Berliner Wirtschaft September 2024

Energiewende IHK-Barometer zeigt die Belastungen durch Bürokratie Seite 10 Ausbildung O ja! Orientierungsjahr gibt Einblicke in Berufe und Studium Seite 42 Power durch Partner Holger Alder ist ein Fan von Technologietransfer. Der Photon-Vorstand profitiert bei der Entwicklung innovativer Produkte von Berlins Hochschulen Seite 16, Interview Seite 24 IHK Berlin ECO-Siegel Ausgezeichnet: Exzellente Ausbildungsqualität in Klimaschutz und Energiewende Seite 44 Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 09/2024 ihk.de/berlin

VERNETZT. LEISTUNGSSTARK. INNOVATIV. INTERNATIONAL. NACHHALTIG. Ein Ansprechpartner für alle Phasen der Ansiedlung. Wirtschaft ohne Grenzen. Gospodarka bez granic. JETZT WACHSTUMSCHANCEN IN FRANKFURT (ODER) NUTZEN. PLATZ FÜR WACHSTUM IN DER HAUPTSTADTREGION www.icob.de

Sebastian Stietzel ist Präsident der IHK Berlin und Geschäftsführer der Marktflagge GmbH, Management & Investments Wussten Sie, dass weltweit etwa 90.000 Schiffe auf den Meeren unterwegs sind? Um ihre Rümpfe vor den harten Bedingungen auf See zu schützen, benötigen diese Schiffe große Mengen an Lacken – oft mit umweltschädlichen Chemikalien. Doch ein Berliner Unternehmen hat eine neue Lösung entwickelt: eine Lackiermethode ohne Mikroplastik und andere problematische Stoffe, die zudem erhebliche Einsparungen für Reedereien ermöglicht. Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie aus wissenschaftlicher Forschung marktfähige Produkte entstehen können. Die Gründerinnen entwickelten diese innovative Methode im Rahmen eines universitären Forschungsprojekts und wagten anschließend den Schritt in die Selbstständigkeit – ein Paradebeispiel für erfolgreichen Technologietransfer. In dieser Ausgabe finden Sie viele weitere inspirierende Beispiele. (S. 16) Berlin ist eine der größten und vielfältigsten Wissenschaftsregionen Europas. Während es in der Vergangenheit oft am Technologietransfer haperte, gewinnt das Thema jetzt an Dynamik. Ein heraus- ragendes Beispiel dafür ist das Projekt UNITE, bei dem 18 Berliner Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen zusammenkommen, um eine Startup Factory von Weltrang zu schaffen. Auch wir von der IHK Berlin sind mit an Bord, denn wir sind überzeugt: Der Technologietransfer ist der Schlüssel, um Berlin als Wirtschaftsstandort im globalen Wettbewerb der Metropolen zu stärken. Ihr Energiewende Die Umsetzung der Energiewende kommt in den Berliner Unternehmen voran, wird aber nach wie vor durch ungünstige Rahmenbedingungen ausgebremst. Bürokratie, fehlende Planbarkeit und Energiepreise sind die größten Hemmnisse, wie das IHK-Energiewende- Barometer 2024 zeigt. Seite 10 Die „Berliner Wirtschaft“ gibt es auch online: ihk.de/berlin/berliner-­ wirtschaft Paradebeispiele für erfolgreichen Technologietransfer ZEICHNUNG: ANDRÉ GOTTSCHALK; TITEL: AMIN AKHTAR Berliner Wirtschaft 09 | 2024 Editorial | 03

Auszeichnung Gesobau-Vorstand Christian Wilkens konnte das neue ECO-Siegel der IHK Berlin entgegennehmen 44 16 Technologietransfer Eng verzahnt, können aus dem Zusammenwirken von Hochschulen und Betrieben neue Produkte entstehen BRANCHEN 28 Gewerbeflächen Neue Entwicklungsprojekte weisen in eine nachhaltige Zukunft des Standorts 33 Start-up Munay Zamorano, Inhaberin der New Natural GmbH, über ihre Geschäftsidee 34 Großhandel Seit 75 Jahren frische Früchte auf dem Berliner Fruchthof 36 Zukunftsorte Start-ups entwickeln auf dem B.I.G-Campus in Marzahn innovative Produkte 39 Historie Ernst Oeser revolutionierte den Farbendruck und sorgte mit goldenen Lettern für bleibende Eindrücke 40 Einzelhandel Familie Lorenz blickt auf 150 Jahre Juweliertradition in Friedenau zurück AGENDA 10 Energiewende IHK-Barometer: Bürokratie und Energiepreise bremsen Klima-Transformation aus 12 Infrastruktur Weiterbau der TVO aus Sicht der Wirtschaft notwendig 13 Kolumne Nicole Korset-Ristic über die Bedeutung gesicherter Unternehmensnachfolge 14 Arbeitsmarkt Defizite bei Kinderbetreuung und Pflege erschweren die Personalsuche FOKUS 16 Technologietransfer Unternehmen profitieren von Berlins Forschungslandschaft. Die IHK unterstützt solche Kooperationen 20 Unternehmenspraxis Drei Berliner Unternehmen, deren Erfolg das Ergebnis gelungenen Transfers ist 24 Interview Dank Technologietransfer behauptet die Photon AG ihre Marktführerschaft, erklärt CTO Holger Alder Holger Alder CTO Photon AG Berlin ist für uns ein großartiger Standort, weil wir in der Region eine so vielfältige universitäre Landschaft haben. Berliner Wirtschaft 09 | 2024 Inhalt | 04

FACHKRÄFTE 42 Berufsorientierung HTW Berlin bietet die Chance, Studiengänge und auch Betriebe kennenzulernen 44 Auszeichnung IHK Berlin verleiht erstmals ihr Klima-Siegel „Exzellente Ausbildungsqualität ECO“ 47 Ausbildung Hinweise für das Melden von Ausbildungsplätzen SERVICE 54 Marketing Netzwerken ist für Gründer einer der Schlüssel zum Erfolg ihres Unternehmens 56 Sachverständigenwesen Bei Konflikten in Mietfragen helfen versierte Gutachter 58 Beratung Remote Work erfordert klare Richtlinien und regelmäßige Überprüfungen 59 Nachhaltigkeit Bei nawi.berlin bekommen Unternehmen Unterstützung für nachhaltiges Wirtschaften 60 Gründerszene Damit eine Krise nicht zur Insolvenz wird, müssen auch Gründer wachsam sein 03 Editorial | 06 Entdeckt | 46 Seminare | 62 Impressum 65 Gestern & Heute | 66 Zu guter Letzt … Schreiben Sie uns Worüber möchten Sie in der „Berliner Wirtschaft“ informiert werden? Senden Sie Ihre Anregungen per Mail an: bw-redaktion@berlin.ihk.de Zukunftsorte Benjamin Pardowitz und Maria Enge von RooWalk entwickeln Roboter, die beim Gehen unterstützen 36 ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/MOMENT RF/ANDRIY ONUFRIYENKO; FOTOS: GESOBAU/AMIN AKHTAR, AMIN AKHTAR Berliner Wirtschaft 09 | 2024 das uns! Überlassen Sie Professionelle Entsorgungslösungen für: Gewerbeabfälle Bedarfsgerechte Konzepte zur Erfassung Ihrer gemischten Gewerbeabfälle – entsprechend der Gewerbeabfallverordnung Altpapier Beste Preise für Industrie, Handel, Gewerbe, Wohnungswirtschaft und Privathaushalte Gewerbefolien Kostengünstige und umweltgerechte Wertstoffentsorgung Andere Abfälle Zuverlässige Erfassung aller anderen Abfälle zur Verwertung (Glas, Holz, Schrott, E-Schrott) Bartscherer & Co. Recycling GmbH Montanstraße 17-21 13407 Berlin Tel: (030) 408893-0 Fax: (030) 408893-33 www.bartscherer-recycling.de Bestellungen direkt im Onlineshop. Günstige Pauschalpreise für Umleerbehälter von 240 l bis 5,5 cbm.

