Berliner Wirtschaft April 2024

Gast der IHK Kai Wegner sucht den Schulterschluss mit der Wirtschaft Seite 10 Arbeitsmarkt Berliner Unternehmen profitieren vom Job-Turbo für Geflüchtete Seite 44 Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 04/2024 ihk.de/berlin Vorsprung durch Fintechs Berlin ist Deutschlands Hotspot für innovative Lösungen rund ums Banking. Die Erfolgsformel von Qonto-Chef Lukas Zörner: In der Nische zielgenau zum Kunden Seite 18, Interview Seite 26 Gastbeitrag Kultursenator Joe Chialo Ja zur Zentral- und Landesbibliothek an der Friedrichstraße! Seite 17

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Sebastian Stietzel ist Präsident der IHK Berlin und Geschäftsführer der Marktflagge GmbH, Management & Investments „Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie“, soll Wirtschaftswunder-Kanzler Ludwig Erhard gesagt haben. Dieser Satz hat an Aktualität nichts verloren. Ja, die Lage ist, wie sie ist: nicht schön, in Teilen sogar schlecht. Die Energiepreise sind hoch, das Wachstum ist niedrig, Fachkräfte fehlen, Wohnungen und Gewerbeflächen auch, vom Rückstand des Landes bei der digitalen Transformation ganz zu schweigen. Wie gesagt, alles nicht gut. Und trotzdem: Gerade jetzt gilt es die 50 Prozent Psychologie zu mobilisieren und in positive Energie umzusetzen. Das heißt nicht, mit rosaroter Brille Schlechtes schönzureden. Es heißt, Berlins Stärken zu sehen und konsequent auszubauen. Ein Beispiel dafür ist unser wachsendes Netz von Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Gerade erst hat die IHK Berlin eine Kooperations- vereinbarung mit der Hochschule für Wirtschaft und Recht abgeschlossen. Die dritte Vereinbarung dieser Art, um systematisch Innovationen „Made in Berlin“ zu fördern (S. 12). Oder nehmen wir die Fintech-Szene in Berlin. Im April findet in Berlin erstmals das Fintech-Festival FIBE statt. Damit untermauern wir unseren Ruf als deutsche Fintech-Hauptstadt auch international (S. 18). Die Basis für Wachstum und Innovation ist also da, jetzt kann die Psychologie ihre positive Wirkung entfalten. Ihr Verkehrsinfrastruktur In der Region um den BER wird es auf den Straßen eng: Wachsende Einwohnerzahlen, neue Gewerbeansiedlungen, eine insgesamt dynamische Umfeldentwicklung offenbaren die Mängel in der Verkehrsinfrastruktur. Dementsprechend fordert die IHK die Realisierung wichtiger Projekte wie die Verlängerung der U-Bahn-Linie 7 und den Ausbau der Ostbahn. Seite 16 Die „Berliner Wirtschaft“ gibt es auch online: ihk.de/berlin/berliner-­ wirtschaft Es ist Zeit, Berlins Stärken zu sehen und auszubauen ZEICHNUNG: ANDRÉ GOTTSCHALK; TITEL: AMIN AKHTAR Berliner Wirtschaft 04 | 2024 Editorial | 03

Politikgespräch Kai Wegner, Regierender Bürgermeister von Berlin, beim Wirtschaftspolitischen Frühstück der IHK 10 18 Fintechs Datengetriebenes Banking ist Basis unterschiedlicher Geschäftsmodelle, viele davon entstehen in Berlin BRANCHEN 30 Shopping-Center Berlins große Einkaufstempel kämpfen mit Problemen. Wie die Perspektiven aussehen 35 Start-up Babett Mahnert, Schulgold, über ihre Geschäftsidee und ihre Prioritäten 36 Standort Berlins Startup-Agenda braucht mehr Fokussierung und Vernetzung 39 Historie Der Unternehmer und Ingenieur Carl Flohr wollte mit seinen Aufzügen hoch hinaus 40 Lieferdienste Berliner Betriebe sind bei der Lieferung von Lebensmitteln in der Nische erfolgreich 42 Nachhaltigkeit Nach der ersten Sustainability Week der IHK Berlin berichten zwei Teilnehmende von ihren Erfahrungen AGENDA 10 Wirtschaftspolitisches Frühstück Kai Wegner, Regierender Bürgermeister, stellt sich an die Seite der Wirtschaft 12 Kooperation IHK und HWR vereinbaren engere Zusammenarbeit 13 Kolumne IHK-Vizepräsidentin Sonja Jost über Antisemitismus 14 Stadtentwicklung In Tegel entsteht ein neuer Ort der Tech-Community 16 Verkehrsinfrastruktur Studie belegt, dass die Region um den BER überlastet ist 17 Gastbeitrag Die „Galeries Lafayette“ sind ein idealer Bibliotheks-Ort, sagt Kultursenator Joe Chialo FOKUS 18 Fintechs Berlin ist Hotspot der Szene. Innovationen rund um das digitale Banking werden vor allem hier entwickelt 22 Unternehmenspraxis Raisin, Finlium und Ecolytiq stellen ihre Geschäftsideen und -konzepte vor 26 Interview Lukas Zörner über die Strategie von Qonto, Nischen zu nutzen, die Großbanken offen lassen Lukas Zörner Managing Director von Qonto Junge Gründer oder Gründerinnen mit FintechGeschäftsideen finden in Berlin alles, was sie brauchen. Berliner Wirtschaft 04 | 2024 Inhalt | 04

03 Editorial | 06 Entdeckt | 53 Seminare | 63 Impressum 65 Gestern & Heute | 66 Zu guter Letzt … Schreiben Sie uns Worüber möchten Sie in der „Berliner Wirtschaft“ informiert werden? Senden Sie Ihre Anregungen per Mail an: bw-redaktion@berlin.ihk.de FACHKRÄFTE 44 Integration Job-Turbo soll Geflüchtete schneller in Arbeit bringen 46 Berufsorientierung Erfolgreiches Recruiting mithilfe von Schülerpraktika 47 Talente Charlotte Quilain, Französin, über das Arbeiten in Berlin 48 Pilotprojekt Azubis leiten sechs Wochen lang das Apartment-Hotel 51 Ehrenamt Vor allem in Handelsberufen werden Prüfende gesucht 52 Verbundberatung Unterstützung bei praktischer Prüfungsvorbereitung SERVICE 56 New Work Büros mit Wohlfühlambiente kommen an – bei Kunden und Mitarbeitenden 58 Förderprogramm BENE 2 unterstützt Betriebe bei der Energiewende 59 Infrastruktur Mobilfunkausbau ermöglicht mit der Installation von Masten Rendite für Betriebe 62 Beratung Wann Unternehmen negative Jobportal-Bewertungen entfernen lassen können 63 IHK vor Ort Mit ihrem Pop-up-Office berät die IHK in den einzelnen Berliner Bezirken Shoppingmalls Nach dem Umbau soll das Ring-Center weniger Handels- und mehr Bürofläche haben 30 ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/MOMENT RF/EUGENE MYMRIN; FOTO: JENS AHNER; VISUALISIERUNG: GRAFT ARCHITEKTEN das uns! Überlassen Sie Professionelle Entsorgungslösungen für: Gewerbeabfälle Bedarfsgerechte Konzepte zur Erfassung Ihrer gemischten Gewerbeabfälle – entsprechend der Gewerbeabfallverordnung Altpapier Beste Preise für Industrie, Handel, Gewerbe, Wohnungswirtschaft und Privathaushalte Gewerbefolien Kostengünstige und umweltgerechte Wertstoffentsorgung Andere Abfälle Zuverlässige Erfassung aller anderen Abfälle zur Verwertung (Glas, Holz, Schrott, E-Schrott) Bartscherer & Co. Recycling GmbH Montanstraße 17-21 13407 Berlin Tel: (030) 408893-0 Fax: (030) 408893-33 www.bartscherer-recycling.de Bestellungen direkt im Onlineshop. Günstige Pauschalpreise für Umleerbehälter von 240 l bis 5,5 cbm.

