Berliner Wirtschaft 12/2020

In der Nähe des Nordhafens hat Tanja Wielgoß ihen Schreibtisch. Von hier aus ist sie verantwortlich für ein Wärme­ system mit einer Leistung von 5.500 Megawatt Erik Pfeifer, IHK-Experte für Energie- und Klima- schutzpolitik Tel.: 030 / 315 10-234 erik.pfeifer@ berlin.ihk.de Wir bauen das gesamte System um – und das im laufenden Betrieb. Das ist sehr anspruchsvoll. Tanja Wielgoß Milliarden Euro gedrückt werden, wenn das aktu- elle Sanierungstempo imGebäudebestand gehalten wird und außerdem gezielt und konzertiert in kluge Heiztechnologien investiert wird. In welche Technologien sollte investiert werden? Hier braucht es ein Gesamtkonzept für Berlin als Ganzes und für jeden einzelnen Gebäudebetreiber im Speziellen. Maßgabe ist sicherlich, dass Euro- und CO2-Einsparung ins Verhältnis gesetzt werden und dass gleichzeitig zehn bis 20 Jahre nach vorne gedacht wird. Niemand sollte jetzt in Anlagen inves- tieren, die in zehn oder vielleicht sogar schon in fünf Jahren wieder ausgetauscht werden müssen. Hier halten wir es für unverantwortlich, wenn wir in manchen Veröffentlichungen noch heute Werbung für neue Ölkessel lesen. Welche Erwartungen haben Sie an die Politik? Wir haben den Ausstieg aus der Braunkohle 2017 vor- zeitig vollzogen und den Ausstieg aus der Steinkohle mit der Berliner Politik und auch mit sehr vielen anderen Stellen intensiv diskutiert. Das Land hat sich sehr stark engagiert. Wir sind jetzt in der Umsetzung. Wir bauen das gesamte System um – und das im laufenden Betrieb. Das ist sehr anspruchsvoll. Wir müssen dafür operativ, sozial, technologisch und finanziell sehr viel leisten. Aber wir brauchen auch das Land und die Bezirke für diverse Genehmigun- gen – zumBeispiel für Leitungen, die sowohl Gas als auch Wasserstoff transportieren können. Dauern Genehmigungsverfahren zu lange? Wir haben natürlich auch immer wieder Baustellen, für die wir Genehmigungen brauchen, oder Bau- rechtsfragen, die geklärt werden müssen. Das kann schon sehr lange dauern. Unterstützung wünschen wir uns auch beim Thema Corona. Das ist eine rie- sige Herausforderung für einen lokalen wärmepro- duzierenden Anbieter. In welcher Hinsicht? Wir beschäftigen 1.700 Mitarbeiter, von denen 850 nicht imHomeoffice sein können, weil sie zum Bei- spiel in unseren Leitwarten, bei Revisionen oder Stö- rungsdiensten vor Ort imEinsatz sind. Wir sind Teil der kritischen Infrastruktur von Berlin – das heißt, ein Ausfall unserer Anlagenwürde sich extremnega- tiv auf die Stadtbevölkerung, das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben sowie die Gesundheitsversorgung auswirken. Wir machen sehr viel, um Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter vor dem Virus zu schützen. Welche Unterstützung wünschen Sie sich? Es gibt immer mal wieder Situationen, in denen wir zum Beispiel schnelle Tests oder Aussagen von Gesundheitsämtern bräuchten. Wir tauchen jedoch in der offiziellen Corona-Politik so gut wie gar nicht auf. Da kommen wir –wie übrigens die anderen kri- tischen Infrastrukturbetreiber der Stadt und auch Deutschlands – seit Monaten nicht so richtig weiter, weil es sehr viele Zuständigkeiten gibt. Wir haben nun schon in Bezug auf die anstehendenWintermo- nate Alternativen aufgebaut, was aber kräftezehrend und teuer ist. Steigt der Krankenstand durch Corona? Nein, und darauf bin ich sehr stolz. Wir liegen seit Beginn der Corona-Krise dauerhaft auf dem höchs- ten Gesundheitsstand, den wir jemals hatten: bei 97 Prozent. Normalerweise beträgt unser Krankenstand imSchnitt fünf Prozent, was auch schon für einen so großen, historisch gewachsenen Betrieb und den Ver- und Entsorgungssektor sehr gut ist. Das bedeutet, dass die Kolleginnen und Kollegen topmotiviert sind und umsichtig mit der aktuellen Situation umgehen. Jede und jeder Einzelne weiß genau, dass es neben der Corona-Krise nicht auch noch zu einer Versor- gungskrise kommen darf. ■ 33 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 12 | 2020 SCHWERPUNKT | Interview

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