TITELTHEMA
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BERLINER WIRTSCHAFT 04/17
Starke Ideen aus
Hubs und Labs
Metropole der Innovationen
Viele kleine und mittelständische
Unternehmen in Berlin punkten mit neuen Dienstleistungen und
Produkten. Die Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft nützt
ebenso wie der Mix aus Etablierten und Start-ups
»
Von Almut F. Kaspar
TITELTHEMA
D
er Materialwissenschaftler
Bradley Tinkham und der
Elektroingenieur Andreas
Häger tragen ein transpa-
rentes Metalloxid auf eine Glasschei-
be auf und setzen es unter Strom. Bei-
de tüfteln weiter – bis sich die Scheibe
bei 220 Volt erwärmt. Sie haben es ge-
schafft, ein Fenster zur Heizung umzu-
funktionieren. Die leitfähige Schicht ist
tausendfach dünner als ein Haar und auf
demGlas nicht zu sehen. „Wird diese un-
sichtbare Schicht mit Stromversorgt, ent-
steht steuerbare Wärme, die mit einem
hohen Wirkungsgrad an den Raum ab-
gegeben wird“, sagt Kauffrau Wiebke
Kropp-Büttner, diemit Tinkhamund Hä-
ger das Start-up Vestaxx gründete.
Joschka Friedag studierte an der Tech-
nischen Universität (TU) und saß mit be-
freundeten Kommilitonen in einer Knei-
pe. Einer zahlte für alle und musste
hinterher das Geld mühsam wieder ein-
sammeln. Warum, fragte sich Friedag,
kann man solche Beträge nicht ein-
fach von Handy zu Handy überweisen?
Er schuf mit drei Freunden eine App,
über die bis zu 250 Euro pro Monat wie
SMS-Kurznachrichten übermittelt wer-
den können – ohne Kontodaten, ohne
TAN-Nummern. Ihr Start-up Cringle fand
mit der Deutschen Kreditbank AG (DKB)
mit Hauptsitz in Berlin schnell einen re-
nommierten Partner.
Weil vor allem Kinder und alte Men-
schen Medikamente oft nicht schlucken
können, entwickelte ein Team um den
Chemiker Dr. Sam Dylan Moré winzige
Transporter – sogenannte dentritische
Nanocarrier –, die Wirkstoffe über Sal-
ben oder Gele durch die Haut gelangen
lassen und im Körper dorthin bringen,
wo sie gebraucht werden. Um sie produ-
zieren und vermarkten zu können, wur-
de die DendroPharm GmbH als Spin-Off
aus der Freien Universität (FU) gegründet.
Das Unternehmen gehörte vergangenes
Jahr zu den fünf Preisträgern des Innova-
tionspreises Berlin-Brandenburg.
Dynamische Standortentwicklung
Die Fensterscheibe als Heizung, die
Smartphone-Überweisung und die Me-
dikamenten-Transporter sind nur drei
von vielen neu- und einzigartigen Pro-
dukten, die Berlin zur Metropole der In-
novationen gemacht haben. „Als Wirt-
schafts- und Innovationsstandort hat die
Hauptstadt eine deutlich dynamische-
re Entwicklung vollzogen als viele ande-
re Regionen Deutschlands“, sagt Nicolas
Zimmer, Vorstandsvorsitzender der Tech-
nologiestiftung Berlin, „denn nach unse-
rer aktuellen Innovationserhebung lag der
Anteil der Unternehmen, die im Jahr 2015
erfolgreich neue Produkte und Dienst-
leistungen eingeführt haben, erneut über
dem Vergleichswert der deutschen Wirt-
schaft insgesamt.“ Von den kleinen und
mittelständischen Firmen waren in Ber-
lin 33 Prozent innovativ, in ganz Deutsch-
land nur 15 Prozent.
Dr. Marion Haß, Geschäftsführerin
Wirtschaft & Politik bei der IHK Berlin,
verweist zudem auf einen neuen Rekord:
„Die innovativen Unternehmen der Stadt
haben 2015 die Summe von 3,5 Mrd. Euro
in Forschung und Entwicklung investiert
– eine Steigerung gegenüber dem Vor-
jahr um 15 Prozent. Die bundesdurch-
schnittliche Steigerungsrate lag im sel-
ben Zeitraum bei acht Prozent, was auch
schon ein beachtlicher Wert ist.“ Nur die
Umsätze mit Produktneuheiten sind mit
11,5 Mrd. Euro im Vergleich zum Vorjahr
leicht rückläufig und liegen nun leicht
unter dem deutschen Durchschnitt. Das
führt Professor Knut Blind, Innovations-
ökonom an der TU, darauf zurück, dass in
Berlin auchviel Grundlagenforschung be-
triebenwird – „und da sehen Sie nicht so
schnell denwirtschaftlichen Erfolg“ (siehe
Interview S. 16).
Mit vier Universitäten, sieben Hoch-
schulen, vier Kunsthochschulen, 23 staat-
lich anerkannten privatenHochschulen, »
FOTO: CHRISTIAN KIELMANN