Am Anfang war das Skaten. Und eine Idee mit Idealen: fair und ökologisch produzierte Streetwear, auch, aber nicht nur für Skater. Vor gut 20 Jahren starteten Jochen Smuda und Martin Fussenegger mit Ucon Acrobatics durch. Nachhaltigkeit blieb in der Branche lange eher nachrangig. Doch das Duo, seit 2008 in Berlin, wollte seinem Anspruch treu bleiben. Irgendwann zogen minimalistisch designte Rucksäcke ins Sortiment. Inzwischen steht die Marke ausschließlich für Taschen und Rucksäcke. Das kleine Team in Berlin (im Foto: Mitarbeiterin Sabrina Kreisel) kooperiert immer wieder mit Künstlern oder anderen Labels, die ähnliche Ziele haben: kreativ sein, mit recycelten Materialien Ressourcen schonen. Nicht einfach, die Lieferkette konsequent danach auszurichten. Darunter aber machen es die Gründer nicht. Korrekter Style Ucon Acrobatics Vom Unternehmenssitz im Szenekiez Friedrichshain aus wird der komplette Produktionsprozess im Blick behalten. FOTO: ULRICH SCHUSTER Entdeckt | 06

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„Die Herausforderungen bei der digitalen Transformation, im Energie-, Mobilitäts- oder auch im Gesundheitsbereich werden wir nur im Schulterschluss von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft meistern. Gemeinsam mit der HWR wollen wir komplexe, technologiegetriebene und soziale Innovationen ,Made in Berlin‘ nicht nur sichtbar, sondern auch anwendbar machen. Das Ziel muss sein, dass aus Forschungsergebnissen marktfähige Produkte werden.“ Die IHK und die Hochschule für Wirtschaft und Recht wollen Wissenschaft und KMU enger verknüpfen Schulterschluss für Innovation gesagt Der Breitscheidplatz hat ein neues Nutzungs- und Gestaltungsstatut. Im Behörden-Original trägt es einen sperrigen 30-Wörter-Namen, der vier Druckzeilen füllt. Festgelegt sind darin detaillierte Regeln, um einen „attraktiven und lebendigen Begegnungsort für alle Menschen zu erhalten und zu stärken“. Also alle, denen regionale Bio-Fairtrade-Kost mit Siegel lieb und teuer ist. Und die einen Bogen um „Greifer-Spiele“ machen. Die sind nämlich verboten. Aufbauten müssen „gestalterisch der Bedeutung des Platzes angemessen sein“. Dabei heißt es weiter vorn: „Provisorische Sicherheitselemente prägen aktuell das Bild, dauerhafte Lösungen sind in Planung“ – und das mehr als sieben Jahre nach dem Weihnachtsmarkt-Attentat. Veranstaltern wäre wohl eher daran gelegen als an rigiden Speisezettel-Vorschriften. Was finden Sie typisch? Schreiben Sie uns: bw-redaktion@berlin.ihk.de Amtlich bio typisch berlin 34 % Glasfaser-Quote weist der Gigabit-Monitor der Senatsverwaltung für Wirtschaft bereits für Berliner Haushalte aus. Bis Ende 2024 sollen die Hälfte und bis 2028 alle Haushalte einen Glasfaseranschluss erhalten, so das Ziel der Landesregierung. Sebastian Stietzel, Präsident IHK Berlin Mehr zur Kooperation zwischen HWR und IHK finden Sie auf Seite 12. FOTOS: GETTY IMAGES/STONE RF/TOM WERNER, CHRISTIAN KIELMANN Kompakt | 08

28 Potenzialstandorte für Windenergieanlagen haben die Berliner Stadtwerke auf Basis einer Studie von Beratern und Wissenschaftlern definiert. Die meisten befinden sich in Pankow (10) und Spandau (8). Mehr Gewerbebetriebe In den meisten Wirtschaftsbereichen überstiegen die Gewerbeanmeldungen die -abmeldungen 2023. Im verarbeitenden Gewerbe war der Saldo negativ berliner wirtschaft in zahlen Patrick Schulze, IHK-Experte für Statistik Tel.: 030 / 315 10-226 patrick.schulze@berlin.ihk.de mehr Gewerbeanmeldungen verzeichneten die Berliner Wirtschaftsämter im vergangenen Jahr. 2,0 % City Tax auch für Geschäftsreisende übernachtungsteuer kopf oder zahl Sebastian Blecke Dr. Kerstin Busch ist als COO zum Büro- und Gewerbeflächenvermieter GSG Berlin zurückgekehrt. Er war bereits von 2011 bis 2022 als operativer Geschäftsführer für die GSG Berlin tätig. Zwischenzeitlich hat er sich als Geschäftsführer der Sector Seven Investors GmbH um die Repositionierung und Projektentwicklung von Immobilien gekümmert. wird in den Vorstand der Vattenfall Wärme GmbH berufen. Dort wird sie für Technik zuständig sein. Bisher ist sie als technische Geschäftsführerin und Sprecherin der Berliner Stadtwerke GmbH tätig. Wann Kerstin Busch bei Vattenfall Wärme anfangen wird, ist noch unbekannt. Studiert hat sie Verfahrens- und Umwelttechnik an der TU Berlin. Beruflich und geschäftlich veranlasste Übernachtungen sind seit dem 1. April nicht mehr von der City Tax ausgenommen. Die Gesetzesänderung hat das Berliner Abgeordnetenhaus im Februar beschlossen. Die Steuer beträgt fünf Prozent des Nettobetrags, der für die Übernachtung bezahlt wird. Die City Tax wurde in Berlin im Jahr 2014 eingeführt, zunächst nur für private Übernachtungen. Mit ihr sollen Reisende an den Kosten für Infrastruktur oder Kultur- und Freizeitangebote beteiligt werden. Dem Gesetzentwurf zufolge erwartet Berlin aus der Ausweitung der City Tax pro Jahr rund 25 Mio. Euro Mehreinnahmen. bw 6096 8112 3511 3095 1055 930 5143 4469 1344 7039 412 442 Anmeldungen Abmeldungen Übrige Wirtschaftsabschnitte Kunst, Unterhaltung und Erholung Sonst. wirtschaftliche Dienstleistungen Freiberufliche, wiss. u. techn. Dienstleistg. Grundstücks- und Wohnungswesen Finanz- u. Versicherungsdienstleistungen Information und Kommunikation Gastgewerbe Handel; Instandhalt. u. Reparatur von Kfz Baugewerbe Verarbeitendes Gewerbe 5638 6589 3264 1792 746 863 3097 3597 840 5364 FOTOS: BENJAMIN PRITZKULEIT/BERLINER STADTWERKE, MARC-STEFFEN UNGER, IMAGO/FRANK SORGE Grafiken: BW Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg Berliner Wirtschaft 04 | 2024

