Berliner Wirtschaft Mai 2023

Ressource Wasser für die Wirtschaft IHK-Forderungspapier Unternehmensumfrage Innovations-Challenge Seite 17 IHK-Hotline Anlaufstelle erleichtert ausländischen Fachkräften den Berufseinstieg Seite 54 Zukunftsorte Wo Deep-Tech-Start-ups an den Geschäftsmodellen von morgen feilen Seite 10 Hoch hinaus mit guten Ideen Berliner Mittelständler als Hidden Champions: Alexandra Knauer spricht über das Erfolgsgeheimnis ihres Hightech-Familienunternehmens Seite 20, Interview Seite 28 Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 05/2023 ihk.de/berlin

Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 05/2022 berliner-wirtschaft.de Kein Witz. Wählen! Die IHK-Wahl 2022 im Spiegel der komischen Kunst und der Vater der sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard, im Gespräch – eine alles außer gewöhnliche Ausgabe Seite 20, Interview Seite 32 Parlament der Wirtschaft: Bis zum 23. Mai läuft die Jetzt per Briefwahl oder online wählen! IHK-Wahl 2022 BERLINER Wirtschaft BERLINER Wirtschaft Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 11/2022 berliner-wirtschaft.de So werden Unternehmen jetzt entlastet Energiehilfen Überblick und IHK-Service S. 10 Eins plus eins gleich Erfolg Start-up-Chefin Julia Gebert und Mittelständler Christian Rücker machen’s vor: Von der Partnerschaft ihrer Unternehmen profitieren beide. Wie, erzählen sie hier Seite 16, Interview Seite 26 Jobmesse Brücke in den Arbeitsmarkt: IHK bringt Geflüchtete und Unternehmen zusammen Seite 42 IHK & HTW Kooperation stärkt Berlin als Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Seite 12 Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 01-02/2023 ihk.de/berlin Positionen Update der Wahlprüfsteine Das erwartet die Wirtschaft vom künftigen Senat Seite 10 Tools für neue Talente Attraktives Arbeitsumfeld und Weiterbildungen – wie Unternehmen zu Top-Arbeitgebermarken werden. Im Interview: Kerstin Oster, Vorständin der Berliner Wasserbetriebe Seite 20, Interview Seite 28 Weiterbildung IHK bietet neue Seminare zu Nachhaltigkeit und Digitalisierung an Seite 42 Fachkräfte Umfrage von IHK und VBKI zeigt großes Potenzial bei Zuwanderern Seite 38 Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 03/2023 ihk.de/berlin Auf den Punkt Stadtgespräch Mittelstand Berlin braucht ein modernes öffentliches Beschaffungswesen Seite 13 Wir können auch Krise Berlins Unternehmen müssen Herausforderungen etwa bei Lieferketten und Energieversorgung meistern. Das Zauberwort heißt Resilienz. Ein Gespräch dazu mit Armin Seitz von Moll Marzipan Seite 20, Interview Seite 28 Fachkräfte HR-Analyse-Tools erleichtern Unternehmen ihre langfristige Personalplanung Seite 46 Konjunktur Die Wirtschaftslage in der Region hellt sich auf, Risiken bleiben jedoch präsent Seite 14 THEMEN IM JAHR 2023 IHRE ANSPRECHPARTNERIN Evelyn Claus Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Tel.: 0170 / 375 32 81, evelyn.claus@axelspringer.de Von Bildung bis Außenhandel: Diese Beiträge erwarten Sie unter anderem in den kommenden Monaten in der „Berliner Wirtschaft“ JULI / AUGUST SEPTEMBER OKTOBER NOVEMBER Anzeigenschluss: 29. Juni 2023 Anzeigenschluss: 10. August 2023 Anzeigenschluss: 4. September 2023 Anzeigenschluss: 5. Oktober 2023 Wirksame Bildung Jüngste Studien haben einmal mehr bestätigt: Das Lernniveau der Berliner Schülerinnen und Schüler weist gravierende Mängel auf. Wie kann man Schulen und Bildungsqualität verbessern, auch mit Blick auf Berufsorientierung und Berufsbildung? Kreislaufwirtschaft Nicht nur das veränderte Konsum- und Einkaufsverhalten verändert die Branche. Secondhand, Backmarket und „Mieten statt Kaufen“ verdeutlichen insgesamt einen Trend zu mehr Nachhaltigkeit. Wiederverwendung kommt dabei vor Recycling. Visionen für den Berliner Verkehr Die Verteilung des Straßenraums ist ein andauerndes Diskussionsthema in Berlin. Infrastrukturprobleme, das Erreichen von Klimazielen, Bevölkerungswachstum und das Fehlen von Fachkräften erfordern tragbare Lösungen. Außenhandel Die weltpolitische Lage beeinflusst die Außenwirtschaft in erheblichem Maße. Konsequenzen anderer Art dürfte auch die Lieferkettenrichtlinie haben, die die EU in diesem Jahr verabschieden will. Ein Blick auf globale Märkte und den Berliner Außenhandel. FOKUS Intermodaler Verkehr Aus nebeneinander bestehenden Verkehrsangeboten wird eine jederzeit und überall flexibel nutzbare urbane Mobilitätskette. Sharing und öffentlicher Nahverkehr ergänzen sich dank Mobility Hubs und vernetzter App- Lösungen. MICE Kunden und Mitarbeiter gewinnen und binden, Netzwerken und produktiver Austausch, all das wird durch Messen, Incentives, Kongresse und Meetings ermöglicht. Neben direkten Begegnungen haben auch neue Technologien ihren Platz im Angebot. Smart City Wie sieht ein Berlin aus, das den Anforderungen an einen Wirtschaftsstandort für die nächsten Jahrzehnte gerecht werden kann? Digitale Infrastruktur gehört ebenso zur Grundausstattung wie eine effiziente und nachhaltige Energieversorgung. Airport-Region Kein anderes Infrastrukturprojekt in Berlin und Brandenburg hat einen größeren Einfluss auf die Entwicklung von Stadtquartieren und den Verflechtungsraum zwischen den Bundesländern. Im Südosten Berlins ist der BER ein wichtiger Motor für die Wirtschaft. VERLAGSTHEMEN IHK-Ehrenamt Das Video zum Prüfersong Teamwork beim Dreh: Die Hymne auf die Prüfer geht ins Netz Seite 50 Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 04/2023 ihk.de/berlin Imagepflege So können Unternehmen ihre digitale Reputation verbessern Seite 56 Fachkräfte Die „Praktikumswoche“ ermöglicht gegenseitiges Beschnuppern Seite 44 Basis fürs Business Unternehmen profitieren, wenn Daten von Verwaltungen maschinenlesbar und frei verfügbar sind. Für die Tegel Projekt GmbH, sagt Gudrun Sack, ist Open Data ein Standortfaktor Seite 16, Interview Seite 26

„Das Beste für Berlin“ – haben CDU und SPD in ihrem kürzlich vorgestellten Koalitionsvertrag versprochen. Wir halten mit den „Besten aus Berlin“ mit. Mit den Berliner Hidden Champions: mittelständische Unternehmen, die zu den Top 3 ihrer Nische gehören oder Marktführer auf ihrem Kontinent sind und trotzdem in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Mindestens 36 Hidden Champions gibt es in Berlin, einige von ihnen – und ihre Erfolgsrezepte – stellen wir in dieser Ausgabe vor. (S. 20) So unterschiedlich die Geschäftsfelder sind, die hohe Innovationskraft, viel Engagement bei der Ausbildung des Nachwuchses und eine langfristige Strategie haben alle gemeinsam. Und ich bin sicher, Berlin hat Raum und Potenzial für noch viel mehr Champions. Als IHK Berlin wollen wir diesen Weg unterstützen, zum Beispiel mit unserem Angebot „Mittelstand meets Start-ups“, das gezielt innovative Start-ups mit etablierten Mittelständlern vernetzt. Auch in der zweiten Auflage dieser Initiative haben wir wieder spannende Start-ups zum Pitchen ihrer innovativen Produkte eingeladen – und wer weiß, vielleicht entwickelt sich daraus dann der nächste Hidden Champion made in Berlin. Ihr Pilotprojekt Gemeinsam mit der Bildungsorganisation Teach First Deutschland startet die IHK Berlin ein Projekt für mehr Bildungsgerechtigkeit und eine gute Berufsorientierung. Fellows unterstützen Schülerinnen und Schüler beim Abschluss – ein erfolgreiches Konzept. Seite 16 Die „Berliner Wirtschaft“ gibt es auch online: ihk.de/berlin/berliner-­ wirtschaft.de Hidden Champions made in Berlin ZEICHNUNG: ANDRÉ GOTTSCHALK; TITEL: AMIN AKHTAR Berliner Wirtschaft 05 | 2023 Sebastian Stietzel ist Präsident der IHK Berlin und Geschäftsführer der Marktflagge GmbH, Management & Investments Editorial | 03

