NEUE UNTERNEHMEN & MÄRKTE
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BERLINER WIRTSCHAFT 02/17
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Der ungekürzte Text ist zu
finden unter:
www.gruenderszene.deAußerdem kann nach Antragstellung mit
anderen Stakeholdern verhandelt werden
– zum Beispiel mit dem Vermieter über
eine geringere Miete. So kann die Fort-
führung für Zweierlei genutzt werden:
Um Liquidität aufzubauen und um Zeit
für einen möglichen Neustart zu schaf-
fen. Beides Dinge, die das Management
vor Antragstellung in der Regel nicht hat-
te und deshalb auch nicht auf Augenhöhe
agieren konnte.
Eigenverwaltung weiter möglich
Außerdem besteht für die Geschäftsfüh-
rung die Möglichkeit, beim Insolvenzge-
richt eine Eigenverwaltung zu beantra-
gen. Das Insolvenzgericht wird dies in der
Regel akzeptieren, wenn die Geschäfts-
führung ab Antragstellung um einen In-
solvenzexperten erweitert wird und der
Antrag unter Einbindung der wesentli-
chen Gläubiger, die sich auch in einem
„Gläubigerausschuss“ formieren können,
gut vorbereitet und begründet ist.
Damit bleibt das Management weiter ver-
antwortlich undwird im Innenverhältnis
von einem vom Gericht bestellten unab-
hängigen Sachwalter kontrolliert. Mit ihm
werden Entscheidungen abgestimmt, al-
so zum Beispiel die Fortführung des Ge-
schäftsbetriebs oder einMergers &Acqui-
sitions-Prozess. Hinzu kommt, dass das
Management mit dem Rückenwind der
positiven Entscheidung des Insolvenz-
gerichts sich ganz anders gegenüber den
Stakeholdern (Kunden, Lieferanten, Ar-
beitnehmer, Presse) positionieren und
dies gerade für die ersten Wochen der
Geschäftsfortführung von entscheiden-
der Bedeutung sein kann.
Sobald der Geschäftsbetrieb stabili-
siert ist, kann sich das Management um
die beste Lösung für das Unternehmen
kümmern. Denkbar sind die übertra-
gende Sanierung im Rahmen eines Asset
Deals, bei dem die für die Fortführung
notwendigen Vermögensgegenstände
(zusammen mit den Arbeitnehmern) auf
eine neue Gesellschaft übertragen wer-
den oder die Entschuldung und Restruk-
turierung des Unternehmens über einen
Insolvenzplan mit alten und/oder neuen
Investoren.
Auf Augenhöhe verhandeln können
Entscheidend ist, dass das Management
mit diesem Weg die Augenhöhe wieder
erreicht oder erhält, weil die Spielregeln
weitgehend über die Gläubiger, die vom
Sachwalter vertreten werden, bestimmt
werden. So wird in der Regel der Sach-
walter keinen Vorrang einzelner Inves-
toren hinnehmen wollen. Damit erreicht
das Management echtenWettbewerb, der
zwei wesentliche Vorteile hat: Bei min-
destens zwei heißen Interessenten wird
der Kaufpreis in der Regel höher sein als
bei nur einemund vor allemwird die Ab-
schlusswahrscheinlichkeit deutlich er-
höht. Und genau das, also dass das Un-
ternehmen erhalten und möglichst vie-
le Arbeitsplätze gerettet werden können,
ist ganz oft eine wesentliche Motivation
für die Gründer, bis zuletzt zu kämpfen.
Die Eigenverwaltung und die damit
einhergehenden Konsequenzen für die
Gesellschafter lassen sich übrigens auch
sehr gut im Vorfeld nutzen: So kann das
Management in den Finanzierungsver-
handlungen transparent mitteilen, was
gerade noch akzeptabel ist, um eine An-
tragstellung zu vermeiden oder eben
nicht. Dann besteht immer noch die Mög-
lichkeit, die Verhandlungen nachAntrag-
stellungmit demSachwalter fortzusetzen.
Dies imBlick habend, bietet eine stra-
tegische Insolvenz nicht nur Chancen für
das Management und das Unternehmen,
sondern auch für die Gesellschafter, die
an die Zukunft des Start-ups glauben.
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Vincenz von Braun ist Rechtsanwalt und
Gründungspartner von Anchor Rechtsanwälte