Bei seinem Auftritt im Ludwig Erhard Haus sicherte sich Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner mit seinen Statements die Zustimmung der Gäste von Holger Lunau Bekenntnis zur Wirtschaft agenda

der Zielmarke festzuhalten und dazu auch eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes zu ermöglichen. „Das geht der Senat auch an“, sagte er. Es müsse schneller und mehr gebaut werden, und zwar in allen Preissegmenten. Wegner verwies auf das vom Senat geplante „Schneller-Bauen-Gesetz“ und die vorgesehene Änderung der Landesbauordnung mit „60 bis 70 Einzelmaßnahmen“. Im Kern geht es um klare Zuständigkeiten zwischen Land und Bezirken, einheitliche Standards für die Verfahren oder verkürzte Fristen. Kooperationen mit der Wissenschaft Ebenso weit oben auf der politischen Agenda stehen für Wegner Wissenschaft, Forschung und Technologie. Die Stadt verfüge über großes Potenzial, das müsse aber besser genutzt werden. Für die engere Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft seien erste Schritte gemacht worden, sagte der Regierungschef mit Verweis auf Kooperationsverträge der IHK Berlin mit Hochschulen, zum Beispiel mit der HWR (s. S. 12). Es müsse gelingen, die vielen guten Ideen in Produkte fließen zu lassen – und zwar in Berlin. Das gelte auch für die KI-Branche. Nach einer jüngsten Umfrage haben 32,5 Prozent aller KI-Start-ups in Deutschland ihren Sitz in der Bundeshauptstadt. In Berlin werde viel geklagt, sagte Wegner. Dabei besitze die Stadt ein Riesenpotenzial für Innovationen. „Wir müssen in Deutschland vor keiner Konkurrenz Angst haben“, betonte der Regierungschef. Er forderte, die Stärken der Stadt öfter als bisher „ins Schaufenster“ zu stellen. Dazu gehörten auch die Internationalität und Vielfalt Berlins. Die Stadt brauche und wolle ausländische Fachkräfte und Zuwanderung. Dazu benötige Berlin aber auch gute internationale Flugverbindungen. Es könne nicht sein, dass der BER nur Zubringer für Frankfurt/Main und München ist, erklärte Wegner. Er erwarte eine stärkere Unterstützung der Bundesregierung für eine bessere internationale Anbindung, zumal der BER für ganz Ostdeutschland von Bedeutung sei. Der Regierende Bürgermeister hob auch die Bedeutung der anstehenden Europawahl am 9. Juni hervor. In den schwierigen Zeiten des Ukraine-Kriegs und der Angriffe auf die Demokratie in Deutschland und die Einheit Europas sollte Berlin ein Zeichen für Demokratie und gegen Ausgrenzung setzen, betonte er. Berlin profitiere in vielfältiger Weise von Europa, auch die Wirtschaft. Wegner rief dazu auf, sich an der Wahl zu beteiligen, mit der Bitte: „Wählen Sie eine demokratische Partei.“ ■ E s war ein Heimspiel für Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner. Sein erster Auftritt als Regierungschef bei einem Wirtschaftspolitischen Frühstück der IHK Berlin lockte 400 Gäste ins Ludwig Erhard Haus. Und die empfingen den Politiker mit freundlichem Beifall. Dieser wiederum revanchierte sich zwei Stunden lang mit Statements, die von den Unternehmerinnen und Unternehmern etliche Male mit Applaus bedacht wurden. Kurzum, der von Wegner seit seinem Amtsantritt vor zehn Monaten betonte Schulterschluss mit der Wirtschaft fand auch hier statt. Nicht ohne „Hintergedanken“ des Regierungschefs: „Ich wünsche Ihnen volle Auftragsbücher, investieren Sie, machen Sie Gewinne, dann freut sich der Finanzsenator über hohe Steuereinnahmen.“ Nur so seien Investitionen in die Zukunft der Stadt möglich. Trotz der freundlichen Worte, die Erwartungshaltung der Unternehmen ist hoch und die Geduld endlich. Das machte IHK-Präsident Sebastian Stietzel deutlich. Insbesondere die Themen Verwaltungsreform und Entbürokratisierung brennen der Wirtschaft unter den Nägeln, wie er betonte. Warum sollten Reformen jetzt klappen, wenn diese in der Vergangenheit nicht möglich waren? Wegner ließ sich durch diese Spitze nicht aus der Ruhe bringen. Er kündigte in Sachen Verwaltungsreform für Mai erste Ergebnisse an. Ausdrücklich bekräftigte er den Willen, gemeinsam mit der Opposition im Abgeordnetenhaus, aber auch den Bezirken, der Wirtschaft und Stadtgesellschaft an diesem Thema zu arbeiten. „Wir müssen die Chance jetzt ergreifen“, forderte er. Es brauche klare Zuständigkeiten, größere Anstrengungen bei der Digitalisierung der Verwaltung und ein flexibleres Laufbahnrecht. „Ich möchte eine tiefgreifende Veränderung, konsequent, un- ideologisch und pragmatisch.“ Sein Ziel sei es, die Reform bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2026 über die Bühne zu bringen. Schneller und mehr bauen Optimistisch äußerte sich der Regierungschef hinsichtlich der politischen „Super-Baustelle“ Wohnungsbau. „Wir wollen, dass viele Fachkräfte nach Berlin kommen“, sagte der Politiker und fügte hinzu: „Aber in der Stadt gibt es einen völlig kaputten Wohnungsmarkt, und wer will schon unter einer Brücke schlafen?“ Hintergrund: 2023 sind in Berlin nur rund 16.000 neue Wohnungen fertiggestellt worden, wie in den Jahren zuvor wurde die Zielmarke von 20.000 Neubauwohnungen klar verfehlt. Wegner kündigte an, an IHK-Präsident Sebastian Stietzel (l.) und IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder (r.) begrüßen den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner zum gut besuchten Wirtschaftspolitischen Frühstück Kai Wegner Regierender Bürger- meister Die Stadt besitzt ein Riesenpotenzial für Innovationen. Wir müssen in Deutschland vor keiner Konkurrenz Angst haben. Eike Paulun, IHK-Geschäftsfeld Wirtschaft & Politik, Politikkontaktemanager Tel.: 030 / 315 10-873 eike.paulun@berlin.ihk.de FOTOS: JENS AHNER Wirtschaftspolitisches Frühstück | 11 Berliner Wirtschaft 04 | 2024