BRANCHEN 34 Infrastruktur Vattenfall Eurofiber GmbH will Glasfaser-Ausbau in Berlin voranbringen 37 Start-up Estelle Merle von der Topi GmbH im Kurzinterview 38 Modehandel Absatzschwierigkeiten prägen die Entwicklungen in der Branche, online wie stationär 40 Gründerstory Sabia Botanicals bietet Tipps und pflanzliche Produkte für die Perimenopause 41 Mobilität Projekt mit Vorbildcharakter: S-Bahnhof Köpenick wird zum Regionalbahnhof ausgebaut 42 Historie Vorschriften mussten her: die Gründung des Verbands Deutscher Elektrotechniker 43 Jubiläum Die Wäscherei Waretex hat nach der Wende den Neustart gewagt und wird jetzt 30 AGENDA 10 Standort Zukunftsorte sind Treiber tiefgreifender Innovationen 14 Vollversammlung Berliner Politik steht im Fokus der Wirtschaft 15 Kolumne Nicole Korset-Ristic mahnt Gleichberechtigung und Vereinbarkeit an 16 Bildungspolitik IHK und Teach First wollen bessere Berufsorientierung 17 Umweltpolitik Wirtschaft fordert Sicherheit bei der Wasserversorgung 18 IHK-Ausschüsse Engagement für vernetztes, ökologisches, mobiles Berlin FOKUS 20 Hidden Champions Sie sind oft wenig bekannte Weltmarktführer mit viel Innovationspotenzial – ein Blick auf Berlins kleine Riesen 24 Good Practice Eckert & Ziegler, Berliner Seilfabrik sowie Astro- und Feinwerktechnik Adlershof überzeugen mit ihren Geschäftsmodellen 28 Interview Alexandra Knauer hat ihr Familienunternehmen zum Hidden Champion entwickelt. Der Sprung nach vorn gelang auch durch eine Innovation im Kampf gegen Corona Alexandra Knauer Eigentümerin der Knauer Wissenschaftliche Geräte GmbH Wir waren bereit, ins Risiko zu gehen, um solche Anlagen mit höchster Priorität zu entwickeln und herzustellen. Standort Mit Blick auf Berlins Innovationspotenzial mahnt IHK-Vizepräsidentin Sonja Jost überfällige Maßnahmen an 10 20 Hidden Champions Auch kleinere Unternehmen können beachtliche Schatten werfen, das zeigt der Blick auf Berlins Weltmarktführer Inhalt | 04

SERVICE 54 Anerkennung IHK-Hotline erweist sich als wirkungsvolles Instrument zur Fachkräftegewinnung 56 Unternehmensnachfolge Björn Höhn steigt dieses Jahr in die Geschäftsleitung von Florida-Eis mit ein 58 Beratung IHK gibt Tipps bei Konflikten im Unternehmen 59 Pop-up-Office IHK eröffnet in Hellersdorf temporäres Büro 61 IHK-Services Im Krisenfall gibt es für Unternehmen zahlreiche Beratungsangebote 62 Gründerszene Tipps für Start-ups, die Mitarbeiter entlassen müssen FACHKRÄFTE 44 Recruiting Seeger Gesundheitshaus überzeugt mit Empathie 46 Integration Die Jobmesse „Welcome to Berlin“ nützt Geflüchteten und Unternehmen 48 Good Practice CCVossel GmbH setzt in der Ausbildung auf eine offene Fehlerkultur 50 Ehrenamt Sascha Lenkeit prüft mit großem Engagement Kaufleute im Einzelhandel 51 Bildung „Haus der kleinen Forscher“ startet neues Angebot 52 Verbundberatung Angehende Köche lernen in der Kita und im Restaurant Unternehmensnachfolge Olaf Höhn und Sohn Björn teilen sich künftig die Geschäftsleitung der Florida-Eis Manufaktur 56 03 Editorial | 06 Entdeckt | 08 Kompakt | 53 Seminare 66 Impressum | 66 Was wurde aus … ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/ERHUI1979; FOTOS: AMIN AKHTAR, CHRISTIAN KIELMANN Berliner Wirtschaft 05 | 2023 das uns! Überlassen Sie Professionelle Entsorgungslösungen für: Gewerbeabfälle Bedarfsgerechte Konzepte zur Erfassung Ihrer gemischten Gewerbeabfälle – entsprechend der Gewerbeabfallverordnung Altpapier Beste Preise für Industrie, Handel, Gewerbe, Wohnungswirtschaft und Privathaushalte Gewerbefolien Kostengünstige und umweltgerechte Wertstoffentsorgung Andere Abfälle Zuverlässige Erfassung aller anderen Abfälle zur Verwertung (Glas, Holz, Schrott, E-Schrott) Bartscherer & Co. Recycling GmbH Montanstraße 17-21 13407 Berlin Tel: (030) 408893-0 Fax: (030) 408893-33 www.bartscherer-recycling.de Bestellungen direkt im Onlineshop. Günstige Pauschalpreise für Umleerbehälter von 240 l bis 5,5 cbm.

FOTO: ULRICH SCHUSTER Konkret dabei Nachhaltigkeit ist der Dreiklang aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten. Die IHK hilft Unternehmen, dies umzusetzen. IHK-Initiative Alle Informationen zur Nachhaltigkeitsinitiative der IHK Berlin unter: ihk.de/berlin/ nachhaltige-wirtschaft Berliner Wirtschaft 05 | 2023

E-Bikes boomen seit Jahren. Damit wächst auch die Zahl gebrauchter Velos, nicht zuletzt durch die von vielen Arbeitgebern angebotene Möglichkeit, Dienstfahrräder zu leasen. Die Leasing-Rückläufer sind eine der Bezugsquellen für Upway. Das von Toussaint Wattinne und Stéphane Ficaja 2021 in Paris gegründete Start-up hat sich auf den Handel mit refur- bished E-Bikes spezialisiert. Seit einem Jahr ist der Online-Anbieter auch in Deutschland aktiv, die Basis ist Berlin. Auf knapp 4.000 Quadratmetern werden in Berlin-Bohnsdorf E-Bikes aufbereitet. 20 Werkstatt-Schritte durchläuft ein Rad, ehe es – mit Garantie – auf die Verkaufsplattform geht. Was bisher vor allem bei Smartphones Trend war, erobert mit den E-Bikes ein weiteres Feld. Refurbishing zielt auf preisbewusste Käufer – und Nachhaltigkeit. Frischekur Upway Germany Seit Juni 2022 hat das in Frankreich gegründete Start-up eine deutsche Dependance in Berlin-Bohnsdorf. Entdeckt | 07

