Berliner Wirtschaft Juni 2021

Der Autor Andre Waßmann ist Mitglied der Geschäftsleitung und Head of M&A & Corporate Finance bei der Unternehmens- beratung Helbling Business Advisors. Melina Hanisch, Start-up-Koordinatorin der IHK Tel.: 030 / 315 10-527 melina.hanisch@berlin. ihk.de Textquelle Die Originalversion des Beitrags liegt auf gruenderszene.de (kostenpflichtig) zukünftig über Erfolg undMisserfolg eines Unter- nehmens entscheiden. Schon jetzt müssen sich größere Unterneh- men an neue Nachhaltigkeitsrichtlinien anpassen, teilweise darüber Bericht erstatten und strengere Regularien beachten – für viele Start-ups wäre das womöglich eine Herausforderung. Durch eine neue EU-Berichtspflicht sollen sämtliche Finanzmarktakteure – Banken und Versicherer, aber auch Venture-Capital-Investoren – in der Lage sein, ihre Investments nach ESG-Faktoren auszurichten. EU verlangt Rechenschaft zum Klimaschutz Rund 50.000 Konzerne und börsennotierte Unter- nehmen in Europa betrifft die im Juli 2020 in Kraft getretene Verordnung der Europäischen Kommis- sion zur EU-Klimataxonomie. Ab dem 1. Januar 2022 (und damit für das aktuelle Geschäftsjahr 2021) müssen diese Unternehmen über die ersten beiden Ziele dieser Verordnung, nämlich „Klima- schutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“, Rechenschaft ablegen. Eine Marktentwicklung, die verdeutlicht, wie relevant Nachhaltigkeit auf den Schreibtischen von Unternehmen und Inves- toren in den kommenden Jahren sein werden. Das bedeutet nicht, dass Start-ups, die nicht 100 Prozent CO 2 -neutral sind, gänzlich vom Investoren-Radar verschwinden. Aber: Nach- haltigkeit entwickelt sich zu einem essenziellen Bestandteil einer langfristig erfolgreichen Unter- nehmensgründung und -entwicklung. Das eigene Geschäftsmodell sollte deshalb in Sachen Nach- haltigkeit fortwährend kritisch hinterfragt und, wenn nötig, angepasst werden. Gründerinnen und Gründer sollten die Sorge ablegen, grüne Start- ups könnten renditeschwach sein oder sowahrge- nommenwerden. ImGegenteil: Für Unternehmen oder Start-ups, die sich an ESG-Faktoren ausrich- ten, ergeben sich interessanteWachstumschancen und unmittelbare Wettbewerbsvorteile, etwa in Form einer verbesserten Reputation oder einem attraktiveren Auftritt bei potenziellen Investoren. Mitarbeiter schätzen ESG-Kriterien Auch lassen sich gerade jüngere Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter einfacher rekrutieren und ans eigene Start-up binden, wenn sie überzeugt sind, in einem nachhaltigen, zukunftsorientier- ten Unternehmen zu arbeiten. Eine Umfrage der Jobplattform Stepstone Anfang des Jahres ergab: In Deutschland sucht fast jeder Zweite bei einem Jobwechsel gezielt nach nachhaltigen Unterneh- men. 76 Prozent der Beschäftigten in Deutsch- land legenWert darauf, dass das Thema Nachhal- tigkeit bei ihrem Arbeitgeber einen hohen Stel- lenwert hat. Doch ob Fintech oder Healthtech – nicht alle Unternehmen können das Thema ökologische Nachhaltigkeit unmittelbar durch ihr Geschäfts- modell abdecken. Dennoch können sie ihr ope- ratives Geschäft zumindest anhand der drei Kri- terien ESG-konform ausrichten: Langfristige Stabilität sollte wichtiger sein als die kurzfristige Gewinnmaximierung. Nachhal- tigkeit spiegelt sich auch in einem strategischen, gesunden Unternehmenswachstum wider, das sich an die Bedürfnisse der Gesellschaft und die politischen Gegebenheiten dynamisch anpasst. Gründer und Gründerinnen sollten entspre- chende Pläne definieren, imBusinessplan veran- kern und ihre Nachhaltigkeitsagenda kontinuier- lich nach innen wie nach außen kommunizieren. Die Auswirkung von Unternehmen auf die Umwelt ist, je nach Branche, immens. Es gilt vor- handene Ressourcen sparsam einzusetzen. Pro- duzierende Unternehmen sollten ihre Produkte ökologisch verträglich herstellen und vertreiben. Start-ups sollten zudem „Grün in der IT“ und „Grün durch IT“ berücksichtigen. Das bedeutet, entweder den Ressourcen- und Energiebedarf (zum Beispiel von Rechenzentren) minimieren oder auf unnötige Geschäftsreisen verzichten und durch Videokonferenzen ersetzen. Umgang mit Menschen ist ein Kriterium Nachhaltigkeit betrifft auch den Umgang mit Menschen – sei es im eigenen Unternehmen oder entlang der gesamtenWertschöpfungs- und Lie- ferkette. Trotz aller Wachstumseuphorie sollten Start-ups eine Unternehmenskultur fördern, die Verantwortungsgefühl gegenüber Mitarbeitern, Kunden und Zulieferern widerspiegelt. Weiter- bildung, Chancengleichheit oder die Durchset- zung von Nachhaltigkeitsstandards bei Zuliefe- rern und Auftragnehmern sind hierfür mögliche Ausgestaltungsformen. Kunden, Investoren und der Gesetzgeber for- dern immer häufiger überprüfbare Nachhaltig- keit. In Zukunft wird daher kein Start-up daran vorbeikommen, Nachhaltigkeit in das eigene Geschäftsmodell oder die Unternehmenskultur zu integrieren. Wer hier proaktiv und kreativ neue Ideen vorantreibt, ergreift die Möglichkeit, sich in einem Megatrend entscheidende Wettbewerbs- vorteile und wichtige Investoren zu sichern. ■ FOTOS: GETTY IMAGES/ANDRIY ONUFRIYENKO, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG 59 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 06 | 2021 SERVICE | Gründerszene

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