Die IHK Berlin und die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) wollen enger zusammenarbeiten, IHK-Präsident Sebastian Stietzel und HWR-Präsident Prof. Dr. Andreas Zaby haben dazu einen Kooperationsvertrag unterzeichnet. Anliegen ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse stärker in praxisnahe Lösungen fließen zu lassen. Dazu zählen unter anderem Konzepte für die digitale Transformation, die Energiewende sowie das Verkehrs- und Gesundheitswesen. In den vergangenen Monaten hatte die IHK ähnliche Kooperationen bereits mit der Hochschule für Technik und Wissenschaft (HTW) und mit der Freien Universität (FU) vereinbart. Die Unternehmen wie die Hochschulen sind durch Ausbildungsqualität, Forschungsdichte, wissenschaftliche Vielfalt und Innovationsfähigkeit Hauptverantwortliche für die Weiterentwicklung des Standorts. Mit ihren unterschiedlichen Profilen holen Hochschulen Studierende, Lehrende und Forschende nach Berlin. Sie wirken daran mit, dass diese als Fachkräfte beziehungsweise wissenschaftliche Kräfte am Standort bleiben oder auch gründen. Die Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen sind zudem wichtige Arbeitgeber und schaffen zusätzliche Arbeitsplätze. Starker Praxisbezug charakteristisch Die HWR ist mit rund 12.000 Studierenden eine der großen Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Ihr Portfolio umfasst eine große Bandbreite: Unter einem Dach bietet sie Wirtschaftswissenschaften, privates und öffentliches Wirtschaftsrecht, Verwaltungs-, Rechts- und Sicherheitsmanagement sowie Informatik und ingenieurwissenschaftliche Studiengänge an. Zu den Qualitätsmerkmalen gehören ein starker Praxisbezug, vielfältige Forschung, hohe Qualitätsstandards und eine starke internationale Ausrichtung. Aus Sicht der Wirtschaft besonders interessant ist, dass Maßnahmen zur kontinuierlichen Hebung technologienaher Wertschöpfungspotenziale entwickelt werden, die auch beschleunigte Übergänge von Forschungsergebnissen in die wirtschaftliche Verwertung ermöglichen. Ein besonderer Fokus der Zusammenarbeit liegt auch auf einer Erhöhung der Kooperationen der Hochschule mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), um auch mittelständische Unternehmen für Absolventinnen und Absolventen als attraktive Arbeitgeber in den Fokus zu rücken. ■ Handschlag für den Standort: Prof. Dr. Andreas Zaby, HWR-Präsident (l.), und IHK-Präsident Sebastian Stietzel IHK Berlin und die Hochschule für Wirtschaft und Recht arbeiten enger zusammen, um Erkenntnisse der Wissenschaft besser für die Praxis zu nutzen von Holger Lunau Schulterschluss mit der HWR Stefanie Dümmig, IHK-Public-Affairs-Managerin Wissenschaftsstandort Tel.: 030 / 315 10-328 stefanie.duemmig@berlin.ihk.de Studierende zählt die HWR und ist damit eine der großen Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Zu ihrem Portfolio gehören unter anderem Informatik und Ingenieurwissenschaften. 12.000 FOTO: JENS AHNER AGENDA | Kooperation | 12

Vielfalt ist Teil unserer DNA Jede Form der Menschenrechtsverletzung verstößt gegen die Werte, auf denen unsere Wirtschaft beruht. Deswegen ist es die Pflicht von uns allen, jüdisches Leben zu schützen Nach dem schrecklichen Massaker der Hamas im letzten Oktober wurde mir vermehrt darüber berichtet, dass sich in Berlin Geschäftsinhaberinnen und Geschäftsinhaber, aber auch Angestellte und Kolleginnen und Kollegen sowie ihre Familien nicht mehr sicher fühlen – einzig aufgrund ihrer jüdischen Identität. Die antisemitischen Kundgebungen und Vorfälle in der Stadt haben mich zutiefst bestürzt. Berlin und seine Wirtschaft sind weltoffen, Heimat für Menschen, Institutionen und Unternehmen aller Nationen und jeden Glaubens. Vielfalt ist Teil unserer DNA. Wenn jemand Menschen jüdischen Glaubens angreift, dann ist das ein Angriff auf uns alle. Es ist ein Angriff auf unser Rechts- und unser Wertesystem. Deutschlands wichtigstes Rechtsdokument ist das Grundgesetz. Basierend auf den Lehren der Nazizeit, wurden hier Grundprinzipien aufgenommen, die unveränderlich sind. Einer dieser Eckpfeiler ist der erste Artikel unserer Verfassung, in dem es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Wenn jemand dieses Grundprinzip unseres Staates bedroht oder verletzt, liegt es in unser aller Verantwortung, eine entschlossene Haltung einzunehmen. Wenn jemand unsere jüdische Gemeinschaft bedroht, ist es die Pflicht aller, sie zu verteidigen und zu schützen. Die Verpflichtung zum Schutz gilt für die IHK Berlin als Körperschaft des öffentlichen Rechts in besonderem Maße. Aus diesem Grund hat sie sich in einer gemeinsamen Erklärung der Berliner Wirtschaft von Anfang an klar positioniert und Antisemitismus in jeglicher Form auf das Schärfste verurteilt. Aber was können wir als Unternehmerinnen und Unternehmer tun? Der Nahostkonflikt ist ein Beispiel dafür, wie politische Diskussionen auch in die Wirtschaft Einzug halten. In unseren Unternehmen ist es wichtig, den offenen Dialog unter den Mitarbeitenden zu fördern. Es ist wichtig, dass wir uns nicht scheuen, Mitgefühl zu zeigen und uns gegen jede Form der Menschenrechtsverletzung zu positionieren. Auf diese Weise verteidigen wir die Werte, auf denen unsere Wirtschaft beruht. Es liegt an uns allen, zusammenzustehen und für ein gerechtes und menschliches Miteinander einzutreten. Persönlich habe ich angefangen, als Zeichen der Solidarität mit meinen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern eine Davidsternkette zu tragen – obwohl ich keine Jüdin bin. Damit JEDER in Berlin sicher leben und wirtschaften kann. ■ Meinung In der Kolumne „Auf den Punkt“ positionieren sich im monatlichen Wechsel Mitglieder des Präsidiums zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht. präsidiumsmitglieder beziehen stellung Sonja Jost ist Geschäftsführerin der DexLeChem GmbH und Vizepräsidentin der IHK Berlin FOTO: AMIN AKHTAR Auf den Punkt | 13 Berliner Wirtschaft 04 | 2024

In Tegel entsteht mit der Urban Tech Republic ein Zentrum für Innovation, die ersten Unternehmen haben sich auf dem Gelände bereits angesiedelt von Dr. Mateusz Hartwich Neuer Ort der Tech-Community 4 3 2 1 Marc Bernath .GUT am Flughafen 1 Wir planen hier bereits einen zirkulären Produktionspark auf zehn Hektar Fläche. AGENDA | Stadtentwicklung | 14