„Dass der Volksentscheid für ein klimaneutrales Berlin 2030 nicht erfolgreich war, ist kein Nein zum Klimaschutz. Vielmehr hat sich eine pragmatische Sicht durchgesetzt. Denn die Energiewende muss glaubwürdig, technisch umsetzbar und finanzierbar bleiben. Für den zügigen Umbau zur klimaneutralen Stadt braucht es nun vor allem schnellere Prozesse in der Verwaltung.“ Berlins Wirtschaft bekennt sich zum Klimaziel 2045 mit dem erklärten Willen, im Schulterschluss aller Beteiligten dieses Ziel früher zu erreichen Kein Nein! gesagt Sebastian Stietzel, Präsident IHK Berlin „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“: Was bei Altkanzler Helmut Schmidt galt, kann auch heute nicht ganz verkehrt sein. Wohl deswegen ruft allein das Wort „Vision“ besorgte Reaktionen hervor. Ist es gefährlich, ansteckend? Als unlängst die Vision „BVG 2050+“ der Berliner Verkehrsbetriebe öffentlich bekannt wurde, sahen Umwelt- und Fahrgastverbände jedenfalls dringenden Behandlungsbedarf. Die Ideen seien „unsinnig“ und „größenwahnsinnig“. Statt U-Bahnen in Außenbereiche zu verlängern, solle die BVG ihre Hausaufgaben machen. Das eine zu tun, heißt nicht, das andere zu lassen. Was spricht gegen einen Masterplan für die Zukunft des Verkehrs, der über eine Legislaturperiode hinausweist? Interessenwalter von Umweltschutz und ÖPNV-Nutzern, die gegen visionäre Perspektiven einer „Expressmetropole Berlin“ aufstehen, das klingt nach verkehrter Verkehrswelt. Verkehr(t) typisch berlin 2 % mehr Umsatz erzielten die Berliner Kfz-Händler 2022 inflationsbereinigt. Während der Handel mit Fahrzeugen um 3,4 Prozent stieg, sanken die Erlöse mit Instandhaltung und Reparaturen um 1,4 Prozent. FOTOS: GETTY IMAGES/GUIDO MIETH, CHRISTIAN KIELMANN Kompakt | 08

In Prozent Bremen Berlin Hamburg Brandenburg Sachsen Sachsen-Anhalt Bayern Deutschland Saarland Hessen Thüringen Baden-Württemberg Schleswig-Holstein Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Mecklenburg-Vorpommern Rheinland-Pfalz 5,1 4,9 4,5 3,3 2,6 2,6 2,1 1,8 1,7 1,6 1,5 1,4 1,3 1,1 1,1 0,2 -0,2 9,3 % Wohnungen weniger als im Vorjahr sind 2022 in Berlin genehmigt worden. Exakt 16.968 genehmigte Wohnungen wurden gemeldet. Die Zahl ist damit zum sechsten Mal in Folge gesunken. Kräftiges Wachstum Nur Bremen steigerte im vergangenen Jahr das Bruttoinlandsprodukt (BIP) prozentual stärker als Berlin berliner wirtschaft in zahlen Christian Nestler, IHK-Experte für Statistik Tel.: 030 / 315 10-286 christian.nestler@berlin.ihk.de Wachstum des BIP ermittelten Volkswirte für die Berliner Wirtschaft im vergangenen Jahr. 4,9 % In Berliner Haushalten ist 2022 die Wassernutzung von 118 auf 113 Liter pro Kopf gesunken. Grund dafür ist der veränderte Umgang mit warmem Wasser seit September, teilten die Berliner Wasserbetriebe mit. In den Sommermonaten haben die Berlinerinnen und Berliner hingegen mehr Wasser als 2021 verbraucht. Die Wasserbetriebe rufen seit einiger Zeit unter dem Motto „Wassser kommt nicht aus dem Hahn“ zum sorgsamen Umgang mit der Ressource auf, da die Grundwasserbestände in den Einzugsbereichen der neun Wasserwerke im Vergleich zum langjährigen Mittel um teils mehr als 75 Zentimeter gesunken sind. (Siehe auch S. 17) bw Pro-Kopf-Verbrauch leicht gesunken berliner wasserbetriebe Grafiken: BW Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder, März 2023 Ekkehard Streletzki Ute Bonde hat das Bundes- verdienstkreuz 1. Klasse erhalten. Der Unternehmer und Hotelier unterstützt viele soziale Projekte, so findet etwa in seinem Hotel Estrel in Neukölln jährlich ein Weihnachtsessen für Obdachlose statt, das von Frank Zander organisiert wird. Das einfache Bundes- verdienstkreuz wurde Streletzki 2005 verliehen. ist neue Geschäftsführerin des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB). Zuvor war sie Geschäftsführerin der Projektgesellschaft der BVG, wo sie auch für die Verlängerung der U-Bahn-Linie 5 zuständig war. Vorgängerin Susanne Henckel war als Staatssekretärin ins Bundesverkehrsministerium gewechselt. FOTOS: VBB, PA/THILO RÜCKEIS TSP, GETTY IMAGES/ISTOCKPHOTO/ECLIPSE_IMAGES Berliner Wirtschaft 05 | 2023 kopf oder zahl

ZUKUNFTSORTE TXL – Urban Tech Republic Auf dem Areal entsteht ein Forschungs- und Industriepark für urbane Technologien. Berlin Campus Charlottenburg Das Areal stellt einen der größten innerstädtischen Universitätskomplexe Europas dar. Siemensstadt Square In dem neuen Stadtteil werden Arbeiten, Forschen, Wohnen und Lernen „smart“ vereint. Berlin-Buch Mehr als 6.500 Beschäftigte zählt der Campus für Gesundheit und Lebenswissenschaften. Berlin SÜDWEST Mit dem FUBIC bekommt der Standort bald sein Technologie- und Gründungszentrum. CleanTech Marzahn Der Standort bietet Freiflächen für Unternehmen mit sauberen, nachhaltigen Technologien. Technologie-Park Humboldthain Das Gründerzentrum und produktionsorientierte Unternehmen prägen den Ort. Flughafen Tempelhof Der Kultur- und Kreativwirtschaft bietet das Areal zukünftig Raum für Experimente. EUREF-Campus Das Reallabor der Energiewende zählt über 150 Unternehmen im Bereich Energie und Mobilität. Adlershof Knapp 28.000 Menschen arbeiten im Technologiepark, dem größten Science-Park Deutschlands. Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Schöneweide Smart City und Industrie sind hier die Themen. agenda

An elf Zukunftsorten entwickeln junge Unternehmen innovative Geschäftsmodelle – sie brauchen nur bessere Bedingungen von Christian Nestler Deep Tech: Große Chancen für Berlin Die neue Koalition hat es angekündigt: „Die Koalition wird Berlin zu einem international relevanten Zentrum für Deep Tech machen.“ Die politische Ambition ist da. Und wie steht es um die Voraussetzungen? Hat Berlin das Zeug, in die internationale Deep-Tech-Spitzenliga aufzusteigen? „Auf der Wissenschaftsseite ist Berlin international auf vielen Feldern mehr als konkurrenzfähig“, weiß Sonja Jost, Vizepräsidentin der IHK Berlin und Gründerin der DexLeChem GmbH. Deutlicher Nachholbedarf bestehe aber bei der Übersetzung dieser Stärke in ökonomische Erfolge. „Deep-Tech-Start-ups, die auch als Hightech-Gründungen bekannt sind, werden durch längere Entwicklungszeiten als normale Tech-Gründungen charakterisiert und besitzen regelmäßig besondere Anforderungen an In- frastruktur“, sagt die IHK-Vizepräsidentin, die auch darauf hinweist, dass die Stadt in der Vergangenheit mit solchen Gründungen sehr stiefmütterlich umgegangen sei. „So findet man praktisch kein einziges Labor zur Miete innerhalb des S-Bahn-Ringes und außerhalb auch nur extrem schwer.“ Wenn man international mitspielen wolle, sei das eine Katastrophe. Auch in puncto Geld gibt es Nachbesserungsbedarf. „Bestehende Finanzierungsinstrumente, die traditionell auf eine sehr schnelle Skalierung » Dr. Elisa Kieback ist Mitgründerin von T-knife, einem Start-up mit Sitz in Buch, das neuartige Immuntherapien gegen Krebs entwickelt Sonja Jost Gründerin DexLeChem und IHK-Vizepräsidentin Bestehende Finanzierungsinstrumente, die traditionell auf eine sehr schnelle Skalierung ausgelegt sind, passen nicht. ausgelegt sind, passen nicht“, kritisiert Sonja Jost und weist darauf hin, dass man bei Deep-Tech-Investments einen langen Atem benötige. „Es kann nicht sein, dass viele solcher jungen Unternehmen beinahe standardmäßig in sogenannte ,Unternehmen in Schwierigkeiten‘ transferiert werden, wenn sie Darlehen der Investitionsbank Berlin bekommen – nur weil sie nicht schnell genug ihre Verlustvorträge abbauen können, da sie noch immer in der Entwicklungsphase sind. Hier muss dringend etwas passieren!“ Als Start-up-Hub ist Berlin längst im europäischen Oberhaus etabliert und konkurriert regelmäßig mit Paris und London um die Spitzenplätze bei eingeworbenen Investments aus Venture Capital (VC). Der Großteil fließt dabei in E-Commerce und Fintech. Anders verhält es sich bei Science-Tech-Gründungen aus der Wissenschaft. Unicorns sucht man hier bisher vergeblich. Stattdessen findet man Hidden Champions mit B2B-Fokus. Im Berliner Stadtbild fallen sie noch nicht auf. Sie sitzen nicht in Kreuzberg oder Berlin-Mitte, sondern haben sich – zwangsläufig – an der Peripherie ansiedeln müssen: in Berliner Zukunftsorten wie Adlershof und Buch oder auch im Berliner Südwesten. In Buch etwa wurde T-knife als Spin-off des Max-Delbrück-Zentrums und der Charité gegründet. Das Biotech-Start-up entwickelt neuartige Immuntherapien gegen Krebs: Es bringt den T-Zellen von Patienten bei, solide Tumoren zu erkennen und zu bekämpfen. „An unserer technologischen Plattform gab es großes Interesse aus der Wirtschaft. Wir wollten aber sichergehen, dass die Technologie weiterentwickelt wird, und haben uns daher gegen eine Lizenzierung und für die Gründung entschieden“, erklärt Dr. Elisa Kieback, eine der Gründerinnen von T-knife. Profitiert habe man zu Beginn zwar von Fördermitteln ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/FRANK RAMSPOTT FOTOS: DIE HOFFOTOGRAFEN GMBH, AMIN AKHTAR Standort | 11 Berliner Wirtschaft 05 | 2023

