Berliner Wirtschaft April 2024

Multikulti, Sprachengewirr und wuseliges Treiben: Im Kreuzberger Wrangelkiez zeigt sich die Hauptstadt von ihrer typischen Seite. Dönerstände, Pommesbuden und Spätis säumen die Schlesische Straße. Eigentlich, könnte man denken, passt der Standort gut zu Berlins Fintech-Szene, die vor rund zehn Jahren angetreten war, um den traditionellen Banken mit innovativen Finanzservices Paroli zu bieten. Doch die großen roten Klinkerbauten an der Ecke Cuvrystraße, in denen Raisin, Solaris, Upvest und Moonfare Quartier bezogen haben, wirken hier eher wie ein Fremdkörper. Im Inneren aber herrscht typische Start-up-Atmosphäre mit Großraumbüros, in denen sich jeder jeden Tag aufs Neue seinen Schreibtisch suchen muss, und offenen Kaffeeküchen für den kurzen Plausch. Von der Katerstimmung, die im Zuge der nicht enden wollenden Krisen viele etablierte und junge deutsche Unternehmen erfasst hat, ist beim Zinsmarktplatz Raisin nichts zu spüren. „2023 war für uns ein Rekordjahr, das auf der Plattform mit mehr als 55 Milliarden Euro endete nach 30 Milliarden Euro Ende 2022“, sagt Katharina Lüth, Chief Client Officer & Managing Director bei Raisin. Die Hälfte des Wachstums steuere heute das Ausland mit EU, UK und USA bei. Damit erweist sich das Geschäftsmodell als äußerst resistent gegen das Auf und Ab des Zinses. Als „Robin Hood der Sparer“ war Raisins Gründer, der aus Georgien stammende Tamaz Georgadze, 2012 mit Frank Freund und Michael Stephan angetreten, um Privatkunden über seine Plattform Weltsparen vor allem im Ausland Anlagen in Tages- und Festgeld anzubieten, die deutlich mehr Ertrag abwarfen als die deutschen Alternativen. 400 Partner konnten bis heute gewonnen werden. Das Geschäft lief so gut, dass selbst Marktführer wie die Deutsche Bank sich einen Festgeldmarktplatz (ZinsMarkt) bauen ließen und bewiesen, dass alte und neue Finanzwelt sehr wohl voneinander profitieren können. Später kamen unter anderem Investments in ETFs, Rürup-Produkte, Kryptowährungen sowie Sparpläne und jüngst die digitale Vermögensverwaltung hinzu. Um sich unabhängig von externen Dienstleistern zu machen, übernahmen die Berliner eine Bank in Frankfurt, die fortan unter Raisin Bank AG firmierte und die Infrastruktur für das Kerngeschäft abdeckt. Nach dem Ende der rund zehnjährigen deutschen Nullzinsphase konnten die Berliner richtig Gas geben. „Die plötzliche und drastische Zinswende war für uns extrem positiv, weil in der breiten Bevölkerung das Interesse an Sparprodukten zurückgekehrt ist. Hinzu kam die hohe Inflation. Deshalb ist sehr viel Geld von Girokonten in Festgeld geflossen“, erklärt Lüth. Mit einer Bewertung von mehr als einer Mrd. Euro hat das Fintech mittlerweile den begehrten Unicorn-Status erreicht, ist seit 18 Monaten operativ profitabel und hat die Marke von 1,5 Millionen Kunden überschritten. Die richtigen Talente finden Vom Erfolg des Zinsbrokers profitiert auch der Berliner Arbeitsmarkt. Von den mittlerweile rund 650 Beschäftigten aus 65 Ländern leben mehr als 300 in der Hauptstadt. Weitere Standorte betreibt Raisin in München, Hamburg, Frankfurt, New York, Manchester und Madrid. „Die richtigen Talente zu finden, ist unser größtes Asset als Firma“, unterstreicht Lüth, die sich auch im DIHK-Geld- und Kreditausschuss ehrenamtlich engagiert. Aktuell sei es zwar etwas einfacher geworden, weil die wirtschaftliche Lage in der Branche schwieriger geworden sei. An der Politik, Mitarbeitende dank attraktiver Leistungen zu finden und zu binden, ändert das aber nichts. „Wir bieten große zeitliche Flexibilität und haben unter anderem ein sehr attraktives Trainings- budget.“ Anders als bei etablierten Banken, die den Homeoffice-Anteil senken möchten, gilt bei Raisin „Remote First“. Lüth: „Wenn der richtige Mitarbeiter in Berlin sitzt, großartig. Wenn die Person aber anderswo wohnen und arbeiten möchte, ist das für uns auch okay.“ ■ Raisin hat seinen Sitz im Wrangelkiez. Angetreten, um etablierten Banken Paroli zu bieten, gelten die Kreuzberger inzwischen als Unicorn Banking zwischen Spätis Gut vernetzt Der QR-Code führt zur Managerin auf LinkedIn: Katharina Lüth Die plötzliche und drastische Zinswende war für uns extrem positiv, weil das Interesse an Sparprodukten wiedergekehrt ist. Katharina Lüth ist Chief Client Officer & Managing Director beim Zinsmarktplatz Raisin 55 Mrd. Euro Vermögen verwaltete Raisin Ende 2023 auf seiner Plattform, ein Plus von 25 Mrd. Euro im Vergleich zu 2022. FOTO: CHRISTIAN KIELMANN FOKUS | Fintechs | 22 Berliner Wirtschaft 04 | 2024

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