B erlin platzt aus allen Nähten. Für den Wohnungsneubau, um die Mietsteigerungen aufgrund des anhaltenden Zuzugs und des mangelnden Angebots abzufedern, aber auch fürs Gewerbe werden dringend Flächen benötigt. Das wurde in der Diskussion mit dem Regierenden Bürgermeister in der IHK Berlin Ende Februar (s. S. 10/11) noch einmal deutlich. Kai Wegner wirbt daher seit einiger Zeit für eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes, aber Platz für Unternehmen entsteht woanders. Eines der wichtigsten Projekte ist dabei die Nachnutzung des anderen West-Berliner Flughafens, dem in Tegel, für die sich auch die IHK Berlin vehement einsetzt. TXL wird nicht nur ein Landschaftspark Für einige Beobachter mag es daher überraschend gewesen sein, dass zuletzt von einem Landschaftspark die Rede war, als Medien über das TXL-Gelände berichteten. In der Tat, die landeseigene „Grün Berlin GmbH“ entwickelt bis 2029 auf 186 Hektar die sogenannte Tegeler Stadtheide, mit der ehemaligen Landebahn im Zentrum. Zum Glück ist der Park nicht die einzige Nachnutzung des Flughafenareals, deswegen kurz zur Erinnerung: Auf den insgesamt 500 Hektar entstehen ein Forschungs- und Industriepark (Berlin TXL – The Urban Tech Republic) und ein neues Wohnviertel, das Schumacher Quartier. Das legendäre Hauptterminal wird als neuer Standort für die Berliner Hochschule für Technik entwickelt, insgesamt sollen rund 5.000 Studierende den Campus besiedeln. Voraussichtlich 2028 wird der Hochschulbetrieb starten können. Die Jahreszahlen sollen nicht den Eindruck entstehen lassen, dass auf dem Areal außer Planen und Bauen bis Ende dieses Jahrzehnts nichts passiert. Schon jetzt haben sich auf Teilflächen erste Unternehmen niedergelassen – 27 sind es aktuell. Im Gebäudekomplex der Luftfrachthallen ist auf rund 10.000 Quadratmetern das „.GUT Am Flughafen 1“ entstanden, ein „Kollaborationszentrum zur Entwicklung der Stadt der Zukunft mit Laboren, Produktion, Testständen, Eventflächen und Büros“. Was das konkret bedeutet, erklärt Mitgründer und Geschäftsführer Marc Bernath so: „Wir haben hier eine Gemeinschaft mit aktuell 17 Start-ups aufgebaut, die in den Bereichen erneuerbare Energien, zirkuläre Wirtschaft, nachhaltiges Bauen und E-Mobilität arbeitet. In kurzer Zeit ist die Anzahl auf 220 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort gewachsen, und es geht rasant voran.“ Wie Bernath ausführt, kommen immer weitere Start-ups hinzu. Und: „Wir planen jetzt bereits einen zirkulären Produktionspark auf zehn Hektar Fläche auch hier in der Urban Tech Republic.“ Neue Tramverbindung für das Quartier Bis auf dem früheren Flughafengelände bis zu 1.000 Unternehmen an urbanen Zukunftstechnologien arbeiten können, müssen noch einige Hürden genommen werden. Eine nicht ganz unwesentliche ist die Verkehrsanbindung – war der alte Flughafen noch ausschließlich per Straße erreichbar, entsteht für die Urban Tech Republic und die neuen Wohnquartiere eine gänzlich neue Tramverbindung. Baubeginn ist für 2028 geplant, Inbetriebnahme der Strecke vom S-Bahnhof Jungfernheide über TXL mit Ziel Kurt-Schumacher-Platz soll bis 2030 erfolgen. „Natürlich wäre es uns lieb, wenn vieles schneller ginge, aber wir sind auf einem guten Weg, und das Konzept der Urban Tech Republic scheint voll aufzugehen“, sagt Frank Wolters, Co-Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH, der landeseigenen Entwicklungsgesellschaft. „Die Unternehmen bei .GUT, aber auch die Startups, die die Werkstätten und die Experimentierfelder auf dem früheren Rollfeld nutzen, zeigen uns, dass hier gerade der neue Ort der Tech-Community in Berlin entsteht. Noch nicht komfortabel und chic, aber mit riesigen Möglichkeiten in jeglicher Hinsicht.“ ■ Stefan Borchardt, IHK-Public-Affairs-Manager Stadtentwicklung Tel.: 030 / 315 10-411 stefan.borchardt@berlin. ihk.de (1) Hier wird bereits produziert: „.GUT am Flughafen 1“ (2) Auf der Startbahn wird jetzt autonomes Fahren getestet (3) Marc Bernath, Geschäftsführer von „.GUT am Flughafen 1“ (4) Der Gebäudekomplex von .GUT umfasst 10.000 Quadratmeter Zukunftsorte Weitere Informationen zu Berlin TXL Urban – Tech Rebublic auf der Website unter: FOTOS: TEGEL PROJEKT GMBH (3), .GUT Berliner Wirtschaft 04 | 2024

Analyse zur Verkehrssituation rund um den BER belegt: Mangelnde Infrastruktur kann die Flughafen-Region ausbremsen von Holger Lunau Jetzt ist Handeln gefordert E s gibt dringenden Handlungsbedarf bei der Verkehrsinfrastruktur in der Flughafen-Region. Das zeigt eine Verkehrs- und Engpass-Analyse, die von der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Dialogforum Airport Berlin Brandenburg und den Berlin-Brandenburger Industrie- und Handelskammern in Auftrag gegeben wurde. Kritikpunkt: Die Autobahnen und Knotenpunkte entlang der Bundesstraßen werden stärker genutzt als geplant. Gründe sind neben wieder steigenden Fluggastzahlen eine dynamische Umfeldentwicklung infolge wachsender Einwohnerzahlen und neuer Gewerbeansiedlungen wie Tesla sowie ein starker Anstieg von Pendler- und Güterverkehr. Nach aktuellen Zählungen müssen die Straßen 20 bis 70 Prozent mehr Verkehr aufnehmen als prognostiziert. Eine Überlastung ist etwa auf der A 10 östlich des Schönefelder Kreuzes oder bei den Verkehrsknoten Schönefeld Nord, Rangsdorf Kie- nitzer Straße, auf der B 96a und bei Teltow erkennbar. Steigerungsraten bis 2040 auf der A 10 (Ost) um 42 Prozent oder auf der A 113 (Nord) um 61 Prozent verdeutlichen, dass sich die Verkehrslage dramatisch verschärfen wird. „Die Landesstraßen können die hohen Verkehrsmengen auf den Autobahnen nur bedingt aufnehmen“, so Bertram Teschner, Geschäftsführer des Verkehrsplanungsbüros SPV Spreeplan Verkehr Berlin GmbH. „Es wäre geradezu widersinnig, nach der milliardenschweren Investition in einen Flughafen für die Metropolregion nicht den logischen nächsten Schritt zu gehen, um das Potenzial für die Region voll auszuschöpfen“, erklärte Robert Rückel, Vizepräsident der IHK Berlin. Zu den vordringlichen Projekten gehörten die Verlängerung der U-Bahn-Linie 7 von Rudow zum BER und der Ausbau der Ostbahn, damit der Transitverkehr vom Lkw auf die Schiene verlagert werden kann. Weiterhin werden in der Studie der schnellstmögliche Ausbau der A 10 auf dem gesamten südlichen Berliner Ring vom Dreieck Potsdam bis zum Dreieck Spreeau sowie der A 12 östlich des Dreiecks Spreeau bis nach Frankfurt (Oder) gefordert. Sofort umzusetzen sei der Aufbau elektronischer Schilderbrücken über der A 10 und der A 12 zur Verkehrsbeeinflussung und als Voraussetzung für eine temporäre Freigabe der Seitenstreifen bei Staus. Oberstes Augenmerk sollte jedoch auf den Ausbau der Eisenbahntrassen gelegt werden, insbesondere Richtung Berlin. ■ Dr. Lutz Kaden, IHK-Experte für Verkehr und Mobilität Tel.: 030 / 315 10-415 lutz.kaden@berlin. ihk.de Die Daten im Detail Die Verkehrs- und Engpass-Analyse in der Flughafen-Region unter folgendem QR-Code: Robert Rückel Vizepräsident IHK Berlin Zu den vordringlichen Projekten gehören die Verlängerung der U-BahnLinie 7 von Rudow zum BER und der Ausbau der Ostbahn. Auch die A 113 ist infolge der dynamischen Umfeld- entwicklung in der Region überlastet FOTOS: PA/CARO/SRGE, IHK BERLIN/AMIN AKHTAR AGENDA | Verkehrsinfrastruktur | 16