Für Deep-Tech- Unternehmen muss Deutschland nachbessern: Jelena Ivanovska, Ingmar Schuster und Philipp Markert von Exazyme sowie Dirk Radzinski, Gründer der xolo GmbH (v. l.) des Bundes. Doch in der Wachstumsphase wurde privates VC benötigt. Und zwar viel davon. „Biotech ist teuer, und man braucht Durchhaltevermögen“, erklärt Kieback. Da die technologische Plattform bereits weit entwickelt war, fanden sich schnell interessierte VC-Investoren – die meisten aus den USA. „Auf Biotech ausgerichtete VC-Investoren gibt es in Europa einfach zu wenige“, so Kieback. T-knife warb Wagniskapital in den USA ein, den Hauptsitz verlagerte man nach San Francisco, auch um die langfristige Finanzierung über einen eventuellen Börsengang zu sichern. Einem solchen Initial Public Offering (IPO) an der Nasdaq hätte sonst das deutsche Gesellschaftsrecht entgegengestanden. „Ein Gesellschaftsrecht wie etwa das niederländische hätte uns als deutsche GmbH den IPO prinzipiell ermöglicht“, ergänzt Kieback. Ob Berlin zum Deep-Tech-Star wird, liegt also nicht allein an der Landesregierung, sondern auch am Bund. Etwa bei der Regulierung von künstlicher Intelligenz (KI). Sollte diese in Deutschland zu strikt ausfallen, hat das Folgen – bis hin zur Verlagerung von Unternehmen ins Ausland. Das wäre jedenfalls das Worst-Case- Szenario für Exazyme. Das Spin-off der Freien Universität um Ingmar Schuster, Jelena Ivanovska und Philipp Markert nutzt KI, um Enzyme schneller und zielgenauer als bisher zu modifizieren. Anwendungsfelder finden sich etwa in der Nahrungsmittelindustrie, wo Prozesse mit Exazymes Innovation ressourcenschonender als bisher ablaufen könnten. Das Start-up ist ein Vorzeigeprodukt des Berliner Ausgründungsbetriebs: EXIST- und IBB-gefördert, arbeitet es mittlerweile im Entrepreneur- ship Zentrum (K.I.E.Z.) im Zukunftsort Technologie-Park Humboldthain. „Die Frühphasenförderung in Berlin ist gut aufgestellt“, bestätigt Philipp Markert, der bei Exazyme die Geschäftsentwicklung und den Vertrieb verantwortet. Die hohe Dichte an Hochschulen und Instituten schaffe Vernetzungs- und Kooperationsmöglichkeiten wie an keinem anderen deutschen Standort. Bei anderen Standortfaktoren gibt es eher Nachholbedarf. Laborkapazitäten für Gründungen und bezahlbare Büroflächen etwa sind knapp. „Man braucht ein gutes Netzwerk und etwas Glück, um da ranzukommen“, meint Markert. Und wie schaut es mit der Vernetzung in die lokale Wirtschaft aus? Das sei schwierig, so Markert. Es gebe einfach wenige Unternehmen in der Region, die geeignet und offen für Kooperationen mit einem Deep-Tech-Start-up wie ihrem seien. Eine Erfahrung, die auch andere Tech-Gründer bestätigen. So etwa Dirk Radzinski, Gründer der xolo GmbH. Er benötigt Technologie-Marktführer und Headquarters als Kooperationspartner und Kunden. Das Verfahren, das xolo entwickelt hat, nennt sich Xolographie. „Wir drucken mit Licht. Im Grunde frieren wir Hologramme im Raum ein“, erklärt Radzinski. Dabei bilden sich in einer Flüssigkeit am Schnittpunkt zweier Laserstrahlen feste Strukturen. Innerhalb weniger Minuten lassen sich so Objekte drucken, deren Produktion bisher Stunden dauerte – oder überhaupt nicht möglich war. Vor allem in der Medizintechnik bieten sich zahlreiche Anwendungsfälle. Den naheliegenden Schluss, dass die Capital Health Region dafür ein Übermaß an Kunden und Kooperationspartnern biete, mag Radzinski nicht bestätigen: „Wenn wir Kunden oder Kooperationspartner suchen, müssen wir mit den Firmenzentralen für uns interessanter Unternehmen sprechen – und die sind meist nicht in Berlin.“ Noch bestehe das Netzwerk der Deep-Tech-Ökonomie in der Region aus relativ wenigen UnterSteffen Terberl Leiter Geschäftsstelle Berliner Zukunftsorte Im Vergleich zu Oxbridge und Tel Aviv steckt das Ökosystem hier zwar nicht mehr in den Kinder-, aber in den Teenagerschuhen. FOTOS: EXAZYME/FREDERIKE VAN DER STRAETEN, XOLO GMBH Berliner Wirtschaft 05 | 2023

