Berliner Wirtschaft 7 + 8 / 2020

nische Infrastruktur, über die sehr schnell geeig- nete Kandidaten, die Zeit haben, gefunden werden, verbessert die Situation erheblich. Über eine App kann bei uns jeder Kandidat jederzeit seine Verfüg- barkeit anzeigen. Auf die Gehälter, die Kliniken und Pflege­ einrichtungen zahlen, werden Sie damit aber keinen Einfluss nehmen können. Fischer: Wir schaffen Transparenz in den Pflege- berufen. Durch die Gespräche mit den Kandidaten und die Profile, die wir anlegen, wissen wir, bei wel- chem Gehaltsniveau sich mehr Pflegekräfte reakti- vieren lassen und bei welchen Gehaltsniveaus keine Chancen bestehen. Dieses Wissen stellen wir unse- ren Kunden zur Verfügung. Das führt dazu, dass die Gehälter steigen, weil das Management erkennt, wie wichtig höhere Einkommen für Pflegekräfte sind, um den Personalbedarf zu decken. Wie schwer ist es für Sie, Kunden und Kandidaten von der Plattform zu überzeugen? Roggendorf: Wir arbeiten inzwischen in Deutsch- land mit 2.500 Kliniken und Pflegeeinrichtungen zusammen. Pro Monat könnenwir etwa 120 Arbeits- kräfte in feste Beschäftigungsverhältnisse vermit- teln und 2.000 Buchungen für Zeitarbeit abschlie- ßen. Die Plattform wird also auf beiden Seiten gut angenommen. Ist es ein Unterschied, ob es sich um private Klinikketten oder kommunale Häuser handelt? Roggendorf: Wir arbeitenmit allen zusammen. Ich sehe keine grundsätzlichen Unterschiede hinsicht- lich der Personalprobleme zwischen dem privaten und dem kommunalen Sektor. Es liegt eher an den einzelnen Häusern, wie gut der Fachkräftebedarf gedeckt wird. Wie wollen Sie Medwing weiterentwickeln? Fischer: Wir haben imBereich Krankenpflege ange- fangen und dann bei der Altenpflege weitergemacht. In beiden Sektoren hat sich unser Geschäftsmodell bereits sehr gut bewährt. Es gibt aber aus unserer Sicht auch keine nennenswerten Unterschiede zwi- schen der Vermittlung von Kranken- und Pflege- kräften. Perspektivisch glauben wir, dass der Perso- nalmangel in der Altenpflege aufgrund der demogra- fischen Entwicklung sogar noch schwerwiegender sein wird. Mittlerweile vermitteln wir auch Ärz- tinnen und Ärzte, und im nächsten Schritt werden wir uns auch um Arzthelferinnen und Arzthelfer für Praxen kümmern. Können die Personalengpässe im deutschen Gesundheitswesen auch durch Fachkräfte aus dem Ausland gemindert werden? Roggendorf: Wir haben einen eigenen Bereich aufgebaut, der Pflegekräfte aus anderen Ländern anwirbt. So konnten wir bereits 100 Pflegekräfte von den Philippinen nach Berlin bringen. Allerdings wol- len wir durch solche Anwerbungen nicht Probleme in anderen Ländern verschärfen. Daher kommen nur sehr wenig Staaten, in denen es einen Überschuss an Pflegekräften gibt, infrage. Neben den Philippinen sind das derzeit nur China, Mexiko und bestimmte Balkan-Staaten. Können Sie sich auch vorstellen, Ihre Plattform für andere Branchen zu öffnen? Roggendorf: Nein, wir wollen die führende Recrui- ting-Plattform für den Gesundheitssektor sein. Die- ser Bereich ist so groß, dass wir damit genug zu tun haben. Außerdem expandieren wir ja auch interna- tional. In Großbritannien und Frankreich sind wir schon. Branchen ticken alle anders, aber imGesund- heitswesen haben alle Länder die gleichen Personal- probleme. Wir müssen uns jeweils nur auf ein paar andere rechtliche Rahmenbedingungen einstellen. Im Mai haben Sie in einer neuen Finanzierungs­ runde 28 Millionen Euro erhalten. Was schätzen die Investoren an Medwing? Fischer: Ich denke, Investoren sehen ein großes Wachstumspotenzial, weil wir ein Problem ent- schärfen, das weltweit in fast allen Ländern besteht. Außerdem wollen wir eine echte Plattform sein. Es geht nicht nur darum, eigene Zeitarbeitskräfte zu vermitteln. Über unsere Infrastruktur werden künf- tig auch andere Personaldienstleister mit Kliniken und Pflegeeinrichtungen in Kontakt treten können. Kann Zeitarbeit nicht auch riskant sein für das Gesundheitswesen und am Ende die Kos­ ten treiben? Roggendorf: Jedes Krankenhaus und jede Pflege- einrichtung braucht zuverlässiges Stammpersonal. Daran wollen wir nichts ändern. Wir vermitteln ja überwiegend Fachkräfte für feste Anstellungsver- hältnisse. Aber um krankheitsbedingte Ausfälle zu kompensieren oder einen erhöhten Personalbedarf zu decken, sind flexible Kapazitäten imGesundheits- sektor extrem wichtig. Diese flexiblen Kapazitäten erreicht man durch interne flexible Pools, die wir auch managen, oder aber eben über Zeitarbeit, die zu einem gewissen Anteil sogar auch aus ökonomi- schen Gründen für Einrichtungen sinnvoll ist. ■ Investoren sehen großes Wachstums- potenzial, weil wir ein Problem, entschärfen, das weltweit in fast allen Ländern besteht. Julian Algner, IHK-Experte für Fachkräfte Tel.: 030 / 315 10-373 julian.algner@ berlin.ihk.de FOTOS: AMIN AKHTAR, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG Timo Fischer 29 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2020 SCHWERPUNKT | Interview

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