über sich ergehen. Stoisch. Auch nach der Entscheidung zugunsten eines Neubaus neben der AGB am Blücherplatz passiert wenig, was sich Fortschritt nennen ließe. Die Bürgerbeteiligung am Blücherplatz war von hohem Engagement geprägt, Ideen sprudelten. Allein dies zeigt den Bedarf. Notwendige finanzielle Mittel jedoch werden nicht freigegeben. Berlin entzündet sich. Im Sommer 2023 wird der lahmende Fortschritt bei der „ZLB am Blücherplatz“ von einer einmaligen Chance überholt: Der Eigentümer der „Galeries Lafayette“ bietet das Quartier 207 in der Friedrichstraße dem Land Berlin als Standort für die Zentral- und Landesbibliothek an. Wow! Die Idee, einmal an die Öffentlichkeit gebracht, erhielt viel Zuspruch: von jenen, die wollen, dass es endlich vorwärts geht. Von jenen, die sich einen neuen Glanzpunkt, ein kulturelles Zentrum, für die Friedrichstraße erhoffen. Vor allem aber von denen, für die das Haus bestimmt wäre: Berlinerinnen und Berlinern. Sie sehen die Chance, die Möglichkeiten, können der Vision einer modernen Bibliothek im 21. Jahrhundert, einem „Wohnzimmer mitten in der Stadt“, folgen. Nicht nur „Buchausleihstation“, sondern Treffpunkt, Lernort, Ort des Ausprobierens von Musik oder des Umgangs mit KI. Berlin kann nicht länger warten. Bedenkenträger braucht es hier nicht! Es braucht die ZLB in der Friedrichstraße. Auch, um der drohenden Verödung des Standortes entgegenzuwirken. Binnen zwei Jahren wäre der Umzug zu schaffen, und für Berlin wäre es kostengünstiger und nachhaltiger als Sanierung oder Neubau. Umgeben von Einrichtungen von Kultur und Wissenschaft, würde sich die ZLB ideal einfügen – wäre von überall und für alle erreichbar. Es entstünde ein kulturelles Herz für alle, vom Stadtrand bis in die Mitte der Stadt. Reiz und Anreiz. Berlin darf nicht länger warten: Die Chance, endlich zu einer modernen Zentral- und Landesbibliothek zu kommen, war nie so groß. Das Zeitfenster für eine Entscheidung ist klein. Greifen wir zu! Für Berlin und alle Menschen in der Stadt. Jetzt! ■ Die „Galeries Lafayette“ bieten die Chance, endlich zu einer modernen Zentral- und Landesbibliothek zu kommen – Greifen wir zu! von Joe Chialo Kulturelles Herz für alle B erlin wartet. Auf Ideen, Chancen, Gelegenheiten… aus der Ruhe zu bringen sind Berlinerinnen und Berliner nur schwer. Aber, wenn sich Chancen bieten, können sie trotzdem schnell Feuer und Flamme sein. Berlin wartet – seit 110 Jahren auf eine Zentral- und Landesbibliothek, die den Ansprüchen an ein modernes Haus in den jeweiligen Epochen gerecht wird. 1914 erstmals angedacht, vereiteln in der Folgezeit zwei Weltkriege und die Teilung Berlins eine Umsetzung. Nach der Wiedervereinigung auf den Standort der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) im Westen und die Stadtbibliothek im Osten der Stadt verteilt, platzen beide Standorte seit Jahrzehnten aus den Nähten. Berlin wartet ab – lässt nach der Idee der Zusammenführung beider Orte Standortuntersuchen und die Wirtschaftlichkeitsprüfung Die „Galeries Lafayette“ gehen raus, stattdessen könnte die Berliner Zentral- und Landesbibliothek einziehen Der Autor Joe Chialo (CDU) ist seit April 2023 Berliner Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Musikmanager kam 2002 mit Universal nach Berlin und gründete 2009 das Label Airforce1 und 2018 Afroforce1 FOTOS: IMAGO IMAGES/ANDREA ASTESIANO, AMIN AKHTAR Gastbeitrag | 17 Berliner Wirtschaft 04 | 2024

GELD WERT Berlin ist Hotspot der Fintech-Szene. Nirgendwo in Deutschland werden mehr Innovationen rund ums digitale, datengetriebene Banking entwickelt von Eli Hamacher fokus

INHALT 22 Banking zwischen Spätis Raisin geht von Kreuzberg aus auf Spar-Kurs 24 E-Motor für Anleger Finanzprodukt mit Mehrwert: Finlium 25 Ökobilanz auf dem Konto Ecolytiq verfolgt die CO2-Spur des Geldes 26 „Fintechs sind fokussierter auf ihre Kunden“ Lukas Zörner, Managing Director von Qonto, im Interview Fintechs in Berlin setzen längst nicht alles auf eine Karte: Produkte und Services sind extrem vielfältig ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/MOMENT RF/EUGENE MYMRIN Fintechs | 19 Berliner Wirtschaft 04 | 2024

Die besten Jahre für Berlins Finanz- und Technologiestandort kommen erst noch, da ist sich Achim Oelgarth ganz sicher. „Berlins Fintech-Szene hat trotz eines vorübergehenden Funding-Tiefs nichts von ihrer Strahlkraft verloren. Im Gegenteil: „Nach einer Dekade, die in Berlin Fintechs und InsureTechs im Wert von bis zu 25 Milliarden Euro geschaffen hat, erleben wir die nächste Welle von Gründungen“, sagt der geschäftsführende Vorstand des Ostdeutschen Bankenverbandes. Pessimismus würde auch so gar nicht zu einem Projekt passen, das Oelgarth mit einem Projektteam mit viel Engagement vorantreibt. In Kürze wird in Berlin das House of Finance and Technology Berlin, kurz HoFT.Berlin, starten. „Wir wollen für die Branche und die Wirtschaft einen physischen Heimathafen schaffen, an dem sie netzwerken, neue Technologien für die Transformation erproben können und an dem Wissen zum Gründen, Skalieren und Etablieren vermittelt wird.“ Man plane zudem einen One-Stop-Shop für Verwaltungsprozesse. Gründungen in 24 Stunden zu ermöglichen, müsse ein Teil der Verwaltungsreform im Land werden. Projektträger sind die von Oelgarth mitgegründete Berlin Finance Initiative, der Wirtschaftsförderer Berlin Partner, die Investitionsbank Berlin und die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, die mit einem neuen HoFT. Berlin-Förderverein im Rahmen einer Public-Private-Partnership das HoFT. Berlin gründen wird. Das Land Berlin fördert das Projekt mit mehreren Mio. Euro als Anschub. Die Privatwirtschaft leistet ebenfalls einen erheblichen Beitrag, damit das HoFT.Berlin sich künftig selbst trägt. Vor 15 Jahren hatten sich erste Gründer wie Miriam Wohlfarth mit Ratepay aufgemacht, digitale und innovative Lösungen in der Finanzbranche anzubieten. Etwas später etablierte sich die Abkürzung Fintech für „Financial Technology“. Mit kernigen Slogans wie „Die erste Bank, die du lieben wirst“ (N26) wollen die Newcomer traditionelle Finanzdienstleistungen revolutionieren, automatisieren und effizienter gestalten. Bei der 2013 gestarteten N26 mit heute mehr als 1.500 Beschäftigten etwa verzichtet man gleich ganz auf Filialen und setzt ausschließlich aufs Smartphone. Breit aufgestellte Unicorns Die mit mehr als einer Mrd. Euro bewerteten sogenannten Unicorns (Einhörner) zeigen, wie breit gefächert die Geschäftsmodelle sind. Neben N26 haben den Kultstatus unter anderem Wefox (Versicherungen), Trade Republic (Handelsplattform für Aktien, ETFs & Co.), Raisin (digitale Geldanlage) und die Solarisbank erreicht, die ausgestattet mit einer Vollbanklizenz Finanzdienstleistern den Start digitaler Produkte ermöglicht. „Berlin hat sich in Berlin sei Hotspot der Fintech-Szene, sagt IHK-Präsident Sebastian Stietzel. Es komme nun darauf an, innovativen Unternehmen der Finanzwirtschaft optimale Rahmenbedingungen und Infrastruktur zu bieten FOTOS: IHK BERLIN/AMIN AKHTAR, FOTOSTUDIO-CHARLOTTENBURG FOKUS | Fintechs | 20

