BERLINER WIRTSCHAFT 03/17
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TITELTHEMA
FOTO: DAN PEARLMAN
„Der Kunde will
verführt werden“
INTERVIEW
Berliner Wirtschaft:
Die Kundschaft
war vielleicht nie so heterogen wie heu-
te: Ein Digital Native tickt anders als ein
Siebzigjähriger. Wie bekommt man her-
aus, was ein Geschäft attraktiv macht?
Volker Katschinski:
Grundsätzlich
gehen wir heute davon aus, dass die
klassischen Zielgruppen nicht mehr
aufgrund ihrer demo-
grafischen Merkmale
bestimmt werden. Das
heißt, ein Zwanzigjähri-
ger kann genau die glei-
chen Bedürfnisse wie ein
Siebzigjähriger haben,
z.B. den Anspruch an ei-
ne hohe Produktqualität
und persönlichen Service.
Der Inhaber eines Ladens
muss sich in seinen Kun-
den hineinversetzen und
sich die Frage stellen:
Was würde mein Kunde
im Idealfall einem guten Freund über
den Besuch in meinem Geschäft be-
richten? Letztlich geht es darum, wie
man relevant für den Kunden wird.
Was sind die Grundpfeiler eines zeit-
gemäßen Ladendesigns?
Das Einkaufen in einem Ladenge-
schäft gewinnt zunehmend eine Er-
lebnisdimension. Wir bewegen uns
weg von einer reinen Bedarfsdeckung
hin zu einem Erlebnisshopping. Wir
wollen immer wieder aufs Neue in-
spiriert werden. Es geht darum, eine
Geschichte rund umdas Produkt oder
Retail-Experte Volker Katschinski über Erlebnisshopping,
den Wohlfühlfaktor beim Lebensmitteleinkauf und
überflüssigen Technikeinsatz im stationären Handel
die Marke zu erzählen, die eine Rele-
vanz für die Kunden hat. Die Kunden
brauchenAnknüpfungspunkte, die sie
in ihr Leben integrieren können. Der
Händler muss also eine Atmosphäre
des Wohlfühlens, der Inspiration und
der Verführung schaffen. Wichtig ist
auch, dass der Kunde das wiederfin-
det, was ihm im Internet
versprochen wurde und
so ein konsistenter Ein-
druck einer Marke und
eines Unternehmens ent-
steht.
Wird dabei auch die Pro-
duktpalette erweitert oder
verändert?
Inspirieren und überra-
schend bleiben bedeutet
immer, dass ich meine
Produktpalette erneuern
muss – beziehungswei-
se neue Highlights biete,
ohne die bewährten Produkte zu ver-
nachlässigen.
Wie werden heute Kaufanreize gesetzt?
Reize und Kaufanreize entstehen über
„Störungen“ – anders zu sein, über-
raschend zu bleiben, Neues auszu-
probieren, den Kunden dabei mitzu-
nehmen. Wenn ich demKunden neue
Impulse liefere, gewinne ich seine Of-
fenheit. Hier geht es immer auch um
das Thema der Begehrlichkeit. Im
Food-Bereich spielt das „Tryvertising“
eine große Rolle, bei demKunden zum
Ausprobieren verführt werden.
Welche Rolle spielen interaktive Ele-
mente bei der Storegestaltung? Wieviel
Technik verträgt ein Geschäft?
Die Zeiten, in denen man in den Lä-
den Technik um der Technik willen
installiert hat, sind vorbei. Techni-
sche Geräte oder Terminals sind auch
nicht unbedingt attraktiv. Technik
funktioniert als Assistenzprogramm
im Hintergrund und macht unser
Leben leichter. Selbstverständlich
passt insbesondere zu technikaffinen
Marken auch ein größerer Einsatz
von Technik als zu nicht technikaffi-
nen Marken. Schließlich muss auch
die Technik zu den Produkten pas-
sen und sich in die Gesamtstory in-
tegrieren.WennTechnik ergänzt: pri-
ma. Wenn sie erschlägt, weg damit.
Der Lebensmittelhandel unterliegt eige-
nen Gesetzen. Was muss da bei der Ge-
staltung berücksichtigt werden?
Hier steht ganz klar die Bedarfs-
deckung imVordergrund, der Kunde
möchte durch ein frisches, kompe-
tent geclustertes Sortiment mit einer
klaren Orientierung undAuffindbar-
keit überzeugt werden. Doch auch im
Lebensmittelbereich geht der Trend
in Richtung Erlebnisshopping. Dies
ist bereits in Supermärkten zu beob-
achten, wo die Tendenz weg von ei-
ner klaren, rationalen Ordnung hin
zu einem Entdecken geht, es wird
emotionaler undmit mehr Spannung
gestaltet. Konzepte, die an Markthal-
len erinnern, werden zunehmen.
Sie haben für Getränke Hoffmann „Mein
Hoffi“ entwickelt und dabei die Spä-
ti-Kultur einbezogen. Welche Relevanz
hat in Zeiten der Digitalisierung der
Wohlfühlfaktor im stationären Handel?
Persönliche Note, Wohlfühlfaktor,
Nahbarkeit spielen eine wichtige
Rolle, um bei Kunden Vertrauen und
Loyalität zu wecken. Gerade wenn
unsere Welt immer globaler wird, ist
die Verwurzelung im eigenen Kiez
VOLKER
KATSCHINSKI
Mitgründer und
Kreativdirektor
der Agentur
Dan Pearlman