nehmen. Das hat für Radzinski nicht nur Nachteile. So gelinge es xolo recht einfach, Fachkräfte von den Berliner Universitäten zu gewinnen. Trotz des erheblichen Wachstums von Tech-Unternehmen im vergangenen Jahrzehnt ist Berlin im internationalen Vergleich nach wie vor nicht in der Spitzenriege angekommen. „Im Vergleich zu Oxbridge oder Tel Aviv steckt das Ökosystem hier zwar nicht mehr in den Kinder-, aber in den Teenager-Schuhen“, meint Steffen Terberl, Leiter der Geschäftsstelle der Berliner Zukunftsorte. Öffentliche Förderprogramme, Science-Parks und Gründungsservices an Universitäten gebe es in Deutschland erst seit 20 bis 30 Jahren. Eine Gründungskultur etabliere sich erst langsam. Weil aber inzwischen auch viele Großunternehmen und Kapitalgeber nach Berlin kommen und hier „scouten“ und investieren, gibt es Lichtblicke am Horizont. Auch erfahrene Serial Entrepreneurs entdecken zunehmend die Potenziale der Wissenschaft und investieren Geld und Zeit in Berliner Science-Tech-Gründungen. Gerade deshalb ist es eine gute Nachricht, dass in den Zukunftsorten jetzt infrastrukturelle Voraussetzungen für wachsende Science-Tech-Unternehmen sowie Kooperationen mit etablierten Technologie-Unternehmen geschaffen werden. Außerdem bedarf es zusätzlicher Zukunftsorte, auch innerhalb des S-Bahn-Ringes. „Allein im Technologie-Park Humboldthain, in den Wissenschaftsstandorten in Dahlem und Schöneweide, in der Siemensstadt Square und der Urban Tech Republic könnten in den nächsten zehn Jahren über zehn Milliarden Euro in hochmoderne Labore, Produktionsstätten und transdisziplinäre Innovationsumgebungen investiert werden“, skizziert Terberl die Entwicklungspotenziale. Bis zu 100.000 neue Arbeitsplätze könnten so an den Berliner Zukunftsorten bis 2040 entstehen. Doch das Engagement am Standort kann seine Wachstumseffekte nicht voll entfalten, solange wichtige Standortdefizite – gerade auf Bundesebene – nicht angegangen werden. Wenn Gründerinnen und Gründer über Hürden sprechen, die die Entwicklung ihrer Unternehmen behindern, werden drei am häufigsten genannt: die schwach entwickelte europäische VC-Landschaft für Deep Techs. Die vergleichsweise überbordende Bürokratie, die etwa die Installation technischer Anlagen in Deutschland für Start-ups unattraktiv macht, und ein Misstrauen in Politik und Verwaltung gegenüber disruptiven Technologien, das zu besonders restriktiver Normensetzung animiert. Mit dem Resultat, dass Forscherinnen und Forscher aus den betroffenen Bereichen andernorts ihre akademische Zukunft sehen – und damit auch die Zukunft jener Gründungen, die Innovationen vom Labor in unser Leben bringen. ■ neue Arbeitsplätze könnten bis zum Jahr 2040 an den Berliner Zukunftsorten entstehen. Christian Nestler, IHK-Geschäftsfeld Wirtschaft & Politik Tel.: 030 / 315 10-286 christian.nestler@ berlin.ihk.de 100.000 Deep Tech Die Kombination aus „Technology“ und „Deep“ für „tiefgreifend“ beschreibt besondere Innovationen, die nur wenig auf bestehende Technologien zurück- greifen. Die neuen Lösungen haben oft ein großes Potenzial für eine Disruption. Standort | 13 Jetzt 19. bis 23. Juni 2023 in 15745 Wildau bei Berlin Brandenburgische Engineering Akademie BREAK anmelden! Technisches Wissen von Frauen für Frauen www.break.de

Berliner Politik im Fokus In eigener Sache Seit April ist Marian Schreier neuer Geschäftsführer bei der IHK Berlin. Gemeinsam mit Henrik Vagt verantwortet er die Geschäftsfelder Wirtschaft & Politik sowie Kommunikation & Marketing. Zuvor war er Bürgermeister der Stadt Tengen in Baden-Württemberg und 2020 Spitzenkandidat bei den Oberbürgermeisterwahlen in Stuttgart. Statement Die Position der Berliner Wirtschaft zur Klima- neutralität Berlins unter folgendem QR-Code: Vollversammlung der IHK im Ludwig Erhard Haus: Gast Daniel Brugger, Kreissprecher der Wirtschaftsjunioren, hob die enge Zusammenarbeit mit der IHK hervor (Foto l.). Von der Arbeit im IHK-Ausschuss „Nachhaltige Metropole“, berichtete die Vorsitzende Antje Meyer Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD und der gescheiterte Klima-Volksentscheid bestimmten über Wochen nicht nur die Schlagzeilen in den Medien, sondern auch die Tagesordnung der IHK-Vollversammlung am 30. März. Im Vorfeld des Volksentscheids hatte das Präsidium der IHK erstmals ein ausschuss- und branchenübergreifendes Ad-hoc-Kompetenzteam einberufen mit dem Ziel, eine gemeinsame Position der Berliner Wirtschaft zum Volksentscheid zu finden. „Die Aufgabe war nicht leicht“, gab IHK-Präsident Sebastian Stietzel zu. „Aber beim Thema Volksentscheid lagen auch bei unseren Mitgliedern die Meinungen sehr weit auseinander, deshalb war es so wichtig, diese gemeinsame Position als Position der Berliner Wirtschaft zu erarbeiten.“ Stietzel dankte allen Beteiligten aus Haupt- und Ehrenamt für ihren kurzfristigen Einsatz (Position der Wirtschaft siehe rechts unten). Mit Blick auf die neue Koalition kündigte Stietzel an, dass die IHK weiterhin auf die Umsetzung der Verwaltungsreform drängen werde, und verwies auf den mit Bündnispartnern veröffentlichten Appell an die Politik, nicht hinter das vom Vorgängersenat verabschiedete Eckpunktepapier zurückzufallen. Ein weiterer Tagesordnungspunkt war die Präsentation der bisherigen Ergebnisse in den IHK-Themenausschüssen (s. Vorstellung auf S. 18 und 19). Auch einen Gast gab es auf der März-Sitzung: Daniel Brugger, seit Januar neuer Kreissprecher der Wirtschaftsjunioren Berlin. Das Netzwerk der jungen Unternehmerinnen und Unternehmer feiert in diesem Jahr sein 70-jähriges Bestehen, unter anderem mit einer großen Gala in der Alten Försterei. „Die Bande zwischen den Wirtschaftsjunioren und der IHK sind traditionell eng, und ich freue mich sehr darauf, weiterhin gemeinsam mit Ihnen an Projekten und Initiativen für den Zukunfts- und Wirtschaftsstandort Berlin zu arbeiten“, so Brugger. ■ Themen der Vollversammlung waren Volksentscheid und Verwaltung, aber auch die Arbeit der IHK-Ausschüsse und der Wirtschaftsjunioren von Claudia Engfeld FOTOS: AMIN AKHTAR AGENDA | Vollversammlung | 14

Mehr „normal“ bitte! #lovemybabyandmyjob Die Vision: Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Selbstverständlichkeit. Das ist nicht nur eine gesellschaftliche Aufgabe, auch politisch muss sich noch einiges bewegen Oft werde ich gefragt: „Du hast Kinder und bist Vorständin in einem großen Unternehmen. Wow! Wie schaffst du das eigentlich – leidet da nicht irgendwas oder -wer?“ Und ich frage mich im gleichen Zuge: Werden Männern in Führungsebenen die gleichen Fragen gestellt und somit in eine Rechtfertigungsposition gebracht? Und wenn nein, warum eigentlich nicht? Nicht erst durch Corona, wo viele Arbeitskulturen auch zugunsten einer höherwertigen Work-Life-Balance aufgebrochen sind, müssten wir doch als Gesellschaft schon längst im „neuen Normal“ angekommen sein. Dank einer Gesetzesänderung im Jahr 2007 nehmen mittlerweile auch mehr Väter die Elternzeit wahr, und ich kenne kaum jemanden, der dafür nicht viel Anerkennung erntet. Was noch in den 70er-Jahren schier undenkbar schien, ist doch heute gesellschaftlich bereits gut akzeptiert. Ich finde, wir Unternehmerinnen und Unternehmer müssen in unserer Sichtweise und unserer Haltung in einem Reifegrad ankommen, den unsere Gesellschaft schon lange spiegelt. Doch auch politisch sollte sich noch einiges ändern. Es kann nicht sein, dass die Frage nach der Elternzeit eine des Gelbeutels ist. Also, ob beispielsweise das besser verdienende Elternteil sich überlegen muss, sich die Zeit mit dem Kind überhaupt leisten zu können oder eben nicht, weil hier sonst das Geld nicht reicht. Von der Elternzeit und dem Elterngeld geht es direkt weiter zu mehr verfügbaren Kitaplätzen – denn ohne diese kann der Wiedereinstieg ins Berufsleben nicht gelingen. Zudem müssen Frauen auch gleichwertig zu ihren männlichen Kollegen entlohnt werden. So lag 2022 der Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern, der GenderPay-Gap, in Deutschland bei 18 Prozent. So viel weniger verdienen Frauen hierzulande gegenüber ihren männlichen Kollegen. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund, wenn Frauen die gleiche Arbeitsleistung zeigen. Das sogenannte Entgelttransparenzgesetz ist ein richtiger Schritt zur Auflösung dieser Ungerechtigkeit. Es sollte jedoch verbessert und verschärft werden. Einer Auskunfts- und Berichtspflicht müssen auch Konsequenzen folgen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – das muss das gesetzlich verankerte Ziel sein. Nicht nur vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels muss diese Diskussion zunehmend an Bedeutung gewinnen, sondern gerade weil unsere moderne Gesellschaft glücklicherweise immer offener, bunter und diverser wird. ■ Meinung In der Kolumne „Auf den Punkt“ positionieren sich im monatlichen Wechsel Mitglieder des Präsidiums zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht. präsidiumsmitglieder beziehen stellung Nicole Korset-Ristic ist Vorständin bei der Bio Company SE und Vizepräsidentin der IHK Berlin Auf den Punkt | 15 Berliner Wirtschaft 05 | 2023

