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BERLINER WIRTSCHAFT 01/17

14

TITELTHEMA

„Rosinenpickerei

darf es nicht geben“

INTERVIEW

BerlinerWirtschaft:

Herr Prof. Hirschl,

wie kann Berlin das ambitionierte Ziel

der Klimaneutralität bis 2050 erreichen?

Prof. Bernd Hirschl:

Ganz einfach: In-

demdie Stadt die Energiewende ernst

nimmt und zum Beispiel die solaren

Chancen stärker nutzt.

Was schlagen sie vor?

Man muss einen Rahmen für eine

urbane Energiewende

schaffen. Gerade eine ur-

bane Solarwende braucht

einen anderen Rahmen

als es die Bundesgesetz-

gebung bisher vorgibt. So

haben wir bei Solarener-

gie und -strom in vielen

Bereichen dieWirtschaft-

lichkeitsschwelle erreicht,

zumBeispiel beimEigen-

verbrauch oder Mieter-

strommodellen.

Welche Herausforderungen

gilt es noch zu bewältigen?

Ob Energieversorgung, Gebäude und

Stadtentwicklung,Wirtschaft, Verkehr

oder private Haushalte: Alle Sektoren

und Bereiche müssen signifikant zum

Klimaschutz beitragen. Dazu wur-

den im Berliner Energie- und Klima-

schutzprogramm 107 Maßnahmen in

den einzelnen Handlungsfeldern vor-

geschlagen. Dabei gilt: Die Umsetzung

aller Maßnahmen ist auf demWeg zu

einer klimaneutralenMetropolewich-

tig. Es darf keine Rosinenpickerei ge-

ben!

Wirtschaftsforscher Prof. Bernd Hirschl über Berlins

Vorbildfunktion im Klimaschutz, ökonomische Potenziale

und Auszubildende als Energiescouts in KMUs

Welche Rolle spielt bei der Integration

von Klimaschutz in der Hauptstadt die

Aus- undWeiterbildung?

Sie spielt eine zentrale Rolle, wennwir

mit dem Thema Klimaschutz positi-

ve Effekte imökonomischen Sinne er-

zielen wollen. Denn die Technologi-

en entwickeln sich in diesem Bereich

schnell weiter.

Auf welcheWeise kann das

Thema aus ökonomischer

Sicht insgesamt weiter vo-

rangebracht werden?

Hilfreich wäre es, wenn

Berlin beispielsweise mit

Blick auf die Solarener-

gie oder energetische Sa-

nierung eine Vorreiter-

rolle einnimmt und hier

mit einer großen Anzahl

eigener Projekte voran-

geht. Diese Nachfrage

würde Unternehmen auf

das Gleis setzen, die bei Planung so-

wie Durchführung federführend sind

und nach Ende des Projektes weitere

Projekte suchen und dadurch schnell

Skaleneffekte erzielen können.

In welchen Feldern werden Wertschöp-

fungseffekte besonders stark sein?

Grundsätzlich gilt: Der Klimaschutz

hat große ökonomische Potenziale

in vielen Wirtschaftszweigen. Wich-

tige Wertschöpfungsfelder sind da-

bei Energieerzeugung, Energieef-

fizienz oder das Thema Flexibilität

mit dazugehörigen Innovationen im

Lastenmanagement oder bei Pow-

er-to-X-Lösungen.

Wie ist die BerlinerWirtschaft in diesen

Bereichen aufgestellt?

Die Berliner Wirtschaft hat insge-

samt recht gute Bedingungen. Wir

haben hier den Schwerpunktclus-

ter Energietechnik. Das heißt, meh-

rere tausend Unternehmen beschäf-

tigen sich in den Bereichen Produkti-

on und Dienstleistungen mit diesem

Thema. Zugleich ist Berlin auch als

Hochschul- und Gründungsstandort

dazu geeignet, auf dem Weg zu ei-

ner klimaneutralen Metropole stär-

ker aktiv zu werden. Wenn ich das

mit dem Thema Digitalisierung ver-

gleiche, wo der Senat die Einrichtung

von 50 neuen Professuren auch fi-

nanziell unterstützt, dann würde ich

mir wünschen, dass das Thema Kli-

maschutz genauso ein Schwerpunkt

wird. Gerade in der Verbindung von

Klimaschutz, Energiewende und Di-

gitalisierung steckt nach meiner

Überzeugung noch einiges an Musik

für die Wissenschafts- und Grün-

dungsmetropole Berlin drin.

Welche Tipps können Sie gerade kleinen

Unternehmen geben?

Ich kann kleinen Unternehmen nur

dazu raten, das Thema Energiever-

brauch einfach mal auf die Agenda

zu heben. Die passende Frage: Habe

ich so hohe Energiekosten, dass die

Vermutung besteht, ich könnte auch

etwas einsparen. Wenn sie als Un-

ternehmenschef die Frage mit „Ja“

beantworten, werden sie bitte ak-

tiv und suchen sich eine kompeten-

te Beratung. Es ist auch wichtig, das

Thema imUnternehmen in die Brei-

te zu tragen und die Mitarbeiter mit-

zunehmen. Ein guter Ansatz sind die

Energiescouts. Hierbei übergibt man

einem Auszubildenden das Thema

Energie und lässt ihn in einemWei-

terbildungslehrgang ausbilden.

‹ JB

FOTO: IÖW

PROF. BERND

HIRSCHL

Institut für

ökologische Wirt-

schaftsforschung