Berliner Wirtschaft 11/2020

Die Herbst-Umfrage von IHK und Handwerkskammer Berlin belegt, dass das Konjunkturbild in den einzelnen Branchen extrem unterschiedlich ist von Christian Nestler Geteilte Wirtschaft D ie BerlinerWirtschaft hat den dunkelsten Punkt des Konjunkturtals durchschrit- ten – es liegt aber noch ein langer Weg der Erholung vor ihr. Der Geschäfts- klimaindikator notiert mit 106 Punkten wieder über der Expansionsmarke von 100 Zählern, nach- dem der Index im Frühsommer auf 65 Punkte abgestürzt war, den schlechtesten je gemessenen Wert. Investitionen planen 47 Prozent der Unter- nehmen, das sind vier Prozentpunkte mehr als im Frühsommer. Dabei ist das Konjunkturbild heterogener denn je. Einige Branchen erfreuen sich einer erheblichen konjunkturellen Dyna- mik, in anderen ist die Lage weiterhin drama- tisch schlecht. Von einem gesamtwirtschaft- lichen soliden Wachstumspfad aus der Krise he- raus kann also keine Rede sein. Vielmehr mühen sich viele Betriebe durch eine Erholungsphase, deren Verlauf noch nicht abzusehen ist. Doch haben sie inzwischen gelernt, mit der schwie- rigen Situation umzugehen – auch dank der Intervention von Bund und Land, ohne die der Konjunktureinbruch noch gravierender wäre. Unter enormem Druck stehen weiterhin sämtliche an Reise und Tourismus gebundenen Sektoren, die mehr als andere unter den Mobili- tätseinschränkungen und Hygienevorgaben lei- den. Städtetrips und Clubbesuche lassen sich nicht digital substituieren. Selbst während der leichten Erholung der Besucherzahlen im Sommer unter- schritt die Zahl der Übernachtungen den Vorjah- reswert um 59 Prozent. Die daraus resultierenden Verluste touristischer Kaufkraft bringen auch den innerstädtischen Handel in Bedrängnis. Ganz anders sieht es beimOnlinehandel aus, der in den vergangenen sechs Monaten noch ein- mal massiv zugelegt hat. Er profitiert nicht zuletzt davon, dass privater Konsum angesichts geschlos- sener Vergnügungsstätten, oftmals unterlassener Urlaubsreisen und Steueranreize auf die Kon- sumgüteranschaffung gelenkt wird. Desgleichen konnten auch viele der auf Digitalisierung ausge- richteten Berliner Unternehmen, darunter nicht wenige Start-ups, in den vergangenen Monaten expandierende Geschäfte verzeichnen. In den kommenden Wochen scheint eine erneute Verschärfung der Corona-Lage wahr- scheinlich. Gastgewerbe und Handel werden diese zuerst zu spüren bekommen, viele Unter- nehmen werden erneut ihre Arbeitsprozesse an die Risikolage anpassenmüssen. Die Prüfung der Corona-Krise ist noch nicht vorüber. Die Berliner Wirtschaft bleibt im Krisenmodus. ■ FOTO: FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG Christian Nestler, IHK-Experte für Konjunktur Tel.: 030 / 315 10-286 christian.nestler@ berlin.ihk.de Entwicklung des Geschäftsklimaindikators Die Ergebnisse beziehen sich jeweils auf den Herbst, mit Ausnahme der 65 Punkte aus dem Frühsommer 2020 Stimmung der Berliner Wirtschaft Im Vergleich zum Frühsommer ist eine leichte Erholung eingetreten, doch die Situation bleibt schwierig *  53 % planen keine Investitionen Grafik: BW Quelle: IHK Berlin 106 Punkte notiert der Geschäftsklimain- dikator der Berliner Wirtschaft aktuell, nach 65 Punkten im Frühsommer. 50 75 100 125 150 136 65 123 2020 2015 2010 106 Geschäftslage 38 33 29 gut befriedigend schlecht Geschäftserwartung Personalpläne 50 28 22 59 17 24 Investitionspläne* 22 6 19 besser gleich schlechter besser gleich schlechter besser gleich schlechter % % % % 15 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 11 | 2020 AGENDA | Konjunktur

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