Berliner Wirtschaft September 2024

pliziert. „Wir fördern hier Gründungen, schieben sie an – aber wenn sie skalieren, sind eher Investoren aus dem Ausland zur Stelle“, berichtet er. Dass dies Unternehmen zu Abwanderung zwinge, sei durchaus möglich. Auch Julio Pastranas Start-up Escarda Technologies liefert Hardtech für den Agrarsektor. „Biologische Landwirtschaft benötigt nachhaltige Werkzeuge, damit sie wirtschaftlich und sauber produzieren kann“, so sein Credo. Seit sechs Jahren entwickelt der promovierte Robotiktechniker den chemiefreien Anti-Unkraut-Laser mithilfe der B.I.G. in Marzahn. Der Laserspezialist stellt Gerätschaft, Labore und Know-how zur Verfügung, hält auch eine Minderheitsbeteiligung. „Die größte Herausforderung“, sagt Pastrana, „war es, eine KI zu entwickeln und darauf zu trainieren, Unkraut und Nutzpflanzen in jeder Wachstumsphase voneinander unterscheiden zu können.“ Diese Herausforderung ist gemeistert, auch dank Kooperationen mit Landwirten etwa in Nordrhein-Westfalen und Bayern. Bis zu 1.800 Schüsse pro Minute kann das System zielgenau feuern und damit Unkrautpflanzen zerstören. Wichtigster Tester und erster Kunde ist Morning Star Tomatoes, einer der weltgrößten Tomatenverarbeiter. Die Kalifornier testeten den Laser auf Großfeldern und zeigten sich beeindruckt. Für ihre Strategie ausschließlich biologischen Anbaus ist es ein Gamechanger. Chemische Unkrautbekämpfung sei ein Auslaufmodell, zeigt sich Julio Pastrana überzeugt. Alles sei bereit für den Rollout im Herbst. Auf die Frage nach der Größe des Absatzmarktes antwortet Pastrana sicher: „The sky is the limit.“ – Der Himmel ist die Grenze. Als die B.I.G. im Jahr 2000 gegründet wurde, war sie mit ihrem industriellen Profil in Berlin ein Exot. Heute erwirtschaftet die Unternehmensgruppe mit weltweit gut 360 Beschäftigten mehr als 58 Mio. Euro. Und setzt sich für die Revitalisierung des Berliner Industriestandortes ein, indem sie Hardtech-Gründungen mit Know-how, Geräten und Flächen unterstützt. Davon profitiert auch das innovative Start-up RooWalk Mobility GmbH, gegründet von Benjamin Pardowitz und Maria Enge. „Der Name setzt sich zusammen aus Kangaroo und Walk“, erklärt die Elektro-Ingenieurin Enge – und der kleine weiße Roboter, der sanft auf zwei Rädern in die Werkstatt rollt und perfekt ausbalanciert zum Stehen kommt, erinnert in seiner Form tatsächlich an das Beuteltier. „Kängurus nutzen ihren Schwanz, um die Balance zu halten und Energie zu sparen. Und RooWalk ermöglicht dasselbe für Kinder mit Gehbehinderungen.“ Für diese, erklärt Pardowitz, gebe es bisher nur primitive Gehhilfen und Rollatoren, die weit hinter dem Stand möglicher technischer Lösungen liegen. „Wir wollen Kindern eine freiere, selbstständige Mobilität ermöglichen“, ergänzt der Maschinenbau-Ingenieur Pardowitz, der zuvor lange Zeit in der Luftfahrtindustrie arbeitete. Engagiertes Personal benötigt RooWalk unterstützt die Kinder so viel wie nötig und so wenig wie möglich, sodass sie ihr eigenes Körpergewicht selbstständig tragen können. Er reagiert auf Richtungsänderungen, passt sich dem Untergrund an, hilft beim Überwinden von Kanten und Schwellen. Je früher damit begonnen wird, desto größer der Effekt – für die betroffenen Kinder ein gewaltiger Gewinn an Lebensqualität. „Die Zertifizierung als Medizinprodukt ist gerade unsere Top-Priorität“, erklärt Enge. Die Vision, ein lebensverbesserndes Produkt nach dem Stand der Technik zu entwickeln, hat sie und Pardowitz zur Gründung motiviert. Die deutsche Risikoaversion bekommen allerdings auch sie zu spüren. Investorinnen und Investoren, so erklären sie, erwarten frühzeitig Daten über die Zahlungsbereitschaft der Kunden, um die langwierige Entwicklungs- und Zertifizierungsphase zu finanzieren. Krankenkassen jedoch seien erst bereit, über die Höhe der Erstattung zu sprechen, wenn die Zertifizierung abgeschlossen sei. In der B.I.G. hätten sie allerdings einen verlässlichen Partner, zudem längerfristige Förderung durch IBB und BMBF. RooWalk wird also weitergehen. Was das Start-up laut Enge am dringendsten benötigt: „Engagiertes Personal – für Hardware Proto- typing, Systemarchitektur, Assembly, Sensorik. Wir müssen ein super funktionierendes Team aufbauen, ohne das sind unsere Herausforderungen nicht zu schaffen!“ Der Fachkräftemangel ist auch für Industrie-Start-ups Entwicklungshemmnis Nummer eins. ■ Christian Nestler, IHK-Geschäftsbereich Gründungs- und Start-up-Politik Tel.: 030 / 315 10-286 christian.nestler@ berlin.ihk.de Julio Pastrana entwickelte eine Technologie zur Unkrautentfernung mithilfe von KI, Laser und Robotik Julio Pastrana Gründer Escarda Technologies GmbH Biologische Landwirtschaft benötigt nachhaltige Werkzeuge, damit sie wirtschaftlich und sauber produzieren kann. FOTO: ESCARDA TECHNOLOGIES GMBH BRANCHEN | Zukunftsorte | 38 Berliner Wirtschaft 09 | 2024

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