„Teach First“: Bildungsgerechtigkeit und eine gute Berufsorientierung sind die Ziele des Projekts der IHK und der Organisiation Teach For All von Claudia Engfeld Wegbegleiter in die Zukunft Die IHK Berlin und die gemeinnützige Bildungsorganisation Teach First Deutschland planen ein gemeinsames Pilotprojekt für mehr Bildungsgerechtigkeit. Ziel ist es, eine Blaupause für die ideale Berufsorientierung für sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler zu schaffen: Die individuelle Betreuung durch die Teach-First-Fellows an den Schulen wird dabei durch Netzwerke mit den örtlichen Unternehmen ergänzt, um Jugendlichen die für die berufliche Orientierung so wichtigen Praxiserfahrungen zu ermöglichen. „Mit dem gemeinsamen Projekt der IHK Berlin und Teach First Deutschland etablieren wir ein Beispiel für gelebte Collective Leadership, die den Blick darauf richtet, was Schüler und Schülerinnen brauchen, um Hürden zu überwinden, ihre eigenen Wege zu gehen und aktiv an unserer Gesellschaft teilzuhaben“, formuliert Wendy Kopp, CEO und Gründerin von Teach For All, die Ziele dieser Zusammenarbeit. Sonja Köpke, Geschäftsführerin Teach First Deutschland, ergänzt: „Wir haben in Berlin die Herausforderung, dass Tausende Schülerinnen und Schüler jedes Jahr die Schule ohne Abschluss oder Perspektive auf einen beruflichen Anschluss verlassen. Die Folge ist unter anderem eine steigende Jugendarbeitslosigkeit, die doppelt so hoch ist wie der bundesweite Durchschnitt.“ 95 Prozent erhalten Schulabschluss Wie Köpke ausführt, arbeiten die derzeit 41 TeachFirst-Deutschland-Fellows an 14 Schulen in Berlin mit rund 600 Schülerinnen und Schülern. „95 Prozent der Lernenden“, so Sonja Köpke weiter, „erhalten durch die Unterstützung der Fellows ihren Schulabschluss beziehungsweise erreichen den Übergang in die nächste Schulform.“ Durch das Coaching der Fellows bei der Berufsorientierung und Ausbildungssuche öffneten sich Schülerinnen und Schülern neue Möglichkeiten und Perspektiven für ihren ersten beruflichen Meilenstein. Und IHK-Präsident Sebastian Stietzel betont: „Innovation entwickelt sich aus Kooperation. Wir freuen uns, mit Teach First bei diesem wichtigen Projekt zusammenzuarbeiten. Beide Organisationen eint die Überzeugung, dass jede Schülerin und jeder Schüler den gleichen Zugang zu Bildung und Chancen verdient. Indem wir konkret die Berufsorientierung am Lernort Schule verbessern, können wir Schülerinnen und Schülern helfen, fundierte Berufsentscheidungen zu treffen und den Weg für eine bessere Zukunft zu ebnen.“ ■ Sandra Theede, IHK-Geschäftsfeld Wirtschaft & Politik Tel.: 030 / 315 10-829 sandra.theede@berlin. ihk.de Vorstellung des Projekts im Ludwig Erhard Haus: Wendy Kopp, Gründerin von Teach For All, und IHK-Präsident Sebastian Stietzel FOTO: AMIN AKHTAR AGENDA | Bildungspolitik | 16 Berliner Wirtschaft 05 | 2023

Ressourcensicherung ist elementar für die Zukunft Berlin-Brandenburgs. Die IHKs beider Länder haben Vorschläge und Forderungen an die Politik adressiert von Larissa Scheu und Christian Nestler Wasser für die Wirtschaft I n Zeiten steigender Wasserbedarfe und abnehmender Grundwasserressourcen ist die Versorgungssicherheit eine wichtige Grundlage für die wirtschaftliche Zukunft Berlin-Brandenburgs. So hat etwa der Ausstieg des Braunkohlebergbaus in der Lausitz unmittelbaren Einfluss auf den Wasserhaushalt von Spree und Havel. Gleichzeitig steigt der Trinkwasserbedarf durch die wachsende Bevölkerung, und trockene, zu heiße Sommer verschärfen die Lage. Nun richten sich die Berlin-Brandenburger Industrie- und Handelskammern mit einem im länderübergreifenden Arbeitskreis erarbeiteten Forderungspapier an die Politik. Nach Ansicht der Unternehmerschaft ist der Aufbau länderübergreifender Trägerstrukturen ein zentraler Schritt, um Lösungen zu finden und eine Finanzierung sowie ein effizientes Wassermanagementkonzept aufzustellen. Für Trockenperioden sind Wasserspeicher zu erschließen sowie Wasserüberleitungen aus anderen Flussgebieten zu prüfen. Für die Erschließung neuer Grundwasservorräte und den Bau von Wasserfernleitungen gilt es Genehmigungsprozesse zu beschleunigen, die derzeit mehr als zehn Jahre dauern. Um Szenarien wie etwa künftige Wasserbedarfe zu erstellen, müssen Daten systematisch erfasst und per Datenanalysetools bereitgestellt werden. Eine überproportionale Kostenbelastung der Unternehmen sollte zudem vermieden werden, da ein erhöhter Wasserpreis zum Standort- nachteil führen würde. Darüber hinaus müssen innovative Wassertechnologien erforscht werden – auch durch die Auflage und Förderung geeigneter Programme für Pilotprojekte und Netzwerke mit Unternehmensbeteiligung. Nach Veröffentlichung des Papiers sind eine Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen zu Bedarfen und Einsparpotenzialen der Wirtschaft, eine Innovations-Challenge (siehe unten), ein Austausch mit der Politik sowie eine große Wasserkonferenz in Planung. ■ Angesichts drohender Wasserknappheit stehen Unternehmen vor der Herausforderung, die Ressource sparsamer und effizienter zu nutzen als bisher. Um dafür Lösungen zu erarbeiten, wird die IHK gemeinsam mit der Hochschule für Wirtschaft und Recht in diesem Sommer eine Innovations-Challenge veranstalten. In dieser treffen Unternehmen, die ihr Wassermanagement verbessern wollen, auf Innovationsteams von Berliner Hochschulen und Instituten. Gemeinsam mit den Unternehmen entwickeln sie in einem mehrwöchigen Prozess maßgeschneiderte Lösungen für intelligentes Wassermanagement. Wollen Sie sich beteiligen und ein innovatives Wassermanagement für Ihr Unternehmen entwickeln lassen? Dann schreiben Sie bitte an: christian.nestler@berlin.ihk.de Innovations-Challenge zu Wassermanagement Gemeinsam mit den Unternehmen entwickeln Innovationsteams von Berliner Hochschulen passgenaue Lösungen Larissa Scheu, Public Affairs Managerin Energie- und Klimaschutzpolitik Tel.: 030 / 315 10-686 larissa.scheu@berlin. ihk.de Forderungspapier Rechtliche Rahmenbedingungen, Aktivitäten der IHK und weitere Informationen auf der Website der IHK Berlin: FOTO: GETTY IMAGES/JONATHAN KNOWLES Umweltpolitik | 17

