MEINUNG & MACHER
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BERLINER WIRTSCHAFT 04/17
S
ie haben es tatsächlich
getan. Die neuen Ko-
alitionäre haben be-
schlossen, das Stadtwerk u. a.
zum Handel mit Ökostrom
zu ermächtigen, es zum Voll-
versorger aufzurüsten – und
es mit einer Apanage von 100
Mio. Euro auszustatten. Unter
dem Deckmantel der Wett-
bewerbsstärkung wird so
dem fairenWettbewerb ein
Bärendienst erwiesen. Ein
kommunaler Betrieb, der mit
solch gewaltigem fiskalischen Rückenwind befeuert wird
– was hat das mit Stärkung des Wettbewerbs zu tun?
Das Gegenteil ist der Fall: Die in den vergangenen Jah-
ren recht erfolgreich vorangetriebene Belebung des Wett-
bewerbs auf dem Energiesektor wird konterkariert. Die am
Markt operierenden Betriebe bekommen einen finanziell
potenten Gegner, der (sich) Dinge leisten kann, die er nicht
wie die anderen aus Überschüssen oder Krediten finanzie-
ren muss.
Das Ganze erinnert an die Kulturpolitik der Hauptstadt.
Auch hier stehen privat finanzierte Kulturbetriebe – von de-
nen einige die Standortattraktivität Berlins in großem Ma-
ße mit prägen – in einem unfairenWettbewerb mit riesigen
Tankern, die kommod auf dem See der staatlichen Gelder
schwimmen. Was zudem verwundert und besorgt macht:
Der Senat geht ein hohes Risiko für das Land und damit für
den Steuerzahler ein. Wie will man sich etwa beim Strom-
vertrieb vomWettbewerb absetzen? Hinzu kommt: Die Er-
zeugungspotenziale der Stadt sind begrenzt, undWindener-
gieanlagen in Brandenburg oder an den deutschen Seeküs-
ten haben nichts mit „echtem
Berliner Ökostrom“ zu tun.
Auch die vorgeschobene sozi-
ale Komponente sticht nicht:
denAustausch energieintensi-
ver Haushaltsgeräte kannman
auch ohne Stadtwerk bezu-
schussen, was ehrlicher wäre
und keinen teuren Unterneh-
mensaufbau bräuchte.
Schließlich: Die entschei-
dende Leerstelle in der Ber-
liner Energiepolitik wird
durch das Aufblasen des
Stadtwerks ebenfalls nicht sinnhaft gefüllt: Ein beherzter
und zielgerichteter Schritt zu einer effektiven und profes-
sionellen Koordination der Energiewende ist leider gera-
de nicht erkennbar. Das Management solcher Projekte soll-
te man einem unabhängigen Akteur anvertrauen – und
nicht dem Stadtwerk. Da besteht die Gefahr, dass nicht
das beste Konzept zum Zuge kommt, sondern das für das
Stadtwerk vorteilhafteste – womöglich weil man für sich
als Marktakteur das größte Stück vom Kuchen abschnei-
den und die eigenen Erzeugungsanlagen auslastenwill. Das
Kompetenzteam Mittelstand wird das Thema weiter ver-
folgen sowie den Austausch mit der Politik dazu suchen.
Wer sich mit einbringen möchte, ist herzlich eingeladen:
www.ihk-berlin.de/kompetenzteamMITTELSTANDSKOLUMNE
GEORG STRECKER
Mitglied im Kompetenzteam Mittelstand der IHK Berlin
und Geschäftsführer der Arnold Kuthe Entertainment
GmbH c/o Wintergarten Varieté Berlin
Mit fairemWettbwerb hat dieser Beschluss
der neuen Koalitionäre nichts zu tun:
100 Millionen Euro gegen den Mittelstand
„Entfesseltes“
Stadtwerk
Ökosystem war. Aber dann wurde ich
doch überzeugt, dass sich hier etwas
Nachhaltiges entwickelt. Der Standort
und die Start-up-Szene entwickeln sich
fundamental. Aber es dominieren hier
Betriebswirte und die Geschäftsmodel-
le, die entwickelt werden, richten sich
vor allem auf den E-Commerce aus und
sind in der Wertschöpfung der Innova-
tion oberflächlicher. Im Silicon Valley
sind unter den Gründern mehr Ingeni-
eure, die stärker mit innovativen Tech-
nologien und Geräten arbeiten.
Welchen Rat würden Sie kleineren Mittel-
ständlern und Kleinunternehmern geben:
Wie können sie durch die Digitalisierung
in ihrem Geschäft profitieren und Umsätze
steigern oder Kosten senken?
Auch für kleinere Unternehmen ohne
große Budgets für digitale Transformati-
onsprojekte gilt: Sie sollten dem Thema
positiv begegnen und vor allemChancen
darin sehen. Es gibt heute viele Stan-
dardlösungen, mit denen sie Kunden
binden oder gewinnen und Kundener-
fahrungen verbessern können. Diese
Standardlösungenwürde ichmir erstmal
anschauen. Es gibt beispielweise Lösun-
gen, die es erlauben, Kreditkartenzah-
lungen mit dem Smartphone zu akzep-
tieren. Außerdem müssen Geschäftsin-
haber sicherstellen, dass sie im Internet
gefunden werden, zum Beispiel über
Google Maps. Um Bewertungen würde
ich mich auch kümmern. Daran orien-
tieren sich viele Verbraucher. Das sind
Basisdinge, die man machen muss und
die aber auch schon sehr viel bringen
können.
FOTO: AMIN AKHTAR/IHK BERLIN




