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BERLINER WIRTSCHAFT 05/17

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NEUE UNTERNEHMEN & MÄRKTE

KONSERVATIVE BRANCHE

IMUMBRUCH

E

twa zehn deutsche Teams sind

dabei, eine komplett digitale Ver-

sicherung aufzubauen – darun-

ter das Berliner Finleap-Venture Element,

andere junge Tech-Unternehmen arbei-

ten im Stillen daran. Und auch die tradi-

tionellen Player überlegen, digitale Versi-

cherungen von Grund auf neu zu starten.

Bislang ist noch keine digitale Ver-

sicherung in Deutschland live, denn der

Aufbau eines solchen Unternehmens

wird durch viele Hürden erschwert. So

muss die Versicherung mehrere Millio-

nen Euro für potenzielle Schadenzahlun-

gen, Entwicklungskosten oder Rechtsbe-

ratung vorhalten. Warum also sollte man

ein derart hohes Risiko eingehen und ei-

ne digitale Versicherung aufbauen? Um

darauf eine Antwort zu finden, muss man

die Situation der Branche verstehen.

Vertrieb verbesserungsbedürftig

Versicherungsprodukte sind immer

noch für eine Mehrheit der deutschen

Kunden schwer verständlich. Oft man-

gelt es an neuen Versicherungsformen,

Transparenz, mehr Nischenprodukten

und schnell abzuschließenden On-De-

mand-Versicherungen, etwa für das Auto.

Ein Großteil der deutschen Versiche-

rungen muss seinen Vertrieb verbessern:

Erreichbarkeit auf vielen Kanälen wie

Social Media, verlängerte Geschäftszei-

ten oder beschleunigte Bearbeitung sind

nur ein paar Beispiele. Darüber hinaus

wird noch immer ein Großteil der Ver-

träge über Makler abgeschlossen, die sich

häufig gegen neue Technologien sperren.

Wie im Vertrieb ist auch der Service

gekennzeichnet durch begrenzte Kanä-

le und Öffnungszeiten. Eine vermeintli-

Start-ups wie Element wollen komplett digitale Versicherungen aufbauen, auch andere Teams

arbeiten daran. Doch lohnt der Aufwand wirklich?

»

Von Artjom Kartaschow

auf die Kundenwünsche eingehen. Un-

ter den neuen Playern wird dabei gerade

die Frage heiß diskutiert, ob eine Lizenz

der BaFin unerlässlich ist. Siewerden da-

mit zu einemunabhängigen Risikoträger.

Das heißt: Die Start-ups sind für die Zah-

lung der Schäden zuständig, wenn etwas

passiert. Das Hauptargument für eine sol-

che Lizenz lautet, dass sich neue kunden-

zentrierte Versicherungsprodukte entwi-

ckeln lassen.

Risikoreiche Flexibilität

Diese neue Flexibilität ist jedoch auch

durch BaFin-Vorgaben beschränkt und

durch die Notwendigkeit, eine Rückversi-

cherung zu finden, die bereit ist, die neu-

en Produkte rückzuversichern und einen

Preis dafür festzusetzen. Darüber hin-

aus erfordert der Erwerb einer Versiche-

rungslizenz verfügbares Geld im mittle-

ren einstelligen Millionenbereich für po-

tenzielle Schäden, erheblichen Aufwand

für die Einrichtung der technischen In-

frastruktur und eine erhebliche Summe

für Rechtskosten, da Ähnliches noch nie

in Deutschland versucht wurde. Im Er-

gebnis müsste man also das Risiko tragen,

ohne auf einen Kundenstamm und eine

etablierte Marke zurückgreifen zu kön-

nen – und das bedeutet, ohne das Ver-

trauen, das vor allem für Lebensversiche-

rungen, Altersvorsorge oder Berufsunfä-

higkeit von großer Bedeutung ist.

Beispiele aus anderen Ländern, wie

die US-Player Oscar und Lemonade so-

wie das chinesische Zhong An oder

Fortify aus Großbritannien, sind noch

nicht lange genug am Markt, um den Er-

folg der einzelnen Konzepte bewerten zu

können. Erwähnenswert ist jedoch, dass

che Automatisierungwie bei Gesprächen

mit einer Computerstimme an einer Hot-

line ist dabei überhaupt nicht hilfreich.

Im Schadensmanagement ist zwar ein

funktionierender Prozess zur Schadens-

prüfung entwickelt worden – doch die

Prozesse bei Schadensmeldungen sind

größtenteils langsamund umständlich, so

lassen sich Schäden zum Beispiel noch

zu wenig über das Mobiltelefon melden.

Das Asset Management ist der einzi-

ge Teil der Wertschöpfungskette, in dem

Versicherungen die Kundenerwartungen

recht gut erfüllen: Sie sichern Kapital und

gewährleisten Liquidität für Zahlungen.

Der Kunde bekommt zuverlässig das Geld

ausgezahlt, und die Versicherung genießt

nach wie vor das Vertrauen des Kunden,

dies auch in der Zukunft zu tun.

Insurtech-Start-ups positionieren

sich dort, wo Versicherungen den we-

nigsten Direktkontakt zu Kunden ha-

ben. Die Gründe sind naheliegend: Mit

den verfügbaren Technologien etwa über

das Smartphone haben sie einen direk-

ten Draht zu den Versicherungskunden.

Über den Zugriff auf Daten können sie

besser interagieren. Dochwelche Vorteile

könnte es haben, eine digitale Versiche-

rung ganz neu aufzubauen und gleich-

zeitig neue Lösungen aus der gesamten

Wertschöpfungskette einzubeziehen?

KlarerWettbewerbsvorteil

Der Aufbau einer neuen digitalen Ver-

sicherung könnte einen klaren Wettbe-

werbsvorteil mit sich bringen, beispiels-

weise durch erhebliche Kostenersparnis,

da es keine alten Strukturen und Abläu-

fe mehr gibt – die Versicherung kann

sich künftig schneller verändern und