Berliner Wirtschaft 1/2019

42 berliner wirtschaft 01 / 2019 ls der bekannte Hersteller von Arbeits- kleidung Engelbert Strauss seine Pro- dukte unlängst stärker bewerben woll- te, beließ er es nicht bei Marketing. Klar, Werbespots imFernsehen, Bannerwerbung im In- ternet und Plakatkampagnen gehören zumHand- werkszeug dazu, aber wenn ein Produzent wirk- lich groß rauskommen möchte, muss er in die Fläche gehen. Und zwar wortwörtlich. Das Un- ternehmen aus dem hessischen Biebergemünd mietete sich in Berlin gleich eine Insel, die Eis- werder. Dort wurde vier Wochen lang nicht bloß eine Abverkaufs- und Präsentationsfläche etab- liert, sondern gleich ein „Event Island“ mitWork- shops und Partys. Ach ja, bestellen konnte man nebenbei auch. Man nennt sie „Concept Stores“, „Pop-up Sto- res“, „Flagship Stores“ oder auch „Showrooms“. Die Hersteller und Marken, die sich dort präsen- tieren, probieren dabei meist etwas Neues aus – etwa eine neue Produktlinie, ein besonderes La- dendesign oder innovative Lösungen zur Interak- Der Uhrenhersteller Lilienthal betreibt einen Showroom in Prenzlauer Berg – verkauft werden die Produkte online und in ausgewählten Geschäften Schöne neue Einkaufswelt A branchen / Einzelhandel tion mit den Kunden. Dazu zählen insbesondere Möglichkeiten zumAusprobieren und digitale Be- stellmöglichkeiten. Oft, aber nicht immer, ist der direkte Umsatz in diesen Showrooms nachran- gig. Hauptsache, das „Markenerlebnis“ des Kun- den stimmt. Ausprobieren und gleich bestellen Branchenexperten sind sich seit längerer Zeit da- rüber einig, dass das stationäre Ladenlokal mit ei- nem großen Bedeutungswandel konfrontiert ist. „Erlebnisorientierung“ lautet dabei das Stichwort – der Kunde möchte im Geschäft nicht einfach „Besorgungen“ machen, sondern sichwohlfühlen, etwas erleben, was er beim Bestellen vom heimi- schen Sofa aus nicht bekommt. Selbst das „Han- delsblatt“ kommentierte unlängst: „Dass mittler- weile selbst Onliner wie Zalando und Amazon auch Geschäfte eröffnen, ist kein Beleg für eine Renaissance des stationären Handels, sondern il- lustriert nur den Bedeutungswandel des Ladenlo- kals. Es ist nicht mehr in erster Linie Abverkaufs- fläche, sondern ein Showroom, in dem Kunden die Produkte anfassen und erleben können.“ Und wo wir bei Amazon sind. Für großes Auf- sehen sorgte die Nachricht, dass sich der US-ame- rikanische Online-Gigant in Berlin amPremium- standort Kurfürstendamm eingemietet hat. Fünf Tage lang konnten Kundinnen aus aller Welt 500 ausgesuchte Geschenkideen vor Ort anfassen und in der firmeneigenen App gleich bestellen. „#HomeOfChristmas“ hieß der Pop-up Store. Sie werden sich fragen: Nur fünf Tage lang? Nur 500 Produkte – was soll das bringen? Nun, wenn jemand weiß, was die Menschen zu Weih- nachten kaufen, dann ist es Amazon. Dank der rie- sigen Datenmengen, die jeder Kunde bei jedem Einkauf und auch bei jeder Produktsuche hinter- lässt, kann sich der E-Commerce-Riese schnell auf veränderte Bedürfnisse der Verbraucher ein- stellen. Im Pop-up Store können so sowohl er- probte Beststeller angeboten als auch Neuigkei- ten getestet werden. In Berlin nutzten namhafte Hersteller wie Samsung, Lego und Amazon selbst die Möglichkeit, wertvolles Kundenfeedback ein- zusammeln. Bisher waren Hersteller einerseits darauf an- gewiesen, hoch bezahlte Agenturen damit zu be- FOTO: LILIENTHAL Vom „Event Island“ zum „Sound Temple“ – Showrooms prägen immer stärker das Bild des stationären Hauptstadt-Handels von Dr. Mateusz Hartwich 60% der Berliner Unternehmer meinten, dass in Zukunft mehr Flächen zur Produkt- präsentation gebraucht werden.

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