Berliner Wirtschaft November 2021
Sonja Jost Geschäftsführerin DexLeChem Wir müssen Industrie-Start- ups den Zugang zu Kapital ermöglichen. Jost: Du hast in deiner Antrittsansprache gesagt, die Politik ist für die Rahmenbedingungen zuständig und die Unternehmer für die Umset- zung. Im internationalen Vergleich gibt es nur eine Handvoll von Kriterien, nach denen Deutschland überhaupt noch eine Spitzenposition hat, wenn sich internationale Investoren nach Ansiedlungs- optionen umsehen. Eins davon war Rechtssicher- heit. Jetzt haben wir aber das Thema Enteignun- gen auf demTisch, ausgelöst durch die desaströse Wohnungsbaupolitik der letzten Jahre. Verlieren wir jetzt auch noch diesen Wettbewerbsvorteil? Aus unternehmerischer Sicht ist das eine Kata- strophe. Wie schätzt du das ein? Wollen die Ber- liner jetzt wirklich den Kommunismus zurück? Girl: Einige Berliner sind wirklich ratlos über die derzeitige Situation und haben deswegen auch aus Trotz diesem Entscheid zugestimmt. Das gab es ja auch schon in der Vergangenheit. Es ist aller- dings schon erschreckend, wie viele sich insge- samt dazu haben hinreißen lassen. Wer sich näm- lich wirklich die Zeit nimmt und die Konsequen- zen bis zum Schluss durchdenkt, muss schnell zu dem Ergebnis kommen, dass dadurch unser Erfolgsmodell Demokratie und soziale Markt- wirtschaft infrage gestellt wird. Niroomand: Viele Menschenmachen sich Sorgen, dass sie ihre Miete irgendwann nicht mehr zahlen können. Für diese Menschen ist eine Mieterhö- hung von 50 Euro imMonat, also 600 Euro mehr im Jahr, ein ganz reales Problem. Die Interessen dieser Menschen müssen geschützt werden, aber die entscheidende Lösung heißt natürlich bauen. Girl: Eben, es ist ein reales Problem, das die Men- schen aufbringt. Die Politik hat es bislang nicht gelöst, und natürlich gibt es auch einige schwarze Schafe. Aber es ist ja auch ein globales Problem. Die Politik hat den Markt in den letzten Jahren massiv mit Geld geflutet. Das heißt, als eine der wenigen Anlageoptionen bleiben Immobilien. Die Inflation kommt jetzt noch dazu. Aber die Wirtschaft jetzt als Schuldigen hinzustellen, ist Unsinn. Jost: Ich stimme dir hundertprozentig zu. Und wo wir gerade bei der Politik sind: Momentan wird über die nächste Regierung verhandelt. Was sind weitere wichtige Themen, bei denen du sagst, die müssen wir als Berliner Wirtschaft unbedingt bei der Politik einbringen? Girl: Wir nennen das drei plus eins. 1. Fachkräfte, Ausbildung, Bildung an sich, umdie katastropha- len Zustände im Bildungssektor zu verbessern. 2. Die digitale Verwaltung und die funktionie- rende Stadt an sich. 3. Stadtentwicklung, und zwar in einem übergeordneten Sinne: Bauen, digitale Infrastruktur, Wirtschaftsverkehr. Und das „+1“ ist das große, alles durchdringende Thema Nachhal- tigkeit. Unsere Herausforderung als Menschheit für die nächsten Jahrzehnte ist doch, uns quasi vor uns selbst zu bewahren. Jede Dienstleistung und jedes Produkt werden darauf zukünftig einzah- len müssen. Je innovativer wir sind, desto weni- ger werden wir unsere Gewohnheiten verändern und unseren Wohlstand aufgeben müssen. Niroomand: Und welche Rolle könnte Berlin dabei spielen? Girl: Berlin, die Menschen und die Unternehmen können ein Beispiel dafür sein, wie man Lösun- gen entwickelt und umsetzt. Wir wollen die Stadt der Ideen, des Muts und der Taten sein, umwett- bewerbsfähig zu bleiben. Nachhaltige Innovatio- nen, Lösungen und Produkte aus Berlin für uns Berliner und für dieWelt. Das ist vielleicht unsere letzte große Chance, die wir nicht wieder verspie- len sollten. ■ Mit DexLeChem leitet Sonja Jost ein Start-up für grüne Chemie. Außerdem ist sie Mitglied der IHK-Vollver- sammlung AGENDA | Unternehmergespräch
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