Die „Molkerei der Zukunft“ nennt sich ein FoodTech-Start-up mit Laboren in Berlin und Frankfurt am Main. Die 2019 gestartete Formo Bio GmbH stellt Käse her, für den keine Kühe, Schafe oder Ziegen gehalten werden müssen. Die veganen Alternativen sollen Tier- wohl sowie Klima- und Ressourcenschutz dienen: weniger Methanausstoß, Wasser- und Flächenverbrauch. Bei Formo ersetzen der Koji-Pilz, ein Mikroorganismus, und spezielle Fermentationsverfahren, ähnlich jenen in Brauereien, das Milchprotein Kasein aus der traditionellen Käseherstellung. In den Räumlichkeiten am Osthafen in Friedrichshain sind vegane Varianten entwickelt worden, die schon bald in Supermärkten zu kaufen sein sollen – und originelle Namen haben: Feta heißt „Hellasdorf“, Schimmelkäse „Frankoforte“ und Frischkäse „Frischhain“. Nachhaltigkeit darf schmecken. Und Spaß machen. Alles Käse FOTO: ULRICH SCHUSTER Berliner Wirtschaft 09 | 2024 Entdeckt | 06

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Die Nebelschwaden über dem Behörden- dschungel haben sich viereinhalb Monate nach Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes im April verzogen. Seit 1. Juli konnten nicht kommerzielle Anbauvereine Genehmigungen beantragen. Überall in Deutschland – außer in Berlin, wo Senat und Bezirke noch lange nach dem Stichtag um Zuständigkeiten rangen. Oder besser: um Nicht-Zuständigkeiten, bis schließlich das Landesamt für Gesundheit und Soziales wie beim „Spitz pass auf!“ zu langsam wegzog. Gut 100 Unternehmen in der Hauptstadt waren übrigens schon vorm neuen Gesetz zum Gras ganz legal mit Cannabis im Geschäft, gern im Online-Handel und oft in Friedrichshain-Kreuzberg. Schneller als bei der Frage, wer tätig werden soll, war die Verwaltung ganz nebenbei in einem anderen Punkt: beim Bußgeldkatalog. bw Was finden Sie typisch? Schreiben Sie uns: bw-redaktion@berlin.ihk.de. Volldampf typisch berlin 265 Start-ups wurden in Berlin im ersten Halbjahr gegründet. Das sind 29 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Berlin erzielte damit den höchsten Anstieg aller Bundesländer. Im Bundesdurchschnitt kletterte die Zahl um 15 Prozent. „Dass der Senat jetzt die Erarbeitung einer Fachkräftestrategie vorbereitet, ist erst einmal zu begrüßen. Aus Sicht der Wirtschaft braucht es eine zentrale, steuernde Ansprechstelle für Fachkräftesicherung auf höchster Ebene. Die Verbindung von Fachkräftesicherung und zentralen Wohnungsbauvorhaben muss sichergestellt werden. Auch sind Maßnahmen zur Gewinnung ausländischer Fachkräfte zwingend notwendig.“ Der Senat bereitet einen strategischen Rahmen für die Arbeitssicherung vor. Die IHK Berlin begrüßt dies Fachkräftestrategie endlich in Arbeit gesagt Stefan Spieker, Vizepräsident IHK Berlin FOTOS: ETTY IMAGES/MOMENT RF/SAKCHAI VONGSASIRIPAT, IHK BERLIN/AMIN AKHTAR Berliner Wirtschaft 09 | 2024 Kompakt | 08

140 Firmeninsolvenzen wurden laut Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle im Juli in Berlin verzeichnet. So viele wurden den Zahlen zufolge in den 2020er-Jahren noch nie in einem Monat gemeldet. Stagnation bei E-Autos In der Statistik der Neuzulassungen von vollelektrischen batteriebetriebenen Pkw in Berlin ist seit Anfang 2024 auf mäßigem Niveau kaum noch Bewegung zu verzeichnen berliner wirtschaft in zahlen Dr. Lutz Kaden, IHK-Experte für Verkehr Tel.: 030 / 315 10-415 lutz.kaden@berlin.ihk.de weniger E-Autos wurden im ersten Halbjahr in Berlin im Vergleich zum Vorjahresquartal zugelassen. 28 % Gästezahl wächst wieder kräftig tourismus kopf oder zahl Sarah Duve-Schmid Jenja Carow wird Mitte 2025 neue Geschäftsführerin der Filmförderung und Sprecherin des Medienboard Berlin-Brandenburg. Sie wird damit Nachfolgerin von Kirsten Niehuus, die in den Ruhestand geht. Duve-Schmid ist bisher als Stellvertreterin des Vorstands und Leiterin der Förderabteilung bei der Filmförderungsanstalt des Bundes in Berlin tätig. wurde zum 1. Juli in die Geschäftsführung der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) berufen. Neben seiner bisherigen Tätigkeit als Head of Sales & Marketing übernimmt er zusätzlich die Verantwortung für das Retail-Geschäft von KPM. Carow folgt auf Alexander Feyerabend und wird KPM gemeinsam mit Martina Hacker führen. Im ersten Halbjahr besuchten 6,1 Millionen Gäste mit 14,4 Millionen Übernachtungen die Bundeshauptstadt. Das entspricht einem Zuwachs von 6,5 Prozent bei den Gästen und von 3,9 Prozent bei den Übernachtungen gegenüber dem Vorjahreszeitraum, teilt das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg mit. Aus dem Ausland kamen knapp 2,2 Millionen Gäste, die 5,8 Millionen Übernachtungen in Berlin verbrachten. Das entspricht einem Zuwachs von 13,4 Prozent bei den Gästen und 8,8 Prozent bei den Übernachtungen. Am häufigsten übernachteten Gäste aus dem Vereinigten Königreich (6,4 Millionen Übernachtungen) in Berlin. bw 0 500 1000 1500 2000 2500 2019 2020 2021 2022 2023 2024 829 2472 1322 195 1199 FOTOS: G KPM BERLIN, FFA/KAY HERSCHELMANN, GETTY IMAGES/MOMENT RF/SNYIXUN/MIRAGEC Grafiken: BW Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt Berliner Wirtschaft 09 | 2024 Kompakt | 09

Das Energiewende-Barometer 2024 wird vor dem Hintergrund erhoben, dass die Beschaffungskosten für Strom und Gas zwar rückläufig sind, die Energiepreise jedoch insgesamt hoch bleiben. Auch im laufenden Jahr betrachtet eine Mehrheit von 35 Prozent der Berliner Unternehmen die Auswirkungen der Energiewende auf die Wettbewerbsfähigkeit als negativ bis sehr negativ. Allerdings zeigt sich im Vergleich zum Vorjahr eine leichte Entspannung: Während 2023 noch 45 Prozent der Betriebe die Auswirkungen als negativ wahrgenommen haben und 16 Prozent als positiv, sehen in diesem Jahr 24 Prozent der Unternehmen die Auswirkungen als positiv bis sehr positiv. Die nachteiligen Auswirkungen der Energiepreise auf die Investitionsfähigkeit bleiben auf einem hohen Niveau. Zwei Drittel der Berliner Unternehmen verzeichnen Einschränkungen in allen Investitionsbereichen – von Klima- schutz sowie Forschung und Innovation bis hin zu den betrieblichen Kernprozessen. Ohne Investitionen ist die Energiewende jedoch nicht zu bewältigen. Vor allem in der Industrie und im Bau sind die Investitionen stark rückläufig; nur 21 Prozent der Industrieunternehmen sehen hier keine Auswirkungen auf ihre Investitionskraft. Besonders problematisch ist die Zurückstellung von Klimaschutzinvestitionen bei 22 Prozent der Unternehmen. Zunahme der Energieeffizienzmaßnahmen Was die Umsetzung von Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz angeht, geben 70 Prozent der Berliner Unternehmen an, diese bereits ergriffen zu haben oder sie zu planen. Das bedeutet einen Anstieg um elf Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Dennoch fehlen 13 ProIHK-Energiewende-Barometer 2024: Berliner Unternehmen bemängeln umständliche Verfahren, fehlende Planbarkeit und Energiepreise von Larissa Scheu Bürokratie bremst alle aus 22 % der Betriebe stellen wegen hoher Energiepreise Klimaschutzinvestitionen zurück. 47 % der Unternehmen haben bereits E-Fahrzeuge angeschafft oder planen deren Anschaffung. 70 % der Unternehmen haben schon Energie- effiziensmaßnahmen ergriffen oder planen diesen Schritt. ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/MALTE MÜLLER agenda Berliner Wirtschaft 09 | 2024

