Table of Contents Table of Contents
Previous Page  16 / 68 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 16 / 68 Next Page
Page Background

BERLINER WIRTSCHAFT 05/17

16

TITELTHEMA

FOTO: FRAUNHOFER IPK

„Wir brauchen eine

Crowd Production“

INTERVIEW

Berliner Wirtschaft:

Welche Chancen

sehen Sie für urbane Produktion in Berlin?

Holger Kohl:

Die Produktion „in der

Stadt für die Stadt“ hat meiner Ansicht

nach Zukunft. So werden Transporte

vermieden, und die Menschen haben

in ihrem Umfeld Arbeitsplätze. Aber

diese Produktion steckt in Berlin noch

in den Kinderschuhen.

Wie kann diese Produktion

„in der Stadt für die Stadt“

realisiert werden?

Das wird eine langfris-

tige Entwicklung sein.

Neue Technologien ma-

chen eine kundenindi-

viduellere Produktion

möglich. Massenproduk-

tionsvorteile sind dann

nicht mehr ganz so wich-

tig. Die Produktion in der

Nähe der Kunden kann

dann auch betriebswirt-

schaftlich sinnvoll sein.

Werden große Stückzahlen nicht immer

billiger zu produzieren sein?

Es kommt mittlerweile nicht alleinig

auf die Kosten an, sondern vielmehr

auf die Liefer- und Reaktionszeiten.

Wenn die Ware aus China nach Ber-

lin transportiert werden muss, ist ei-

ne schnelle Bereitstellung kundenin-

dividueller Produkte kaum möglich.

Welche Produkte können „in Berlin für

Berlin“ produziert werden?

Ich glaube, verständliche Beispiele, die

es derzeit gibt, sind Implantate oder

Prof. Dr. Holger Kohl vom Fraunhofer IPK möchte durch

Vernetzung viele kleine Mittelständler so leistungsfähig

wie einen großen Systemlieferanten machen

Brillen, die heute schon vor Ort mit

Additiven Fertigungsmethoden – also

zumBeispiel mit dem 3D-Drucker – in

Berlin produziert werden. Dieses Prin-

zipwirdmehr undmehr auch für kom-

plexere Produkte Anwendung finden,

wie zum Beispiel Elektrofahrzeuge.

Kann eine solche Entwicklung für genug

Arbeitsplätze in der wachsenden Stadt

Berlin sorgen?

Wahrscheinlich nicht.

Für die Arbeitsplatzsi-

tuation in Berlin wird

es wichtig sein, dass ein

starker industrieller Mit-

telstand erhalten bleibt.

Oder besser gesagt: dass

dieser Mittelstand noch

stärker wird. Es gibt in

der Region wenige große

Systemlieferanten, son-

dern viele kleinere Zulie-

ferer. Das ist bedauerlich

– auch aus Sicht der gro-

ßen Konzerne, die gern größere Liefe-

ranten vor Ort habenwürden. Wir ha-

ben uns am Fraunhofer IPK überlegt,

wie man das ändern könnte.

Haben Sie eine Lösung gefunden?

Ja, es ging dabei aber nicht speziell um

Berlin, sondern um die neuen Bun-

desländer insgesamt. In einem For-

schungsprojekt für das Bundesminis-

terium für Bildung und Forschung ha-

ben wir uns Gedanken gemacht, wie

man eine Crowd Production realisie-

ren könnte. Dabei werden durch in-

telligente Vernetzung mehrere klei-

nere Lieferanten zu einem großen

Systemlieferanten zusammenge-

schlossen. Gemeinsamverfügen die-

se Lieferanten über die Technologi-

en und Kapazitäten, die denen eines

Systemzulieferers gleichwertig sind.

Dabei geht es nicht nur umTechnologie

und Kapazität, sondern auch um Ma-

nagement. Wer führt das Netzwerk?

Genau das war eine der Aufgaben,

die wir im Rahmen des Forschungs-

projekts angegangen sind. Eine Platt-

form, die von einemTechnologiebro-

ker betrieben wird, übernimmt das

Management. Eine wichtige Funkti-

on dieser Plattform ist der sogenann-

te Technologiekettengenerator. Der

braucht exakte Informationen da-

rüber, welche Technologien benö-

tigt werden. Dann sucht er unter den

Partner-Lieferanten des Netzwerks

nach geeigneten Unternehmen und

verknüpft die angeforderten Leistun-

genmiteinander. Die einzelnen Teile,

die produziert werden müssen, sind

digital exakt spezifiziert. Ohne Digi-

talisierung wäre ein solches Projekt

also nicht denkbar.

WollenKonzerne zur Senkung der Logis-

tikkosten die Lieferanten in ihrer Nähe?

Ja, aber der noch wichtigere Grund

ist die Flexibilität. Mit einem gro-

ßen Lieferanten in der Nähe können

Sie noch schneller Veränderungen in

den Produktionsprozessen vorneh-

men. Bislang gibt es diese großen

Systemlieferanten aber hauptsäch-

lich in Süddeutschland. Wir brau-

chen eine Crowd Production, um

das auch in Berlin leisten zu können.

Als ein großes Problem für die urbane

Produktion in der Zukunft gilt derWett-

bewerb umFlächen, die in Berlin immer

knapperwerden.Wiewerden die Unter-

nehmen damit umgehen können?

Ich bin kein Experte für Gewerbeim-

mobilien. Aber glaube schon, dass es

PROF. DR.

HOLGER KOHL

Leiter des Geschäfts-

feldes Unternehmens-

management am

Fraunhofer IPK