AGENDA | Ehrenamt | 18 Beschäftigt sich unter anderem mit dem Ausbau der Infrastrukturen: der IHK-Ausschuss „Vernetzte und ökologische Stadt“ mit dem Vorsitzenden Lutz Wedegärtner (vorn, 2. v. r.), links daneben die Vize-Vorsitzende Mechthild Zumbusch Der frisch unterzeichnete Koalitionsvertrag für die verbleibende Legislaturperiode bis 2026 setzt sich das Ziel, Berlin bereits deutlich vor dem Jahr 2045 klimaneutral zu machen. Der Wirtschaft Berlins bietet sich hier die Chance, eine Vorreiterrolle zu übernehmen. „Unser Ziel ist es, Berlin als zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort zu etablieren, der ökologische Verantwortung mit ökonomischer Stärke vereint“, so Lutz Wedegärtner, Vorsitzender des Ausschusses „Vernetzte und ökologische Stadt“. Es gehe darum, die Weichen für eine nachhaltige Entwicklung richtig zu stellen und die Wettbewerbsfähigkeit der Stadt zu erhalten. Für eine vernetzte und ökologische Metropole Berlin ist der Ausbau der Infrastrukturen von großer Bedeutung, und um eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen, müssen Lösungen für Ver- und Entsorgung gefunden werden. Gleichzeitig müssen kritische Infrastrukturen besser gesichert werden, wie die aktuellen Krisen zeigen. Hier kann durch eine intelligente Vernetzung die Resilienz der Wirtschaft signifikant erhöht werden. Der Ausschuss verfolgt auch Rechtsvorhaben der EU, des Bundes und des Landes Berlin und trägt dazu bei, innovations- und wachstumsfördernde Rahmenbedingungen in der Umwelt- und Klimapolitik zu schaffen. Die Sicherung einer resilienten Wasserver- und -entsorgung zu stabilen Preisen ist ein weiteres wichtiges Themenfeld, mit dem sich der Ausschuss beschäftigt. Insgesamt ist das aus 48 Mitgliedern bestehende Gremium ein wichtiger Partner für Wirtschaft und Politik mit dem Ziel, die Stadt zukunftsfähig zu gestalten. Außerdem unterstützt der Ausschuss Vollversammlung und Präsidium der IHK Berlin bei der Umsetzung von Projekten. ■ Lutz Wedegärtner Vorsitzender des IHK-Ausschusses „Vernetzte und ökologische Stadt“ Unser Ziel ist es, Berlin als zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort zu etablieren, der ökologische Verantwortung mit ökonomischer Stärke vereint. Eine nachhaltige Entwicklung mit Wettbewerbsfähigkeit zu vereinen, ist das Ziel des IHK-Ausschusses „Vernetzte und ökologische Stadt“ von Andreas Kubala Resiliente Wirtschaft im Fokus FOTOS: IHK BERLIN Berliner Wirtschaft 05 | 2023

Themen-Ausschüsse der IHK Berlin Bildungsstarke Stadt; Kontakt: Sandra Theede, Tel.: 030 / 315 10-829 Fachkräfte und Arbeitsmarkt; Kontakt: Julian Algner, Tel.: 030 / 315 10-373 Funktionierende Stadtverwaltung; Kontakt: Markus Krause, Tel.: 030 / 315 10-154 Innovative und wissensgetriebene Stadt; Kontakt: Henrik Holst, Tel.: 030 / 315 10-623 International agierende Stadt; Kontakt: Dr. Valentina Knezevic, Tel.: 030 / 315 10-243 Mobile Stadt; Kontakt: Dr. Lutz Kaden, Tel.: 030 / 315 10-415 Nachhaltige Metropole; Kontakt: Verena Linz, Tel.: 030 / 315 10-785 Starke IHK Berlin; Kontakt: Eva Gartmann, Tel.: 030 / 315 10-462 Vernetzte und ökologische Stadt; Kontakt: Andreas Kubala, Tel.: 030 / 315 10-758 Wachsende und lebendige Stadt; Kontakt: Christof Deitmar, Tel.: 030 / 315 10-411 Weitere Informationen ihk.de/berlin/ ausschuesse Engagement für die Zukunft Berlins: der IHK-Ausschuss „Mobile Stadt“ mit seinem Vorsitzenden, Bernhard Lemmé (Mitte vorn) und, links daneben, dem Vize-Vorsitzenden Manuel Mang S eit Jahren tobt in Berlin ein Kulturkampf um den Verkehr. Diesen Eindruck könnte man zumindest gewinnen, wenn man die aufgeregten öffentlichen Debatten rund um Radwege, Autobahnbau (und -abbau), Lieferverkehr und City-Maut verfolgt. Zuletzt wurde vor dem gescheiterten Volksentscheid „Berlin 2030 Klimaneutral“ wieder ausführlich über radikale Reduktionsziele zum Anteil der Mobilität am CO2-Ausstoß diskutiert. Zur Nachhaltigkeit gehören aber neben dem Klimaschutz auch Ver- und Entsorgung, wirtschaftliche Mobilität und Belieferbarkeit. Um diese Anforderungen in Einklang zu bringen, ist im IHK-Ausschuss „Mobile Stadt“ vielfältige Expertise versammelt, vom Logistik- unternehmen über die Nahverkehrsanbieter, den E-Scooter-Verleiher, die Deutsche Bahn, Verkehrs- planer bis zum Touristiker. Mit dem Überblick über die mobile Stadt in ihrer Ganzheit sollen die wichtigsten Projekte vorangetrieben werden. „Über die Beteiligung der IHK Berlin an den Verkehrsplanungen auf Bundes-, Landes- und lokaler Ebene fließen unsere Empfehlungen direkt ein in die Gestaltung unserer zukünftigen Mobilität“, so der Ausschussvorsitzende Bernhard Lemmé. Die ehrenamtliche Arbeit im IHK-Gremium behandelt die großen Linien der Stadtentwicklung, wie sie die Mitgliedsunternehmen in den „4x4 Prioritäten für eine zukunftsfähige Verkehrs- politik“ 2018 beschlossen und seitdem weiterentwickelt haben. Es geht aber auch um praktische Themen wie die Organisation des Lieferverkehrs, etwa in Form eines neuen Leitfadens der Senatsverkehrsverwaltung mit dem Input der Unternehmen. Die Breite des Themenspektrums der „mobilen Stadt“ wird auch in der Planung für weitere Ausschusssitzungen im Juni und September sichtbar, wo der öffentliche Nahverkehr und der Bahnknoten Berlin im Fokus stehen sollen. ■ Der IHK-Ausschuss „Mobile Stadt“ gibt auf allen Ebenen Empfehlungen für die Verkehrsplanung ab und stellt so die Weichen dafür mit von Dr. Lutz Kaden Damit es in Berlin besser rollt

INHALT 24 Präzise gegen den Krebs Eckert & Ziegler hat Erfolg in der Nuklearmedizin 26 Globales Netz zum Klettern Spielgeräte in aller Welt von der Berliner Seilfabrik 27 Der richtige Dreh Satellitentechnik aus Adlershof: Astrofein 28 „Ein enormer Sprung“ Alexandra Knauer, Knauer Wissenschaftliche Geräte GmbH, im Interview fokus ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/ERHUI1979

KLEINE RIESEN Sie sind mehr oder weniger heimliche Weltmarktführer mit hohem Innovationspotenzial: Warum sich Berlins Hidden Champions keineswegs verstecken müssen von Almut Kaspar Hidden Champions | 21 Berliner Wirtschaft 05 | 2023

