Berliner Wirtschaft Oktober 2023

seits verschärfe sich der Mangel an Fachkräften. Zudem bremse die Inflation die Bereitschaft der Betriebe, Personal einzustellen, insbesondere im Bereich der Helferstellen. Gerade deshalb unternehme die Bundesagentur für Arbeit zusätzliche Anstrengungen, die Lage zu verbessern. Aber: „Ich mache die Gesetze nicht, ich setze sie um“, bremste Nahles überzogene Forderungen. Das gilt zum Beispiel für die Anwerbung von Fachkräften aus Drittstaaten, ein Terrain, das die BA erst seit Kurzem auch international beackern darf. Hier plädierte die BA-Chefin dafür, Bürokratie zurückzufahren, Prozesse zu vereinfachen und zu digitalisieren. Es könne nicht sein, dass ihre digitalisierte Behörde mit den Ausländerämtern etlicher Kommunen per Fax kommuniziert. Dies sei „real existierende Satire“. Wie notwendig hier Fortschritte seien, verdeutliche die Tatsache, dass die steigenden Beschäftigtenzahlen in Deutschland allein ausländischen Beschäftigten ohne deutschen Pass zu verdanken seien. Die Schilderungen von Nahles wurden auch von Veranstaltungsteilnehmern bestätigt. Der Vorstand der Berliner Krankenhausgesellschaft, Marc Schreiner, verwies darauf, dass es im Schnitt 17 Monate dauert, bis der Berufsabschluss einer angeworbenen ausländischen Pflegekraft bestätigt ist und die Person arbeiten darf. Aber auch auf anderen Feldern sieht die BA-Chefin dringenden Handlungsbedarf. Dieser beginnt schon in den Schulen und Elternhäusern. Es müsse gelingen, mehr junge Leute in Ausbildung zu bringen. Unter den Ungelernten gebe es eine Arbeitslosenquote von 19,8 Prozent, so Nahles. Bei Personen mit Abschlüssen seien es 2,8 Prozent. Und Potenzial gebe es auch bei Studierenden, von denen im Durchschnitt 28 Prozent ihr Studium abbrechen, bei den sogenannten MINT-Fächern sogar 45 Prozent. Die BA versuche, mit diversen Projekten gegenzusteuern – von digitalen Elternabenden zur Berufswahl über Praktika-Kampagnen, Messen und Matching-Börsen. Speziell für Frauen mahnte Nahles von den Unternehmen mehr Flexibilität an. Wünschenswert wäre es, wenn die Betriebe es Frauen initiativ ermöglichen würden, 30 statt wie so oft 20 Wochenstunden zu arbeiten. „Anreizsysteme“ für ältere Fachkräfte Potenzial für den Fachkräftemarkt sieht Nahles auch bei der älteren Generation. Das reale Renteneintrittsalter habe sich stetig erhöht, auf nunmehr durchschnittlich 64,2 Jahre. Gegenwärtig würden 1,3 Millionen Menschen nach ihrem Renteneintritt noch freiwillig arbeiten, davon eine Million sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Hier müsse es weitere „Anreizsysteme“ geben, forderte die BA-Chefin. Denn eine Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters würde nicht automatisch zu mehr Beschäftigung führen. Vor dem Hintergrund der von Nahles geschilderten Arbeitsmarktprobleme verwies IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder auf die Anstrengungen der Berliner Wirtschaft, ausreichend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Inzwischen gebe es viel mehr Ausbildungsplätze als potenzielle Bewerber, betonte er. Es gebe für einige Berufe aber keine Nachfrage. Dass der Berliner Senat dennoch über eine Ausbildungsplatzabgabe nachdenkt, sei nicht nachvollziehbar. Die BA-Chefin sagte dazu, Unter- nehmen sollten auch Bewerbern eine Chance geben, die auf den ersten Blick nicht ins Profil passen. Am „Matching“ – der Besetzung einer Stelle mit dem passenden Bewerber – müsse gearbeitet werden. ■ Ich mache die Gesetze nicht, ich setze sie um. Andrea Nahles BA-Chefin (1) Andrea Nahles erläuterte im Ludwig Erhard Haus, auf welchen Feldern sie Handlungsbedarf sieht (2) IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder verwies in der Diskussion auf das Engagement der Wirtschaft in der Ausbildung (3) Marc Schreiner, Berliner Krankenhausgesellschaft, monierte die zu lange Dauer bis zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse 3 2 FOTOS: AMIN AKHTAR Berliner Wirtschaft 10 | 2023

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