Berliner Wirtschaft Mai 2020

Kai Diekmann Bild links: Auch alte Telefone sind an der neuen Story- machine-Adresse stilgebend Bild rechts: Kai Diekmann informiert sich regelmäßig über das Smartphone Für Journa- listen ist das Erzählen von Geschich­ ten das Kerngeschäft. Das funktio­ niert in der digitalen Welt noch besser. Wie nehmen Sie die Berliner Medien wahr? Sie begegnenmir genauso über die sozialen Medien. Wobei ich die „Potsdamer Neueste Nachrichten“, die ja auch „Tagesspiegel“-Berichte enthält, oder „Bild Berlin“ auch mal direkt über Twitter ansteuere. Ich wohne in Potsdam, und ichwill wissen, was vor mei- ner Haustür passiert. Meine These ist, dass gerade in einer globalisierten Welt das, was direkt um mich herum geschieht, immer relevanter für mich wird. Das klingt nach einemWiderspruch. Die globalisierte Welt wird für uns immer unüber- sichtlicher, komplizierter und ungeordneter, und deswegen möchte ich wissen, was in meinem Umfeld, in dem ich mich auskenne und in dem ich mich analog bewege, passiert. Wir sind ja immer noch analoge Existenzen. Oft ist das überfahrene Kaninchen für uns auf der Straße, in der ich wohne, relevanter als der Flugzeugabsturz auf dem afrika- nischen Kontinent. Deshalb bin ich überzeugt, dass Lokaljournalismus, wenn er richtig gemacht wird, auch in Zukunft eine Riesenchance hat, weil er nicht durch Technik substituiert werden kann. Dennoch kämpfen die Berliner Zeitungen mit Auflagenverlusten. Ja, es gelingt kaum einer Zeitung, im Berliner Zei- tungsmarkt wirtschaftlich wirklich erfolgreich zu sein. Wir haben hier allerdings auch eine Zeitungs- landschaft, die es in dieser Fülle in keiner anderen deutschen Großstadt mehr gibt. Alle müssen von einemKuchen leben, der kleiner wird. Guter Lokal- journalismus hat aber Zukunft. Allerdings müssen sich lokale Angebote auch weiterentwickeln. In welche Richtung? Niemand kann Berliner Themen so gut darstellen wie die Berliner Journalisten. Aber wie sieht das in den einzelnen Kiezen aus? Noch besser als die Redakteure kennen sich dort die Menschen aus, die dort wohnen. Um dieses Reservoir müssen sich Lokalzeitungen bemühen. Der Journalismus bedient sich immer Experten. Warum lassen wir uns nicht die analoge Umgebung von Experten, die dort zu Hause sind, erklären? Die wissen vieles, was ich als Redakteur gar nicht mitbekommen kann. Das sind für mich Modelle, gerade in der digitalen Welt, die Lokaljournalismus auch wirtschaftlich zukunftsfä- hig machen können. Wie langewird es Zeitungen noch auf Papier geben? Das ist für mich keine relevante Frage. Die Ober- fläche, auf der gelesen wird, ist nicht entscheidend. Für Journalisten ist das Erzählen von Geschichten das Kerngeschäft. Das funktioniert in der digitalen Welt noch besser. Ich habe viel mehr Touchpoints zur Auswahl, auf denen ich Kunden erreichen kann. Ich kann online auch Sound und Bewegtbilder ein- setzen, und ich bin imRhythmus und imPlatz nicht mehr so eingeschränkt. Insofern macht die digitale Welt zunächst mal die Möglichkeiten für den Jour- nalismus besser. Können auf digitalen Kanälen aber auch die nötigen Erlöse erzielt werden, um professionellen Journalismus zu finanzieren? Ich bin natürlich auch der Meinung, dass wir einen professionellen Journalismus brauchen – gerade jetzt in einer Zeit, in der sich jeder medial inszenieren kann. Dieses Handwerk weiterhin zu finanzieren, ist in der Tat die große Herausforderung. Wir dür- fen uns nichts vormachen: Es wird eine Konsoli- dierung geben. Auf der anderen Seite wissen wir mittlerweile, dass die Menschen bereit sind, für gut gemachte Inhalte im Internet Geld zu bezahlen. Als wir 2013 bei Bild.de mit bezahltem Content ange- fangen haben, war das noch strittig. Vor allemaustauschbare Angebote haben schlechte Chance auf Online-Umsätze. Richtig. Eine Zeitung muss ein Markenverspre- chen einlösen. General-Interest-Angebote wer- den es schwer haben. Wer auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine Zukunft haben will, muss die Frage ‚Warum gibt es mich?‘ beantworten können. Diese Antwort und mein Markenversprechen muss ich auf allen Kanälen ausspielen. Einer dieser Kanäle kann Papier sein. Jeder Kanal hat Vor- und Nach- teile. Papier kann eine unheimliche Wucht haben, mit großen Schlagzeilen und Bildern. Das kann ich Jürgen Schepers, IHK-Key-Account- Manager Kreativ- und Digitale Wirtschaft Tel.: 030 / 315 10-676 juergen.schepers@ berlin.ihk.de FOTOS: AMIN AKHTAR SCHWERPUNKT | Interview 26 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 05 | 2020

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