Das deutsche Insolvenzrecht ist darauf ausgelegt, es in Schieflage geratenen Unternehmen zu ermöglichen, sich zu sanieren. Das unbedingte Ziel ist die Fortführung der Betriebe, und in ziemlich vielen Fällen gelingt das auch. Meldet ein Unternehmen Insolvenz an, werden ihm durch das Insolvenzrecht gewisse Verpflichtungen genommen. Etwa Personalkosten: Mitarbeitende bekommen Insolvenzgeld von der Bundesagentur für Arbeit. Eines sei aber wichtig, um die Erfolgschancen hochzuhalten, erklärt der Anwalt: Unternehmerinnen und Unternehmer müssen frühzeitig handeln. „Je früher man sich mit den Krisen auseinandersetzt, handelt und wenn nötig auch ein Insolvenzverfahren anstrebt, desto besser stehen die Chancen auf Rettung.“ Erkennt der Geschäftsführer die Insolvenzreife des Unternehmens nicht oder nicht rechtzeitig oder kommt er seinen Pflichten während der Krise nicht hinreichend nach, droht ihm insbesondere die Haftung mit dem Privatvermögen. Insolvenz bedeutet Zahlungsunfähigkeit „Insolvent ist man, wenn ein Unternehmen zahlungsunfähig ist“, so Anwalt Berner. „Das heißt, mit der zur Verfügung stehenden Liquidität kann man offene Forderungen nicht bezahlen.“ Sprich: Rechnungen gehen ein, das Konto ist leer. Insolvenz könne aber auch entstehen, wenn die Vermögensgegenstände eines Unternehmens nicht ausreichen, alle Schulden des Unternehmens zu decken – und zwar unabhängig davon, ob diese fällig werden oder nicht. Wenn dieser Sachverhalt in die Zahlungsunfähigkeit führt, ist das Unternehmen zudem überschuldet. „Diese beiden Themen muss man als Unternehmer ständig abklopfen“, so Berner. Gründerinnen und Gründer müssten sich fortwährend fragen: Reicht meine Liquidität aus, fällige Verbindlichkeiten zu bedienen – und wie lange? „Das setzt voraus, dass man ständiges Liquiditätscontrolling macht – was viele allerdings nicht tun.“ Die häufigsten Gründe, warum Start-ups in Unternehmenskrisen geraten, die letztlich in die Zahlungsunfähigkeit führen, sind seiner Erfahrung nach: • das Produkt ist nicht marktreif, • der Markt verhält sich anders als erwartet oder • Finanzierungen sind entgegen der Erwartung doch nicht zu bekommen. Also gilt es, wenn eine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, beim zuständigen Amtsgericht einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens einzureichen. Zeitgleich empfiehlt Berner, sich professionelle Hilfe zu holen, einen betriebswirtschaftlichen Berater etwa oder einen Anwalt. Denn es sei ein absoluter Irrglaube: Antrag gestellt, alles vorbei. Jetzt fängt nicht nur seine Arbeit an, auch Gründerinnen und Gründer sind jetzt höchst gefordert. Es können einige wenige Tage vergehen zwischen Einreichung des Antrags und Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Berner rät dringend davon ab, in dieser Zeit selbst als Gründerin oder Gründer vor die Belegschaft zu treten und über die Lage des Unternehmens zu sprechen. „Auf Mitarbeiterversammlungen kommen ganz viele Fragen, die Unternehmer oft nicht beantworten können.“ „Nach Eintritt der Insolvenzreife dürfen keine Leistungen oder Lieferungen aus dem Gesellschaftsvermögen erbracht werden, die die Insolvenzmasse schmälern könnten“, erklärt Fiona Schönbohm, Rechtsanwältin für Handels- und Wirtschaftsrecht. Das heißt, der Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin sind verpflichtet, Ausgaben so weit wie möglich zu minimieren. Und er oder sie muss „Maßnahmen zur Beseitigung des Insolvenzgrundes ergreifen“, so Schönbohm weiter. Hierzu zählten die Stundung von Forderungen, Neuverhandlung von Verträgen, Verkauf von Vermögenswerten oder die Kreditaufnahme. Die zwei Phasen der Insolvenz In der ersten Phase, dem vorläufigen Insolvenz- verfahren, ordnet der zuständige Richter am Insolvenzgericht an, dass die Geschäftsführung nur noch in Abstimmung mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter handeln darf. Ab da, so betont Berner, handle man am besten „im Team“. Für die meisten sei es das erste Mal, dass sie mit einem Insolvenzverwalter zu tun haben. Deshalb sei es wichtig, alle Handlungen gut zu kommunizieren. Insolvenzverwalter und Gründer haben drei Monate Zeit, das Unternehmen zu sanieren. Dazu kann auch gehören, einen Investor oder Käufer für die Firma oder einzelne Assets zu finden. Die zweite Phase ist das eröffnete Insolvenz- verfahren. Darin gehe es um „Aufräumen und Verwerten“, erklärt Berner. Und zwar unabhängig davon, ob die Sanierung erfolgreich abgeschlossen werden konnte oder nicht. Denn auch wenn etwa ein Investor das Unternehmen gekauft hat, kann es beispielsweise noch Mietverträge geben, die er nicht übernehmen möchte. Oder er braucht schlicht nicht alle Tische und Stühle. „Das alles muss verwertet werden“, erklärt Berner. ■ Christina Lüdtke, IHK-Fachreferentin Start-ups und Finanzierung Tel.: 030 / 315 10-405 christina.luedtke@ berlin.ihk.de Link zur Website der Gründerszene Die ungekürzte Version des Textes unter: gruenderszene.de (kostenpflichtig). Die Autorin Nina Anika Klotz ist Redakteurin bei Gründerszene. Sie hat Kommunikationswissenschaft, Politik und Neuere Deutsche Literatur an der Ludwig-Maximilians- Universität in München studiert und danach für Wirtschaftsmedien, Fach- und Publikumsmagazine gearbeitet. ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/DIGITAL VISION VECTORS ERHUI1979; FOTO: FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG Gründerszene | 61 Berliner Wirtschaft 09 | 2024
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