zentpunkte, um den Bundesdurchschnitt zu erreichen. Zu den gängigen Maßnahmen zählen vor allem Investitionen in effiziente Technik (67 Prozent), Digitalisierung und Automatisierung (30 Prozent), energetische Gebäudesanierung (23 Prozent) sowie die Teilnahme an Energieeffizienz-Netzwerken (28 Prozent). Maßnahmen zum Aufbau eigener erneuerbarer Erzeugungskapazitäten werden von 29 Prozent der Unternehmen umgesetzt oder geplant. 12 Prozent nutzen diese bereits. Außerdem verzeichnen 27 Prozent der Betriebe Fortschritte bei der Umstellung auf CO2-ärmere Wärmeerzeuger, darunter auch Wärmepumpen, was einen Zuwachs von neun Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Weitere 19 Prozent setzen auf Abwärmenutzung und 24 Prozent auf die Umstellung auf Fern- oder Nahwärme, während zehn Prozent Wasserstoff als zukünftigen Energieträger einplanen. Im Bereich der Mobilität haben 47 Prozent der Betriebe bereits Elektrofahrzeuge angeschafft oder planen deren Anschaffung, während 39 Prozent die erforderliche Ladeinfrastruktur entweder schon errichtet haben oder sich im Prozess des Aufbaus befinden. Ein Klimaneutralitätsziel haben sich 42 Prozent der Berliner Unternehmen gesetzt (neun Prozent bis 2030, 20 Prozent bis 2040 und 13 Prozent bis 2045). Kritikpunkt fehlende Verlässlichkeit Mit einem Anstieg um zehn Prozentpunkte im Vergleich zum Jahr 2023 bleibt übermäßige Bürokratie das Haupthindernis bei den Transformationsbemühungen hin zu mehr Klimaschutz, betroffen sind in der aktuellen Umfrage 58 Prozent der Unternehmen. Unverändert zum Vorjahr empfinden mehr als vier von zehn Betrieben die unzureichende Informationslage, Planbarkeit und Verlässlichkeit in der Energiepolitik als problematisch. Langsame Planungs- und Genehmigungsverfahren stehen an dritter Stelle der größten Hindernisse. Das Scheitern des geplanten Berliner Klimasondervermögens sorgt vor dem Hintergrund der ohnehin schon schwierigen Investitionsbedingungen für zusätzliche Unsicherheit. Die Wirtschaft braucht dringend verlässliche Rahmenbedingungen, um ihren Beitrag zur Transformation zu leisten. An diesem Punkt sollte der Senat dringend eine rechtssichere Alternative für das gescheiterte Sondervermögen finden und einen Plan für die Finanzierung der Klimaneutralität bis 2045 aufstellen. ■ Grafiken: BW Quelle: IHK Berlin Die größten Hindernisse Geht es um hemmende Faktoren bei der Transformation, steht die Bürokratie weiter an erster Stelle (Mehrfachnennungen möglich, Angaben in Prozent) Auswirkungen auf Wettbewerbsfähigkeit Knapp 60 Prozent der Unternehmen bewerten die Folgen der Energiewende positiv oder neutral (Angaben in Prozent) Larissa Scheu, IHK-Public-Affairs-­ Managerin Energie- und Klimaschutzpolitik Tel.: 030 / 315 10-686 larissa.scheu@berlin. ihk.de Barometer 2024 Weitere Informationen zur Energiewende-­ Umfrage unter folgendem QR-Code: Unterstützungsstellen in Berlin Die meisten Unternehmen lassen sich von der eMO beraten (Mehrfachnennungen möglich, Angaben in Prozent) 2022 2023 2024 57,6 47,4 49,9 Zu viel Bürokratie 41,6 28,4 26,7 Langsame Planungs- und Genehmigungsverfahren 43,3 43,2 15,9 Fehlende Planbarkeit in der Energiepolitik Sonstiges 0,0 15,9 24,0 Fachkräftemangel 14,5 29,0 25,6 Schwierige Finanzierung 24,5 22,9 28,6 Hohe Energiepreise 25,8 33,5 28,4 2022 2023 2024 sehr positiv positiv neutral negativ sehr negativ keine Einschätzung möglich 4,3 10,1 20,2 14,7 25,2 19,6 34,6 29,8 7,5 14,6 8,2 11,2 10,8 13,4 35,7 20,0 15,1 5 Koordinierungsstelle für Kreislaufwirtschaft, Energiee zienz und Klimaschutz im Betrieb (KEK) Berliner Agentur für Elektromobilität eMO SolarZentrum Berlin Klimawerkstatt Zero-Waste-Agentur EnergieEinsparInitiative Berlin BAUinfo Berlin 53,2 35,5 34,8 32,7 21,3 15,4 9,4 Energiewende | 11 Berliner Wirtschaft 09 | 2024

Von der TVO sind bereits zwei Bauabschnitte fertiggestellt, der erste in den 1970er-Jahren von der B1/B5 nach Ahrensfelde, der zweite 2007 von der Straße an der Wuhlheide bis zum Adlergestell. Nunmehr soll der dritte Abschnitt mit einer Länge von 7,2 Kilometern in Angriff genommen werden. Die Kosten dafür sollen nach letzten Schätzungen des Bundeswirtschaftsministeriums 376 Mio. Euro betragen, wovon der Bund nur einen kleinen Teil finanzieren will. Die Kammern und Verbände verweisen darauf, dass die Bevölkerung der drei betroffenen Bezirke rasant wächst, im Durchschnitt um 5.000 bis 6.000 Einwohner pro Jahr und Bezirk. Hinzu komme der Ausbau des Wissenschafts- und Technologieparks Adlershof, des CleanTech Business Parks Marzahn, des Maxim Gewerbeparks Wolfener/Bitterfelder Straße, des Gewerbegebietes Herzbergstraße, des Zukunftsortes Schöneweide, des Innovationsparks Wuhlheide und des BER-Flughafenumfeldes. Alle diese Projekte seien mit einem stark steigenden Verkehrs- aufkommen verbunden, seien es Pendlerströme oder Warenlieferungen. Schon jetzt seien täglich Staus an der Tagesordnung, von denen auch der öffentliche Nahverkehr betroffen ist. Nicht zuletzt geht die Wirtschaft davon aus, dass der Lückenschluss dazu beiträgt, weniger Lärm und Emissionen zu erzeugen, Fahrzeiten zu verkürzen, Unfälle und Staus zu vermeiden und den öffentlichen Nahverkehr mit Bussen und Bahnen zu beschleunigen. Zugleich könnten der Rückbau der derzeit völlig überlasteten RudolfRühl-Allee erfolgen und umwelt- und klima- freundliche Maßnahmen realisiert werden. Dazu zählen unter anderem die Pflanzung neuer Bäume und das Anlegen von Grünstreifen. ■ Die Berliner Wirtschaft fordert mehrheitlich den schnellen Weiterbau der Tangentialverbindung Ost (TVO). Verbände und Kammern, darunter die IHK Berlin, begrüßten daher in einer gemeinsamen Erklärung, dass sich das Vorhaben nunmehr im Genehmigungsprozess befindet. Um den geplanten Lückenschluss zwischen Märkischer Allee und Spindlersfelder Straße wird seit Jahrzehnten gestritten. Die Trasse soll die Bezirke Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick besser verbinden, Nebenstraßen entlasten und den Wirtschafts- und Warenverkehr verbessern. „Wir können es uns als schnell wachsende Metropole nicht leisten, unbestreitbar notwendige Infrastrukturprojekte als aus der Zeit gefallene Verkehrslösungen zu stigmatisieren“, betonte IHK-Vizepräsident Robert Rückel. So soll künftig der Kreuzungsbereich der B 1/B 5 mit der Märkischen Allee in Biesdorf aussehen Dr. Lutz Kaden, IHK-Experte für Verkehr Tel.: 030 / 315 10-415 lutz.kaden@berlin.ihk.de 7,2 Kilometer lang ist der dritte Bauabschnitt der TVO, der jetzt realisiert werden soll. Wirtschaft betont positive Aspekte: Die Tangentialverbindung Ost verbindet, entlastet und sichert regionale Versorgung von Holger Lunau Weiterbau der TVO notwendig VISUALISIERUNG: KRP ARCHITEKTUR GMBH AGENDA | Infrastruktur | 12 Berliner Wirtschaft 09 | 2024

