Berliner Wirtschaft 11/2020

Eine eventuelle Zahlungsunfähigkeit hätte an sich schon bis zum 30. September 2020 beseitigt sein müssen, weil ab dem 1. Oktober die alten Rege- lungen wieder gelten. Geschäftsführer sind daher gut beraten, die Zahlungsfähigkeit ihres Unter- nehmens spätestens jetzt zu prüfen. Das ist rechnerisch nicht schwierig. Die liqui- den Mittel sind zu den fälligen Verbindlichkei- ten ins Verhältnis zu setzen. Es gilt die Formel: Liquide Mittel / Fällige Verbindlichkeiten. Ist der errechnete Quotient kleiner als 0,9 beziehungs- weise 90 Prozent, liegt Zahlungsunfähigkeit im rechtlichen Sinn vor. In diesemFall muss imzweiten Schritt geprüft werden, ob die bestehende Zahlungsunfähig- keit spätestens in den kommenden drei Wochen beseitigt werden kann. Diese Berechnung gestal- tet sich schon deutlich schwerer, da Prognosen für die Zukunft vorgenommen werden müssen. Im Prinzip gilt nun die Formel: Liquide Mittel + Zukünftige Zahlungseingänge (drei Wochen) / Fällige Verbindlichkeiten + Fällig werdende Ver- bindlichkeiten (drei Wochen). Liegt auch hier der Quotient unterhalb von 0,9 oder 90 Prozent, ist der Gang zum Insolvenzgericht unausweichlich. Auch andere Regelungen sind ausgelaufen Infolge der Pandemie hat der Gesetzgeber viele Sonderregelungen ins Zivilrecht eingefügt, die den Unternehmen Zeit verschaffen sollten, ihre Überlebenschancen zu erhöhen. Beispielsweise hatten Kleinstunternehmer in Dauerschuldver- hältnissen mit einem anderen Unternehmer, die vor dem 8. März 2020 abgeschlossen wurden, bis zum 30. Juni 2020 ein Leistungsverweigerungs- recht, wenn sie ihre vertraglichen Pflichten auf- grund der Corona-Krisenfolgen nicht erfüllen konnten. Gewerbemietern, die wegen der Pande- mie ihre Mieten nicht zahlen konnten, konnte der Vermieter keine Kündigung aussprechen. Doch auch diese Regelung ist zum 30. Juni 2020 ausge- laufen. Bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit ist dies zu berücksichtigen. Nicht gezahlte Mie- ten sind grundsätzlich fällig, soweit mit demVer- mieter keine andere Regelung getroffen wurde. Die Höhe der schon fälligen und fällig wer- denden Verbindlichkeiten kann auch jetzt noch, beispielsweise durch Stundungsvereinbarungen, reduziert werden. Gestundete Forderungen sind erst mal nicht fällig und schonen damit die Liqui- dität des Unternehmens. Bei vielen Unternehmen ist in den vergan- genen Monaten der Eindruck entstanden, dass die Pflicht zum Stellen eines Insolvenzantrages vollständig ausgesetzt wäre. Tatsächlich greifen aber die Regelungen des Covid-19-Insolvenzaus- setzungsgesetzes (COVInsAG) nur in klar definier- ten Fällen. Wer nicht unter die gesetzliche Aus- nahmeregelung fällt, kann sich schnell strafbar machen. Zudem droht die zivilrechtliche Inan- spruchnahme für geleistete Zahlungen. Mit der Rückkehr der Insolvenzantragspflicht für zah- lungsunfähige Unternehmen rücken Strafbar- keits- und Haftungsrisiken wieder vermehrt in den Vordergrund. Risiken von Insolvenzstraftaten Unternehmer, die beispielsweise ein Geschäft eingehen, zu diesemZeitpunkt aber schon davon ausgehenmüssen, dass sie ihre vertraglichen Ver- pflichtungen bei Fälligkeit nicht erfüllen können, machen sich wegen Eingehungsbetruges (§ 263 StGB) strafbar. Daneben bestehen auch weiter- hin die typischen Risiken von Insolvenzstrafta- ten wie Insolvenzverschleppung und Bankrott (§ 283 StGB). Die Freiheitsstrafen reichen in die- sen Fällen bis zu fünf Jahren. Zivilrechtliche Haftungsrisiken sind seit Oktober 2020 ebenfalls wieder deutlich größer geworden. War in den vergangenen Monaten die Haftung für „verbotene Zahlungen“ (§ 64 GmbHG; §§ 93, 92 AktG) stark eingeschränkt, so gelten seit vergangenem Monat wieder die alten Regelun- gen. Solche Zahlungen hat der Geschäftsführer dann aus seinem Privatvermögen zu erstatten, dabei kann die Höhe der Zahlungen dieses schnell übersteigen. Im Zweifelsfall hilft ein Experte Geschäftsführer sollten daher spätestens jetzt die Zahlungsfähigkeit ihres Unternehmens überprü- fen. Um Haftungsrisiken auszuschließen, ist es wichtig, diese Prüfung ausreichend zu dokumen- tieren. Je größer die Gefahr einer Insolvenz, desto mehr muss der Geschäftsführer sein Vorgehen rechtfertigen können. Ein weiterer Tipp: Prognosen für die Zukunft sollten nicht zu optimistisch ausfallen. Hier ist eine realistische Planung gefragt. Wenn die Zahlen knapp ausfallen, sollte man besser einen Experten hinzuziehen, etwa einen auf Insolvenz- recht spezialisierten Rechtsanwalt oder einen Steuerberater. Auf diese Expertise darf sich der Geschäftsführer dann verlassen. Auch dann, wenn es später tatsächlich mal um die persönli- che Haftung gehen sollte. ■ Der Autor Christian Rissmann ist auf Insolvenzrecht und Geschäftsführerhaftung spezialisiert und Rechts- anwalt bei BRL Boege Rohde Luebbehuesen in Hamburg Melina Hanisch, Start-up-Koordinatorin der IHK Tel.: 030 / 315 10-527 melina.hanisch@ berlin.ihk.de Link zur Website der Gründerszene Die Original-Version des Textes unter: gruenderszene.de 61 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 11 | 2020 SERVICE | Gründerszene

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