BERLINER WIRTSCHAFT 01/17
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TITELTHEMA
„Rosinenpickerei
darf es nicht geben“
INTERVIEW
BerlinerWirtschaft:
Herr Prof. Hirschl,
wie kann Berlin das ambitionierte Ziel
der Klimaneutralität bis 2050 erreichen?
Prof. Bernd Hirschl:
Ganz einfach: In-
demdie Stadt die Energiewende ernst
nimmt und zum Beispiel die solaren
Chancen stärker nutzt.
Was schlagen sie vor?
Man muss einen Rahmen für eine
urbane Energiewende
schaffen. Gerade eine ur-
bane Solarwende braucht
einen anderen Rahmen
als es die Bundesgesetz-
gebung bisher vorgibt. So
haben wir bei Solarener-
gie und -strom in vielen
Bereichen dieWirtschaft-
lichkeitsschwelle erreicht,
zumBeispiel beimEigen-
verbrauch oder Mieter-
strommodellen.
Welche Herausforderungen
gilt es noch zu bewältigen?
Ob Energieversorgung, Gebäude und
Stadtentwicklung,Wirtschaft, Verkehr
oder private Haushalte: Alle Sektoren
und Bereiche müssen signifikant zum
Klimaschutz beitragen. Dazu wur-
den im Berliner Energie- und Klima-
schutzprogramm 107 Maßnahmen in
den einzelnen Handlungsfeldern vor-
geschlagen. Dabei gilt: Die Umsetzung
aller Maßnahmen ist auf demWeg zu
einer klimaneutralenMetropolewich-
tig. Es darf keine Rosinenpickerei ge-
ben!
Wirtschaftsforscher Prof. Bernd Hirschl über Berlins
Vorbildfunktion im Klimaschutz, ökonomische Potenziale
und Auszubildende als Energiescouts in KMUs
Welche Rolle spielt bei der Integration
von Klimaschutz in der Hauptstadt die
Aus- undWeiterbildung?
Sie spielt eine zentrale Rolle, wennwir
mit dem Thema Klimaschutz positi-
ve Effekte imökonomischen Sinne er-
zielen wollen. Denn die Technologi-
en entwickeln sich in diesem Bereich
schnell weiter.
Auf welcheWeise kann das
Thema aus ökonomischer
Sicht insgesamt weiter vo-
rangebracht werden?
Hilfreich wäre es, wenn
Berlin beispielsweise mit
Blick auf die Solarener-
gie oder energetische Sa-
nierung eine Vorreiter-
rolle einnimmt und hier
mit einer großen Anzahl
eigener Projekte voran-
geht. Diese Nachfrage
würde Unternehmen auf
das Gleis setzen, die bei Planung so-
wie Durchführung federführend sind
und nach Ende des Projektes weitere
Projekte suchen und dadurch schnell
Skaleneffekte erzielen können.
In welchen Feldern werden Wertschöp-
fungseffekte besonders stark sein?
Grundsätzlich gilt: Der Klimaschutz
hat große ökonomische Potenziale
in vielen Wirtschaftszweigen. Wich-
tige Wertschöpfungsfelder sind da-
bei Energieerzeugung, Energieef-
fizienz oder das Thema Flexibilität
mit dazugehörigen Innovationen im
Lastenmanagement oder bei Pow-
er-to-X-Lösungen.
Wie ist die BerlinerWirtschaft in diesen
Bereichen aufgestellt?
Die Berliner Wirtschaft hat insge-
samt recht gute Bedingungen. Wir
haben hier den Schwerpunktclus-
ter Energietechnik. Das heißt, meh-
rere tausend Unternehmen beschäf-
tigen sich in den Bereichen Produkti-
on und Dienstleistungen mit diesem
Thema. Zugleich ist Berlin auch als
Hochschul- und Gründungsstandort
dazu geeignet, auf dem Weg zu ei-
ner klimaneutralen Metropole stär-
ker aktiv zu werden. Wenn ich das
mit dem Thema Digitalisierung ver-
gleiche, wo der Senat die Einrichtung
von 50 neuen Professuren auch fi-
nanziell unterstützt, dann würde ich
mir wünschen, dass das Thema Kli-
maschutz genauso ein Schwerpunkt
wird. Gerade in der Verbindung von
Klimaschutz, Energiewende und Di-
gitalisierung steckt nach meiner
Überzeugung noch einiges an Musik
für die Wissenschafts- und Grün-
dungsmetropole Berlin drin.
Welche Tipps können Sie gerade kleinen
Unternehmen geben?
Ich kann kleinen Unternehmen nur
dazu raten, das Thema Energiever-
brauch einfach mal auf die Agenda
zu heben. Die passende Frage: Habe
ich so hohe Energiekosten, dass die
Vermutung besteht, ich könnte auch
etwas einsparen. Wenn sie als Un-
ternehmenschef die Frage mit „Ja“
beantworten, werden sie bitte ak-
tiv und suchen sich eine kompeten-
te Beratung. Es ist auch wichtig, das
Thema imUnternehmen in die Brei-
te zu tragen und die Mitarbeiter mit-
zunehmen. Ein guter Ansatz sind die
Energiescouts. Hierbei übergibt man
einem Auszubildenden das Thema
Energie und lässt ihn in einemWei-
terbildungslehrgang ausbilden.
‹ JB
FOTO: IÖW
PROF. BERND
HIRSCHL
Institut für
ökologische Wirt-
schaftsforschung