Berliner Wirtschaft 12/2020

Seit März 2019 ist Dr. Tanja Wielgoß Vorstandsvorsitzende der Vattenfall Wärme Berlin AG. Mit dem Ausstieg aus der Steinkohle hat sie eine der größten Herausforderungen der Berliner Wärmewende zu bewältigen von Michael Gneuss A n Herausforderungenmangelt es TanjaWiel- goß nicht. Als Vorstandsvorsitzende der Vat- tenfall Wärme Berlin AG muss sie alterna- tive Energieträger finden und gleichzeitig die tägliche Versorgung von Berlin mit heißem Wasser und Wärme sicherstellen. Berliner Wirtschaft: Wie wichtig ist die Wärmewende speziell für Berlin? Dr. Tanja Wielgoss: Die Wärmewende ist für ganz Deutschland sehr wichtig. Denn Wärme ist der Bereich, in dem sich ammeisten für den Klimaschutz erreichen lässt. Allein durch den Ausstieg aus der Steinkohle bis spätestens 2030 können wir pro Jahr zwei Millionen Tonnen CO2 in Berlin einsparen. Das ist ein Drittel des Einsparziels von Berlin. Somit spielt Vattenfall eine entscheidende Rolle. Zur Wärmewende gehört aber mehr als der Aus- stieg aus der Steinkohle, oder? Das stimmt. Leider gibt es in Berlin noch viel zu viele alte Ölkessel. Die effiziente und umweltscho- nende Wärmeversorgung aus Kraft-Wärme-Kopp- lung durch Vattenfall hat einenMarktanteil von rund 30 Prozent. Es ist daher sinnvoll, dieWärmenetze in Berlin deutlich auszubauen. Ist die Herausforderung der Wärmewende für die größte deutsche Metropole besonders groß? Alle großen Städte stehen vor einer riesigen Heraus- forderung. Es ist zwar möglich, Wärme aus rege- nerativen Energiequellen in der Stadt zu produzie- ren, aber nicht in der erforderlichen Größenordnung. München hat immerhin hervorragende Vorausset- zungen für Geothermie. Hamburg und einige Städte in Nordrhein-Westfalen können sehr viel mit indus- trieller Abwärme machen. Diese Möglichkeiten haben wir hier in Berlin in dem Maße nicht. Aber grundsätzlich brauchen alle Städte die Kooperation mit demUmland, in unserem Fall mit Brandenburg. Wir könnten noch sehr viel mehr mit dem grünen Strom aus Brandenburg machen. Welche Chancen sehen Sie in dieser Hinsicht? Wir könnten den grünen Strom nutzen, um damit – einfach ausgedrückt – riesige Wasserkocher zu betreiben und auf diese Weise Wärme zu erzeugen. Eine solche Pow- er-to-Heat-Anlage haben wir bereits an unse- rem Standort in Reuter West. Sie ist mit einer Leistung von 120 Megawatt die größte Europas. Aber die Regulatorik ist noch sehr schlecht. Warum? Wir müssen alle Abgaben auf den Strom aus Brandenburg zahlen, der dadurch zu teuer wird. Deshalb werden derzeit 100 Prozent grüneWindkraft-Überschüsse in Brandenburg abgeregelt, anstatt sie in Berlin zu nutzen. Das Prinzip „Nutzen statt Abregeln“ wäre viel bes- ser und wird in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen auch praktiziert. Wir wün- schen uns, dass diese sehr gute Regelung auf ganz Deutschland ausgedehnt wird. Haben Sie Hoffnung, dass die Regeln geän- dert werden? Ja, weil wir unbedingt mehr erneuerbare Energien brauchen. Wenn die Energiewende möglichst kos- tenschonend auch für die Bürgerinnen und Bürger gelingen soll, dann können wir es uns nicht leisten, große Mengen grünen Stroms einfach abzuregeln. Wir sind auch die Lösung für eine andere große Her- ausforderung: Eine Versorgungmit Wind- und Solar- strom ist bei einer Dunkelflaute nicht gewährleistet. Hier braucht es ein Sicherheitsnetz. Wie kann dieses Sicherheitsnetz aussehen? Wir bieten es an mit unseren Kraft-Wärme-Kopp- lungsanlagen, die gleichzeitig StromundWärme pro- duzieren – und das mit ansonsten unerreichbaren Wirkungsgraden von um die 90 Prozent. Diese Oben: Das Handy von Vattenfall- Managerin Tanja Wielgoß hat Signalfarbe Links: Der Vattenfall- Standort an der Sellerstraße in Berlin-Wedding » FOTO: AMIN AKHTAR 31 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 12 | 2020 SCHWERPUNKT | Interview

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