Berliner Wirtschaft 7 + 8 / 2020

Von Arbeitslosigkeit prozentual besonders stark betroffen sind derzeit Jugendliche, Ältere und Menschen ohne deutschen Pass. Ebenfalls über- proportional betroffen sind Geringqualifizierte. So hat sich die Zahl der Arbeitslosen ohne Berufsaus- bildung seit März um 33.486 Personen und damit knapp 40 Prozent erhöht. Für Geflüchtete bedeu- teten die Corona-Einschränkungen ein Integra- tionshemmnis: Kurse zum Spracherwerb fielen genauso aus wie Beratungsangebote. Außerdem sind viele Menschen mit Fluchthintergrund in nicht krisenresistenten Branchen tätig. Auch Fachkräfte aus dem Ausland, die seit Jahren dazu beitragen, den Fachkräfteengpass zu lindern, waren in den letzten Monaten vor große Hürden gestellt. Geschlossene Grenzen und deutsche Auslandsvertretungen, die vorü- bergehend die Arbeit eingestellt hatten, führten dazu, dass Rekrutierungsprozesse einfroren. Im Kontext der Gleichstellung beider Geschlechter verdeutlicht die Corona-Krise bereits bestehende Probleme wie die ungleiche Verteilung von Haus- und Care-Arbeit. Jutta Allmendinger, Präsiden- tin des Wissenschaftszentrums Berlins, warnte sogar davor, dass die Pandemie Frauen bei der Gleichstellung um 30 Jahre zurückwerfe. Hier muss für eine bessere Vereinbarkeit von Fami- lie und Beruf, flexiblere Arbeitszeitmodelle und passgenauere Betreuungsangebote gesorgt wer- den. Zumal bei einer IHK-Umfrage zur Kinder- betreuung im Mai 76 Prozent der Unternehmen die geminderte Arbeitsleistung aufgrund der Betreuungssituation ihrer Beschäftigten als eine der größten Herausforderungen bezeichneten. Strukturwandel braucht Förderung Der coronabedingte Digitalisierungsschub unter- streicht die Frage, welche Qualifizierung Beschäf- tigte künftig mitbringenmüssen, um amArbeits- markt bestehen zu können. In vielen Wirt- schaft-4.0-Analysen ist ein Trend zur Höherqua- lifizierung erkennbar, während gleichermaßen zusätzliche Jobs imNiedrigqualifikationsbereich entstehen. Nach bisherigen Erkenntnissen wer- den Tätigkeiten mit mittlerem Qualifikationsni- veau– der Fachkräfteebene – dem größtenWan- del unterzogen sein. Verschwinden hier Arbeits- plätze krisenbedingt, werden sie wahrscheinlich nicht wieder in derselben Form entstehen. Um dieser Qualifikationsverzerrung durch den strukturellen Wandel und einer coronabe- dingten Verfestigung von Arbeitslosigkeit vorzu- beugen, muss stärker denn je auf (Re-)Qualifizie- rung und Weiterbildung gesetzt werden. Dafür reichen bestehende Förderinstrumente wie das Qualifizierungschancengesetz nicht aus. Viel- mehr sollte über branchenbezogene Ansätze, Bil- dungsboni und kontinuierlichere Fördermaßnah- men nachgedacht werden. Auch E-Learning kann dabei stärker imFokus stehen. Laut einer Umfrage des IW Köln wünscht sich knapp ein Viertel der Unternehmen eine stärkere Öffnung der staat- lichen Förderung für entsprechende Angebote. Die jüngste DIHK-Ausbildungsumfrage ergab, dass sich auch über 70 Prozent der befragten Ber- liner Ausbildungsbetriebemehr E-Learning- bzw. Blended-Learning-Formate (Verbindung von Prä- senzunterricht und E-Learning) wünschen. Dar- über hinaus müssen qualifizierte Beschäftigte bei beruflicher Umorientierung unterstützt werden. Hierzu sind professionelle Beratungsangebote und Unterstützungsmaßnahmen gefragt, die sich an der Lebensrealität von Menschen orientieren, die bereits imBerufsleben stehen, wie etwa BAföG für Zweitausbildungen. ■ Wenige neue Stellen in Berlin Indikatoren der Arbeitsmarktentwicklung zeigen eine geringe Nachfrage am ersten Arbeitsmarkt. Angaben in Prozent Grafik: BW Quelle: Bundesagentur für Arbeit 50% weniger neue Arbeitsstellen wurden von April bis Juni im Vergleich zum Vorjahr in Berlin gemeldet. 70% der Berliner Ausbildungsbetriebe wünschen sich laut einer DIHK-Umfrage mehr E-Learning- bzw. Blended-Learning- Formate. Arbeitsmarkt Die IHK informiert dazu auf ihrer Website unter: ihk-berlin.de/arbeits- markt-aktuell Neu gemeldete Arbeitsstellen Juni Mai April -30,3 -12,5 13,1 37,2 16,2 -53,2 -37,3 39,0 30,8 12,8 -68,5 -38,8 70,8 22,7 9,9 Abgänge aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung* Zugänge in Arbeitslosigkeit aus Beschäftigung* Arbeitslose Unterbeschäftigte (ohne Kurzarbeit) *am 1. Arbeitsmarkt Veränderung zum Vorjahresmonat Julian Algner, IHK-Bereich Fachkräfte & Innovation Tel.: 030 / 315 10-373 julian.algner@berlin.ihk.de 44 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2020 FACHKRÄFTE | Arbeitsmarkt

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