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BERLINER WIRTSCHAFT 04/17

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TITELTHEMA

FOTO: THOMAS LOOS

INTERVIEW

Berliner Wirtschaft:

Herr Professor

Blind, was zeichnet für Sie den Innovati-

onsstandort Berlin aus?

Knut Blind:

Er ist vor allem sehr wis-

senschaftsintensiv und sehr grün-

dungsaktiv. Außerdem spielt die deut-

sche Hauptstadt zunehmend auch

international eine attraktive Rolle.

Und wenn die politische

Großwetterlage weiter-

hin von hoher Unsicher-

heit geprägt sein sollte,

dann wird Deutschland

und vor allem Berlin da-

von extrem profitieren.

Die Innovationskultur

ist hier vom starken Fo-

kus auf die Informations-

technologie geprägt, aber

mit der Charité habenwir

auch einen ganz wichti-

gen Player in der Medizin.

Verändert hat sich auch

die Unternehmensstruk-

tur, weil es in Berlin sehr

viele Gründungen imVer-

gleich zumRest der Republik gibt. Man

sieht aber auch, dass die Unternehmen

„erwachsener“ werden – vor allem bei

Mittelständlern, die sich inzwischen

hier etabliert haben. Und Konzerne

wie Amazon und Cisco eröffnen For-

schungslabore in Berlin. Letztlich su-

chen sie alle die Nähe zu den großen

Universitäten mit ihren Absolventen

und den wissenschaftlichen Einrich-

tungen mit ihrer Expertise.

Das haben Sie gerade in Ihrer Studie

„Microgeography of Innovation in the Ci-

ty“ festgestellt. Welche Rolle spielen am

Innovationsstandort Berlin die Hochschu-

len und wissenschaftlichen Institute?

Das Zentrum für Europäische Wirt-

schaftsforschung in Mannheim hat

auf meine Initiative hin in den letz-

ten fünf Jahren mehr als

5.000 Unternehmen in

Berlin nach ihren Innova-

tionsaktivitäten und -er-

folgen befragt. Wir stell-

ten fest, dass für die meis-

ten Firmen derwichtigste

Innovationsfaktor die

räumliche Nähe zu For-

schungseinrichtungen ist

– als Hotspots haben wir

zum Beispiel den Cam-

pus Berlin-Buch ausge-

macht, die unmittelbare

Umgebung der Universi-

täten oder Technologie-

parks wie Adlershof. In-

novation in Berlin ist also

in hohemMaßwissenschaftsgetrieben.

Wir haben in unserer Studie auch die

Bars und Clubs kartiert – und die sind

eben keine Innovationsquellen. Den

Mythos, dass durch kulturell vibrie-

rende Umfelder Unternehmen inno-

vativerwerden, könnenwir zumindest

mit unseren Daten nicht bestätigen.

Wie entstehen Innovationen? Und was

gibt es für Innovationstypen, -felder und

-strukturen?

Innovationen werden entweder über

Technologien getrieben, wenn es

neue technologische Optionen er-

lauben, darauf aufbauend innova-

tive Produkte zu entwickeln. Oder

auch zunehmend über die Nachfra-

gerseite – wenn man feststellt, dass

die Kunden neue oder bisher nicht

befriedigte Bedürfnisse haben. Inno-

vationstreiber können zudem große

gesellschaftliche Herausforderungen

sein – zum Beispiel der Klimaschutz,

der viele Umweltinnovationen an-

geschoben hat. Aber wir reden nicht

nur von Produktinnovationen, son-

dern auch von innovativen Produk-

tionsprozessen oder Marketing-In-

novationen, wie beispielsweise in-

ternetbasierte Lieferdienste wie die

von Amazon. Oder von organisato-

rischen Innovationen wie den Co-

working Spaces, Bürogemeinschaf-

ten, die wie WGs für Unternehmen

funktionieren. Auch soziale Innova-

tionen wie die verschiedenen nicht-

kommerziellen Ausprägungen der

Sharing Economy gehören dazu.

Gibt es Erkenntnisse der Innovationsfor-

schung, die für Start-ups und etablier-

te Unternehmen gleichermaßen gelten?

Die Innovationen treiben natürlich

die Entwicklung neuer Märkte. Des-

halb haben alle einen großen Be-

darf an wissbegierigen jungen Leu-

ten. Das gilt für die Großen wie für

die Kleinen – wobei die großen Un-

ternehmen die Leute einfacher re-

krutieren, weil besser bezahlen kön-

nen. Kleine Unternehmen sind da-

für häufig schneller in der Lage, neue

Trends aufzunehmen als große „Tan-

ker“ wie Telekom oder Siemens. Die

entscheiden dann: Wir machen das

jetzt nicht selbst, sondern lassen ein

Start-up gründen und schauen mal,

was passiert, weil wir das in unse-

ren Strukturen nicht so schnell hin-

kriegen. Und dann nimmt man die-

se Start-ups gerne noch an die Leine,

undwenn eswirtschaftlich spannend

„Erfolgsfaktor

Forschungsnähe“

Innovationsökonom Prof. Knut Blind über Berlin als

wissenschaftsintensive Ideenschmiede, Ängste im

Mittelstand und den Mythos kulturell vibrierender Clubs

PROF. DR.

KNUT BLIND

Leiter des Fachbe-

reichs Innovations-

ökonomie an der TU

Berlin und Mitarbeiter

am Fraunhofer

Institut für Offene

Kommunikations-

systeme FOKUS