Berliner Wirtschaft 12/2020

Jochen Icken Technischer Vorstand Märkische Scholle Wohnungsunter­ nehmen eG Gut 100 Jahre besteht die Genossenschaft, deren älteste Wohn­ siedlungen in Mariendorf, Tempel­ hof, Lichterfelde-Süd und Reinickendorf stehen. » aufgeheizt. Um die Wärmepumpen zu betreiben, stellen Photovoltaikanlagen grünen Strom her. Durch die Modernisierung erhöhten sich die Kaltmieten um rund zwei Euro pro Quadratme- ter. Einen Euro je Quadratmeter sparen die Mieter nun allerdings an Nebenkosten ein. „Die Erspar- nis ist nicht ganz so hoch, wie wir uns das erhofft hatten“, gibt Icken zu. Das liegt an der gestiegenen Grundsteuer, aber auch daran, dass die Märkische Scholle für ihre Photovoltaikanlage Umlage nach demErneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zahlen muss. Zwar entfalle diese für Anlagen unter zehn Kilowatt Peak – ein Grund, weshalb Icken die Anlagen nicht größer dimensioniert hatte und nun noch einen kleinen Teil Strom für den Betrieb der Wärmepumpen aus demNetz nehmenmuss. Jedoch hat der Netzbetreiber die Photovoltaikan- lagen aller Häuser als eine große Anlage gewer- tet. So schlägt die EEG-Umlage nun zusätzlich auf die Betriebskosten. Icken ist stolz auf sein Vorzeigeprojekt. Wie- derholenwürde er die Sanierung in der Formaber nicht: „Das Konzept könnte ich unter den heutigen politischen Rahmenbedingungen nicht refinan- zieren“, erklärt er und spielt damit vor allem auf denMietendeckel an, nach demdie Kaltmiete auf- grund vonModernisierung nur umeinen Euro pro Quadratmeter steigen darf. „Beim Mietendeckel geht es aber ausschließlich um die Kaltmiete. Die niedrigeren Nebenkosten aufgrund der gestiege- nen Energieeffizienz werden nicht betrachtet“, bemängelt Icken. Gleichzeitig kritisiert er die fehlende Planungssicherheit. „Wenn ich heute ein Sanierungsprojekt plane, weiß ich nicht, wie zu Baubeginn in ein paar Jahren die rechtlichen Rahmenbedingungen sein werden oder welche Förderungen es dann noch gibt.“ Das alles hemme die Sanierungstätigkeit, die für das Gelingen der Wärmewende so wichtig ist. 95 Prozent weniger CO2-Ausstoß Projekte wie das der Märkischen Scholle tragen dazu bei, dass in der Hauptstadt die Energiewende gelingt. Berlin will bis zum Jahr 2050 klimaneu- tral sein. Doch dazu muss der gesamte CO2-Aus- stoß um rund 95 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 sinken. Eine wesentliche Rolle für das Erreichen der Klimaziele spielt die energetische Sanierung von Gebäuden, denn Häuser undWoh- nungen sind aktuell für mehr als die Hälfte der CO2-Emissionen der Stadt verantwortlich: Etwa 60 Prozent des gesamten Endenergiebedarfs des Lan- des Berlin in Höhe von zirka 65 Terawattstunden entfielen im Jahr 2018 auf den Raumwärme- und Warmwasserbedarf des Gebäudesektors, hat das Aachener Beratungsunternehmen BET im Rah- men der Machbarkeitsstudie „Kohleausstieg und nachhaltige Fernwärmeversorgung Berlin 2030“ im Auftrag der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz und Vattenfall festge- stellt. An diesem Energiebedarf des Gebäudesek- tors hat die Fernwärme mit etwa 10,7 Terawatt- stunden einen Anteil von rund 27 Prozent. Der BerlinerWärmemarkt werde darüber hinaus zu 45 Prozent mit Erdgasheizungen, zu 20 Prozent mit Ölheizungen, zu fünf Prozent mit Stromheizun- gen und zu weniger als drei Prozent mit erneuer- baren Energien versorgt, heißt es in dem Papier. Geothermie und grüner Strom Statt aus Öl und Erdgas soll Wärme in Zukunft aus regenerativen und sauberen Quellen kommen – zumBeispiel aus Geothermie oder grünemStrom. „Eine wichtige Gelingbedingung für die Dekar- bonisierung des Berliner Wärmemarktes ist die Absenkung desWärmebedarfs durch umfassende Gebäudesanierung“, heißt es in der Machbarkeits- studie. Es gilt also Fassaden und Fenster, Dächer und Keller zu isolieren, um die Wärme im Inne- ren der Wohnungen zu halten. Im Neubau gibt es schon heute strenge Auflagen, energieeffizient und klimaneutral zu bauen. Das Problem ist jedoch: Deutschland ist schon gebaut; gerade in Berlin haben 15 Prozent der Wohngebäude ihren hun- dertsten Geburtstag bereits hinter sich. Mehr als 40 Prozent der heute noch bewohnten Gebäude stammen aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts oder sind gar noch älter, so geht es aus Daten des „Umweltatlas Berlin/Gebäudeal- ter der Wohnbebauung“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen hervor. Viele dieser Gebäude sind in puncto Energieeffizienz nicht wirklich gut in Schuss. „Um den Berliner Wohngebäudebestand kli- maneutral zu gestalten, sind umfangreiche Sanie- rungsmaßnahmen notwendig“, erklärt Dr. Håvard Nymoen, Geschäftsführer der Nymoen Strate- gieberatung. Doch diese Sanierungen sind teuer. Etwa 91 Mrd. Eurowerdenwohl nötig sein, umden gesamten Berliner Gebäudebestand bis 2050 ener- getisch zu sanieren. Davon sind rund 70 Prozent, also 64 Mrd. Euro, umlagefähig. Das heißt: Stolze 2,89 Euro dürfen Vermieter einer Mietwohnung in einemMehrfamilienhaus pro Quadratmeter und Monat zusätzlich verlangen, hat Nymoen in der Studie „Kosten der klimaneutralen Sanierung Erik Pfeifer, IHK-Team Umwelt & Energie Tel.: 030 / 315 10-234 erik.pfeifer@berlin. ihk.de Förderprogramme für Unternehmen Für moderne Heizanlagen gibt es finanzielle Anreize. Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Das BAFA bietet mehrere Fördertöpfe. Infos auf der Webseite unter: Energie – Energieeffizienz – Heizen mit Erneuerbaren Energien bzw. Heizungsoptimierung sowie Wärmenetze und Querschnittstechnologien. bafa.de Kreditanstalt für Wiederaufbau Infos zu zwei Programmen der KfW online unter: Unternehmen – Energie & Umwelt – Förderprodukte – Energieeffizient Bauen und Sanieren im Unter- nehmen bzw. Erneuerbare Energien Premium. kfw.de Investitionsbank Berlin-Brandenburg Die IBB hat das Programm Heiztauschplus aufgelegt. heiztauschplus.de FOTO: CHRISTIAN KIELMANN SCHWERPUNKT | Wärmewende 22 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 12 | 2020

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