MEINUNG & MACHER
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BERLINER WIRTSCHAFT 01/17
D
ie Bundeshauptstadt gilt
seit einiger Zeit als Zent-
rum der Finanztechnolo-
gie-Start-up-Szene. Kaum
einer hat den Aufstieg Berlins zur Metro-
pole für junge Finanzunternehmen so eng
begleitet wie Chris Bartz. Er glaubt, dass
die Branche Großes in Berlin hervorbrin-
gen kann.
BerlinerWirtschaft:
Berlin gilt inDeutsch-
land als Fintech-Standort Nummer
eins.Wa-
rum kommen die meisten Finanz-Start-ups
nicht aus der Finanzmetropole Frankfurt?
Chris Bartz:
Warum sollte es Frankfurt
sein? In Wahrheit ist der deutsche Fi-
nanzmarkt relativ heterogen aufgestellt.
Stammsitze von Banken habenwir über-
all. Die Hypovereinsbank sitzt in Mün-
chen, die DKB in Berlin. Es gibt vie-
le Privatbanken, die nicht aus Frank-
furt kommen, sondern zum Beispiel aus
dem Rheinland oder aus Hamburg. Auf
der Versicherungsseite habenwir die Al-
lianz in München und Talanx in Hanno-
ver. Was sich in Frankfurt bündelt, ist die
Kapitalmarkt-Expertise, nicht so sehr das
klassische Banking. Aber für ein Finanz-
technologie-Start-up brauchen wir oh-
nehin eigene Kompetenzen.
Welche sind das?
Typischerweise sprechen wir immer
von drei Kompetenzen: Entrepreneuri-
al-Expertise, Technologie-Expertise und
die Branchen-Expertise. In Berlin ist al-
les vorhanden. Viele Technologie-Talen-
te sind schon hier und viele sind bereit
nach Berlin zu kommen. Für die Seite
der Entrepreneure gilt das gleiche. Nicht
umsonst ist Berlin auf der Startup-Sei-
te bekanntermaßen sehr, sehr stark. Der
dominante Faktor für den Gründungs-
standort ist aus meiner Sicht eindeutig:
Es geht vor allem darum, wo der Grün-
der und das Kernteam lebenwollen oder
schon leben – für viele ist das Berlin.
Ist das wirklich so einfach?
Warum sitzen Adidas und Puma in Her-
zogenaurach? Weil dort überragende
Standortfaktoren für die Produktion von
Sportschuhen sind? Nein, weil die Grün-
der dort aufgewachsen sind. Es werden
auch nicht alle Fintechs London verlas-
sen, weil der Brexit die Standortbedin-
gungen verschlechtert. Wenn ein Grün-
der London mag, wird er dort auch blei-
ben. Universitäten sind übrigens auch
immer wichtig. Dort gegründete Spin-
offs bleiben oft in der Nähe. Die Lebens-
qualität ist der Nukleus für einen Grün-
dungsstandort. Elementarer Faktor dabei
ist die Willkommenskultur. Wir müssen
eine offene Stadt bleiben.
Sind auch Fintechs auf Talente und Fach-
kräfte aus demAusland angewiesen?
Ja, der Fintech-Inkubator Finleap, für den
ich gearbeitet habe, beschäftigt über 300
Mitarbeiter aus 30 Nationen. Das Start-
up Elinvar, das ich im Juli mitgegründet
habe, ist noch deutlich kleiner – aberwir
sind sehr froh und dankbar, dass bereits
Talente aus Australien und Brasilien ex-
tra für diese Idee zu uns nach Berlin ge-
kommen sind. Wir dürfen in dieser Stadt
nicht vergessen, dass diese Anziehungs-
kraft eines unserer größtenAssets ist.Wir
müssen offen bleiben. Leider gibt es in
dieser Hinsicht in Deutschland im Mo-
ment auch unerfreuliche Tendenzen.
Dass Berlin Unternehmer- und Technolo-
gie-Talente anzieht, ist unbestritten. Aber
finden Sie hier auch Mitarbeiter mit Erfah-
rungen in der Finanzbranche?
Klares Ja. Wir dürfen nicht vergessen,
dass die Kombination aus Finanz und
Technologie auch immer erfordert, sich
intensiv mit der entsprechenden Regu-
lierung auseinanderzusetzen. Und die
Regulierung wird nun einmal hier am
Sitz der Bundesregierung maßgeblich ge-
staltet und beschlossen. Die Nähe zur Po-
litik und zu denVerbänden ist also eben-
falls ein Standortvorteil.
Hat ein Start-up-Unternehmen tatsächlich
Zeit, sich mit den Prozessen der Gesetzge-
bung zu beschäftigen?
Das sollten sie unbedingt tun. Die Ge-
schäftsmodelle, die junge Fintechs ent-
wickeln, sind immer sehr vertrauensab-
hängig und finden in einem regulierten
Umfeld statt. Das ist gut so und spiegelt
sich im Regelfall auch in der fachlichen
Qualifikation der Gründerteams wider.
Natürlich müssen Fintechs die relevanten
Gesetze kennen. Aber kann sich nicht jeder
Gründer die Paragrafen auch genau so gut in
München oder Flensburg durchlesen?
Natürlich. Es geht allerdings nicht nur
umdie bestehende Regulierung, sondern
auch um die Weiterentwicklung sowie
völlig neue Aspekte der Regulierung. Da-
zu muss man wissen, dass in Deutsch-
land viele der entsprechenden Gesetze
in Zeiten geschrieben wurden, in denen
die Technologie bei weitemnoch nicht so
weit war. In der Beratung beispielsweise
bildet die Regulierung die Situation ab, in
der sich zwei Menschen gegenüber sitzen
und sich in die Augen schauen können…
… aber das ist nicht gerade ein digitales Ge-
schäftsmodell. Ihr Start-up befasst sich mit
der digitalen Beratung. Ist das ein unregu-
lierter Bereich?
Nein. Die Beratung ist zu Recht immer
reguliert. Kern des Geschäftsmodells von
Elinvar ist eine Plattformdurch die eta- »
Chris Bartz ist Vorsitzender des Fintech-Arbeitskreises im Bitkom
und beobachtet Berlins Finanz-Start-up-Szene intensiv. Jetzt hat er
mit Elinvar auch eine eigene Firma gegründet.
»
Von Michael Gneuss
„Fintechs können
sehr großwerden“
INTERVIEW DES MONATS
FOTO: CHRISTIAN KIELMANN