BERLINER WIRTSCHAFT 05/17
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UNTERNEHMEN & MÄRKTE
Es gehen die Fachkräfte aus
Frühere Bevölkerungsentwicklung, demografischer Wandel und die zunehmende Tendenz zum
Studium verschärfen die Situation, wie der IHK-Fachkräftemonitor zeigt
»
Von Simon Margraf
S
eit dem Jahr 2007 kann man in
Berlin wieder eine positive na-
türliche Bevölkerungsbewe-
gung beobachten. So sperrig
beschreiben die Experten des Statisti-
schen Landesamtes den Geburtenüber-
schuss, den die Hauptstadt seit zehn Jah-
ren vorzuweisen hat. So lange schon
werden jährlich mehr Kinder geboren
als Menschen sterben. Tendenz steigend.
Hinzu kommt, das Berlin national wie
international eine Sogwirkung entfaltet.
Die Stadt wuchs in den letzten fünf Jah-
ren um jährlich fast 50.000 zugezogene
Neuberliner. Wenn sich diese Entwick-
lung fortsetzt, kann die Spreemetropole
schon in zehn Jahren die Marke von vier
Millionen Einwohnern überspringen.
Andererseits klagen viele Unterneh-
men über fehlende Bewerbungen. In ei-
nigen Branchen und Berufsgruppen ist
der Fachkräftemangel Realität. Konkre-
te Zahlen sind jedoch oft Mangelwa-
re. Deshalb untersucht die IHK Berlin
in Zusammenarbeit mit dem Darmstäd-
ter Forschungsinstitut WifOR seit 2012
die Fachkräftebedarfe in Berlin. Jährlich
wird dafür der IHK-Fachkräftemonitor
mit den neuesten Daten aktualisiert. Die
Prognose des Monitors für 2017 fällt dann
auch negativ aus: Allein in diesem Jahr
fehlen den Unternehmen in der Haupt-
stadt 41.000 Fachkräfte.
Spätfolgen der Neunzigerjahre
Für den Widerspruch zwischen dieser
Aussage und der anfangs beschriebenen
Bevölkerungsentwicklung sind haupt-
sächlich drei Ursachen verantwortlich.
Erstens entlasten Geburtenüberschüs-
se den Arbeitsmarkt erst in der langen
Frist. Aktuell trägt Berlin die Last der sehr
schlechten Bevölkerungsentwicklung
Anfang der Neunzigerjahre. Die Schulab-
gängerzahlen gehen seit Jahren zurück.
semHintergrund lässt sich auch die Pro-
gnose erklären: Der Fachkräftebedarf in
Berlin wächst in den nächsten Jahren ra-
pide an, und diese Entwicklung ist kaum
aufzuhalten.
Vor allem beruflich Qualifizierte fehlen
Insbesondere beruflich qualifizierte
Fachkräfte fehlen schon heute. Der Fach-
kräftemonitor zeigt, dass bereits im lau-
fenden Jahr in diesem Bereich 28.000
Mitarbeiter fehlen. Das entspricht fast 70
Prozent der gesamten Fachkräftelücke.
Bis 2030 kann sich dieser Engpass noch
verschärfen: Dann könnten acht von zehn
fehlenden Fachkräften beruflich qualifi-
zierte Personen sein. In den Unterneh-
Die Bewerberzahlen für betriebliche Aus-
bildungsplätze sinken.
Ein zweiter Effekt ist der lang anhal-
tende wirschaftliche Erfolg der Stadt. In
den letzten Jahren ist Berlin stärker ge-
wachsen als der Bundesdurchschnitt.
Die meisten Zuzügler haben heute be-
reits den Arbeitsvertrag oder den Busi-
nessplan in der Tasche, wenn sie in die
Stadt kommen. Derwirtschaftliche Erfolg
schafft ständig neue Fachkräftebedarfe.
Der schwerwiegendste Grund für den
Fachkräftemangel in Berlin ist aber die
demografische Entwicklung. Auch die
wachsende Stadt wird älter. Die Genera-
tion der Babyboomer wird in den Jahren
2020 bis 2025 in Rente gehen. Vor die-
186
41
28,0
26,0
26,0
25,0
15,0
9,0
8,0
6,2
4,5
3,7
3,0
1,9
1,4
0,4
Größer werdende Fachkräftelücke bis 2030 nach Branchen
in Tausend
Prognose
Fachkräfteengpass in Berlin
0
50
100
150
200
2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 2024 2026 2028 2030
in Tausend
aller Branchen berufliche Fachkräfte akademische Fachkräfte
Quelle: IHK Berlin und MAZAB
Grafik: Henriette Anders
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