BERLINER WIRTSCHAFT 05/17
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TITELTHEMA
Einen breiten Raum nehmen technologi-
sche Veränderungen ein, die unter dem
Stichwort „Industrie 4.0“ in die Produk-
tion einziehen. Künftig kann kleinteiliger
und bedarfsgerechter produziert werden.
Und damit gehen andere Flächenkonzep-
te einher.
Für eine Metropole wie Berlin stellt
sich dabei die Frage, ob die Industrie –wie
dasWohnen – in die Höhewachsen kann.
Die vertikale Fabrikwäre eine Lösung, um
Platzprobleme in den Griff zu bekommen.
Anne-Caroline Erbstößer sieht gute Chan-
cen für solche Konzepte und weist darauf
hin, dass diese nicht einmal neu sind: „Es
gab in Berlin früher viele Gewerbehöfe,
in denen im zweiten, dritten oder vier-
ten Stock in sogenannten Etagenfabriken
produziert wurde. Auch heute gibt es da-
für funktionierende Beispiele. Diese Idee
kann neu belebt werden.“
Ein Beispiel ist BMW in Spandau. Am
Juliusturm werden Motorräder auf zwei
Etagen montiert. Die Produktion konnte
am Standort in den vergangenen Jahren
kräftig wachsen, weil Abläufe neu orga-
nisiert und Bänder neu angeordnet wur-
den. 2016 verließen 143.000 Motorräder
und Scooter – inklusive Montagekits für
die Auslandsproduktion – das Werk, ein
Plus von 42 Prozent gegenüber 2006, als
die Jahresproduktion noch bei 101.400 lag.
Auch Larissa Zeichhardt, Geschäfts-
führerin der LAT Funkanlagen-Service
GmbH, hat die Werkstatt ihrer Firma im
dritten Stock eines Bürohauses in der Re-
valer Straße in Friedrichshain eingerich-
tet. Lange hat sie über die Standortent-
scheidung nachgedacht. Rein finanziell
wäre ein Umzug nach Brandenburg lu-
krativer gewesen. „Aber da wären wir zu
weit weg von unseren Kunden gewesen,
und ich glaube auch nicht, dass alle unse-
re Mitarbeiter soweiteWege in Kauf neh-
menwürden“, sagt die Geschäftsführerin.
In derWerkstatt entwickeln und pro-
duzieren ihre Mitarbeiter Sicherheits-
technik für den Öffentlichen Perso-
nennahverkehr – zum Beispiel Video-
überwachungs-, Bildübertragungs- und
WLAN-Systeme. Reparaturen müssen
schnell erledigt werden, schon deshalb
braucht das Unternehmen einen zentra-
len Standort, damit die Monteure schnell
am Einsatzort – zum Beispiel den zent-
ralen Betriebswerkstätten – sein können.
Eine Werkstatt im dritten Stock sei
heute prinzipiell kein Problem, meint
Larissa Zeichhardt. Die Geräte und das
Material sind kleiner und leichter gewor-
den. Doch gebe es in zentralen Berliner
Lagen nicht ausreichend Gebäude, die auf
Gewerbe ausgerichtet sind – zumBeispiel
weil Lastenaufzüge fehlen. Die Prozess-
optimierung sei in den gegenwärtigen
Räumen schwierig. LAT will daher in der
Modersohnstraße selbst bauen. Produk-
tion, Werkstatt und Lager werden dann
ebenerdig unmittelbar zusammenliegen.
Larissa Zeichhardt weiß, dass heu-
te viele Unternehmer am liebsten ei-
nen zentralen Berliner Standort beziehen
möchten. „Es geht vor allem um die Mit-
arbeiter. In der Innenstadt sind gute Leute
am besten zu halten, und es ist einfacher,
neu einzustellen. Und da die Produkti-
on heute oft weniger Platz braucht, geht
das auch“, erklärt die Unternehmerin. Sie
selbst hat in Bezug auf die Mitarbeiter-
akquisition entsprechende Erfahrungen
gemacht: „Heute sind wir mit Stellenaus-
schreibungen in Friedrichshain erfolg-
reicher als vor anderthalb Jahren, als wir
noch in Spandau waren.“
Doch es wird für Firmen immer
schwerer, geeignete Flächen in zentralen
Lagen zu beziehen. Zumal die Industrie
auch in Zukunft großes Interesse an Ber-
lin als Produktionsstandort haben wird,
glaubt Dr. Stefan Franzke, Geschäftsfüh-
rer von Berlin Partner für Wirtschaft und
Technologie. „Heutige Produktion hat
sehr oft einen geringeren Flächenbedarf,
verursacht weniger Lärmund stößt weni-
ger CO
2
-Emissionen aus. Die Unterneh-
men wollen daher mit ihrer Fertigung in
die Stadt zurückkehren“, sagt Franzke –
nicht zuletzt auch, umattraktiver für hoch
qualifizierte Talente zu sein. NachAnsicht
von Franzke wird es immer mehr Arten
FOTO: WWW.CRISTIMIHAILA.COM
Micro Factory
Das US-Unterneh-
men produziert auf wenig Raum
in Treptow den Minibus Olli
Local Motors
Carlo Iacovini,
Marketing Director