Um zu verstehen, warum die Stadt Berlin 1945 größter Grundstückseigentümer Deutschlands war oder 1990 der größte Milchproduktionsbetrieb Westeuropas, muss man weit zurückgehen: 1859 wird James Hobrecht (1825–1902) Leiter der Kommission zur Ausarbeitung des „Bebauungsplans der Umgebungen Berlins“. Der nach ihm benannte Hobrecht-Plan regelt den geordneten Stadtausbau Berlins, das sich im Zuge der Industrialisierung zur beispiellosen Boomtown entwickelte. Hobrecht sorgte für Straßen, Erholungsflächen und vor allem für den Ausbau einer Kanalisation. Auch hierzu hatte Hobrecht eine revolutionäre Idee: Er ließ die Abwässer nicht etwa – wie seinerzeit üblich – in das fließende Gewässer der Stadt einfließen, sondern richtete zwölf Pumpwerke ein, die an den jeweils tiefsten Punkten der in zwölf Radialkreise aufgeteilten Stadtfläche das Abwasser sammelten und vor die Tore der Stadt pumpten. Dort wurde das Abwasser „verrieselt“, das heißt auf den Flächen verteilt, sickerte durch die Bodenschichten und wurde auf diese Weise natürlich gereinigt, ehe es wieder ins Grundwasser gelangte. Die stinkende Gosse und keimenden Fäkalgruben im Hinterhof wurden abgeschafft. Die erste angekaufte Fläche gehörte zum Rittergut Osdorf südlich Berlins. Es wurde mit den anderen 50.000 Hektar Land, die bis 1950 erworben wurden, der Verwaltung der Berliner Stadtgüter unterstellt. Diese nutzten die Felder – Waßmannsdorf, Schönerlinde, Hobrechtsfelde, Malchow oder Sputendorf sind einige der Stadtgüter – auch für die Landwirtschaft. In den Weltkriegen spielten die Stadtgüter eine wesentliche Rolle bei der Versorgung der Stadt, weshalb auch zahlreiche Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Nach dem Krieg zerschnitten die Grenzen die Stadtgüter. Sie wurden als Vereinigte Volkseigene Güter geführt und beschäftigten zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung 4.000 Menschen auf 28.000 Hektar. Die Verrieselung endete im Zuge der Einrichtung moderner Klärwerke im Laufe der 1980er-Jahre. Die agrarische Nutzung wurde ab 2001 in private Hände überführt, und seit 2008 halten die Berliner Stadtgüter Flächen rund um Berlin, die für die Landwirtschaft, für die Energiegewinnung, bei der klimatisch gebotenen Freiflächensicherung oder für bedeutende In- frastrukturprojekte wie den Bau des Flughafens BER von Bedeutung sind. Noch immer vereinigen die Stadtgüter, die in diesem Jahr 150-jähriges Jubiläum feiern, zwei scheinbare Widersprüche: Metropole und Rapsfelder. ■ Die Berliner Stadtgüter sorgten vor allem für mehr Hygiene in der wachsenden Metropole Berlin. Dieses Jahr feiern sie 150-jähriges Jubiläum von Björn Berghausen (BBWA) Rieseln für die Reinheit Zugang zum Wirtschaftsarchiv Die Bestände des Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchivs (BBWA) können nach Vereinbarung eingesehen werden. Kontakt und Infos: bb-wa.de 150 Jahre Stadtgüter Anlässlich des Jubiläums präsentieren die Berliner Stadtgüter eine multimediale Ausstellung unter: berlinerstadtgueter.de James Hobrecht war Leiter der Kommission zur Ausarbeitung des „Bebauungsplans der Umgebungen Berlins“ Teil des sogenannten Hobrecht-Plans war die Verrieselung der Abwässer vor den Toren Berlins FOTOS: PUBLIC DOMAIN, ARCHIV STIFTUNG DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN BRANCHEN | Historie | 38 Berliner Wirtschaft 09 | 2023
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