Berliner Wirtschaft Mai 2023

Mit fortschreitender Industrialisierung kam es zur Gründung des Verbands Deutscher Elektrotechniker (VDE). Einer seiner Hauptaufträge: Vorschriften machen von Björn Berghausen (BBWA) I m Zuge der rasanten Industrialisierung gewann die Rolle von Ingenieuren an Bedeutung. Sie wollten sich nicht nur auf ihre technische Kreativität beschränken lassen, sondern sich auch in der Wissenschaft, in der Politik und in der Gesellschaft Gewicht verschaffen. Die Einrichtung ingenieurwissenschaftlicher Lehrstühle an technischen Hochschulen ließ den akademischen Bereich blühen. Für die allgemeine Geltung und Anerkennung wurden Vereinigungen des Gedankenaustauschs und der Interessenvertretung gegründet, etwa 1856 der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) oder 1879 der Elektrotechnische Verein Berlin. Das große Selbstvertrauen wird aus dem Gründungsaufruf zum Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE) deutlich: Dem neuen Verband als Dachorganisation aller Elektrotechnischen Vereine im Reich komme die „Förderung unserer Wissenschaft“ und die „Vertretung unserer Interessen“ zu. Von Anfang an stand allerdings auch das Bedürfnis nach „Normalien“ in der Industrie Pate, also nach allgemein gültigen Normen, Vorschriften und Betriebsanweisungen. Das Gründungsdatum des VDE musste auf den 20. bis 22. Januar 1893 verschoben werden, weil drei Tage vor dem ursprünglichen Termin einer der Ideengeber der Elektroindustrie und des Verbands, Werner von Siemens, gestorben war. Zum ersten Vorsitzenden von 1893 bis 1895 wurde der umtriebige und bestens vernetzte Adolf Slaby (1849–1913) berufen, der seit 1886 an der TH Charlottenburg der erste Professor für Elektrotechnik war. 1906 bis 1908 war er dann Vorsitzender des VDI. Slaby war Fachmann für drahtlose Funktechnik, sein Assistent Georg Graf von Arco leitete 1903 die neu gegründete Telefunken. Zu Beginn der Verbandstätigkeit standen in einzelnen Kommissionen Errichtungs- und Betriebsvorschriften im Zusammenhang mit der Elektrifizierung der Städte und Regionen im Vordergrund, dann widmete man sich den „Normalien“ und Vorschriften für einzelne Maschinen und ab 1905 den Hochspannungsbauten und Überlandzentralen. Als man zum 25. Jubiläum des Verbands die „vollständige Verknüpfung mit dem gesamten Dasein“ feststellte, galt dies freilich auch für den Krieg, allein Slabys Funktechnik bedenkend. In beiden Weltkriegen war der VDE mit der Rüstungswirtschaft eng verwoben. Die Gründung des Allgemeinen Normenausschusses der deutschen Industrie 1917, heute als Deutsches Institut für Normung (DIN) besser bekannt, setzte die Ausbreitung des Ingenieursdenkens bis in kleinste Bereiche fort. Die vollständige Durchdringung der industrialisierten Gesellschaft durch die Elektrifizierung ist wahrscheinlich am ehesten mit der heutigen Digitalisierung zu vergleichen. Menschen wie Slaby, Siemens, Eduard Becker oder Emil Rathenau, in dessen Haus der VDE vor 130 Jahren gegründet wurde, haben das Image der Ingenieure begründet und die Verbindung von technischer Innovation und unternehmerischer Investition vorgelebt. ■ Zugang zum Wirtschaftsarchiv Die Bestände des Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchivs (BBWA) können nach Vereinbarung eingesehen werden. Kontakt und Infos: bb-wa.de Der Ruf nach „Normalien“ Adolf Slaby war nach VDE-Gründung im Jahr 1893 erster Vorsitzender. Der Verband sorgte unter anderem für Betriebsanweisungen für einzelne Maschinen, wie etwa für die erste Drehstromanlage im Kraftwerk Schiff- bauerdamm (Bild links von 1896) FOTOS: BBWA BRANCHEN | Historie | 42 Berliner Wirtschaft 05 | 2023

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