Berliner Wirtschaft 10/2016 - page 14

BERLINERWIRTSCHAFT 10/16
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TITELTHEMA
„Firmenmüssenden
Brexiternstnehmen“
INTERVIEW
BerlinerWirtschaft:
DerArbeitsmarkt
inGroßbritannien iststabil,dieBörse läuft
gut. SinddieWarnungenvordenFolgen
einesBrexitübertrieben?
Marcel Fratzscher:
Nein. Die Poli-
tikund auchdie Firmenmüssenden
Brexit sehrernstnehmen.Dabei sollte
man sichnicht vonFinanzmarktent-
wicklungenblenden lassen.Wirwer-
den die Auswirkungen
des Brexit langfristig se-
hen.Europawird imGan-
zengeschwächtwerden.
Auf welche Auswirkungen
muss sich Europas Wirt-
schaft in den nächsten
zwölfMonatengefasstma-
chen?
Großbritannien ist natür-
lich am stärksten betrof-
fen. Hier scheiden sich
dieGeister, ob die Briten
bereits im zweitenHalb-
jahr dieses Jahres negative Wachs-
tumszahlen erleben oder eineRezes-
sion erst einmal vermeiden können.
Eswird aber auf jedenFall einenkla-
renAbschwung inGroßbritannienge-
ben.Mit nochgrößerer Sorgeverfolge
ich imAugenblickdieAuswirkungen
aufdieschwachenLänderderEurozo-
newieetwa Italien.DessenWirtschaft
ist seitAnfang2008um fast zehnPro-
zent geschrumpft. Italienkämpftmit
einerriesigenStaatsverschuldungvon
135 Prozent derWirtschaftsleistung
undhat zugleich riesigeBanken-Pro-
DIW-Berlin-PräsidentMarcel Fratzscher erwartet durchden
Austritt der Britenausder EuropäischenUnion langfristig
eineSchwächungder europäischenWirtschaft
bleme.DieUnsicherheitunddiedurch
denBrexit ausgelösteAbschwächung
derWirtschaft inder gesamtenEuro-
zone trifft solcheLänderbesonders.
WiewirddasbritischenPfunddieseEnt-
wicklungbeeinflussen?
Aus vielen Studienwissenwir, dass
langfristig einePolitikder schwachen
WährungenwirtschaftlichkeinenEr-
folg bringt. Ganz imGe-
genteil,dareichteinBlick
auf die deutsche Erfah-
rungmit derD-Mark. Ei-
ne starkeWährung steht
fürdieStärkeeinerWirt-
schaft. Denn sie zwingt
Unternehmendazu,wett-
bewerbsfähig zu bleiben
und sich international
zu orientieren. Entspre-
chend bringt ein schwä-
cheresPfundGroßbritan-
nien langfristignichts.
UndDeutschland?
Deutschlands Wirtschaft ist robust
undwird auch 2017wahrscheinlich
ummehr als ein Prozent wachsen.
Aber die deutsche Wirtschaft wird
sichdurchdie Entscheidung der bri-
tischenWähler ebenfalls auf deutlich
geringereWachstumszahleneinstellen
müssen. EinGrunddafür istdiedurch
die Entscheidung entstandene Inves-
titionszurückhaltung.Wasman auch
nichtvergessendarf, sinddie instituti-
onellenDimensionendieserEntschei-
dung: Großbritannien undDeutsch-
land traten immer gemeinsam für
WettbewerbundeinenstarkenMarkt
ein. Insofernbricht fürDeutschland
durchdenBrexit sicherlich ein star-
ker, füroffeneMärktestehenderPart-
ner inder EuropäischenUnionweg.
Spielt es eine Rolle, zuwelchem Zeit-
punkt Großbritanniendie EUüber die
Austrittsabsicht informiert?
Ich bin fest davon überzeugt, dass
derBrexit signifikanteKostenverur-
sachenwird, geradeweil er so große
Unsicherheitenschafft.Aufgrunddes
ungewissenZeitpunktes erhöht sich
diese gesamtwirtschaftliche Unsi-
cherheitnocheinmaldeutlich. Sie ist
Gift fürdieWirtschaft. Insgesamtbe-
fürchte ichübrigens, dasswirwahr-
scheinlich erst in zwei bis drei Jah-
reneinigermaßensicherseinkönnen,
was ganzgenaupassierenwird.
Ein Blick in die deutsche Hauptstadt:
InwelchenBereichenwirddieBerliner
Wirtschaft dasAustrittsvotumderBri-
tenzuspürenbekommen?
Der Tourismus wird etwas, wenn
auch nicht stark leiden. Denn ein
schwächeres Pfund bedeutet, dass
wenigerBritendieHauptstadt besu-
chen.Natürlichsindauchdieexport-
orientiertenmittelständischenUn-
ternehmen inBerlindurchdie Bre-
xit-Entscheidungbetroffen.
Gibt es auch Chancen für denWirt-
schaftsstandortBerlin?
Richtig ist:Wie bei allen Entschei-
dungen wird es neben Verlierern
auch Gewinner geben. Berlin als
Start-up-Metropole hat zumindest
vorzwei Jahrennochmehr Investiti-
onen angezogen als London. Das hat
sich im letzten Jahr zwar einwenig
geändert, hier steht Berlinmit Lon-
don schon im Konkurrenzkampf.
AberwennBerlinhartdaranarbeitet,
nochattraktiveralsStandort zuwer-
den,dannkönntedieStart-up-Szene
davonprofitieren.
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FOTO: CHRISTIANKIELMANN
MARCEL
FRATZSCHER
Präsident
des
DIWBerlin
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