Berliner Wirtschaft März 2021

11 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 03 | 2021 AGENDA | Digitales Politikgespräch den Fächern Volks- und Betriebswirtschafts- lehre widmete. Er sammelte Wirtschaftserfah- rungen bei der Unternehmensberatung PwC und schlug bald darauf die politische Laufbahn ein: Nach Anfängen im Bezirksamt Lichtenberg stieg er dort zum Bezirksbürgermeister auf. Danach ging es vorwärts in der Berliner Landespolitik: Von 2014 bis 2016 war Andreas Geisel Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, seit 2016 ist er stellvertretender SPD-Landesvorsitzender und Mitglied im Abgeordnetenhaus, seit 2016 Senator für Inneres und Sport. In seinem Impulsvortrag „Corona – Stress- test für unsere Demokratie“ spannte Geisel einen breiten Bogen: So beschäftigte ihn der Umstand, dass es im vergangenen Jahr 6.000 Demonstrati- onen in Berlin gab, das warenmehr als sonst, und dass viele Menschen – trotz oder wegen Corona – ihre Meinung, ihre Empörung auf die Straße trugen. Geisel beobachtet in der Gesellschaft eine Zerrissenheit, ein Gegeneinander, das gemeinsa- mes Handeln unendlich schwermacht. Mit Blick auf die Corona-Krisenpolitik des Senats sagte der Politiker: „Klar ist auch, wir haben keine Blau- pause, und klar ist, wir machen Fehler.“ Geisel berichtete von dem Betreiber einer Karaoke-Bar, der am pandemie- bedingten Berufsverbot verzwei- fele und deshalb auch zunehmend den Sinn der strikten Maßnahmen infrage stelle. Geisel machte deut- lich, dass es sehr schwerfalle, diese harten Entscheidungen zu treffen, und erklärte, wie sich die Bundes- und Landesregierung von Experten – Ärzten, Virologen, Psychologen – beraten lässt. Wie geht es also weiter, fragte Geisel. Die Auswirkungen in der Gastronomie und Hotellerie seien kaum abschätzbar. Der Innensenator äußerte die Sorge, dass „wir sehr schweren wirtschaftlichen Zeiten entgegengehen“. Die Konsequenz liege für ihn deshalb auf der Hand: Für die nächsten Jahre müsse dieWirtschaft, vor allembei der Schaffung von Arbeitsplätzen, Vorrang erhalten, so Geisel. Die dramatische Lage der Berliner Unter- nehmen wurde im Chat deutlich: So berichtete Reise-Unternehmer Björn Awe über das de facto Berufsverbot für seine Branche und wollte wis- sen, wie er planen könne, wann Maßnahmen zurückgefahrenwerden undwarumes kein „Ent- schädigungsgesetz“ für Unternehmer gebe. Geisel verwies darauf, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sehr umfangreiche Hilfspro- gramme verabschiedet habe – auch für dieWirt- schaft. Allerdings stimmte er dem Fragesteller zu, dass die Auszahlung der Winterhilfen viel zu langsam vonstattengegangen sei. Und ja, es gebe durchaus Lockerungspläne: Als Erste seien sicher die Grundschulen an der Reihe, danach kämen Einzelhandel, Gastgewerbe und auch der Sport. Problematisch sei es immer für das Vertrauen, wenn die Politik widersprüchliche Botschaften in Umlauf bringe. Offenbleibenmusste deshalb auch die Frage von Unternehmer Jürgen Jost nach den Kriterien für die Wiedereröffnung. Hier verwies Geisel auf die permanent stattfindenden Abstim- mungsrunden und erläuterte nur so viel: Die Inzi- denz allein werde nicht Basis für Lockerungen sein. Der Innensenator merkte an, dass der Impf- gipfel leider „Ernüchterung gebracht“ habe. Es sei nicht einfach, so viel Impfstoff schnell herzustel- len – auch nicht mit Kooperationen -, und es dau- ere einfach länger als gedacht. Ein weiteres Schwerpunktthema in der Podi- umsdiskussionwar – natürlich – die Verwaltung. Mit dem Stichwort Berliner E-Government-Ge- setz eröffnete Jan Eder diesen Themenblock und warnte seinen Gast gleich vor: „Herr Geisel, Sie ahnen schon, was jetzt kommt. Wann und wie kommen wir dem erwünschten Zustand nahe?“ Gei- sel erklärte, welche Fortschritte die Digitalisierung in der Verwaltung bereits gemacht habe: So konnten vor der Pandemie nur rund fünf Prozent der Verwaltungsmitarbeiter mobil arbeiten. Nun seien es 30 Prozent. Aber trotz dieser Fortschritte brau- che es operative Möglichkeiten, das Gesetz besser durchzusetzen. Und den von der IHK mehrfach geforder- ten „Chief Digital Officer“ in der Senatskanzlei, der alles aus einer Hand steuern könnte, ja, der wäre nicht schlecht. Natürlich waren auch die Abgeordnetenhaus- wahlen Thema im IHK-Talk, und Geisels Appell war eindeutig: „Ich habe die Bitte, für klare poli- tische Mehrheiten zu sorgen.“ Kaum verwun- derlich, ging es auch um die Frage, welches Amt Andreas Geisel nach den Wahlen anstrebt. „Was wäre Ihr Must-have für die SPD im Falle einer Regierungsbeteiligung? Welches Ressort würde Sie reizen?“, fragte Jan Eder zum Schluss. Geisel: „Ich trage gerne Verantwortung und ich bin sehr gerne Innensenator.“ ■ Andreas Geisel Berliner Innensenator Ich habe die Bitte, für klare politische Mehrheiten zu sorgen. Corona diktiert die Bedingungen: Auf Abstand und mit Maske begrüßt IHK-Hauptge- schäftsführer Jan Eder (r.) seinen Gast, den Berliner Innen- senator Andreas Geisel Demonstrationen gab es im Corona-Jahr 2020 in Berlin – mehr als in anderen Jahren 6.000

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