Es geht um ganze Lebenswerke Die Nachfolge in Unternehmen sichert Arbeitsplätze und Know-how. Damit ist sie ein Schlüsselelement für die Zukunftsfähigkeit des Standorts Die wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen Berlin steht, sind in der Tat enorm. Neben dem drohenden Fachkräftemangel und den strukturellen Problemen im Wohnungsbau und in der Verwaltung beeinträchtigt auch die schwache Konjunktur die Entwicklung der Stadt. Ein besonders dringliches Thema, das die Zukunftsfähigkeit des Standorts betrifft, ist die Unternehmensnachfolge. Die Regelung der Nachfolge in Unternehmen ist nicht nur eine Frage der Sicherung von Arbeitsplätzen und der Erhaltung von Know-how, sondern auch des Fortbestands ganzer Lebenswerke. Bis 2026 stehen allein in Berlin etwa 8.500 Unternehmen vor der Herausforderung einer Nachfolgeregelung. Viele dieser Unternehmen finden jedoch keinen geeigneten Nachfolger, was zu einer möglichen Schließung führen könnte. Das Hauptproblem liegt im „Matching“: Angebot und Nachfrage sind vorhanden, finden aber oft nicht zueinander. Dieses Missverhältnis spiegelt sich in der Tatsache wider, dass rund 40 Prozent der übergabereifen Unternehmen keinen passenden Nachfolger und ebenso viele Nachfolge- interessierte keine geeigneten Unternehmen zur Übernahme finden. Die Gründung der Berliner Nachfolgezen- trale ist daher ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Diese zentrale Plattform soll Unternehmen und potenzielle Nachfolger zusammenbringen und umfassende Beratungsleistungen anbieten. Mit einem Fördervolumen von insgesamt 700.000 Euro jährlich, bereitgestellt durch das Land Berlin, die Bürgschaftsbank Berlin, die Handwerkskammer Berlin (HWK) und die IHK Berlin, sollen die Mitarbeiter der Nachfolgezentrale intensiv daran arbeiten, Unternehmen und Nachfolger zusammenzuführen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Ansprache junger Menschen, die für die Selbstständigkeit gewonnen werden sollen. Dabei ist es wichtig, mit dem Irrglauben aufzuräumen, dass eine Unternehmensnachfolge nur innerhalb der Familie stattfinden kann oder dass man zwingend ein Unternehmen selbst gründen muss, um erfolgreich zu sein. Die Nachfolgezentrale könnte somit auch einen Beitrag dazu leisten, dass mehr junge Menschen den Weg in die Selbstständigkeit finden und gleichzeitig die wirtschaftliche Zukunft Berlins sichern. ■ Meinung In der Kolumne „Auf den Punkt“ positionieren sich im monatlichen Wechsel Mitglieder des Präsidiums zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht. präsidiumsmitglieder beziehen stellung Nicole Korset-Ristic ist Vorständin bei der Bio Company SE und Vizepräsidentin der IHK Berlin FOTO: AMIN AKHTAR Auf den Punkt | 13 Berliner Wirtschaft 09 | 2024

IHK-Umfrage: Unternehmen sehen Defizite bei Pflege und Kinderbetreuung. Familie und Beruf müssen sich besser vereinbaren lassen als bisher von Jan Bruns Gute Betreuung hilft allen AGENDA | Arbeitsmarkt | 14

Der Mangel an Fachkräften stellt eine der größten Herausforderungen für die Berliner Wirtschaft dar. Nach Berechnungen der IHK wird der Fachkräfteengpass bis 2035 voraussichtlich auf 414.000 Personen steigen – das wären viermal so viel wie 2022. Doch auch schon heute fehlen 90.000 Fachkräfte in der Hauptstadt, was den Unternehmen große Sorgen bereitet. So nannten in der letzten IHK-Konjunkturumfrage im Frühsommer dieses Jahres 64 Prozent der Berliner Unternehmen den existenzbedrohenden Fachkräftemangel als Geschäftsrisiko Nummer eins. Um den Kampf dagegen gewinnen zu können, ist es unerlässlich, alle Erwerbspotenziale voll auszuschöpfen. Hier stellt eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen Schlüssel zum Erfolg dar. Zentral dafür ist die Sicherstellung von elterngerechten Rahmenbedingungen, aber auch die Unterstützung von pflegenden Angehörigen. Schon heute werden 85 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Berlin von über 200.000 An- und Zugehörigen zu Hause versorgt. Neben der Hebung bestehender Potenziale wird immer deutlicher, dass eine gute Betreuungssituation für Kinder und pflegebedürftige Angehörige einen wichtigen Standortfaktor im Wettbewerb um Fachkräfte mit anderen Metropollen weltweit darstellt – Fachkräfte kommen nicht ohne ihre Familie nach Berlin, sondern entscheiden sich im Zweifel für attraktivere Standorte. Betreuungssituation ist zentrales Kriterium Aus Sicht der Berliner Unternehmen ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein zentrales Kritierum. Dementsprechend wünschen sich die Unternehmen eine zuverlässigere Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen in der Hauptstadt. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter rund 500 Mitgliedsbetrieben der IHK Berlin und der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB). Die Umfrage wurde zusammen mit der Handwerkskammer Berlin, den UVB sowie dem DGB im Rahmen der Zusammenarbeit im Berliner Beirat für Familienfragen entwickelt. Die Ergebnisse der Umfrage sprechen eine eindeutige Sprache. Mehr als die Hälfte der Firmen (52 Prozent) gab an, dass zuverlässigere Angebote bei der Kinderbetreuung nötig seien. 27 Prozent sprachen sich dafür aus, dass mehr Kitas wochentags vor sechs Uhr und nach 18 Uhr geöffnet sein sollten. Fast ebenso viele Unternehmen (26 Prozent) forderten eine Aufstockung von Plätzen für die Tagespflege. 14 Prozent äußerten darüber hinaus den Wunsch nach einer zentralen Beratungsstelle, die über die betriebliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie informiert. Die Umfrage zeigt der Wirtschaft zufolge, wie wichtig eine bessere Betreuung für den Arbeitsmarkt ist. Die befragten Unternehmen erklärten, dass fast ein Drittel der Beschäftigten (32 Prozent) in den vergangenen drei Jahren die Arbeitszeit wegen Kinderbetreuung oder Pflege reduziert hat. Sechs von zehn Müttern (62 Prozent) nehmen nach der Geburt zwölf Monate Elternzeit, sieben von zehn Vätern (70 Prozent) entscheiden sich für einen bis vier Monate Auszeit. Eine Investition, die sich rechnet „Ein besseres Betreuungsangebot ist ein entscheidender Hebel im Kampf gegen den Personalmangel. Schon heute fehlen in Berlin in allen Branchen und Berufen rund 90.000 Fachkräfte. Angesichts des immer stärkeren Drucks durch die Demografie muss die Politik hier dringend handeln“, sagte IHK-Vizepräsident Stefan Spieker. „Kurzfristige Finanzprobleme dürfen keine Ausrede sein. Die Investition in eine bessere Betreuung rechnet sich in jedem Fall, für die Unternehmen ebenso wie für die öffentliche Hand“, ergänzte UVB-Präsident Stefan Moschko. „Denn wir wissen seit vielen Jahren, dass mehr Betreuung vielen Menschen den Weg ins Berufsleben oder aus einem Teilzeit- in einen Vollzeitjob erleichtert.“ Die Unternehmen machen ihren Belegschaften bereits zahlreiche Angebote, damit sie Job und Familie besser vereinbaren können. Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) haben die Arbeitszeit flexibilisiert oder Arbeitszeitkonten eingeführt. Nahezu jeder zweite Betrieb (48 Prozent) ermöglicht die Arbeit im Homeoffice. In gut einem Viertel der Unternehmen (27 Prozent) können sich die Beschäftigten befristet freistellen lassen. Weitere Maßnahmen sind Jobsharing oder die Kooperation mit Pflegediensten und anderen Einrichtungen, damit die Betreuung von zu Pflegenden oder Kindern sichergestellt ist. Allerdings könne nicht jeder Betrieb entsprechende Angebote machen. „Die Berliner Wirtschaft ist von kleinen und mittleren Betrieben geprägt. Hier fehlen oft Mittel und Möglichkeiten für mehr Betreuung. Deshalb brauchen wir hier mehr Engagement des Staates – sowohl bei der Kinderbetreuung als auch bei den Angeboten im Pflegebereich“, erklärten Spieker und Moschko. ■ Kitas sind für Kinder pädagogisch sinnvoll und letztlich auch ein Standortfaktor Stefan Spieker IHK-Vizepräsident Angesichts des immer stärkeren Drucks durch die Demografie muss die Politik hier dringend handeln. Jan Bruns, IHK-Public-Affairs- Manager Wirtschaft & Politik Tel.: 030 / 315 10-920 jan.bruns@berlin.ihk.de 52 % der Unternehmen halten zuverlässigere Angebote bei der Kinderbetreuung für notwendig. FOTOS: GETTY IMAGES/MASKOT, AMIN AKHTAR Arbeitsmarkt | 15 Berliner Wirtschaft 09 | 2024

