Berliner Wirtschaft Juli/August 2021

Mirko Meinert Geschäftsführer Pfeffer- berg und Pfefferbett Ein Inklusions- betrieb funktioniert nur, wenn Menschen mit Handicap begleitet und gefördert werden. 15.374 Pflichtarbeitsplätze wurden 2019 bei privaten Arbeitgebern nicht besetzt. 2.353 der Berliner Unternehmen, also etwa ein Drittel, erfüllt die Pflichtquote zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. Julian Algner, IHK-Experte für Fachkräfte Tel.: 030 / 315 10-373 julian.algner@berlin. ihk.de V ier der neun Angestellten im Repro- und Werbezentrum von Karin Meyer haben ein Handicap. Inklusion gehört imUnter- nehmen seit Jahrzehnten dazu: „Jede Firma kannMenschenmit Behinderung beschäf- tigen. Wir haben auch zwei Mitarbeiter mit Hör- schädigung im Betrieb, die Kunden wissen das, und die Verständigung klappt“, so Meyer. In der Schankhalle Pfefferberg und demPfef- ferbett Hostel, beide unter der Leitung von Mirko Meinert, haben 40 Prozent der Belegschaft eine Behinderung. Beide sind anerkannte Inklusions- betriebe. Wie im gesamten Gastgewerbe, trafen die Corona-Einschränkungen die Schankhalle und das Hostel stark: „Die Pandemie brachte uns in eine Notlage, gerade weil wir versuchen, alle Arbeitsplätze zu erhalten. Ein Inklusionsbetrieb funktioniert nur, wenn Menschen mit Handi- cap dort auch begleitet und gefördert werden“, sagt Meinert. Aufgrund ihrer Gemeinnützigkeit konnten viele Inklusionsbetriebe zuvor keine nennens- werten Rücklagen bilden. Dazu können sie weni- ger flexibel Personal auf- oder abbauen, da bei ihnen festgeschriebene Quoten für Menschenmit Behinderung gelten. Zugang zu den allgemeinen Soforthilfen für die Wirtschaft hatten sie erst zu späterer Zeit. „In denWintermonaten konntenwir die Berliner Kältehilfe unterstützen. Damit konn- ten wir immerhin einen Teil unserer Crew im Normalbetrieb lassen“, resümiert Meinert. Berlin verzeichnet höchste Quote Laut Sozialgesetzbuch müssen Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen fünf Prozent mit schwerbehinderten Beschäftigten beset- zen. Erfüllen sie diese Quote nicht, müssen sie für jede unbesetzte Stelle eine Ausgleichsab- gabe zahlen. Damit werden Inklusionsbetriebe wie zum Beispiel die Schankhalle oder das Hos- tel gefördert, aber auch notwendige Investitio- nen und Umbauten für Unternehmen subven- tioniert. Berlin steht im Bundesvergleich gut da und verzeichnete 2019 mit 5,1 Prozent die höchste Schwerbehindertenbeschäftigungsquote. Bei der Einstellung sind Unternehmen nicht auf sich allein gestellt. Der Integrationsfachdienst steht mit Rat und Tat zur Seite. Karin Meyer vom Repro- und Werbezentrum, die ebenfalls Men- schenmit Behinderung beschäftigt, sieht die Aus- gleichsabgabe dennoch kritisch: „Mehr finanzielle Anreize für Unternehmen wären zielführender. Aktuell zahlen nach wie vor viele Unternehmen die Abgabe, obwohl sie theoretisch Menschenmit Behinderung beschäftigen könnten.“ Der Senat hat reagiert und unterstützt Firmen bei der Einstellung oder Ausbildung von Men- schen mit Behinderung fortan stärker: 20 Pro- zent des berücksichtigungsfähigen Arbeitsent- gelts werden durch ein neues Programm finan- ziert. Und wer einen inklusiven Ausbildungsplatz anbietet, erhält zusätzlich zumZuschuss der Aus- bildungsvergütung eine Inklusionsprämie von 2.000 Euro nach bestandener Probezeit oder bestandenem erstem Ausbildungsjahr. Großes Potenzial bei Start-ups An eine andere und auf den ersten Blick unge- wöhnliche Zielgruppe richtet sich das Modellpro- jekt „Inklupreneur“, das sich zumZiel gesetzt hat, bis Dezember 2024 in Berlin 60 bis 120 Arbeits- plätze für Menschen mit Behinderungen in Start-ups zu schaffen. Nils Dreyer, Projektlei- ter und selbst Gründer und Geschäftsführer mit Erfahrungen im Bereich Social Entrepreneur- ship, sieht hier riesiges Potenzial: „Es gibt derzeit eine große Entwicklung in vielen Unternehmen, aber insbesondere in Start-ups, die sich mit dem Thema Purpose, also einemübergeordneten Sinn, der über das reine Streben nach Profit hinaus- geht, intensiv beschäftigen.“ Die meisten hätten dabei das Thema der ökologischen Nachhaltigkeit bereits aktiv aufgegriffen. „Wenn man mit Gründerinnen und Grün- dern über Inklusion spricht, dann sagen sie in der Regel, dass es eigentlich gut zu ihnen passt, sie aber von selbst nicht darauf gekommenwären“, so Dreyer, der ergänzt, dass zudem „bestehende Ins- titutionen einfach nicht die Sprache der Start-ups sprechen und keine bis wenig Zugänge zu dieser Gruppe haben“. Genau hier setzt „Inklupreneur“ an. Start-ups sollen ermutigt und befähigt wer- den, eigene, für ihr Unternehmen passende Inklu- sionskonzepte zu entwickeln und umzusetzen. Dadurch sollenmehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung geschaffen und gezeigt werden, dass diese genauso wertvoll für das Unterneh- men sind wie alle anderen Menschen. Inklusion werde so „zur Normalität und zum Bestandteil der Unternehmens-DNA“. Wünschen würde sich Dreyer mehr Flexibili- tät: „Arbeitgeber sind es aufgrund der vergange- nenMonatemittlerweile gewöhnt, schnell Lösun- gen für neue Probleme zu finden. Wenn man das beibehält, kann man im Kontext der Inklusion auch neue Lösungswege finden.“ ■ FOTOS: DANIEL WETZEL (3), DEICHBLICK/NILS SCHRÖDER 49 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2021 FACHKRÄFTE | Inklusion

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