Der Mangel an Fachkräften stellt eine der größten Herausforderungen für die Berliner Wirtschaft dar. Nach Berechnungen der IHK wird der Fachkräfteengpass bis 2035 voraussichtlich auf 414.000 Personen steigen – das wären viermal so viel wie 2022. Doch auch schon heute fehlen 90.000 Fachkräfte in der Hauptstadt, was den Unternehmen große Sorgen bereitet. So nannten in der letzten IHK-Konjunkturumfrage im Frühsommer dieses Jahres 64 Prozent der Berliner Unternehmen den existenzbedrohenden Fachkräftemangel als Geschäftsrisiko Nummer eins. Um den Kampf dagegen gewinnen zu können, ist es unerlässlich, alle Erwerbspotenziale voll auszuschöpfen. Hier stellt eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen Schlüssel zum Erfolg dar. Zentral dafür ist die Sicherstellung von elterngerechten Rahmenbedingungen, aber auch die Unterstützung von pflegenden Angehörigen. Schon heute werden 85 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Berlin von über 200.000 An- und Zugehörigen zu Hause versorgt. Neben der Hebung bestehender Potenziale wird immer deutlicher, dass eine gute Betreuungssituation für Kinder und pflegebedürftige Angehörige einen wichtigen Standortfaktor im Wettbewerb um Fachkräfte mit anderen Metropollen weltweit darstellt – Fachkräfte kommen nicht ohne ihre Familie nach Berlin, sondern entscheiden sich im Zweifel für attraktivere Standorte. Betreuungssituation ist zentrales Kriterium Aus Sicht der Berliner Unternehmen ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein zentrales Kritierum. Dementsprechend wünschen sich die Unternehmen eine zuverlässigere Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen in der Hauptstadt. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter rund 500 Mitgliedsbetrieben der IHK Berlin und der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB). Die Umfrage wurde zusammen mit der Handwerkskammer Berlin, den UVB sowie dem DGB im Rahmen der Zusammenarbeit im Berliner Beirat für Familienfragen entwickelt. Die Ergebnisse der Umfrage sprechen eine eindeutige Sprache. Mehr als die Hälfte der Firmen (52 Prozent) gab an, dass zuverlässigere Angebote bei der Kinderbetreuung nötig seien. 27 Prozent sprachen sich dafür aus, dass mehr Kitas wochentags vor sechs Uhr und nach 18 Uhr geöffnet sein sollten. Fast ebenso viele Unternehmen (26 Prozent) forderten eine Aufstockung von Plätzen für die Tagespflege. 14 Prozent äußerten darüber hinaus den Wunsch nach einer zentralen Beratungsstelle, die über die betriebliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie informiert. Die Umfrage zeigt der Wirtschaft zufolge, wie wichtig eine bessere Betreuung für den Arbeitsmarkt ist. Die befragten Unternehmen erklärten, dass fast ein Drittel der Beschäftigten (32 Prozent) in den vergangenen drei Jahren die Arbeitszeit wegen Kinderbetreuung oder Pflege reduziert hat. Sechs von zehn Müttern (62 Prozent) nehmen nach der Geburt zwölf Monate Elternzeit, sieben von zehn Vätern (70 Prozent) entscheiden sich für einen bis vier Monate Auszeit. Eine Investition, die sich rechnet „Ein besseres Betreuungsangebot ist ein entscheidender Hebel im Kampf gegen den Personalmangel. Schon heute fehlen in Berlin in allen Branchen und Berufen rund 90.000 Fachkräfte. Angesichts des immer stärkeren Drucks durch die Demografie muss die Politik hier dringend handeln“, sagte IHK-Vizepräsident Stefan Spieker. „Kurzfristige Finanzprobleme dürfen keine Ausrede sein. Die Investition in eine bessere Betreuung rechnet sich in jedem Fall, für die Unternehmen ebenso wie für die öffentliche Hand“, ergänzte UVB-Präsident Stefan Moschko. „Denn wir wissen seit vielen Jahren, dass mehr Betreuung vielen Menschen den Weg ins Berufsleben oder aus einem Teilzeit- in einen Vollzeitjob erleichtert.“ Die Unternehmen machen ihren Belegschaften bereits zahlreiche Angebote, damit sie Job und Familie besser vereinbaren können. Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) haben die Arbeitszeit flexibilisiert oder Arbeitszeitkonten eingeführt. Nahezu jeder zweite Betrieb (48 Prozent) ermöglicht die Arbeit im Homeoffice. In gut einem Viertel der Unternehmen (27 Prozent) können sich die Beschäftigten befristet freistellen lassen. Weitere Maßnahmen sind Jobsharing oder die Kooperation mit Pflegediensten und anderen Einrichtungen, damit die Betreuung von zu Pflegenden oder Kindern sichergestellt ist. Allerdings könne nicht jeder Betrieb entsprechende Angebote machen. „Die Berliner Wirtschaft ist von kleinen und mittleren Betrieben geprägt. Hier fehlen oft Mittel und Möglichkeiten für mehr Betreuung. Deshalb brauchen wir hier mehr Engagement des Staates – sowohl bei der Kinderbetreuung als auch bei den Angeboten im Pflegebereich“, erklärten Spieker und Moschko. ■ Kitas sind für Kinder pädagogisch sinnvoll und letztlich auch ein Standortfaktor Stefan Spieker IHK-Vizepräsident Angesichts des immer stärkeren Drucks durch die Demografie muss die Politik hier dringend handeln. Jan Bruns, IHK-Public-Affairs- Manager Wirtschaft & Politik Tel.: 030 / 315 10-920 jan.bruns@berlin.ihk.de 52 % der Unternehmen halten zuverlässigere Angebote bei der Kinderbetreuung für notwendig. FOTOS: GETTY IMAGES/MASKOT, AMIN AKHTAR Arbeitsmarkt | 15 Berliner Wirtschaft 09 | 2024
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