BERLINER WIRTSCHAFT 04/17
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MEINUNG & MACHER
so, dass ein Unternehmensberater aus
seinen Erfahrungen in der Vergangen-
heit heraus Konzepte auf den Tisch legen
kann. Wir müssen in die Zukunft hin-
eindenken und Ideen für neue Produkte
und Services entwickeln. Insbesondere
die Kunden aus demMittelstand können
das aus eigener Kraft kaum schaffen, weil
ihnen das Team mit dem entsprechen-
den Methoden-Know-how fehlt, das ein
solches Digital-Projekt bewältigen kann.
Wenn es die beste Lösung ist, bauen wir
anschließend sogar mit demKunden zu-
sammen ein Start-up auf.
Was passiert, wenn das Teamkeine brauch-
baren Ideen für neue digitale Produkte oder
Services entwickelt?
Diese Projekte sind nie umsonst. Durch
die kontinuierlichen Nutzertests zur Va-
lidierung und Optimierung versteht die
Unternehmensführung am Ende das ei-
gene Geschäft und vor allem die Kun-
den besser. Alle Überlegungen des Teams
sind sehr kundenzentriert. Die neuen Er-
kenntnisse sind für die jeweiligen Unter-
nehmen oftmals Türöffner für neue Ge-
schäfte oder Kundenkontakte. Die Ge-
schäftsführung erhält eine andere Art
von Feedback, die sie noch nicht kennt.
Sie wird aber auch verstehen, dass man
mit IT-Jahresstrategien nicht mehr weit
und daraus lassen sich digitale Aktions-
möglichkeiten ableiten.
Wie gut oder schlecht ist der deutsche Mit-
telstand heute in puncto Digitalisierung aus
Ihrer Sicht aufgestellt?
Da muss man unterscheiden und sich
fragen, was man unter Digitalisierung
versteht. Bei der Form von Digitalisie-
rung, die schon lange voranschreitet,
zum Beispiel die Automatisierung in der
Produktion oder auch in der Verwaltung,
sehe ich den Mittelstand auf einem sehr
guten Niveau. Aber wenn es um daten-
basierte Modelle oder Plattform-Model-
le geht, kenne ich nur sehr wenig posi-
tive Beispiele.
Nicht jeder kann eine Plattformwie Google,
Facebook oder Amazon etablieren.
Richtig. Aber wenn ich keine Plattform
selbst entwickeln kann, muss ich we-
nigstens in meinem Geschäftsfeld platt-
formfähig sein, weil andere mit Plattfor-
men die Spielregeln des Marktes ver-
ändern und diejenigen, die sich darauf
nicht bewegen können, Umsätze verlie-
ren. Ein Mittelständler muss unterschei-
den zwischen den inkrementellen Ver-
besserungen, die er durch Digitalisie-
rung erreichen kann. Das fängt schon an,
wenn er das Faxen durch E-Mails ersetzt
oder die Kundendaten digital verwaltet.
Das andere ist die digitale Transformati-
on oder die Entwicklung neuer digitaler
Geschäftsmodelle.
Muss jeder Mittelständler sich mit demThe-
ma Digitalisierung beschäftigen?
Ja absolut, es ist höchstens eine Frage des
Timings, wann was auf uns zukommt.
Wer im Business-to-Consumer-Um-
feld tätig ist, erlebt die Veränderungen
schneller. Es hängt auch vomProdukt ab.
Imnächsten Jahrwerden dieAuswirkun-
gen vielleicht noch nicht so spürbarwer-
den, aber vielleicht in weniger als fünf
Jahren kommt eine kräftigeWelle anVer-
änderungen auf uns zu.
Bevor Sie nach Berlin kamen haben Sie im
Silicon Valley gelebt. Was macht den Unter-
schied zwischen den Regionen aus?
Das Silicon Valley ist natürlich viel wei-
ter. Als ich nach Berlin kam, war ich zu-
nächst überrascht, wie klein hier das
kommt. Schnelligkeit und Anpassungs-
fähigkeit sind viel wichtiger geworden.
Kundenzentrierung ist aber eigentlich nichts
Neues. Ist der Fokus auf die Bedürfnisse des
Kunden für Unternehmen nicht schon im-
mer das Wichtigste gewesen?
Ja, natürlich. Aber Kundenorientierung
erlebt in gewisser Weise eine Renais-
sance, weil nun auch der digitale Blick
auf den Kunden möglich – und wichtig
– wird. Digitale Kundenerlebnisse las-
sen sich ganz anders erfassen und opti-
mieren. Wir können heute durch Daten
verstehen, was der Kunde wirklich will,
Wir können heute durch
Daten verstehen, was der
Kunde wirklich will, und
daraus lassen sich digitale
Aktionsmöglichkeiten
ableiten.
PHILIPP HERRMANN
Mit-Gründer und -Geschäftsführer
Etventure GmbH
Entwickelt mit Etventure kreative Ideen für digitale Geschäftsmodelle: Philipp Herrmann
FOTO: CHRISTIAN KIELMANN




