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BERLINER WIRTSCHAFT 03/17

16

TITELTHEMA

FOTO: DAN PEARLMAN

„Der Kunde will

verführt werden“

INTERVIEW

Berliner Wirtschaft:

Die Kundschaft

war vielleicht nie so heterogen wie heu-

te: Ein Digital Native tickt anders als ein

Siebzigjähriger. Wie bekommt man her-

aus, was ein Geschäft attraktiv macht?

Volker Katschinski:

Grundsätzlich

gehen wir heute davon aus, dass die

klassischen Zielgruppen nicht mehr

aufgrund ihrer demo-

grafischen Merkmale

bestimmt werden. Das

heißt, ein Zwanzigjähri-

ger kann genau die glei-

chen Bedürfnisse wie ein

Siebzigjähriger haben,

z.B. den Anspruch an ei-

ne hohe Produktqualität

und persönlichen Service.

Der Inhaber eines Ladens

muss sich in seinen Kun-

den hineinversetzen und

sich die Frage stellen:

Was würde mein Kunde

im Idealfall einem guten Freund über

den Besuch in meinem Geschäft be-

richten? Letztlich geht es darum, wie

man relevant für den Kunden wird.

Was sind die Grundpfeiler eines zeit-

gemäßen Ladendesigns?

Das Einkaufen in einem Ladenge-

schäft gewinnt zunehmend eine Er-

lebnisdimension. Wir bewegen uns

weg von einer reinen Bedarfsdeckung

hin zu einem Erlebnisshopping. Wir

wollen immer wieder aufs Neue in-

spiriert werden. Es geht darum, eine

Geschichte rund umdas Produkt oder

Retail-Experte Volker Katschinski über Erlebnisshopping,

den Wohlfühlfaktor beim Lebensmitteleinkauf und

überflüssigen Technikeinsatz im stationären Handel

die Marke zu erzählen, die eine Rele-

vanz für die Kunden hat. Die Kunden

brauchenAnknüpfungspunkte, die sie

in ihr Leben integrieren können. Der

Händler muss also eine Atmosphäre

des Wohlfühlens, der Inspiration und

der Verführung schaffen. Wichtig ist

auch, dass der Kunde das wiederfin-

det, was ihm im Internet

versprochen wurde und

so ein konsistenter Ein-

druck einer Marke und

eines Unternehmens ent-

steht.

Wird dabei auch die Pro-

duktpalette erweitert oder

verändert?

Inspirieren und überra-

schend bleiben bedeutet

immer, dass ich meine

Produktpalette erneuern

muss – beziehungswei-

se neue Highlights biete,

ohne die bewährten Produkte zu ver-

nachlässigen.

Wie werden heute Kaufanreize gesetzt?

Reize und Kaufanreize entstehen über

„Störungen“ – anders zu sein, über-

raschend zu bleiben, Neues auszu-

probieren, den Kunden dabei mitzu-

nehmen. Wenn ich demKunden neue

Impulse liefere, gewinne ich seine Of-

fenheit. Hier geht es immer auch um

das Thema der Begehrlichkeit. Im

Food-Bereich spielt das „Tryvertising“

eine große Rolle, bei demKunden zum

Ausprobieren verführt werden.

Welche Rolle spielen interaktive Ele-

mente bei der Storegestaltung? Wieviel

Technik verträgt ein Geschäft?

Die Zeiten, in denen man in den Lä-

den Technik um der Technik willen

installiert hat, sind vorbei. Techni-

sche Geräte oder Terminals sind auch

nicht unbedingt attraktiv. Technik

funktioniert als Assistenzprogramm

im Hintergrund und macht unser

Leben leichter. Selbstverständlich

passt insbesondere zu technikaffinen

Marken auch ein größerer Einsatz

von Technik als zu nicht technikaffi-

nen Marken. Schließlich muss auch

die Technik zu den Produkten pas-

sen und sich in die Gesamtstory in-

tegrieren.WennTechnik ergänzt: pri-

ma. Wenn sie erschlägt, weg damit.

Der Lebensmittelhandel unterliegt eige-

nen Gesetzen. Was muss da bei der Ge-

staltung berücksichtigt werden?

Hier steht ganz klar die Bedarfs-

deckung imVordergrund, der Kunde

möchte durch ein frisches, kompe-

tent geclustertes Sortiment mit einer

klaren Orientierung undAuffindbar-

keit überzeugt werden. Doch auch im

Lebensmittelbereich geht der Trend

in Richtung Erlebnisshopping. Dies

ist bereits in Supermärkten zu beob-

achten, wo die Tendenz weg von ei-

ner klaren, rationalen Ordnung hin

zu einem Entdecken geht, es wird

emotionaler undmit mehr Spannung

gestaltet. Konzepte, die an Markthal-

len erinnern, werden zunehmen.

Sie haben für Getränke Hoffmann „Mein

Hoffi“ entwickelt und dabei die Spä-

ti-Kultur einbezogen. Welche Relevanz

hat in Zeiten der Digitalisierung der

Wohlfühlfaktor im stationären Handel?

Persönliche Note, Wohlfühlfaktor,

Nahbarkeit spielen eine wichtige

Rolle, um bei Kunden Vertrauen und

Loyalität zu wecken. Gerade wenn

unsere Welt immer globaler wird, ist

die Verwurzelung im eigenen Kiez

VOLKER

KATSCHINSKI

Mitgründer und

Kreativdirektor

der Agentur

Dan Pearlman