Berliner Wirtschaft 11/2020

D ie IHK-Organisation kämpft seit Jahren gegen den Missbrauch von Abmahnun- gen – nun ist sie ihrem Ziel ein großes Stück näher gekommen. Nach der Bil- ligung durch den Bundesrat am 9. Oktober tritt jetzt das „Gesetz zur Stärkung des fairenWettbe- werbs“ in Kraft und ändert das Gesetz gegen den unlauterenWettbewerb (UWG). Es hilft vor allem KMU, die vom bisherigen Missbrauch besonders betroffen waren, dies nicht selten so sehr, dass sie ihren Geschäftsbetrieb ganz aufgeben mussten. Das Gesetz verfolgt vor allem drei Ansätze: Beseitigung finanzieller Fehlanreize Verbesserung der gerichtlichen Zuständigkeit Förderung der Gegenwehr von Abgemahnten Eckpfeiler der Neuregelung Bisher konnten unseriöse Abmahner das UWG für Massenabmahnungen missbrauchen, um vor allem Gebühren und Vertragsstrafen einzu- nehmen. Dies will das neue Gesetz verhindern, indem es die Anspruchsberechtigung verschärft. Abmahnen dürfen in Zukunft: Mitbewerber nur dann, wenn sie gleich meh- rere Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen tat- sächlich geschäftlich tätig sein und in nicht nur unerheblichemMaße und nicht nur gelegentlich ähnliche Waren oder Dienstleistungen wie der Abgemahnte vertreiben oder nachfragen. Vereine ebenfalls nur dann, wenn sie meh- rere Anforderungen erfüllen, insbesondere Bran- chenbezug aufweisen, und sich beimBundesamt für Justiz registrieren lassen (qualifizierte Wirt- schaftsverbände). Ob Vereine den Kriterien ent- sprechen, überprüft das Bundesamt für Justiz vor der Eintragung und anschließend regelmäßig. Nur noch Klagen am Sitz des Beklagten zulässig Bisher durften Mitbewerber Klagen aufgrund vonWettbewerbsverstößen auch amHandlungs- ort erheben (Fliegender Gerichtsstand – forum shopping). Da so bei Internetverstößen jedes deut- sche Landgericht zuständig sein konnte, konn- ten Kläger vom Sitz des Gegners weit entfernte Gerichte aussuchen oder solche, die voraussicht- lich in ihrem Sinne entscheiden würden. Künftig sind nur Klagen am Sitz des Beklagten zulässig. Auch zur Abmahnung der typischen Bagatell- verstöße im Internet gibt es weitgehende Neue- rungen: So ist der Aufwendungsersatz bei Mitbe- werberabmahnungen künftig bei allen Verstößen gegen gesetzliche Informations- und Kennzeich- nungspflichten im elektronischen Geschäftsver- kehr und in Telemedien ausgeschlossen. Das Glei- che gilt bei Verstößen gegen die DSGVO, wenn der Abgemahnte weniger als 250Mitarbeiter beschäf- tigt. Hiervon umfasst sind z. B. Verstöße gegen die Impressumspflicht, die Pflicht zur vollständi- gen und korrektenWiderrufsbelehrung sowie zu Preisangaben im Onlinehandel. Auch Vertrags- strafen sind neu gefasst: Bei erstmaligen Mit- bewerberabmahnungen von Unternehmen mit weniger als 100Mitarbeitern sind sie gänzlich aus- geschlossen. In den anderen Fällen werden sie für abgemahnte Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern auf 1.000 Euro begrenzt, wenn es sich nur um einen unerheblichen Verstoß handelt. Auch was die Form angeht, gelten bei Abmah- nungen jetzt strengere Regeln: Jede Abmahnung muss zahlreiche Informationen enthalten, etwa zum konkret vorgeworfenen Verhalten und der darin enthaltenen Rechtsverletzung. Dies soll den massenhaften Versand von vorformulierten Abmahnungen verhindern. Wann einMissbrauch vorliegt, ist in Form eines Beispielkatalogs eben- falls schärfer gefasst worden. Maßgeblich bleiben aber die Gesamtumstände, die Gerichte haben also weiterhin Auslegungsspielräume. Wie sich der Abgemahnte wehren kann Das Gesetz gibt dem Abgemahnten erstmals einen Gegenanspruch: Er kann nun seine eige- nen Anwaltskosten vom Abmahnenden zurück- fordern, wenn die Abmahnung missbräuchlich oder inhaltlich unberechtigt ist oder nicht die for- malen Anforderungen erfüllt. Der Gegenanspruch ist beschränkt auf die Höhe des Aufwendungser- satzanspruchs des Gegners. Fazit: Die aktuelle UWG-Korrektur war längst überfällig und ist insgesamt sehr begrüßenswert. Aufgrund verschiedener Überleitungsregelungen wird sie imLaufe der nächsten zwölf Monate ihre Wirkung entfalten. Wie sich das Abmahnwesen im Einzelnen entwickeln wird, bleibt jedoch abzuwarten. So hängt es künftig maßgeblich vom Bundesamt für Justiz ab, ob der Abmahnmiss- brauch durch Vereine wirksameingedämmt wird. Offen ist auch die Entwicklung der Rechtspre- chung durch Landgerichte, die bisher nicht oder kaummit demWettbewerbsrecht befasst waren. Ob Verstöße gegen die DSGVO überhaupt nach dem deutschen Wettbewerbsrecht abgemahnt werden dürfen, wie es das neue Gesetz vorsieht, ist eine offene europarechtliche Frage, die der EuGH entscheidenmuss; ein entsprechendes Ver- fahren liegt ihm bereits vor.   ■ FOTO: GETTY IMAGES/ARTPARTNER-IMAGES 1 000 Euro beträgt bei einem unerheblichen Verstoß die Höchstgrenze von Vertragsstrafen für abgemahnte Unterneh- men mit weniger als 100 Mitarbeitern. Dr. Alexandra Fock, IHK-Bereich Weiterbildung & Unternehmenssicherung Tel.: 030 / 315 10-823 alexandra.fock@ berlin.ihk.de 57 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 11 | 2020 SERVICE | Wettbewerbsrecht

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