Berliner Wirtschaft Juli/August 2021

Abgeordnetenhaus formuliert haben. Welche Ziele verfolgen Sie mit diesen Prüfsteinen? Unser Ziel ist, eine Sensibilisierung in der Politik für unternehmerische Belange zu schaffen – ins- besondere jetzt im Zuge der Wahlen. Zu irgendeiner Verschiebung im Senat kommt es nach einer Ber- lin-Wahl ja immer. Wir sprechen mit den Prüfstei- nen ein Angebot aus für Politiker, die Verantwortung für den Standort übernehmenwollen: Redet mit uns, arbeitet mit uns zusammen und entscheidet nicht im geschlossenen Kämmerlein über Dinge, die am Ende andere betreffen. Nimmt die Politik dieses Angebot auch an? Ja, die Erfahrung zeigt, dass das Angebot bei vielen auch ankommt und wahrgenommen wird. Grund- sätzlich empfinde ich auf der Seite der Politik eine große Bereitschaft und auch eine große Dankbarkeit dafür, in der Wirtschaft Ansprechpartner zu haben, die mit konkreten Vorschlägen auf sie zukommen. Da ist viel Offenheit. Aber Politiker müssen in der Praxis natürlich auch immer mit einem begrenzten Handlungsspielraum leben – zumBeispiel mit Frak- tionszwängen oder Budgetbeschränkungen. Nicht jeder kann immer so handeln, wie er gern möchte. Sehen Sie Unterschiede zwischen der Senats- und der Bezirksebene? Auf der Bezirksebene empfinde ich die Politik als sehr sachorientiert. Dort werden unsere Vorstellun- gen tendenziell mehr beachtet und oft wirklich als Arbeitsgrundlage genommen. Auf der Senatsebene habe ich das Gefühl, dass ein bisschen Rosinenpi- ckerei betrieben wird. Die Themen, die gerade in die Zeit passen, werden aufgegriffen. Die anderen The- men, die aus politischen oder pragmatischen Grün- den oder aus Budgetzwängen schwierig umzusetzen sind, werden zur Seite gelegt und gar nicht behandelt. Wie stark orientiert sich die Politik schlussendlich an den Leitlinien, die Sie vorschlagen? Die Politik hat grundsätzlich ein großes Interesse an der Wirtschaft, denn sie finanziert ja einen großen Teil des Haushalts über Steuern. Die Politik möchte also die Wirtschaft mitgestalten und erfolgreich machen. Es ist daher auch extrem sinnvoll, dass Poli- tik undWirtschaft eng zusammenarbeiten. Bei man- chen Themen gibt es einen klaren Konsens. Beispiel: Die Verwaltung muss digitalisiert und modernisiert werden. Sie werden kaum jemand finden, der das anders sieht. Die Frage ist nur: Was setzt die Politik am Ende auch um? Wie lautet die Antwort? Wenn ich zum Thema moderne Verwaltung ehr- lich sein soll: Da ist meiner Ansicht nach in dieser Legislaturperiode nicht viel passiert. Wir wissen seit zehn Jahren, dass bis 2024 ein Drittel der Mitarbei- ter in Rente geht. Es wird wahrscheinlich erst dann reagiert, wenn es richtig wehtut. Es wird aber auch bei anderen Themen zuwenig getan. Ich habemir die Wahlprüfsteine angesehen, die wir vor fünf Jahren erarbeitet haben, und mich gefragt, wie wir voran- gekommen sind. Und dann fällt mir leider auf, dass sich die Lage bei einigen Schwerpunktthemen sogar weiter verschärft hat. Was hat sich denn verschärft? An erster Stelle würde ich den Wohnungsbau nen- nen. Da sehe ich eher Rückschritte. Ich verstehe nicht, wie man das Wort Enteignung überhaupt nur in den Mund nehmen kann, wo wir doch Woh- nungsbau fördern müssen in jeder denkbaren Art undWeise. Aber stattdessen ist viel dafür getan wor- Es ist extrem sinnvoll, dass Politik und Wirtschaft extrem eng zusammen- arbeiten. Anne-Kathrin Kuhlemann FOTOS: AMIN AKHTAR SCHWERPUNKT | Interview

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