Berliner Wirtschaft November 2023

Gründer stehen unter enormem Stress. Die hohen Erwartungen an sich selbst, von Mitarbeitern, Kunden oder den Investoren können ziemlich erdrückend sein. Um mehr zu leisten, setzen viele Unternehmer deshalb fälschlicherweise auf noch mehr Arbeit und stellen ihre eigene Gesundheit damit hintenan. Das mag kurzfristig funktionieren, aber langfristig gefährden zu wenig Schlaf, Entspannung und Sport sowie schlechte Ernährung die Leistungsfähigkeit und damit auch das eigene Start-up. So entsteht ein Teufelskreis, der in Erschöpfung, Angstzuständen oder Burn-out münden kann. Klein ist das Problem nicht: 72 Prozent der Gründer und Gründerinnen leiden unter psychischen Problemen. Wie eine aktuelle Umfrage von Balderton unter 230 Start-ups jetzt ergab, ist den meisten Gründern dieses Problem bewusst. 57 Prozent der Befragten priorisieren es, mehr zu arbeiten, als auf sich selbst zu achten. Und das, obwohl 64 Prozent von ihnen laut Umfrage wissen, damit sich selbst und dem Unternehmen zu schaden. Obendrein glauben nur 17 Prozent der Befragten, dass mehr Arbeit auch in jedem Fall mehr Leistung bedeutet. Das Problem ist da, die Einsicht ist da, aber warum ändert sich dann nichts? Die Antwort ist vielschichtig. So ist mentale Gesundheit immer noch etwas, das ungern thematisiert wird. Aus Scham, vermeintlich Schwäche zu zeigen – weil es das eigene Ego nicht erlaubt oder gesellschaftlich nicht anerkannt ist –, gibt es nur wenige Personen, die sich öffentlich trauen, zuzugeben, etwa unter Burn-out zu leiden. Burn-out des Bitpanda-Gründers Positiv überrascht haben deshalb die offenen Worte von Eric Demuth, der mit Bitpanda ein Milliardenunternehmen leitet. „Im Jahr 2018 hatte ich einen schweren Burn-out. Der äußerte sich weniger in einer ‚klassischen‘ Depression, sondern vielmehr in Form von Angststörungen und Erschöpfung. Burn-out hat viele Gesichter“, so der Gründer vor Kurzem auf LinkedIn. Ein halbes Jahr habe er darunter gelitten. Demuth sagt, dass es sich immer noch um ein Tabuthema handele und er sich deshalb entschieden habe, seine Geschichte zu teilen. Unter seinem LinkedIn-Post bekommt der Gründer für seine Offenheit viel Zuspruch. Es scheint, als hätten viele nur darauf gewartet, nun auch über ihre eigenen Probleme sprechen zu dürfen. Demuth ist nicht der Erste, der sich öffentlich zu diesem Thema äußert. Auch Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer sprach über ihren Burnout und DHDL-Investor Carsten Maschmeyer über Tablettensucht durch zu viel Druck im Beruf. Aber eine Handvoll Vorbilder reichen eben nicht aus, um Probleme, die viele Menschen und die Mehrzahl der Gründer betreffen, vom Stigma zu befreien. Auch die Wirtschaftlichkeit leidet Zudem ist nicht zu erwarten, dass emotionale Betroffenheit zu weitreichenden Verhaltensänderungen in der Start-up-Szene führen wird. Für eine wirkliche Veränderung beim Umgang mit diesem Thema müsste deshalb der wirtschaftliche Aspekt in den Fokus gerückt werden. Denn darauf können sich vermutlich alle Gründer und Gründerinnen einigen: Egal, ob es mir gut oder schlecht geht – das Start-up sollte gute Zahlen schreiben. Deshalb hier ein paar Daten aus der Balderton-Umfrage, die für jeden CEO interessant sein dürften: → 57 Prozent der Gründer stimmen stark zu, dass exzessiver Stress verhindert, Probleme zu lösen oder kreativ zu sein. → 56 Prozent denken, dass er die Entscheidungsfindung negativ beeinflusst. → 46 Prozent glauben sogar, dass konstanter Druck zu einem Team-Burn-out führt. → Und 33 Prozent sagen, dass eine Kultur des nicht nachhaltigen Arbeitens die besten Mitarbeiter vergrault und neue Talente fernbleiben. Kurzum: Es schadet dem Unternehmen extrem. Balderton selbst schlägt drei Dinge vor, um mental gesund zu bleiben. Gründer sollten sich um einen Ernährungs-, einen Schlaf-Experten und einen Business-Coach kümmern. Zudem überrascht es nicht, dass Balderton – ein VC – auch die Rolle der VCs für mentale Gesundheit kritisch hinterfragt: So sagen 69 Prozent der befragten Gründer, dass sie sich von ihren Investoren explizit wünschen würden, sie zu ermutigen, mehr Zeit in sich selbst investieren zu können. Ähnlich sehen das auch die Health-Experten von Accelerate Health. Gegründet unter anderem von der Psychologin Natascha Prieß, bietet das Unternehmen Coachings und Workshops für das Wahren und Wiedererlangen von mentaler Gesundheit. Und obwohl es sich an Gründer richtet, sind die Zielkunden die Investoren: „Mentale Gesundheit ist kein Add-on oder ,nice to have‘, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht total relevant“, sagt Prieß. Für Investoren und Gründer zahlt es sich aus, mental fit zu sein. ■ Christina Lüdtke, IHK-Fachreferentin Gründung, Start-ups und Nachhaltigkeit Tel.: 030 / 315 10-405 christina.luedtke@ berlin.ihk.de Link zur Website der Gründerszene Die Ursprungsversion des Textes unter: gruenderszene.de (kostenpflichtig). Der Autor Georg Räth gehört seit 2010 zur Redaktion von Gründerszene/ Business Insider, wo er sich schwerpunktmäßig um Themen wie Gaming und Tech sowie den Podcast „So geht Startup“ kümmert. Berliner Wirtschaft 11 | 2023 ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/MALTE MÜLLER; FOTO: FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG

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