Eng verzahnt: Gehen Unternehmen und Hochschulen Projekte an, können innovative Produkte entstehen INHALT 20 Allein zu klein Interautomation forscht an Bahn-Infosystemen 22 Kampf den Keimen Radialsystem: Lösungen gegen Legionellen gesucht 23 Sauberer Schutz für Schiffe Clean Ocean Coatings für marine Ökosysteme 24 „Wir sind ein Hidden Champion“ Holger Alder, Photon AG, über Know-how aus Unis fokus

Der Countdown läuft: Vom 25. bis 27. September 2024 findet die Transferale in Berlin statt. „Das Wissenschafts- und Transferfestival wird zeigen, welche vielfältigen Möglichkeiten der Wissens- und Technologietransfer bietet und wie interdisziplinär Projekte sein können“, sagt Stefanie Molthagen-Schnöring, Vizepräsidentin für Forschung und Transfer an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Die Professorin leitet das im vergangenen Jahr gestartete Verbundprojekt „Zukunft findet Stadt – Hochschulnetzwerk für ein resilientes Berlin“, das noch bis Ende 2027 läuft und auch von der IHK Berlin unterstützt wird. Wie Städte Herausforderungen in den Bereichen Klima und Gesundheit bewältigen können, ist das Ziel des neuen Hochschulnetzwerks. Es wird mit acht Mio. Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Land Berlin im Rahmen der Initiative „Innovative Hochschule“ gefördert und richtet auch die Transferale aus, an der die IHK Berlin mit eigenen Veranstaltungen teilnimmt (siehe Seiten 18 und 63). VORTEILHAFT VERZAHNT Berliner Unternehmen profitieren von der Forschungslandschaft der Hauptstadt – und umgekehrt. Die IHK fördert Kooperationen von Wirtschaft und Wissenschaft von Eli Hamacher » ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/MOMENT RF/ANDRIY ONUFRIYENKO Technologietransfer | 17 Berliner Wirtschaft 09 | 2024

Erste Kontakte zwischen Wirtschaft und Wissenschaft entstehen oft auf Vernetzungsveranstaltungen, gleichzeitig gehen die Hochschulen direkt auf die Unternehmen zu. „Meist beginnt die Zusammenarbeit sehr niedrigschwellig, etwa mit einer Abschlussarbeit oder bei einem Studierendenprojekt“, erklärt HTW-Vizepräsidentin Molthagen-Schnöring. Viele Unternehmen wollten sich nicht sofort für eine Auftragsforschung oder für ein gemeinsames großes Forschungsprojekt verpflichten, weil es zu viele Ressourcen bindet. „So lernen sich aber beide Seiten kennen und können in einem zweiten Schritt die Zusammenarbeit vertiefen.“ Die größten Engpässe sieht Molthagen-Schnöring allerdings nicht in frühen Phasen der Zusammenarbeit, sondern bei der späteren Umsetzung in marktfähige Produkte. „Das Ziel von Berlin muss es sein, in der ersten Liga der modernen, lebenswerten und ökonomisch wachsenden Metropolen international mitzuspielen“, betont Sonja Jost, Vizepräsidentin der IHK Berlin. Die Herausforderungen rund um Klima, Mobilität, Rohstoffe, Energie sowie die alternde Gesellschaft erforderten auf der einen Seite Forschungsleistungen auf Spitzenniveau. Auf der anderen Seite brauche es innovative Unternehmen, die neue Technologien in die Anwendung bringen. „Was am Ende zählt, ist der zügige und gezielte Eingang in neue Produkte, Prozesse und Ein Novum für die Hauptstadt: Beteiligt sind gleich fünf Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, die sich fach- und einrichtungsübergreifend mit der Wirtschaft und Zivilgesellschaft in Teilprojekten vernetzen, um innovative Lösungen für Berlins Zukunft zu erarbeiten. Neben der HTW sind das die Berliner Hochschule für Technik (BHT), die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR), die Evangelische Hochschule Berlin sowie die Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin. Auch Projekte des IFAF Instituts für angewandte Forschung wird die Transferale zeigen. „Wir wollen, dass Innovationen, die in Berlin entstehen, hier auch umgesetzt werden“, sagt Stefanie Molthagen-Schnöring. Dazu solle die Forschungskompetenz gebündelt, sichtbarer gemacht und stärker für die Stadt genutzt werden. Als eine der größten und vielfältigsten Wissenschaftsregionen in Europa hat Berlin exzellentes Potenzial. „Das Land Berlin verfügt mit seinen vier staatlichen Universitäten und sieben Hochschulen für Angewandte Wissenschaften über starke Innovationspartner, die in Kooperation mit der regionalen Wirtschaft ein markantes Asset für den hiesigen Innovationsstandort sein können“, betont Sebastian Stietzel, Präsident der IHK Berlin. Nicht zuletzt über die in den Hochschulverträgen geregelte Grundfinanzierung – aber auch jederzeit außerhalb – habe Berlin die Möglichkeit, transferfördernde Strukturen und Anreize zu schaffen, die konkret auf den hiesigen Mittelstand zielen, um vor Ort selbst von der Innovationskraft der Player zu profitieren und Wachstum am und für den Standort zu generieren. „Die Erfahrung zeigt: Besteht erst einmal Kontakt zwischen Unternehmen und Hochschule, dann entstehen viele fruchtbare Kooperationsformen“, so Stietzel. Diesen Erstkontakt müssten die Partner noch stärker initiieren. Unterstützende Anreize sollten nicht auf die nächsten Hochschulverträge warten müssen, sondern frühzeitig erprobt werden. KMU-Büro als Lotse Wie ein Lotse soll das erste KMU-Büro, das derzeit an der HTW pilotiert wird, die Orientierung erleichtern, Forschende, Studierende und Unternehmen zusammenbringen und den Wissens- und Technologietransfer unterstützen. Als konkrete Maßnahmen werden Workshops in Unternehmen, Transfer-Road-Shows, digitale Lunch-Breaks sowie Transfer-Sprechstunden in IHK-Pop-up-Büros erprobt. Bei Erfolg wird die gemeinsame Initiative von Wirtschaftsverwaltung und IHK an weiteren Hochschulen etabliert. Sebastian Stietzel Präsident IHK Berlin Besteht erst mal ein Kontakt zwischen Unternehmen und Hochschule, entstehen viele fruchtbare Kooperations- formen. IHK auf der Transferale Die IHK Berlin ist mit zwei Veranstaltungen am Transfer- und Wissenschaftsfestival Transferale (25. bis 27. September, Silent Green Kulturquartier) beteiligt: Forschung trifft Praxis@Transferale zum Thema „Urbane Logistik neu gedacht“ am 26. September. Infos und Anmeldung: ihk.de/berlin/ forschung-trifft-praxis-bw Ansprechpartnerin IHK: Stefanie Dümmig stefanie.duemmig@berlin. ihk.de „Klimaschutz made in Berlin“ (siehe Seite 63) Das gesamte Programm unter: zukunftsstadt.berlin/ transferale Transfer Week Vom 25. bis 29. November findet in Berlin die Transfer Week statt. Kontakt Berlin Partner: Anke Wiegand anke.wiegand@berlin- partner.de FOTOS: IHK BERLIN/AMIN AKHTAR FOKUS | Technologietransfer | 18 Berliner Wirtschaft 09 | 2024

