Berliner Wirtschaft 3/2020

Weder die eine noch die andere Strategie legen einen konkreten Verkaufspreis fest. Aber sie ent- scheiden, obmanmit einemhohen oder niedrigen Preis starten sollte. Damit die Preisannäherung konkreter wird, werden im nächsten Schritt drei weitere Preisfindungsmethoden genutzt. Schritt 2: Preisfindungsmethoden Für die Preisfindung gibt es drei klassische Methoden. Die erste Methode bezieht sich auf einen kostenorientierten Ansatz. Hier geht man von den variablen Herstellungs- und Material- kosten pro Einheit aus. Fixe Kostenparameter, die monatlich in gleicher Höhe anfallen, etwa Miete oder Personalkosten, werden nicht berücksich- tigt, weil die Absatzmenge noch unbekannt ist. Trotzdemkann es sinnvoll sein, unterschiedliche Absatzszenarien (Best Case, Worst Case) durch- zurechnen, um ein Gefühl für die Preisgestal- tung zu erhalten. Ausführlichere Informationen dazu liefert das Internet unter den Suchbegrif- fen „Preiskalkulation“, „Selbstkostenpreis“ und „Einstandspreis“. Die zweite Methode der Preisannäherung ist der Vergleich schon erhältlicher Wettbewerbs- technologien mit der eigenen Lösung. Damit erhält man erste Anhaltspunkte zur Zahlungs- bereitschaft potenzieller Kunden imHinblick auf verfügbare Lösungen. Die dritte Methode liefert der wertbasierte Ansatz, der vom (Mehr-)Wert ausgeht, den das Produkt oder die Dienstleistung erzeugt. In der Regel handelt es sich um Allein- stellungsmerkmale wie Einsparungen, Zeitver- besserungen oder zusätzliche Absatzmöglichkei- ten für den potenziellen Kunden. Schritt 3: Realitätscheck der Preisannahme Im dritten und letzten Schritt werden die Preis- annahmen mit der potenziellen Zielgruppe gegengecheckt. Im besten Fall liegt schon eine genaue Beschreibung der Zielgruppe vor. Hierbei gilt es zu unterscheiden: Kunden sind die Perso- nen, die bezahlen. Nutzer wiederum nutzen das Produkt, kaufen es aber nicht unbedingt. Diese Unterscheidung muss beachtet werden, damit die Preisannahmemit der richtigen Zielgruppe getes- tet wird. Bei einigen Geschäftsmodellen kann es vorkommen, dass beide Gruppen identisch sind, dann entfällt die Unterscheidung. Wennmöglich, sollte man die Zielgruppe direkt ansprechen. Das kann mit einer Umfrage, durch Internetrecher- chen in Foren und Blogs, persönliche Gespräche oder Interviews erfolgen. Das folgende Beispiel illustriert ein pragmati- sches Preisermittlungssystem. Eine Forscherin hat eine neue Lösung entwickelt, die nun paten- tiert werden soll. Sie schätzt die Absatzmenge des Produktes in den Anfangsjahren als gering ein, dafür aber die Qualität als hoch. Ihre Vision ist es, ein organisch wachsendes Unternehmen aufzubauen. Deshalb entscheidet sie sich für die Abschöpfungsstrategie, die mit einemhohen Ver- kaufspreis startet. Nach ersten Berechnungen würden für Mate- rial- und Produktionskosten 3.000 Euro pro Ein- heit anfallen. Mit den Fixkosten (5.000 Euro) betrügen die Gesamtkosten also 8.000 Euro pro Stück. Eine erste Recherche ergibt, dass Mitbe- werber für eine ältere Technologie mit deutlichen Schwächen 10.000 Euro verlangen. Der niedrigste Preis, den sie recherchiert, liegt bei 5.000 Euro pro Stück. In puncto Mehrwert spart ihr Produkt gegenüber anderen über 5.000 Euro Kosten pro Jahr ein – bei höherer Qualität. Weil die Amorti- sationszeiten für ihr Produkt bei drei Jahren lie- gen, preist die Wissenschaftlerin die Einsparun- gen (= Mehrwert) ein (15.000 Euro für drei Jahre). Preis und Strategie entsprechen der Vision Die Preisannahme beträgt nun 23.000 Euro (8.000 Euro Gesamtkosten pro Stück + 15.000 Euro Mehr- wert). Der Realitätscheck in mittelständischen Unternehmen mit mehr als 150 Mitarbeitern ergibt, dass die befragten Geschäftsführer den Preis von 23.000 Euro als zu hoch erachten. In weiteren Gesprächen zeigt sich, dass 17.000 Euro für einige Befragte annehmbar wären. Die Wis- senschaftlerin kann nun entscheiden, zu wel- chemPreis sie das Produkt absetzenmöchte. Nach längerem Überlegen möchte sie den Verkaufs- preis reduzieren, um mehr Kunden den Wech- sel zu ihrer Lösung zu erleichtern. Aus diesem Grund wird sie ihr Produkt für 17.000 Euro ver- kaufen. Weil das Start-up der Wissenschaftlerin organisch wachsen soll, entsprechen Preis und Strategie der langfristigen Unternehmensvision. Das Beispiel verdeutlicht, wie man sich prag- matisch einemVerkaufspreis annähern kann. Das vorgestellte System soll Forschenden helfen, die keinerlei kaufmännische Erfahrungen haben, einen Verkaufspreis für die Antragstellung fest- zulegen. In der Realität gibt viele weitere Fakto- ren, die bei der Preiskalkulation beachtet wer- den sollten. Deshalb empfiehlt es sich, frühzeitig kaufmännische Kompetenzen im Gründungs- team aufzubauen. ■ Der Autor Bartosz Kajdas, Start- up-Coach an der Uni Heidelberg, berät seit mehr als fünf Jahren Wissenschaftler an deutschen Hochschu- len zu den Antragspro- grammen EXIST-For- schungstransfer und EXIST-Gründersti- pendium. Dafür hat er ein eigenes System entwickelt, das er hier erläutert. Melina Hanisch, Start-up-Koordinatorin Innovation der IHK Tel.: 030 / 315 10-527 melina.hanisch@berlin. ihk.de Link zur Website der Gründerszene Die Originalversion des Textes unter: gruenderszene.de FOTOS: GETTY IMAGES/NINE OK, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG/IHK BERLIN 61 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 03 | 2020 SERVICE | Gründerszene

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