den vergangenen Jahren zum absoluten Hotspot der Fintechs in Deutschland und darüber hinaus entwickelt“, sagt Sebastian Stietzel, Präsident der IHK Berlin. Von den deutschlandweit 1.000 Fintechs sitzen rund 40 Prozent in Berlin, die in der Hauptstadt mehr als 13.000 Mitarbeitende beschäftigen. Tendenz steigend. Nicht nur die Fintechs lassen den Finanzstandort, an dem immerhin 1870 die Deutsche Bank in der Französischen Straße ihre Geschäftstätigkeit aufnahm und die Allianz 1890 gegründet wurde, in neuem Glanz erstrahlen. Die innovationstarke Szene zieht neben deutschen Banken auch ausländische Institute an, wie die amerikanische J.P. Morgan, die in der Hauptstadt die Digitalbank Chase starten will. Doch nach der langen Wachstumsphase kam die Ernüchterung. Zuletzt hatten die gestiegene Skepsis gegenüber hoch bewerteten Tech-Aktien, Hyperinflation, steigende Zinsen nach rund zehnjähriger Nullzinsära und der Ukraine-Krieg dafür gesorgt, dass nicht nur Tech-Papiere an den Börsen abgestraft wurden. Auch die Bewertungen von Fintechs zog es zum Teil deutlich nach unten. Einst spendable Venture-Capital-Investoren schauten plötzlich sehr viel genauer auf die potenzielle Ertragskraft der Geschäftsmodelle. Einige Finanz-Start-ups wie Elinvar (Investment) oder Nuri (Krypto) entpuppten sich in der Folge als substanzschwach und mussten Insolvenz anmelden. N26 und Solaris leiden derweil unter dem schnellen Kundenwachstum der Boom-Jahre. Regelmäßig sind die Finanzaufseher der BaFin zu Gast, um das Abwickeln ordnungsgemäßer Geschäfte sicherzustellen. Zu einer der großen Herausforderungen zählt Achim Oelgarth deshalb auch, dass die jungen Finanztechnologie- unternehmen in dem stark regulierten Umfeld entsprechend den BaFin-Vorgaben agieren. Auch da könne das House of Finance and Technology Berlin unterstützen. Aus Sicht von „Finanz-Szene“, einem der führenden Newsletter für die deutsche Banken- und Fintech-Branche, „ist die Fintech-Branche als Ganzes durch die nicht enden wollende Funding-Krise sicherlich um 12 bis 24 Monate zurückgeworfen worden“. Verkehrt sei aber, deswegen zu glauben, das sei es jetzt gewesen mit Fintech. Stattdessen hätten gerade die vergangenen Wochen gezeigt, dass sogar das Gegenteil der Fall sein könnte. Da seien zum einen die weiterhin stark steigenden Kundenzahlen. Zum anderen schöben sich Player, die man bislang in der Peripherie verortete, plötzlich mitten auf die Bildfläche, etwa die KMU-Bank Finom. Und trotz des schwierigeren Umfeldes gelang es diversen Fintechs, erfolgreich stattliche Finanzierungsrunden abzuschließen, darunter Scalable Capital, Banxware, Upvest und Solaris. Der Zinsmarktplatz Raisin etwa sammelte im vergangenen Jahr noch einmal 60 Mio. Euro ein, sodass insgesamt seit der Gründung 400 Mio. Euro in das Unternehmen flossen. Und Trade Republic bekam jüngst die begehrte Banklizenz und damit einen deutlich größeren Handlungsspielraum. Anbieter im Blockchain-Bereich legen zu Für Florian Heinemann, Mitgründer und Partner des 2012 gestarteten Berliner Frühphaseninvestors Project A Ventures, spüren die meisten Fintechs zwar nicht gerade massiven Rückenwind, aber „es gibt immer noch viel Disruptionspotenzial, weil der Markt in vielen Bereichen immer noch verkrustet ist“. Gute Chancen hätten deshalb Unternehmen wie Mambu oder Lemon Markets, die die technologische Infrastruktur für Banken und Finanzdienstleister bereitstellen. Und nach dem vorübergehenden Einbruch läuft es mit der Erholung der Kurse der Kryptowährungen jetzt auch für Anbieter im Bereich Blockchain beziehungsweise Krypto wieder deutlich besser. Die Fintech-Branche zeigt sich also resilient und sendet wieder Lebenszeichen. Dafür kann sie auch eine neue Messe nutzen. Am 24. und 25. April 2024 wird in der Kongressarena CityCube zum ersten Mal das Fintech-Festival FIBE (steht für Fintech Berlin) stattfinden. Die Messe Berlin hatte angekündigt, die FIBE zum Signature-Event für das Fintech-Ökosystem in Europa machen zu wollen. Für IHK-Präsident Stietzel kommt es aber jetzt auch darauf an, „diesen innovativen Unternehmen der Finanzwirtschaft Rahmenbedingungen und Infrastruktur zu bieten, unter denen sie am Standort optimal operieren und wachsen können“. Miriam Wohlfarth, Fintech-Seriengründerin und Geschäftsführerin von Banxware, ergänzt: „Ich appelliere inständig an Wagniskapitalgeber und Family Offices, weiter Geld in Innovation zu stecken. Der Fachkräftemangel und fehlende Finanzierungsgelder werden weder vor Berlin noch vor anderen unterschätzten Tech-Innovationshubs wie Heilbronn, Frankfurt oder München haltmachen.“ Fintechs bräuchten neben staatlicher Förderung schnell verfügbares Wagniskapital, das sie handlungsfähig mache, um zukunftsfähig zu sein. „Innovation wird genau jetzt, in der Krise, gebraucht.“ ■ Tobias Rühmann, IHK-Key-Account- Manager Finanz- und Versicherungswirtschaft Tel.: 030 / 315 10-621 tobias.ruehmann@ berlin.ihk.de 25 Mrd. Euro Gesamtwert erreichten die Berliner Fintechs und InsureTechs in der zurückliegenden Dekade. 13.000 Beschäftigte haben die in der Hauptstadt ansässigen Fintechs insgesamt. Tendenz steigend. 40 % der Fintechs, von denen es in ganz Deutschland etwa 1.000 gibt, haben ihren Sitz in Berlin. Miriam Wohlfahrt Geschäftsführerin Banxware Ich appelliere an Wagnis- kapitalgeber und Family Offices, weiter Geld in Innovationen zu stecken. Berliner Wirtschaft 04 | 2024