urbane Strukturen – als gemeinsames Ergebnis aus Wirtschaft und Wissenschaft“, so Jost. Zahlreiche neue Initiativen sollen den Transfer verbessern und beschleunigen, darunter UNITE, der Berlin-Brandenburger Beitrag zum Leuchtturmwettbewerb Startup Factories des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Die erste Bewerbungshürde hat UNITE genommen und konkurriert nun bundesweit mit 14 weiteren Gründungs- und Innovationsinitiativen darum, im kommenden Jahr in die Liste der offiziellen Startup Factories des BMWK aufgenommen zu werden. Fünf bis zehn dieser Netzwerke sollen sich als hochschulübergreifende Ökosysteme mit internationaler Ausstrahlung und starker Einbindung in regionale und nationale Wertschöpfungsketten etablieren. Das Berlin-Brandenburger UNITE-Konsortium, an dem 30 Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie Akteure aus Wirtschaft, Verbänden und Venture-Capital-Gesellschaften beteiligt sind, hat bis Februar 2025 Zeit zu zeigen, dass das Berliner Factory-Konzept das Potenzial hat, Gründungsintensität und -erfolg von DeepTech-Gründungen deutlich zu verbessern. Für Laura Möller, Project Director UNITE, bietet Berlin im Schulterschluss mit Brandenburg eine Wissenschaftslandschaft, die in Deutschland, ja, in Europa, einmalig ist, mit Forschung in Bereichen wie Medizin, künstlicher Intelligenz, Quantentechnologien oder Mobilität. Für Gründer und Unternehmer sei diese Ausgangssituation Gold wert. „Mit der Vielschichtigkeit der Metropolregion geht aber auch ein hoher Grad an Komplexität einher“, erläutert Möller. Dadurch würden viele Gründer und damit das ökonomische Potenzial der Metropolregion unnötig ausgebremst. „Mit UNITE wollen wir eine Anlaufstelle schaffen, um die Wissenschaft, die Wirtschaft der Region und Gründer zu Innovationsthemen zusammenzubringen und dadurch neue Gründungs- und Wachstumsmöglichkeiten zu entfesseln.“ IHK kooperiert mit Hochschulen Um die Wissenschaft enger mit KMU zusammenzubringen, unterzeichnete die IHK Berlin mit der HWR im März 2024 eine Kooperationsvereinbarung. In gemeinsamen Projekten soll es vor allem um Fachkräftesicherung und die Steigerung der Innovationskraft des Standorts Berlin gehen. Konkret geplant sind zum Beispiel die Verknüpfung mit der IHK-Ausbildungsoffensive sowie eine enge Zusammenarbeit im Rahmen der Innovation Challenges der HWR. Für die IHK Berlin ist es nach der Vereinbarung mit der HTW sowie der Freien Universität die dritte Kooperationsvereinbarung mit einer Berliner Hochschule. Weitere werden folgen. Wie Technologietransfer die Wirtschaft noch besser voranbringen könnte, weiß auch Henning von der Osten, Geschäftsführer der Geisler & Schambach GmbH. Die stellt mit 60 Mitarbeitenden in Berlin-Kreuzberg unter anderem Stanzteile für elektrische Baugruppen her. Kunden sind vor allem Elektro- und Automobilzulieferindus- trie. Um Innovationen zu befördern, aktuell etwa einen Sensor für die Kraftmesstechnik für Fräsmaschinen, kooperiert der Mittelständler regelmäßig mit Partnern aus der Wissenschaft. Beim Transfer sieht von der Osten aber noch erhebliches Potenzial: „In Berlin haben wir den Wettbewerbsnachteil, dass die mittelständischen Industrieunternehmen verglichen mit anderen deutschen Regionen klein sind. Zu klein, um viel Zeit in Innovationen und Technologietransfer zu stecken.“ Der Vorteil des Standorts sei wiederum, dass Berlin die Industrie in ihrer Breite sehr gut abdecke. Würden Firmen kooperieren, könnten sie gemeinsam das Know-how der Wissenschaft nutzen. „Dazu bräuchte man aber zumindest anfangs eine treibende Kraft“, sagt von der Osten, „etwa die Wirtschaftsförderung Berlin Partner, um solche Kooperationen anzustoßen.“ ■ Sonja Jost Vizepräsidentin IHK Berlin Was am Ende zählt, ist der zügige, gezielte Eingang in neue Produkte, Prozesse und urbane Strukturen. Startup Factory UNITE Infos zum neuen Innovations- und Gründungszentrum: unite.berlin KMU-Büro Berlins erstes KMU-Büro: htw-berlin.de/forschung/ wissenstransfer/ kmu-buero Kontakt: Simon. Herdegen@HTW-Berlin.de Hochschul-Kooperationen Ansprechpartnerin zu IHK-Vereinbarungen: Stefanie Dümmig, IHK- Public-Affairs-Managerin Wissenschaftsstandort Tel.: 030 / 315 10-328 stefanie.duemmig@berlin. ihk.de IHK-Positionen Politisches Positionspapier der IHK Berlin zum Thema: ihk.de/berlin/hochschultransfer-bw Unternehmenskontakte Ansprechpartner für Kooperationen mit der Wirtschaft: ihk.de/berlin/ wissenstransfer-bw IFAF Institut Interdisziplinäre Forschungsprojekte: ifaf-berlin.de Berliner Wirtschaft 09 | 2024