S ie gleichen die windbedingten Schwank- ungen von Wolkenkratzern mit schwergewichtigen Pendeltilgern aus. Sorgen mit Federelementen für Schallschutz in Konzerthäusern. Reduzieren mit Dämpfersystemen die Schwingungen auf Brücken oder Schiffen, in Stadien oder Kliniken. Und senken die Vibrationen von riesigen Turbinen oder Schmiedehämmern sowie in Gleisbetten von Metro-Linien durch elastische Lagerung: Die Expertise der Fachleute der in Berlin ansässigen Unternehmensgruppe Gerb Schwingungsisolierungen GmbH & Co. KG ist weltweit gefragt. Mit insgesamt mehr als 600 Beschäftigten und Tochtergesellschaften, Büros und Fertigungsbetrieben in vielen Ländern gehört die Gerb-Gruppe zu den Weltmarktführern in ihrem Segment. Gerb ist ein sogenannter Hidden Champion. Nach der Definition des Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Dr. Hermann Simon, der den Begriff Ende der 1980er-Jahre erfand, sind Hidden Champions mittelständische Unternehmen, die jeweils zu den drei wichtigsten Firmen in ihrer Nische auf dem Weltmarkt zählen oder die Nummer eins auf ihrem Kontinent sind, weniger als fünf Mrd. Euro Jahresumsatz haben und in der Öffentlichkeit kaum bekannt sind. „Weltweit habe ich aktuell knapp 4.000 Hidden Champions identifiziert“, sagt Simon, „die meisten davon – rund 1.600 – haben ihren Sitz in Deutschland, größtenteils im ländlichen Raum.“ Baden-Württemberg sei, auf die Einwohnerzahl gerechnet, mit gut 360 Hidden Champions in Deutschland führend, während Berlin mit mindestens 36 im Mittelfeld liege. „Das erklärt sich wesentlich aus der Branchenstruktur der Berliner Wirtschaft“, so Prof. Dr. Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Mit seinem hohen Dienstleistungsanteil kann Berlin weniger punkten – bundesweit kommen gut 80 Prozent der Hidden Champions aus dem verarbeitenden Gewerbe, allein ein Viertel davon aus dem Maschinenbau.“ International erfolgreiche Berliner Mittelständler mit nur geringer Bekanntheit sind zum Beispiel Medizintechnik-Unternehmen wie W.O.M. World of Medicine GmbH mit Schwerpunkt auf Geräten und Zubehör für minimal-invasive Chirurgie, der Herzschrittmacher- und Stents-Produzent Biotronik SE & Co. KG oder die auf Nuklearmedizin spezialisierte Eckert & Ziegler Strahlen- und Medizintechnik AG (siehe S. 24). Den lokalen Hidden Champions werden auch so unterschiedliche Firmen zugerechnet wie die Kryolan GmbH, die professionelles Make-up für die Unterhaltungsindustrie herstellt, der Sensoren- und Sensorsysteme-Produzent First Sensor AG, der Kochboxen-Anbieter Hello Fresh, die Georg Neumann GmbH, deren High-End-Mikrophone in der inter- IHK-Präsident Sebastian Stietzel sieht erhebliches innovatives und internationales Potenzial bei den Hidden Champions der Hauptstadt. Häufig werde das aus dem Ausland eher wahrgenommen als in Berlin FOTOS: AMIN AKHTAR, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG FOKUS | Hidden Champions | 22

PLUS Punkte 1 Der Begriff Hidden Champion stammt von Wirtschaftswissenschaftler Hermann Simon. 2 1.600 Hidden Champions gibt es deutschlandweit. 3 Bezogen auf die Einwohnerzahl liegt Berlin mit 36 Hidden Champions im Mittelfeld. nationalen Fachwelt hochgeschätzt sind, die Spielgeräte-Firma Berliner Seilfabrik GmbH & Co. (siehe auch S. 26) oder das Luft- und Raumfahrt-Unternehmen Astro- und Feinwerktechnik Adlershof GmbH (siehe auch S. 27). Dass solche Vorzeigeunternehmen in der Region kaum bekannt sind, bedauert IHK-Präsident Sebastian Stietzel: „Berlin gilt im Ausland längst als moderne und innovative Weltmetro- pole – bei den Berlinerinnen und Berlinern existieren diese Wahrnehmung und der damit verbundene Anspruch an sich selbst jedoch leider oft noch nicht.“ Das Potenzial für internationale Strahlkraft zeigten die Hidden Champions jedoch eindrucksvoll. „Deshalb sollten wir“, empfiehlt Stietzel, „diese und die vielen anderen sichtbar machen sowie die Möglichkeiten unserer exzellenten Wissenschaftslandschaft und der kreativen Gründerszene weiter ausschöpfen – Berlin muss sich nicht und sollte sich auch nicht verstecken.“ Hidden Champions zeichnen sich nicht nur durch hohe Exportquoten aus, sondern vor allem durch eine hohe Innovationskraft, eine engagierte und hochwertige Ausbildung ihres Nachwuchses und eine langfristige Strategie. „Hidden Champions geben für Forschung und Entwicklung doppelt so viel aus wie der Durchschnitt der Industrie, nämlich sechs Prozent vom Umsatz statt drei Prozent“, sagt Hermann Simon. „Was noch wichtiger ist: Sie haben pro Mitarbeiter fünfmal so viele Patente wie Großunternehmen.“ Bei Hidden Champions seien neun Prozent der Mitarbeiter Auszubildende, beim Durchschnitt der deutschen Wirtschaft seien es sechs Prozent. „Und in den vergangenen zehn Jahren haben die Hidden Champions den Anteil von Mitarbeitern mit Hochschulabschluss von zehn Prozent auf 20 Prozent verdoppelt – was heißt, dass sie eine hoch qualifizierte Belegschaft haben.“ Im Schnitt stünden Hidden-Champion-Chefs zudem 21 Jahre an der Spitze ihrer Unternehmen, bei Großunternehmen seien es lediglich sechs Jahre. Von Hidden zu Open Champions Tobias Rappers ist überzeugt, dass es heute keine Hidden Champions, sondern Open Champions braucht, „also vernetzte, kommunizierende, lernende Organisationen“. Rappers ist Geschäftsführer der Maschinenraum GmbH, einer unabhängigen Plattform vom Mittelstand für den Mittelstand. „Im Maschinenraum vernetzen wir aktuell rund 65 deutsche Mittelstands- und Familienunternehmen miteinander.“ Im Fokus stehe dabei der branchenübergreifende Austausch, in dem Erfahrungen und Wissen geteilt werden.“ Der „Hinterhof der Hidden Champions“, von dem Rappers spricht, befindet sich in einem aufwendig sanierten Industriegebäude in Prenzlauer Berg, dessen Event- und Coworking-Fläche von 4.500 Quadratmetern die Mitgliedsunternehmen, darunter die Dussmann Stiftung der Berliner Dussmann Group, nutzen können. Den Multidienstleister Dussmann Group zählt auch Dr. Bianca Schmitz zu den Hidden Champions der Stadt. Schmitz, Gründungsdirektorin des Hidden Champions Institute (HCI) an der European School of Management and Technology, definiert den Begriff nicht ganz so streng wie Hermann Simon, der dem Advisory Board des HCI angehört – für sie können Hidden Champions zu mehreren kontinentalen Marktführern gehören, beispielsweise Dussmann oder Onlinedienstleister wie Zalando, Delivery Hero, die Digitalbank N26 oder WebID, Pionier der Online-Identifizierung. Deren Branche wird im HCI als „Sunrise Industry“ bezeichnet. „Unsere Mission ist es, Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Führungskräfte zu unterstützen, indem wir Wissen für und über Hidden Champions generieren und verbreiten“, sagt Schmitz. Vermittelt werde zudem praktische Expertise für und über Hidden Champions – „und wir bieten eine unabhängige Plattform für Hidden Champions, um voneinander zu lernen und ein zuverlässiges Netzwerk aufzubauen“. HCI-Direktorin Schmitz geht fest davon aus, „dass sich neu entstehende Hidden Champions vor allem auch in Berlin entwickeln werden – insbesondere in der Sunrise Industry“. Auf diesem Weg dürfte zum Beispiel das Berliner Telematik-Unternehmen Vimcar sein, das Flottenmanagement-Softwarelösungen für Fuhrparks kleiner und mittlerer Unternehmen anbietet. Erst kürzlich übernahm US-Investor Battery Ventures die Mehrheit an Vimcar und der Züricher Avrios International AG, um die Fusion beider Unternehmen zu ermöglichen. „Vimcar ist marktführend in Deutschland mit dem digitalen Fahrtenbuch – und gemeinsam mit Avrios steht der Weg zum europäischen Marktführer in Sachen exzellente Fuhrpark-Lösungen und -Services für Unternehmen aller Größen offen“, sagt Francine Gervazio, Geschäftsführerin des Firmenzusammenschlusses mit künftigem Hauptsitz in Berlin. Vimcar und Avrios mit ihren sich ergänzenden Softwarelösungen betreuen in diesem Wachstumsmarkt bereits Zehntausende europäische Kunden mit mehr als 250.000 Fahrzeugen. ■ Christian Haase, IHK-Branchenmanager Digitale Wirtschaft Tel.: 030 / 315 10-717 christian.haase@berlin. ihk.de 6 % ihres Umsatzes geben Hidden Champions für Forschung und Entwicklung aus, doppelt so viel wie der Durchschnitt der Industrie. Berliner Wirtschaft 05 | 2023

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