Berliner Wirtschaft Juli/August 2021
den, dass weniger Neubau stattfindet, mit der Folge, dass eine Verknappung des Wohnraums zu weiter steigenden Mieten führen wird. In diesem Punkt waren sehr viele Menschen aus der Wirtschaft sehr erschrocken darüber, was da in den letzten Jahren entschieden wurde. Womit sind Sie außerdem unzufrieden? In den Schulen und imBildungsbereich ist auch fast nichts passiert. Die Quittung haben wir jetzt in den letzten anderthalb Jahren bekommen. In moderne- ren Schulen hätten wir besser auf die Corona-Krise reagieren können. Es ist sehr irritierend, dass es ins- gesamt nicht mehr Fortschritte gegeben hat, obwohl viele sinnvolle Maßnahmen im Koalitionsvertrag vereinbart worden sind. Da ist vieles einfach lie- gen geblieben. Ich sehe auch nicht, dass wir mit der Metropolregion Berlin-Brandenburg vorankommen. Berlin und Brandenburg müssten in der Wirtschafts- politik viel enger zusammenarbeiten. Mussman die Corona-Krise in den vergangenen Jah- ren nicht als Entschuldigung akzeptieren? Ja, das kannman für die vergangenen 17 Monate gel- ten lassen. Aber die aktuelle Legislaturperiode hatte ja mehr als 17 Monate. Dann würden Sie der Berliner Wirtschaftspolitik der vergangenen fünf Jahre also kein gutes Zeug- nis ausstellen? Nein, gute Noten gibt es nicht. Die IHK Berlin hat eine Umfrage unter denMitgliedern gemacht. Rund 1.000 Unternehmerinnen und Unternehmer haben abge- stimmt. In den meisten Themenfeldern wurde die Wirtschaftspolitik mit schlecht oder sehr schlecht bewertet. Selten gab es eine neutrale Bewertung und nie eine gute. Das ist traurig. Wir haben eigentlich alle die gleichen Ziele. Ich hoffe, dass der nächste Senat mehr umsetzt. Was sind neben dem Wiederaufbau nach Corona weitere wichtige Herausforderungen für den neuen Senat? Wir müssen mehr tun, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Spätestens seit der Ansiedlung von Tesla tut das Thema vielen Firmen weh. Wir müssen mehr ausbilden. Es gelten zu viele junge Menschen als nicht ausbildungsreif. Das können wir uns nicht leisten, wir brauchen jeden. Wenn in Berlin keine Fachkräfte zu bekommen sind, werden Firmen abwandern. Wir brauchen außerdem Platz für den Wirtschaftsverkehr und ganz dringendmehr Glasfa- ser. Für größere Unternehmenmit viel Datenverkehr ist es ein K.-o.-Kriterium für einen Standort, wenn sie keine digitalen Ausbaukapazitäten mehr haben. Mit Ihrer Firma BE Food kümmern Sie sich um eine lokale, nachhaltige Nahrungsproduktion. An welcher Stelle würden Sie sich als Unternehmerin andere Rahmenbedingungen wünschen? Mir persönlich brennt vor allem das Thema Nach- haltigkeit auf der Seele. Der Staat könnte an dieser Stelle viel verändern, weil er ein sehr, sehr großer Einkäufer ist. Wenn er grün einkaufen würde, dann wären ganz viele tolle nachhaltige Produkte verfüg- bar, die bisher ein Nischendasein führen, weil sie nicht in großen Mengen produziert werden können und deshalb sehr teuer sind. Der Klimaschutz ist auch ein Prüfstein der IHK. Ja, und der ist mir ganz besonders wichtig. Ich möchte, dass Klimaschutz nicht zwangsläufig als Wachstumsverzicht gesehen wird. Er kann sogar ein Wachstumsmotor sein, wenn wir Innovation als Antrieb dahinter sehen. Dieser mentale Switch ist ganz entscheidend. ■ Yvonne Meyer, IHK-Geschäftsfeld Wirtschaft & Politik Tel.: 030 / 315 10-547 yvonne.meyer@ berlin.ihk.de Markus Krause, IHK-Geschäftsfeld Wirtschaft & Politik Tel.: 030 / 315 10-154 markus.krause@ berlin.ihk.de Foto oben: Anne-Kathrin Kuhlemann blickt über die Stadt. Aufgaben für die Politik sieht sie reichlich Links: An den Wahlprüfsteinen hat sie intensiv mitgewirkt 31 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2021
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