Berliner Wirtschaft Dezember 2021

» dukt oder der Verlag Theater der Zeit konzentrie- ren sich auf spitze Zielgruppen, während große Traditionsverlage wie Ullstein, Aufbau oder Suhr- kamp ein breites Publikum bedienen. „Dass Suhrkamp vor zwölf Jahren aus der Buchmessen-Stadt Frankfurt nach Berlin umge- zogen ist, war sicherlich kein Zufall“, sagt Jürgen Schepers, Branchenkoordinator Kreativwirtschaft bei der IHK Berlin. „Berlin hat sich zu einer weltof- fenen, toleranten und kulturell vielfältigen Met- ropole entwickelt, die Kreative und junge Talente aus der ganzen Welt anzieht.“ Kreativität sei zu einem Markenzeichen Berlins geworden, wobei Kreativität nicht nur ein Lebensgefühl sei, son- dern auch für Zukunft undWirtschaftskraft stehe. Große Ketten und Kiezbuchhandlungen „Berlin ist auch die Hauptstadt der Schriftstel- lerinnen und Schriftsteller. Allein 60 Prozent der Mitglieder des PEN-Zentrums Deutschland leben hier. Wer mit seinemManuskript nicht bei einem Verlag unterkommt, dem bleibt Self-Pu- blishing. Dabei unterstützen Dienstleister wie die Neopubli GmbH, die zur Holtzbrinck Publis- hing Group gehört und auf deren Online-Platt- formen Neobooks und Epubli Autoren Bücher und E-Books unabhängig und kostenlos veröf- fentlichen können. Das Unternehmen zahlt dann monatlich Honorar: 70 Prozent der Nettoerlöse. Und in keiner anderen deutschen Stadt gibt es mehr Buchhandlungen. 350 sind es, von Ket- ten wie Thalia oder Hugendubel bis zu Fach- und Kiezbuchhandlungen. So hat sich beispielsweise Hammett in Kreuzberg auf Kriminalliteratur spezialisiert und der Bücherbogen am Savigny- platz auf Architektur, Kunst und Design. Einer der vielen Kiezhändler ist Kisch&Co. an der Orani- enstraße. Als dem Laden nach 23 Jahren gekün- digt wurde, unterschrieben 22.000 Menschen für seinen Verbleib. Jetzt sitzt Kisch&Co. in einem ehemaligen Modegeschäft ein paar Häuser wei- ter, beimUmzug halfen Stammkunden. Ebenfalls umgezogen, von der Hardenberg- in die Knese- beckstraße, ist Berlins größte und älteste Reise- buchhandlung Schropp. An den Kosten beteiligte sich der Unterstützer- und Fankreis des Buchla- dens über eine Crowdfunding-Kampagne. Zudem sind in Berlin über 20 Literaturagentu- ren ansässig, die Autorinnen und Autoren betreuen und gegenüber Verlagen vertreten. Eine davon ist die Literatur- undMedienagentur Graf &Graf. 1995 von der Journalistin und Übersetzerin Karin Graf gegründet, vertritt sie heute rund 250 Autorin- Heinke Hager Geschäftsführerin Graf & Graf GmbH Die Literatur- und Medienagentur wurde 1995 von der Journa­ listin und Übersetzerin Karin Graf gegründet. Jährlich erscheinen 90 bis 100 Titel der von ihr vertretenen Auto- rinnen und Autoren bei rund 40 Verlagen. Verträge werden zudem auch für Film- rechte ausgehandelt. Heinke Hager Verlage sehen uns als professionelle Vermittler, die das Potenzial von Büchern einschätzen können. richstraße in einem ehemaligen Gymnasium, das nach Plänen von Architekt David Chipperfield umgebaut und erweitert wurde. „Bei Ullstein und seinen Imprints erscheinen pro Jahr rund 400 neue Titel, nahezu alle davon auch als E-Books“, erklärt Verleger Kredel. „Jedes unserer Programme und Labels, sowohl in der Belletristik als auch imSachbuch, hat eine eigene verlegerische Handschrift.“ Die Ullstein Buchver- lage sind eine 100-prozentige Tochter des schwe- dischen Medienkonzerns Bonnier. „Die Zugehö- rigkeit zu Bonnier Media Deutschland und der Austausch mit der Holding sowie mit unseren Schwesterverlagen schafft großartigeMöglichkei- ten, engt uns aber nicht ein“, sagt Kredel. „Die Ver- lage arbeiten eigenständig und dezentral, sie sollen ihre Identität nicht nur bewahren, sondern stär- ken.“ Zu Ullsteins Schwesterverlagen gehören bei- spielsweise Carlsen, Piper oder HörbuchHamburg, bei dem viele Ullstein-Hörbuch-Lizenzausgaben erscheinen und für den Ullstein den Vertrieb der CD-Ausgaben übernimmt. Durch die Corona-Krise sei das Unternehmen mit seinen rund 100 Beschäftigten relativ unbe- schadet gekommen. „Wenn Buchläden geschlos- sen sind, ist unser Geschäft beeinträchtigt – das ist klar“, sagt Kredel. „Doch die Pandemie hat auch gezeigt, wie stabil unsere Branche ist: Bei Ullstein hattenwir zuletzt ein außergewöhnlich gutes Jahr und erleben einmindestens solides, was viel damit zu tun hat, dass dieMenschen unverändert Bücher lesen wollen.“ Corona habe vor allem den Anteil des Online-Geschäfts steigen lassen. 2020 lag der Umsatz bei knapp 50 Mio. Euro, in diesem Jahr wird er leicht darunter landen. Viele Verlage, reichlich Neuerscheinungen Berlin ist nicht nur die Hauptstadt der Buchver- lage, in keiner anderen deutschen Stadt erschei- nen zudem jährlich so viele neue Titel. Nach Anga- ben des Landesverbands Berlin-Brandenburg des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels haben 425 Buchverlage, die im vergangenen Jahr insge- samt 10.667 neue Bücher herausgebracht haben, hier ihren Sitz. Darunter sind unabhängige Kleine und Kleinste wie der Verbrecher Verlag, der seit seiner Gründung 1995 über 300 Bücher veröffent- licht hat, der AvivA Verlag, der vor allem jüdische Schriftstellerinnen der 1920er und 1930er präsen- tiert, oder der Satyr Verlag, der seine Autorinnen und Autoren auf Poetry Slams oder Lesebühnen entdeckt und jährlich höchstens zehn Titel publi- ziert. Spezialverlage wie der Comic-Verlag Repro- 425 Buchverlage haben ihren Sitz in Berlin – mehr als irgendwo sonst in Deutschland. 2020 veröffentlichten die insgesamt fast 10.700 Titel. FOTO: CHRISTIAN KIELMANN SCHWERPUNKT | Buchbranche 22 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 12 | 2021

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