Berliner Wirtschaft Mai 2020

auf Smartphone-Screens nicht darstellen. Wenn ich nur Papier bedrucke, erreiche ich aber ganze Gene- rationen nicht mehr ... …weil viele junge Menschen heute keine Zeitungen mehr kaufen. Schon die Millennials treffe ich nicht mehr am Zei- tungskiosk, und die werden jetzt 40. Da sie medial auf den Plattformen sozialisiert wurden, suchen sie nicht nach einer Medienmarke. Die Inhalte müssen ihnen begegnen, über soziale Medien zum Beispiel. Wer dort nicht stattfindet, existiert für einen großen und wachsenden Teil des Publikums nicht mehr. Das gilt generell für alle Produkte, Dienstleistungen und Arbeitgebermarken. Es ist jetzt für alle wichtig, Inhalte so kreieren zu können, dass sie in den News- feeds dieser Generationen auftauchen. In Zeiten der Corona-Pandemie wächst das Bedürf- nis an hochwertigen Informationen. Können die tra- ditionellenMedienmarken daraus Kapital schlagen? Also, ich finde, dass die Medien in dieser Krise – unter erschwerten Bedingungen – einen ganz her- vorragenden Job machen. Das gilt für die digitale Welt. Aber auch Lokal- und Regionalzeitungen ergreifen die Chance. Ich war Mitte März noch auf Usedomundwollte eine Lokalzeitung kaufen – keine Chance, alles ausverkauft. Die Menschen dort wollen wissen, was nun in Heringsdorf oder Bansin passiert, und das erfahren sie nicht in der “„Süddeutschen“ oder in der „FAZ“. Da hilft nur die Presse vor Ort. Ich bin ein Riesenfan von Lokaljournalismus. Lässt sich das online monetarisieren? Die Verlage brauchen den Mut, für gute Inhalte auch gutes Geld zu verlangen. Der Markt für Anzeigen ist für die klassischen Medienmarken schwieriger, weil den Plattformen aus den USA eine andere Art von Datennutzung erlaubt ist. Da müssen wir uns in Deutschland und Europa anpassen, wenn wir unse- remMedienmarkt keine Chancen verbauen wollen. Sie sindMitgründer des Start-ups Storymachine, mit dem Sie Unternehmen bei der Kommunikation in den sozialenMedien helfen. Würden Sie sagen, dass Sie dort auch journalistisch tätig sind? Wir machen keinen unabhängigen Journalismus, wir machen Kommunikation in den sozialen Medien – aber mit journalistischen Mitteln. Dahinter steht der Paradigmenwechsel der Mediennutzung. Frü- her mussten Unternehmen an den Chefredakteuren vorbei, umüber Medien kommunizieren zu können. Heute stellt Social Media die Tools bereit, mit denen rein theoretisch jeder zum Publisher werden kann. Aber praktisch geht es um Storytelling, und das ist ein Handwerk, das Journalisten gelernt haben. Hat das nicht auch Nachteile, dass jeder publizie- ren und ein so großes Publikum erreichen kann? Ich sehe auch viele Probleme. Eines ist, dass wir angesichts der Informationsvielfalt im Netz keine gemeinsamen Themenmehr haben. Die Aufgabe des Journalismus ist, den Diskurs der Gesellschaft über sich selbst zu organisieren. In einer Welt, in der es keine gemeinsamen Themen gibt, wird es schwer, den demokratischen Diskurs zu organisieren. Ein anderes Problem ist, dass Algorithmen oft nicht die relevanten Themen schicken, sondern die mir am besten schmecken. Aber ich bin Technologie-Op- timist. Dauerhaft wird sich eine Technologie nur durchsetzen, wenn sie unser Leben verbessert. ■ Kai Diekmann Mitgründer Storymachine Von 1998 bis 2000 war Kai Diekmann Chefre- dakteur der „Welt am Sonntag“ und von 2001 bis 2015 Chefredakteur der „Bild“. Währenddes- sen, Mitte 2012, lebte er ein Jahr lang im Silicon Valley. Im Januar 2017 verließ er Axel Springer. Noch im selben Jahr gründete er mit zwei Mitsteitern die Agentur Storymachine. 27 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 05 | 2020 SCHWERPUNKT | Interview

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