Berliner Wirtschaft 11/2020

Wo Soloselbstständige arbeiten Die Top-5-Wirtschaftsbereiche für Soloselbstständige in der Hauptstadt – ganz oben steht die Kreativbranche Grafik: BW Quelle: Technisches Finanzamt, 2018 Absturz in die Grundsicherung Selbstständige sind im Vergleich zu abhängig Erwerbstätigen weitaus häufiger auf soziale Sicherung angewiesen Grafik: BW Quelle: Bundesagentur für Arbeit Julian Algner, IHK-Geschäftsfeld Wirtschaft & Politik Tel.: 030 / 315 10-373 julian.algner@berlin. ihk.de Beratungsangebote zum Thema Schuldnerberatung der IHK Berlin mit Frank Wiedenhaupt ihk-berlin.de/insolvenz- sprechstunden Termine: 12. und 26. November Berliner Krisendienst (kostenfrei) berliner-krisendienst.de Psychotherapeutische Sprechstunden der Kassenärztlichen Vereini- gung Berlin Tel.: 030 / 11 61 17 eterminservice.de Frank Wiedenhaupt Schuldner- und Insolvenzberater Stundungen und Zahlungs- aufschübe sind zwar wichtig, lösen allerdings nicht das Problem. Gesundheitswesen sonst. pers. Dienstleistungen Erziehung und Unterricht sonst. freiberufl. wissenschaftliche und technische Tätigkeiten kreative, künstlerische und unterhaltende Tätigkeiten 41 342 24 744 20 094 18 608 13 697 wird bei vielen erst Resignation, dann Wut und auch möglicherweise Krankheit folgen“, erklärt er aus langjähriger Erfahrung. „Wir wissen, dass Pandemien insbesondere zu mehr Depressionen, Angststörungen und Sucht- erkrankungen führen“, sagt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer. Vergangene wirtschaftliche Krisen hätten gezeigt, dass Menschen, deren Arbeitsplatz bedroht war oder die ihre Arbeit verloren haben, verstärkt unter psychischen Erkrankungen litten. „Gerade bei Selbstständigen, die im Krankheitsfall große finanzielle Einbußen haben, ist die Wahrschein- lichkeit hoch, dass sie ihre psychischen Belas- tungen kaum wahrnehmen und sich erst spät in Behandlung begeben“, so Munz. Dabei könne eine frühzeitige Abklärung und Behandlung der Chronifizierung von Beschwerden entgegenwir- ken und helfen, Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden. Dr. Dominika Wach arbeitet an der TU Dres- den an einer Studie zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Unternehmer. In der säch- sischen Stichprobe gaben rund 160 Soloselbststän- dige Auskunft über ihren Gesundheitsstatus: „Bis- lang haben wir festgestellt, dass sich Soloselbst- ständige imVergleich zu KMU-Inhabern deutlich einsamer während der Krise fühlten. Bemerkens- wert ist, dass knapp 43 Prozent der Soloselbst- ständigen aus Sachsen in den letzten vier Wochen ‚ziemlich schlecht‘ oder ‚sehr schlecht‘ schlafen konnten.“ Ressourcen aufbauen und stabilisieren Zudem verdeutlichen erste Ergebnisse, dass Covid-19 von der Mehrheit der Befragten als Existenzbedrohung wahrgenommen werde. Unsicherheit gehe in Corona-Zeiten mit weni- ger Arbeits-, Lebenszufriedenheit, Wohlbefin- den und mehr Stresserleben einher. Darja Sam- dan berichtet: „Irgendwann hatte mein Körper verlernt sich zu entspannen. Ich hatte Existenz- ängste. Das geht an die Substanz, sowohl körper- lich als auch psychisch.“ Wach bewertet Coaching zur mentalen Stabilisierung und zumAufbau der persönlichen Ressourcen als hilfreiches Instru- ment: „Dadurch haben sich nachweislich die kog- nitiven Funktionen und das Wohlbefinden der betroffenen Unternehmer deutlich verbessert.“ Auch Gruppencoaching wäre für Selbstständige sinnvoll, hierfür könnten bestehende Netzwerke ausgebaut werden. Laut Schuldnerberater Wiedenhaupt muss es Betroffenen ermöglicht werden, wieder Umsätze zu generieren: „Stundungen und Zahlungsauf- schübe sind zwar wichtig, lösen allerdings nicht das Problem. Die beste Sanierung funktioniert nicht ohne entsprechende Kunden.“ Es bedarf berlinweit Einheitlichkeit, findet Gastronomin Jessica Schmidt: „Ich hoffe, dass es endlich ein- heitliche Lösungen bei Corona-Regelungen gibt, bevor flächendeckend ein großer Schaden ent- steht.“ Zusätzlich nerven sie falsche Vorstellun- gen: „Meine Krankenkasse fragt mich jedes Jahr, ob ich mehr als 4.650 Euro im Monat verdiene. Für viele ist das nicht mal im Ansatz realistisch.“ Problematisch ist für Medienberater Straess- ner, dass Selbstständige bei Umsatzausfall weni- ger Förderung erhalten können: „Das ist ein gro- ßes Problem. Eine Alternative zum Kurzarbei- tergeld für Soloselbstständige wäre sinnvoll. Was auch helfenwürde, wäre ein Grundgehalt anstelle von Hartz IV.“ Ebenfalls bedürfe es mehr Aner- kennung: „Leider verkennt die Politik hier, was wir für ein Wirtschaftsfaktor sind. Da fehlt die Wertschätzung für das Unternehmertum.“ ■ 207 800 Soloselbstständige gibt es in Berlin abhängige Erwerbstätige 15338 6529 selbstständige Erwerbstätige 9300 1375 2020(AprilbisSeptember) 2019(AprilbisSeptember) mehr Selbstständige als im Vorjahr mussten in diesem Jahr Grund­ sicherung beantragen. 576,4% FACHKRÄFTE | Soloselbstständige 52 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 11 | 2020

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