Multikulti, Sprachengewirr und wuseliges Treiben: Im Kreuzberger Wrangelkiez zeigt sich die Hauptstadt von ihrer typischen Seite. Dönerstände, Pommesbuden und Spätis säumen die Schlesische Straße. Eigentlich, könnte man denken, passt der Standort gut zu Berlins Fintech-Szene, die vor rund zehn Jahren angetreten war, um den traditionellen Banken mit innovativen Finanzservices Paroli zu bieten. Doch die großen roten Klinkerbauten an der Ecke Cuvrystraße, in denen Raisin, Solaris, Upvest und Moonfare Quartier bezogen haben, wirken hier eher wie ein Fremdkörper. Im Inneren aber herrscht typische Start-up-Atmosphäre mit Großraumbüros, in denen sich jeder jeden Tag aufs Neue seinen Schreibtisch suchen muss, und offenen Kaffeeküchen für den kurzen Plausch. Von der Katerstimmung, die im Zuge der nicht enden wollenden Krisen viele etablierte und junge deutsche Unternehmen erfasst hat, ist beim Zinsmarktplatz Raisin nichts zu spüren. „2023 war für uns ein Rekordjahr, das auf der Plattform mit mehr als 55 Milliarden Euro endete nach 30 Milliarden Euro Ende 2022“, sagt Katharina Lüth, Chief Client Officer & Managing Director bei Raisin. Die Hälfte des Wachstums steuere heute das Ausland mit EU, UK und USA bei. Damit erweist sich das Geschäftsmodell als äußerst resistent gegen das Auf und Ab des Zinses. Als „Robin Hood der Sparer“ war Raisins Gründer, der aus Georgien stammende Tamaz Georgadze, 2012 mit Frank Freund und Michael Stephan angetreten, um Privatkunden über seine Plattform Weltsparen vor allem im Ausland Anlagen in Tages- und Festgeld anzubieten, die deutlich mehr Ertrag abwarfen als die deutschen Alternativen. 400 Partner konnten bis heute gewonnen werden. Das Geschäft lief so gut, dass selbst Marktführer wie die Deutsche Bank sich einen Festgeldmarktplatz (ZinsMarkt) bauen ließen und bewiesen, dass alte und neue Finanzwelt sehr wohl voneinander profitieren können. Später kamen unter anderem Investments in ETFs, Rürup-Produkte, Kryptowährungen sowie Sparpläne und jüngst die digitale Vermögensverwaltung hinzu. Um sich unabhängig von externen Dienstleistern zu machen, übernahmen die Berliner eine Bank in Frankfurt, die fortan unter Raisin Bank AG firmierte und die Infrastruktur für das Kerngeschäft abdeckt. Nach dem Ende der rund zehnjährigen deutschen Nullzinsphase konnten die Berliner richtig Gas geben. „Die plötzliche und drastische Zinswende war für uns extrem positiv, weil in der breiten Bevölkerung das Interesse an Sparprodukten zurückgekehrt ist. Hinzu kam die hohe Inflation. Deshalb ist sehr viel Geld von Girokonten in Festgeld geflossen“, erklärt Lüth. Mit einer Bewertung von mehr als einer Mrd. Euro hat das Fintech mittlerweile den begehrten Unicorn-Status erreicht, ist seit 18 Monaten operativ profitabel und hat die Marke von 1,5 Millionen Kunden überschritten. Die richtigen Talente finden Vom Erfolg des Zinsbrokers profitiert auch der Berliner Arbeitsmarkt. Von den mittlerweile rund 650 Beschäftigten aus 65 Ländern leben mehr als 300 in der Hauptstadt. Weitere Standorte betreibt Raisin in München, Hamburg, Frankfurt, New York, Manchester und Madrid. „Die richtigen Talente zu finden, ist unser größtes Asset als Firma“, unterstreicht Lüth, die sich auch im DIHK-Geld- und Kreditausschuss ehrenamtlich engagiert. Aktuell sei es zwar etwas einfacher geworden, weil die wirtschaftliche Lage in der Branche schwieriger geworden sei. An der Politik, Mitarbeitende dank attraktiver Leistungen zu finden und zu binden, ändert das aber nichts. „Wir bieten große zeitliche Flexibilität und haben unter anderem ein sehr attraktives Trainings- budget.“ Anders als bei etablierten Banken, die den Homeoffice-Anteil senken möchten, gilt bei Raisin „Remote First“. Lüth: „Wenn der richtige Mitarbeiter in Berlin sitzt, großartig. Wenn die Person aber anderswo wohnen und arbeiten möchte, ist das für uns auch okay.“ ■ Raisin hat seinen Sitz im Wrangelkiez. Angetreten, um etablierten Banken Paroli zu bieten, gelten die Kreuzberger inzwischen als Unicorn Banking zwischen Spätis Gut vernetzt Der QR-Code führt zur Managerin auf LinkedIn: Katharina Lüth Die plötzliche und drastische Zinswende war für uns extrem positiv, weil das Interesse an Sparprodukten wiedergekehrt ist. Katharina Lüth ist Chief Client Officer & Managing Director beim Zinsmarktplatz Raisin 55 Mrd. Euro Vermögen verwaltete Raisin Ende 2023 auf seiner Plattform, ein Plus von 25 Mrd. Euro im Vergleich zu 2022. FOTO: CHRISTIAN KIELMANN FOKUS | Fintechs | 22 Berliner Wirtschaft 04 | 2024

Mit einem gewagten Schnitt beginnt Florian Manns Selbstständigkeit. Seine finanzielle Unabhängigkeit gibt der Wirtschaftsingenieur und Vater von drei kleinen Kindern auf, um anderen finanzielle Freiheit zu ermöglichen. 2018 gründet er mit seinem Bruder und zwei ehemaligen Kommilitonen ein Fintech, entwickelt mehrere Jahre lang das Produkt neben seinem Job bei der Unternehmensberatung McKinsey, bevor das Quartett 2021 offiziell mit Finlium durchstartet. Der Firmenname ist Programm: „Finli“ steht für Financial Liberty. „Und für die Endsilbe ,um‘ haben wir uns entschieden, weil wertvolle Rohstoffe wie Californium darauf enden. Finanzielle Unabhängigkeit ist schließlich auch ein wertvolles Gut“, sagt der gebürtige Berliner. Mit dem Aufbau von Vermögen tun sich viele Deutsche schwer. „Sie sind risikoavers, haben wenig Vertrauen, und es fehlt an Finanzbildung“, so der Gründer. Trotz ETFs, Robo Advisor (automatisierte Vermögensverwaltung) und Neobrokern sei die Aktionärsquote nicht gestiegen. Im Gegenteil: 2023 legten 12,3 Millionen Deutsche in Aktien, Aktienfonds und ETFs an, 17,6 Prozent der Bevölkerung. Im Jahr zuvor waren es noch 12,9 Millionen. Dass sich Finlium mit einer auf Aktien- indexoptionen basierenden Anlagestrategie für ein eher erklärungsbedürftiges Produkt entschied, sieht Mann nicht als Widerspruch. „Wenn Sie die Fahrer eines Elektroautos nach dem Unterschied zwischen E-Motor und Verbrenner fragen, werden die meisten nicht detailliert antworten können. Was zählt, ist der Mehrwert.“ Der Mehrwert, den Finlium verspricht: „Wir wollen mit unserem Fonds, der von fast allen Banken und Online-Brokern in Deutschland angeboten wird, risikoaversen Anlegern eine stabile Rendite bieten. Im vergangenen Jahr lag diese bei 8,5 Prozent und die Volatilität bei 3,0 Prozent.“ Erreicht werde die Performance über einen von Finlium entwickelten und gesteuerten Algorithmus, wobei Mann betont, dass die Rendite nicht garantiert, sondern nur angestrebt werden könne. Rund 18 Mio. Euro seien bislang in den Fonds investiert worden. Potenzielle Anleger erreicht die Finlium Solutions GmbH, die aktuell sieben Mitarbeiter beschäftigt, über digitale Kanäle und Social Media wie Instagram und TikTok. Finanzierten die Gründer ihre Selbstständigkeit zunächst mit Erspartem und immer noch mit der Unterstützung ihrer Ehefrauen, wurden mittlerweile in zwei Finanzierungsrunden rund 700.000 Euro eingesammelt. ■ Florian Mann ist einer von vier Gründern des Fintechs Finlium, das 2021 an den Start ging 18 Mio. Euro Kapital flossen bisher in den von Finlium aufgelegten Fonds. Das Produkt basiert auf Aktien- indexoptionen. Gut vernetzt Der Unternehmer auf LinkedIn unter dem QR-Code: Das Produkt von Finlium ist erklärungsbedürftig. Das sehen die Gründer des Fintechs nicht als Problem. Am Ende zählt eine stabile Rendite E-Motor für Anleger FOTOS: CHRISTIAN KRUPPA, ECOLYTIQ Berliner Wirtschaft 04 | 2024

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