Berliner Wirtschaft 12/2020

Oben: Der Berliner Bär steht auch auf dem Schreibtisch von Tanja Wielgoß. Übrigens: Sie arbeitet in einem Großraumbüro Unten: Die Schreibtischdeko eines Vattenfall- Wärme- Mitarbeiters FOTOS: AMIN AKHTAR, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG sind die Lösung, wennwir eine sichere Stromversor- gung wollen und gleichzeitig auf Kohle- oder Atom- kraft verzichten. Und Kraft-Wärme-Kopplung bietet auf Sicht außerdem die einzige aktuell als realisier- bar eingeschätzte Option für eine Versorgungssi- cherheit von 100 Prozent ohne fossile Energieträ- ger. Schritt für Schritt und mithilfe von guten For- schern und Entwicklern können wir die Anlagen auf Wasserstoff umrüsten. Also würde dann aus Wasserstoff auch Wärme und Strom produziert werden? Genau das sehen wir als eine Lösung für die Zeit ab Mitte der Zwanzigerjahre im Pilotversuch und ab 2030 schrittweise imRegelbetrieb. Berlin hat sich als Stadt das Ziel gesetzt, Vorreiter beimWasser- stoff zu werden. Allerdings brauchen wir zur Produktion von Wasserstoff sehr viel Strom, und dafür könnten wir den grünen Strom aus Brandenburg undMecklenburg-Vorpommern verwenden. Wir arbeiten bereits mit demLand Berlin, der Technischen Universität und Sie- mens in Marzahn an einem Projekt, mit dem wir zeigen wollen, wie Wasserstoff zur Wär- meversorgung genutzt werden kann. Ist Biomasse nicht auch eine Alternative? Ja, und die nutzen wir auch schon. Das Mär- kische Viertel betreiben wir im engen Schul- terschluss mit unserer Geschäftspartnerin, der Gesobau, mit lokaler Biomasse, die zu 100 Pro- zent CO2-frei. Das ist deutschlandweit ein Vor- zeigeprojekt. Und in Moabit nutzen wir eben- falls bereits teilweise Bio- masse, wenn zum Beispiel Restholz aus Brandenbur- ger Wäldern zur Wärmege- winnung genutzt wird. Wir arbeiten außerdem daran, über das Abwasser und eine Wärmepumpe noch mehr regenerative Energie in das System zu bringen. Hier freuen wir uns über eine exzellente Zusam- menarbeit mit den Berliner Wasserbetrieben. Sie sagen, München hat Geothermie, Hamburg industrielle Abwärme. Hat Berlin nicht auch eine Spezialität? Schon in den Sechzigerjahren haben sich die Berliner Stadtreinigung und die Wärmewirtschaft zusam- mengetan, um die Abwärme aus dem Müll zu nut- zen. Das hat eine lange Tradition und ist eine tolle Sache für beide Seiten. Unsere Kunden erhalten Wärme, ohne dass wir hierfür extra Brennstoffe für die Erzeugung nutzen müssen. Und die BSR müsste ohne uns einen Kühlturm bauen und höhere Müll- gebühren verlangen. Berlin hat auch deshalb eine besondere Stellung, weil das Umland sich so gut für die Erzeugung von grünemStrom– sowohl ausWind als auch aus Sonne – eignet. Es heißt immer, die Energiewende wird mit dezentralen Erzeugungsanlagen gemacht. Welche Zukunft hat dann die Fernwärme? In Berlin und auch generell wird Fernwärme ja nicht in der Ferne produziert, sondern in der Stadt. Des- halb sprechen wir auch von Stadtwärme. Wir pro- duzieren die Energie komplett lokal. Wir sind damit die Mutter der Kiezwärme. Auch dieWertschöpfung ist komplett lokal. Und dann kommt in Teilen sogar die Technik hier aus demKiez. Wir haben beispiels- weise in Marzahn eine neue KWK-Anlage einge- weiht, deren Turbine Siemens in Moabit gebaut hat. Die Wohnkosten sind ohnehin schon so hoch. Können wir uns die Wärmewende über- haupt leisten? Wir können es uns nicht leisten, die Wärmewende nicht einzuleiten. Nur wenn es gelingt, die Klima- ziele zu erreichen, schaffen wir die Voraussetzung, eine lebenswerte Stadt zu erhalten. Auch Städte wer- den massiv unter dem Klimawandel leiden. Das haben wir schon in den letzten Sommern gemerkt. Die Anlagen, die wir in den Neunzigerjahren geplant haben, waren auf ganz andere Sommertemperaturen ausgerichtet. In den Niederlanden darf schon jetzt nur noch mit Klimatisierung neu gebaut werden. Denn die Hitze fordert jedes Jahr viele menschliche Opfer. Sie ist massiv gesundheitsgefährdend. Die Wärmewende ist teuer, die finanziellen Mög- lichkeiten sind aber begrenzt. Wo sind Investitio- nen Ihrer Ansicht nach am effizientesten? Der Gebäudesektor hat sehr anspruchsvolle Ziele in Bezug auf die Erreichung der Klimaziele. Wir haben errechnet, dass die notwendigen Dämmungs- und Renovierungsoffensiven –wenn dieWohnungs- und Gebäudewirtschaft ihre Ziele alleine erreichenwollte – in Berlin allein 80 Milliarden Euro kosten würden. Diese Kosten können ohne Abstriche in Bezug auf die geforderte CO2-Reduzierung des Sektors auf zehn SCHWERPUNKT | Interview

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