An das erste Technologietransfer-Projekt kann sich Manuel Mang noch gut erinnern. „Das war 2007. Damals haben wir mit der TU Berlin, dem Fraunhofer- Institut für Nachrichtentechnik und dem Heinrich-Hertz-Institut ein Förderprojekt zur Erhöhung der Innovationskompetenz mittelständischer Unternehmen durchgeführt“, sagt der Geschäftsführer der Interautomation Deutschland GmbH. Für Mang war es der Auftakt zu einer Serie erfolgreicher Kooperationen mit der Berliner Wissenschaftsszene. Sein heutiges Fazit fällt rundum positiv aus. „Wir profitieren in Berlin von einer exzellent aufgestellten Hochschul- und Institutslandschaft, mit der wir eine sehr ertragreiche Zusammenarbeit etabliert haben.“ Allein wäre man zu klein, um Forschung in diesem Umfang und dieser Qualität zu betreiben. Mit 45 Beschäftigten optimiert der 1972 gegründete Berliner Mittelständler durch Digitalisierung den Betrieb und die Prozesse im Schienenpersonenverkehr. Kunden sind unter anderem die Deutsche Bahn, Siemens, Stadler, die BVG, die Niederbarnimer Eisenbahn, Eurobahn, die Bentheimer Eisenbahn und die Erfurter Bahn. Entwickelt werden Softwarelösungen zur automatischen Fahrgastzählung, zur Echtzeit-Fahrgast-Information, zur Betriebsüberwachung und zur Verkehrssteuerung. „Mit unseren Produkten machen wir den Personennahverkehr für den Fahrgast attraktiver“, bringt es der Geschäftsführende Gesellschafter auf den Punkt. Die Technologie made in Berlin findet sich auch im Ausland, wohin Mang seinen Kunden folgt. Zum Beispiel in die Schweiz. An Stadler etwa lieferte Interautomation sein Fahrgastinformationssystem für die neuen Züge der Zahnradbahn Tramway du Mont-Blanc und der Centovallibahn. Ausgelagerte Forschung „Für unseren Unternehmenserfolg ist der Technologietransfer ein unverzichtbarer Baustein“, unterstreicht Mang, der sich im Ausschuss Mobile Stadt der IHK Berlin als stellvertretener Vorsitzender ehrenamtlich engagiert. „Dank der an die Wissenschaft ausgelagerte Forschung haben wir mit unserem Know-how marktfähige innova- Manuel Mang Wir profitieren in Berlin von einer exzellent aufgestellten Hochschul- und Instituts- landschaft. Manuel Mang ist Geschäftsführender Gesellschafter der Interautomation Deutschland GmbH Die Interautomation Deutschland GmbH setzt auf Forschungskooperationen für marktfähige Systeme im Bahnbetrieb Allein zu klein FOTO: CHRISTIAN KIELMANN Berliner Wirtschaft 09 | 2024

tive Produkte entwickelt. Wir konnten zudem neue Mitarbeiter gewinnen, die vorher zum Beispiel als Werkstudenten bei uns gearbeitet haben, aber auch erfahrene Wissenschaftler, die in den Projekten involviert waren.“ Heute hat Interautomation neben der eigenen Entwicklungsabteilung eine Forschungsabteilung, die sich um die Zukunftsthemen kümmert. Mit der TU Berlin und der Humboldt-Universität läuft seit Anfang 2024 ein vom Bundeswirtschaftsministerium finanziertes Verbundprojekt „DeepTrain – Hochgenaue 3D Streckenvermessung von Schienenwegen in Echtzeit für eine verbesserte Fahrerassistenz“. Ebenfalls mit der TU Berlin entwickelt Interautomation zurzeit eine KI-basierte Softwarelösung zur automatischen und hochgenauen Fahrgastzählung mit Überwachungskameras in Schienenfahrzeugen. Zu den wichtigsten Erfolgskriterien im Technologietransfer zählt Mang, dass die Themen einem roten Faden folgen. Da die Projekte ergebnisoffen starten, sei nie sicher, ob man sein angestrebtes Forschungsziel auch erreiche. Aber auch unerwartete Ergebnisse könne man oftmals gewinnbringend verwerten. „Das Thema KI etwa hätten wir aus eigener Kraft so nicht umsetzen können.“ Auch die Unterstützung durch den Fördermittelgeber, die Investitionsbank Berlin, laufe bei den Antragsverfahren sehr unkompliziert. Mang räumt allerdings auch ein: „Man braucht schon viel internes Know-how, um die umfangreichen und bürokratisch aufwendigen Förderprojekte abzuarbeiten. Ein Bürokratieabbau wäre deshalb wünschenswert, um die Hürden für Neueinsteiger zu senken.“ Interautomation profitiere davon, dass die Verweildauer der Beteiligten im Unternehmen lang ist und die verantwortlichen Mitarbeitenden sich mit dem Thema Technologietransfer heute sehr gut auskennen würden. ■ 45 Beschäftigte zählt der 1972 gegründete Mittelständler, der sich auf Informationssysteme für Bahnkunden spezialisiert hat. Gut vernetzt Der QR-Code führt zum Unternehmer auf LinkedIn: Technologietransfer | 21 Wir haben die passende finanzielle Förderung, damit Dein Unternehmen wachsen kann. Kompetent, zuverlässig und mit dem Ziel, Dein Geschäft langfristig erfolgreich zu machen. Hotline Wirtschaftsförderung: 030 / 2125-4747 ibb.de/wachsen Erfolg.Fördern.Berlin.

E her durch Zufall war Antje Kaube über einen Newsletter der IHK Berlin auf ein neues Technologietransfer-Projekt gestoßen. Im vergangenen Jahr hatten IHK Berlin und der Startup Incubator der HWR Berlin die „Water Innovation Challenge Berlin“ ins Leben gerufen. Akteure aus Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft vernetzten sich daraufhin, um gemeinsam Projekte zum Thema „Nachhaltiges Wassermanagement“ zu entwickeln. Auch das Berliner Hochschulnetzwerk „Zukunft findet Stadt“, Berlin Partner und das Kompetenzzentrum Wasser stießen als Kooperationspartner zu der Initiative. Unter anderem wurde in einem zweitägigen Workshop, dem Innovation Work Retreat, interdisziplinär nach Lösungen gesucht, wie man effizient den Befall mit Legionellen bekämpfen kann. Eine Herausforderung, die Antje Kaube aus dem eigenen Unternehmen kennt. „Wir hatten über zwei Jahre hinweg an einigen Wasser-Entnahmestellen eine Überschreitung der zugelassenen Grenzwerte für Legionellen“, sagt die Leiterin der Abteilungen Vertrieb & Nachhaltigkeit bei der Radialsystem V GmbH, die mit 61 Mitarbeitenden das gleichnamige Kulturzentrum in Friedrichshain betreibt. In dem Gebäude an der Spree finden künstlerische Programme statt, aber auch Dritte können es für Konferenzen mieten. Durch konsequentes Einhalten der Sofortmaßnahmen wie regelmäßiges Spülen der Trinkwasseranlage und Überprüfen der Temperatureinstellungen sowie Umbauten sei der Befall nicht wieder aufgetreten. Die Vorgehensweisen seien aber personalintensiv und durch den hohen Wasserverbrauch wenig nachhaltig. Kaube: „Wir haben uns gefragt, ob alle Maßnahmen in der Form sinnvoll waren und ob es aus wirtschaftlicher und nachhaltiger Sicht Alternativen gibt.“ Eine Lösung: Probenergebnisse müssten schneller bereitstehen, um den Erfolg einzelner Instrumente messen zu können. Gemeinsame Sprache und Ziele Vertreter der Hauptstadt-Hochschulen HTW, BHT, HWR sowie der Berliner Wasserbetriebe und des Radialsystems suchen jetzt gemeinsam nach Lösungen. Zusammen haben sie zudem zwei Forschungsanträge beim Institut für angewandte Forschung Berlin gestellt. „Damit der Transfer gelingt, müssen Wirtschaft und Wissenschaft vor allem eine gemeinsame Sprache sprechen“, ist Antje Kaube überzeugt, „und ein großes Interesse daran haben, ein gemeinsam vereinbartes Ziel auch zu erreichen.“ ■ Antje Kaube leitet in der Radialsystem V GmbH die Abteilungen Vertrieb & Nachhaltigkeit Gut vernetzt Das Unternehmen auf LinkedIn unter dem QR-Code: Die Radialsystem V GmbH hatte Probleme mit Legionellen. An effizienten Lösungen für einwandfreies Wasser wird nun im Verbund geforscht Kampf den Keimen FOTOS: AMIN AKHTAR, CHRISTIAN KIELMANN Berliner Wirtschaft 09 | 2024

