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MEINUNG & MACHER

19

BERLINER WIRTSCHAFT 01/17

D

ie Bundeshauptstadt gilt

seit einiger Zeit als Zent-

rum der Finanztechnolo-

gie-Start-up-Szene. Kaum

einer hat den Aufstieg Berlins zur Metro-

pole für junge Finanzunternehmen so eng

begleitet wie Chris Bartz. Er glaubt, dass

die Branche Großes in Berlin hervorbrin-

gen kann.

BerlinerWirtschaft:

Berlin gilt inDeutsch-

land als Fintech-Standort Nummer

eins.Wa

-

rum kommen die meisten Finanz-Start-ups

nicht aus der Finanzmetropole Frankfurt?

Chris Bartz:

Warum sollte es Frankfurt

sein? In Wahrheit ist der deutsche Fi-

nanzmarkt relativ heterogen aufgestellt.

Stammsitze von Banken habenwir über-

all. Die Hypovereinsbank sitzt in Mün-

chen, die DKB in Berlin. Es gibt vie-

le Privatbanken, die nicht aus Frank-

furt kommen, sondern zum Beispiel aus

dem Rheinland oder aus Hamburg. Auf

der Versicherungsseite habenwir die Al-

lianz in München und Talanx in Hanno-

ver. Was sich in Frankfurt bündelt, ist die

Kapitalmarkt-Expertise, nicht so sehr das

klassische Banking. Aber für ein Finanz-

technologie-Start-up brauchen wir oh-

nehin eigene Kompetenzen.

Welche sind das?

Typischerweise sprechen wir immer

von drei Kompetenzen: Entrepreneuri-

al-Expertise, Technologie-Expertise und

die Branchen-Expertise. In Berlin ist al-

les vorhanden. Viele Technologie-Talen-

te sind schon hier und viele sind bereit

nach Berlin zu kommen. Für die Seite

der Entrepreneure gilt das gleiche. Nicht

umsonst ist Berlin auf der Startup-Sei-

te bekanntermaßen sehr, sehr stark. Der

dominante Faktor für den Gründungs-

standort ist aus meiner Sicht eindeutig:

Es geht vor allem darum, wo der Grün-

der und das Kernteam lebenwollen oder

schon leben – für viele ist das Berlin.

Ist das wirklich so einfach?

Warum sitzen Adidas und Puma in Her-

zogenaurach? Weil dort überragende

Standortfaktoren für die Produktion von

Sportschuhen sind? Nein, weil die Grün-

der dort aufgewachsen sind. Es werden

auch nicht alle Fintechs London verlas-

sen, weil der Brexit die Standortbedin-

gungen verschlechtert. Wenn ein Grün-

der London mag, wird er dort auch blei-

ben. Universitäten sind übrigens auch

immer wichtig. Dort gegründete Spin-

offs bleiben oft in der Nähe. Die Lebens-

qualität ist der Nukleus für einen Grün-

dungsstandort. Elementarer Faktor dabei

ist die Willkommenskultur. Wir müssen

eine offene Stadt bleiben.

Sind auch Fintechs auf Talente und Fach-

kräfte aus demAusland angewiesen?

Ja, der Fintech-Inkubator Finleap, für den

ich gearbeitet habe, beschäftigt über 300

Mitarbeiter aus 30 Nationen. Das Start-

up Elinvar, das ich im Juli mitgegründet

habe, ist noch deutlich kleiner – aberwir

sind sehr froh und dankbar, dass bereits

Talente aus Australien und Brasilien ex-

tra für diese Idee zu uns nach Berlin ge-

kommen sind. Wir dürfen in dieser Stadt

nicht vergessen, dass diese Anziehungs-

kraft eines unserer größtenAssets ist.Wir

müssen offen bleiben. Leider gibt es in

dieser Hinsicht in Deutschland im Mo-

ment auch unerfreuliche Tendenzen.

Dass Berlin Unternehmer- und Technolo-

gie-Talente anzieht, ist unbestritten. Aber

finden Sie hier auch Mitarbeiter mit Erfah-

rungen in der Finanzbranche?

Klares Ja. Wir dürfen nicht vergessen,

dass die Kombination aus Finanz und

Technologie auch immer erfordert, sich

intensiv mit der entsprechenden Regu-

lierung auseinanderzusetzen. Und die

Regulierung wird nun einmal hier am

Sitz der Bundesregierung maßgeblich ge-

staltet und beschlossen. Die Nähe zur Po-

litik und zu denVerbänden ist also eben-

falls ein Standortvorteil.

Hat ein Start-up-Unternehmen tatsächlich

Zeit, sich mit den Prozessen der Gesetzge-

bung zu beschäftigen?

Das sollten sie unbedingt tun. Die Ge-

schäftsmodelle, die junge Fintechs ent-

wickeln, sind immer sehr vertrauensab-

hängig und finden in einem regulierten

Umfeld statt. Das ist gut so und spiegelt

sich im Regelfall auch in der fachlichen

Qualifikation der Gründerteams wider.

Natürlich müssen Fintechs die relevanten

Gesetze kennen. Aber kann sich nicht jeder

Gründer die Paragrafen auch genau so gut in

München oder Flensburg durchlesen?

Natürlich. Es geht allerdings nicht nur

umdie bestehende Regulierung, sondern

auch um die Weiterentwicklung sowie

völlig neue Aspekte der Regulierung. Da-

zu muss man wissen, dass in Deutsch-

land viele der entsprechenden Gesetze

in Zeiten geschrieben wurden, in denen

die Technologie bei weitemnoch nicht so

weit war. In der Beratung beispielsweise

bildet die Regulierung die Situation ab, in

der sich zwei Menschen gegenüber sitzen

und sich in die Augen schauen können…

… aber das ist nicht gerade ein digitales Ge-

schäftsmodell. Ihr Start-up befasst sich mit

der digitalen Beratung. Ist das ein unregu-

lierter Bereich?

Nein. Die Beratung ist zu Recht immer

reguliert. Kern des Geschäftsmodells von

Elinvar ist eine Plattformdurch die eta- »

Chris Bartz ist Vorsitzender des Fintech-Arbeitskreises im Bitkom

und beobachtet Berlins Finanz-Start-up-Szene intensiv. Jetzt hat er

mit Elinvar auch eine eigene Firma gegründet.

»

Von Michael Gneuss

„Fintechs können

sehr großwerden“

INTERVIEW DES MONATS

FOTO: CHRISTIAN KIELMANN