Vergleich mit Fromms Söhnen 1951 das Maximum herausschlug. Die Produktion war schon 1947 – unter Anschub der britischen Alliierten – in Zevenwieder aufgenommenworden, während die volkseigenen Fabriken in der DDR Präservative der Marke „Mondos“ produzierten. ■ Zugang zum Wirtschaftsarchiv Die Bestände des Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchivs (BBWA) können nach Vereinbarung eingesehen werden. Kontakt und Infos: bb-wa.de Kondome im Krieg Julius Fromm brachte die Kondome unter dem Namen „Fromms Act“ auf den Markt, der Briefbogen zeigt die Produktionsstätten FOTO: BBWA Historie | 43

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