Die Mitgründerin von Clean Ocean Coatings, Christina Linke, kommt aus der Lebensmitteltechnologie Wir sind flügge geworden“, freut sich Christina Linke, die gerade mit ihrem fünfköpfigen Team vom Inkulab an der TU Berlin in das Innovations- und Gründungszentrum Berlin-Adlershof gezogen ist und dort ihr erstes eigenes Büro bezogen hat. Das Ziel des im Jahr 2021 gegründeten Unternehmens Clean Ocean Coatings ist hochgesteckt: „Wir wollen den nachhaltigen Wandel in der Schifffahrt vorantreiben“, sagt die Geschäftsführerin. Die Herausforderung: An Schiffsrümpfen siedeln sich im Laufe der Zeit unerwünschte Mikroorganismen, Pflanzen, Algen und Tiere an. Durch das sogenannte Biofouling erhöht sich der Widerstand. Die Geschwindigkeit der Schiffe sinkt, und der Kraftstoffverbrauch steigt. Darüber hinaus kann Biofouling invasive Arten in neue Gebiete transportieren und heimische Ökosysteme verheerend beeinträchtigen. Außerdem gelangt Mikroplastik, das in den gängigen von Schiffseignern aufgetragenen giftigen Antifouling-Beschichtungen enthalten ist, in die Ozeane. Mit schlimmen Folgen für Flora und Fauna. Kommt etwa Mikroplastik in die Nahrung von Fischen, kann dies die Fortpflanzung erschweren, das Wachstum verringern und sogar lebensgefährlich werden. Studien haben nachgewiesen, dass die winzigen Partikel in Meeresfrüchten wie Fisch und Schalentieren enthalten sind – und so auf unseren Tellern landen. Frei von Bioziden und Lösemitteln Die Lösung: Christina Linke und Mitgründerin Patricia Griem haben mit ihrem Team eine umweltfreundliche Rumpfbeschichtung entwickelt, die frei von Bioziden und Lösemitteln ist. Sie eignet sich für Schiffe, genauso aber zum Beispiel auch für Offshore-Anlagen. „Der Widerstand unserer Beschichtung im Vergleich zu herkömmlicher Beschichtung ist geringer, das spart Sprit und senkt die Betriebskosten bei den Reedern“, unterstreicht Linke. Im Rahmen ihrer Forschungskooperation mit der TU Berlin wurde das Produkt von Clean Ocean Coatings unter anderem intensiv in der Schlepprinne des Strömungskanals der TU Berlin getestet. Geboren wurde die Geschäftsidee in einem Kieler Technologietransfer-Unternehmen, aus dem die Clean Ocean Coatings schließlich ausgegründet wurde. Mit Unterstützung der TU Berlin wurde das Produkt dann zur Marktreife entwickelt. Aktuell bereitet die promovierte Lebensmitteltechnologin die Lohnherstellung, die Zertifizierung und den Start des Direktvertriebs an die Reedereien vor. ■ Christina Linke Wir wollen den nachhaltigen Wandel in der Schifffahrt vorantreiben. Gut vernetzt Der QR-Code führt zur Unternehmerin auf LinkedIn: Beschichtungen gegen das sogenannte Biofouling sind umweltschädlich. Clean Ocean Coatings hält mit einer Öko-Innovation dagegen Sauberer Schutz für Schiffe Technologietransfer | 23 Berliner Wirtschaft 09 | 2024

Holger Alder Technik-Vorstand Nach seinem Physik- Studium an der TU Berlin arbeitete Holger Alder für die Innovationsgesellschaft Inpro und für VW. Danach gründete er mit seinem Inpro-Team eine Lasertech-Firma, die er mit zwei Blechverarbeitungsfirmen zur Photon Gruppe fusionierte. 2001 wurde er zum CTO der Photon AG berufen. Holger Alder begutachtet einen Roboter, der Bauteile per Laser zusammen- schweißt P hoton hat als Hightechunternehmen einen guten Namen in der Mobilitätsindustrie. Vor allem für Schienenfahrzeuge fertigt der Laser-Spezialist Bauteile, die leichter und damit nachhaltiger sind. Der Mittelständler nutzt die Forschung und Zusammenarbeit mit den Hochschulen, um seinen Vorsprung zu verteidigen und auszubauen, erklärt Technik-Vorstand Holger Alder. Berliner Wirtschaft: Was ist das Besondere an Photon? Holger Alder: Wir verfügen über sehr spezielles Know-how und hoch entwickelte Technologien im Bereich des Laserschweißens, sodass wir sehr große Dünnblech-Baugruppen von bis zu 30 Meter Länge sehr präzise verbinden können. Ich kenne weltweit kein anderes Unternehmen, das diese Fähigkeiten hat, ohne dass wir sie ihm beigebracht hätten. Wir sind ganz sicher Technologiemarktführer und ein sogenannter Hidden Champion. Warum können andere Unternehmen sich diese Fähigkeiten nicht auch aneignen? Das könnten sie, und das versuchen sie auch schon. Bevor sie unsere über 20 Jahre Vorsprung aufgeholt haben, müssen wir unser Know-how weiterentwickelt haben, um führend zu bleiben. Wir sind immer in einem Wettlauf um die noch besseren Prozesse und Technologien. Haben Sie genug eigene Forschungs- und Entwicklungskapazitäten, um diesen Wettlauf zu gewinnen, oder sind Sie auf Kooperationen mit Hochschulen und Instituten angewiesen? Mit rund 300 Mitarbeitenden sind wir viel zu klein, um die nötigen Entwicklungen allein zu stemmen. Wir haben sehr vielfältige Kooperationen zu Hochschulen. Schon unsere Gründungsgeschichte ist sehr eng mit der TU Berlin verbunden. Ich habe nach meinem dortigen Physik-Studium in der Innovationsgesellschaft Inpro GmbH gearbeitet – ein Joint Venture der TU Berlin unter anderem mit Volkswagen und Mercedes für fortgeschrittene Produktionssysteme in der Fahrzeugindustrie. Dort hatten wir in den Neunzigerjahren bereits die Idee, mithilfe der Lasertechnik Autokarosserien zu verschweißen. Ist Photon also ein Spin-off der TU? Nein, wir sind kein klassisches Spin-off. Zunächst haben wir für Volkswagen das Laserschweißen weiterentwickelt, bis es in der Serienfertigung eingesetzt werden konnte. Als dies gelungen war, sollte unser Entwicklungsteam aufgelöst und an anderen Stellen weiterbeschäftigt werden. Ich wollte aber nicht in einem großen Konzern aus irgendeiner Luke gucken, sondern lieber in einem flexibleren Unternehmen weiterhin eigenständig und schöpferisch tätig sein. Meine vier Mitgründer und ich haben also mit unserem Wissen ein eigenes Unternehmen gegründet – das, was heute als Start-up bezeichnet wird. Was war Ihr Ziel? Wir waren durch das Know-how im Laserschweißen in der Lage, Metall-Baugruppen leichter zu „Wir sind ein Hidden Champion“ Holger Alder hat bei Photon Fertigkeiten im Laserschweißen entwickelt, die niemand so wie die Spandauer beherrscht. Geholfen hat der Technologietransfer mit Berliner Unis von Michael Gneuss » Wir sind immer in einem Wettlauf um die noch besseren Prozesse und Technologien. Holger Alder FOTO: AMIN AKHTAR FOKUS | Interview | 24 Berliner Wirtschaft 09 | 2024

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